02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041228027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904122802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904122802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-28
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Anzeigeu-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen uni« dem Redaktion-strich (4ae>paUeni 72 "ach den Familiennach- richten ltig,svalten> ko »j. — Tabellarrschrr und Zisfernsay werden entsprechend böber be rechn«. — (Äebüdren für Aachwehungra und Oiierlenannabme 2ö Auoatzmcschlutz für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag» 10 Ubr. Morgen-AuSgabe: nachmittag- 4 tlür. Anzeigen sind siet- an ble Ezpebttion zu richten. Extra-Beilagen >uur mit der Morgen- Ausgabe- nach besonder« Bereiubarung. rie brveüttton tst Wochentag- ununterbrochen geöffnet von stütz 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig ,Inh. Ur. V„ R. L V. Klinkbardt). 98. Jahrgang. Var Aicktigrie vsm Lage. "Die Regreßklage der von Rechtsanwalt BurckaS I vertretenen Aktionärgruppe gegen ein AufsichtSratS« Mitglied der Leipziger Bank ist beute vom Landgerichte Leipzig kostenpflichtig abgewiesen worden. (Vgt. VotkSw. Teil.) * Eine spanische Sondergesandtschaft unter Fübrung des Prinzen Karl von Bourbon wird sich im Januar nach Berlin begeben, um dem Kaiser die Uniform «neS spanischen Generalkapitäns und Ehrenkapitäns deS Regiments .Rumeolia" zu überbringen. * Der Zugführer Hirsch aus Erfurt, auf dessen Ver schulden das Babnuuglück bei Wutha zurückgeführl wird, ist verhaftet woroen. * Körber wird dem Kaiser alle Eventualitäten zur Enlsche'dung vorlegen, Au'Iösung des Reichsrals, Ver handlung mrt den Parteien, Rekonstruktion und Demission. (S. Pol. Tagesschau.) * Die Moskauer GouvernementS-SemstwoS haben sich, »ach der Bekanntmachung der russischen Regierung, auf unbestimmte Zeit vertagt. (S. Ausland.) * Eine verheerende Seuche, deren Art noch nickt festgestellt werden konnte, wütet in einigen Kreisen Ruß lands. (S. A. a. W.) * Schweres Unwetter, Sturm, Nebel und Hagel schlag wirb aus New Jork gemeldet; mehrere Dampfer sind überfällig. (S. A. a. W.) Der britiscke Oberkommissar für den westlichen Stillen Ozean bat die Annexion der Tongaiufeln vollzogen. (S. Ausland). Vie Situation in Ungarn. 51. Pest, Ende Dezember. Ta eben jetzt ein Stillstand in der heftigen Kampf- Periode eingetrcten ist, ergibt sich die Muße, den äugen- blicklichen Stand, die Kräfteverhältnisse der Koinbattan- ten zu überschauen. Und da drängt sich denn wohl zuerst bis Frage auf, ob es sich denn wirklich nur um die Ob- struktion handelt und in deren Konsequenz um die Re form der Geschäftsordnung des ungarischen Abgeordne tenhauses, oder ob der Widerstand des Grafen Tisza und seiner Partei mit der Opposition nicht tiefergehende Ursachen habe. Zweifellos; es war und ist nötig, die Probe auf das Exempel zu machen, daß die Majorität zu regieren hat, und zwar mit gesetzgeberischen Taten, und nicht die Minorität ein Parlament in Schach halten, es direkt lahmlcgen darf — diese Frage aber gerade jetzt zu lösen, eine derartige causa principii muß denn doch eine politische, eine Machtfrage als Unterlage haben. Rabu. listrjch hört sich der Streit mit Worten im ungarischen Abgcordnctenhause an, ob die neue Gescl-äftsordnung legal sei oder nicht; sieht man aber, wie sich in dieser Frage Rechtens oder, richtiger gesagt, in dieser Frage der Billigkeit, Varon Banffy, der alte tabla blrü, der Stockmagyar, der sich stets weniger um Gcsetzespara- graphen, als um praktische Politik und um ungarische Wünsche gekümmert hat, und wie sich die Grafen-Gruppe: die A n drassysan der Spitze, an die Seite eines Zol- tan Pap und eines Zoltan Lengyel stellen, an die Seite der Männer, deren politische und parlamentarische Kampfmittel im Verhöhnen, im Lachen wie Poltern und Feuilleton. Um jeden Preis. -f Roman von Sergei D . . . . Nachdruck verdaten. Ein älterer Herr i§nd eine elegante junge Dame schreiten Arm in Arm durch die Friedrichstraße. Er schaut mit der Miene des apathischen, blasierten Lebe- mannes um sich, sie schon lebhafter. ,,6'est comma ?aris" — murmelte sie. Jetzt biegen sie in eine Seitenstraße ein und stehen bald vor einem der bekanntesten und eleganten Sammel plätze der Berliner Lebcwelt. Zwei junge Menschen treten, etwas angeheitert, die Hüte auf den Hintcrkopf gerückt, zur Tür hinaus und machen beim Anblick der schönen Dame eine rüdige Bemerkung. Tie beiden anderen achten nicht darauf; ehrerbietig hält der Diener die Portieren auseinander: ziclbcwußt treten sie ein. Ein Summen wie in einem Bienenkorb tönt ihnen ent gegen, dazwischen halblaute, sinnlich-klagende, ungarische Weisen. Es ist erdrückend voll. Herren im Frack, den blanken Zylinder auf dem Kopf, Damen in großer Toilette, hin und wieder auch maskiert, mit Phantasie- doll geputzten Schlcppkleidern und gigantischen Kopf- bedeckungeir, fluten in ziellosen Wanderungen hin und her und drängen und schieben mit langsamen, kurzen Schritten dicht an einander vorüber. Man sieht sich in Schreien bestehen, die den legislatorischen Besähigungs- Nachweis (das müssen selbst ihre ergebensten Anhänger bestätigen) bisher in gar keinem Belange erbracht haben — dann, dann kann es sich doch nicht um eine — Ge- schästsoronungsfrage, um die Legalität eines technischen Apparates handeln! Wie ist die Gruppierung der feindlichen Elemente? Ter erste dem Range nach ist Graf Albert A p p 0 n y i. Eine Art tragikomischen Schicksals verfolgt ihn. Immer streckt er die Hand nach dem höchsten Lorbeer aus, und nie erreicht er ihn. Er ist der ewige Ministerpräsidenten- Kandidat und wird nie promoviert; so gärt in ihm das Drachcngift der Verbitterung. Einer tiefgehenden und einer zugleich hochgreifenden; er ist ein Frondeur in ge- dämpft-revolutionärem Sinne. Ihn als stillen Gegner zu besitzen, ist gefährlich, ihn als lauen Freund an der Seite zu haben, noch gefährlicher — Koloman v. Szell kann ein Liedchen davon singen — am ungefährlichsten ist er als offener Feind. In den jüngsten Kampfszenen spielte er nicht die erste Rolle. Anders ist Baron Banffy. Der erste Ungar, königstreu, aber immer Magyare. Schlau, aber mit biüerben, rustikalen Manieren. Keinen Bildungsschatz nennt er sein eigen; an Wissen und an Rednergabe verschwindet er neben Apponyi, trotz seiner erfreulichen Leiblichkeit, wie ein Schemen; aber in den breiten Schichten, in der Gentry vor allem, gilt er viel; er versteht die Hcrzenssaitc der ungarischen Politik er klingen zu machen. Anders geartet ist Graf IuliuL Andrassy, dec Chef der Grafen-Gruppe, oder sage» wir es gleich heraus, der katholischen Grafen-Gruppe, die dem Calviner Grafen, dem Sohne Koloman Tiszas, nicht grün ist. Er hat noch einen Bruder, und dieses Brüder paar hat einen Spitznamen, der ihm in Hofkrcisen ge geben worden ist; man nennt sie nämlich die Aspik- Grafen. weil sie wie Gallerte immer zittern. Kompro- miß-Naturen und Doktrinäre. Und da paßt es,-ich auch daß die Fäden der Politik dieser Grafen-Gruppe hier und da von Frauenhänüen gar emsig gesponnen werden. Tic- Schwester der Grafen Andrassy tritt als Egeria auf Diesen Kämpen nun steht Graf Stephan Tisza fast allein gegenüber. Gewiß, die liberale Partei ist für ihn. Aber bald scheiden sich einige von ihm, bald stoßen andere zu ihm. Und sie folgen ihm auch; aber der Elan fehlt allzu häufig. So wußte — um nur ein charakteristisches Bei spiel anzuführen — alle Welt, daß die Opposition am Tage, da die Demolierung der Präsidenten- Tribüne und der Ministerfauteuils erfolgte, vor Morgengrauen ins Parlament ziehen werde. Wärc-n die Liberalen noch früher auf gestanden, wäre es zu den Vandalen-Stücklein nicht ge kommen; aber die Liberalen haben auch hier in Ungarn den Fehler, in entscheidenden Momenten etwas saum selig, etwas „zu vornehm" zu sein. Warum die liberalen Abgeordneten aber manchmal etwas zaghaft sind? Man kann eben nicht wissen, wie die Sache ausgeht, und ein Mandat ist eine angenehme Sache und sehr kostspielig, wenn man nicht getreuester Regierungsmann ist — wie, wenn die konziliante Art des Grafen Andrassy doch die Oberhand gewönne? Und schließlich, darüber gibt sich auch Graf Stephan Tisza keiner Täuschung hin, daß Besen, die allzu scharf kehren, nicht lange kehren, und daß er seines Erfolges sich nicht in angenehmer Ruhe und Ausnützung seiner Macht erfreuen werde, höchstens als Minister a. D. Keine Frage, das parlamentarische Prinzip ist durch den Grafen Stephan Tisza vertreten; es zeigt sich nur. daß das kontinentale parlamentarische Prinzip viel an Prestige verloren hat. Auch der echte Liberalismus ist auf Seiten des gegenwärtigen agra rischen Ministerpräsidenten; nur schade, daß die Gegner des Liberalismus in Ungarn alle Mittel in Bewegung setzen, das kirchenpolitische Moment, um sich diskret aus- zudrücken, ist bei dem gegenwärtigen Kampfe in Ungarn kein Imponücrabile. Die Bischöfe stehen auf Seiten des Grafen Tisza, dieKaplanokrotie assistiert seinen Gegnern. Man sieht, es ist eine interessante Fehde, um so inter essanter, als der Ausgang vollkommen ungewiß ist. Diese parlamentarische und diese politische Fehde ist aber um so bedeutsamer, als sie bereits in das soziale Leben kräftig hineingreift. Früher verkehrten politische Gegner in Ungarn ganz gemütlich gesellschaftlich mit einander, heute geht ein starker Riß durch die ungarische Gesellschaft. Tie gegenseitige Anfeindung ist groß, sie wird immer leidenschaftlicher; es wird zu Wahlen kommen, diese Wahlen werden stürmischer sein, als Wahlen in Ungarn, die ja auch bisher nicht des stärksten Temperaments entbehrten, je gewesen sind. ver lurrirck-ispanircke Weg. Aümlral vsn Spaun. In die in Paris zur Erledigung der Doggerbank« Affäre versammelte internaiionale Kommission ist als sünfies und letztes Mitglied der österreichische Admiral von Spann ausgenommen Worten. Von ihm wußten Wiener B.älter zu dericklcn, daß er, als er kurze Zeit nach rem beranellicken Vorfall von einem Interviewer über seme Meinung in vieler Angelegenheit betragt wurde, er lä>t habe, ras beste unv zuverlä'sigste M uel, zu einer Entscheirung zu gelangen, sei, rie japanische Regierung um eine Äenkerung ,u ersuchen, ob sie von einer Anwesenheit zapani- scher Kriegssakrzeuge am sraglxben On und in der fraglichen Z « Kenntnis babe. Falle die Antwort verneinend aus, 10 sei damit v,el für vie Erledigung ves Slremalls g wannen. An riesen Ausipruch ves Ärmirals erinnert nuumebr die englische Presse und strickt vie Ei Wartung aus, rer Ärmiral werte auch in rer Kommission rieie seine Meinung zum Ausdruck klingen. Ob Herr von Spaun diesem Wunicke Rechnung tragen wirr, siebt rakin ; geich.ebl es aber, 10 läge vie Möglichteit vor, daß in eine Angelegenheit, die nach Lage der Dinge zunächst nur Großbritannien undRußlanv angebt, auch Japan bineinge.ogen würve, ein Umsianv, der rem Fortgang unv Ausgang der Veroanvlungen gewiß nicht förderlich wäre. Die russische AaurpfpofUisn. Dem „Daliy Telegraph" wirv über Tsingtau von gestern gemelret, die lrnle Flanke der rnssi-chen Armee sei vor- geickoben worden; die Fiont sei 65 km lang. Es werde 0 fiziell ausgeiprocken, raß r>e rmsische Armee Anfang Februar » 00 <«><> Mann stark sein weide. Mrt Hülse der Armee von Wladiwostok tolle dann der Versuch ge- mackt werden, die Japaner zu umfassen. Die in Mukven e nireffeiiven Verstärkungen kommen meist aus den west lichen Grenzbezirken. Die Garde werde im Januar erwartet. Zerwürfnis Ae-ama» mit Ovama. Aus Tolro wird nack Petersburg berichiet: Unter den japanischen Fübreru berricht keine vö-lige Einigkeit, es beißt, G.ueral Korama werre aus der Mautscharei zurückbeiusen werden, weil er den Marickall Oyama geobrfeigk babe. Korama ist Eber der Mantschureiarmee und g'lt als der llüyte aller japaunchen Offiziere, aber die Volkstümlich keit Obamas ist so gro.a, daß der angebliche Z.v.schenfall nicht unge,ühnt bleiben könnte. Die japanische Flotte. Der „Standard" meldet aus Tokio: Admiral Togo wird mit dem rsros der Klolle nach den japannchen Gewässern zurückkehren und den Kaiser wahrscheinlich persönlich Bericht erstatten. Dasselbe Blatt meldet aus Tokio von gestern: Die jaraniicke Presse äußert ihre Erregung über das Verhalten ter neutralen Mächte gegenüber der Bal tischen Flotte. DaS Blatt „Kokumin" tagt, Rußland lei für die Ermöglichung der Fahrt der Baltischen Flotte nicht nur Frankreich, sondern auch Spanien, Holland, Eng land, Dänemark und anderen Mächten zu Dank verpflichtet. Die Japaner könnten aber auch dankbar sein für das Ver halten der Mächte, welche Japan gegenüber zu dem gleichen Dienst verpflichtet sein würden, wenn Japan es für not wendig erachten sollte, eine Flotte nach dem Westen zu senden. Die Unterschlagungen beim Noten Arenz. Die Gerüchte von Mißbräuchen bei dem Roten Kreuz finden ihre Bestätigung durch die in Moskauer Blättern enchienene Auslorderung deS Untersuchungsrichters, die bieienigcn Per'oiien. die in ten letzten vier Jahren für die (naher amgefüblten- Wohltäligteilsanstalien Spenden vargebracht haben, ersucht, die Ze« und die Summe ruit- z «eiten. Dieie Angaben men erforderlich für die eingeleitelc lUitertuchung über die Mißbräuche des Moskauer Komitees deS Roten Kreuzes, genannt „Christliche Hilfe". pslstirche cagerrcdau. Leipzig, 28. Dezember. Ter Zehnstunden-Arbeüstag. Nach Neujahr wird im Reichstage die Zentrums- interpeualron verhandelt werden, welche den Zehn- stunöentaq für alle Fabrikarbeiter fordert. Es dürfte sich hier sür das Zentrum niehc darum handeln, wieder einmal den Beweis zu führen, daß es in dec sozialen Fürsorge an der Spitze marschiert, als um einen Schrrti auf dem Wege praktischer politischer Arbeit. Es ist nicht zu leugnen, oav die allgemeine Stimmung in Teutsch land durchgreifenden sozialpolitischen Maßregeln heute nicht günstrg ist. Weite Kreise vermissen den „Taut" der Arbeiter für die sozialen Leistungen des Staates. Wir teilen diesen Standpunkt nickst. Unserer Ansicht nach erfolgt die sozialpolitische Fürsorge nicht im Sonderinteresse des arbeiten den Standes, sondern im Gesamtinteresse der Gefest schäft; auch im Interesse dec Unternehmer, mögen sie auch noch so viel — und nicht mit Unrecht — über die finanziellen Lasten und die Unbcquemlichteiten seufzen, welche die Legislative ihnen aufgebücdet hat. Aber, wie dem auch sei, an großzügige Reformen ist in der nächsten Zeit nicht zu denken. Der Forderung an sich stehen wir sympathisch gegenüber. Wir glauben nicht daran, daß die Industrie durch die Einführung des Zehnstunden tags konkurrenzunfähig den anderen Staaten gegen- über werden würde, freilich immer vorausgesetzt, daß das Gesetz nicht mit Buchstabenstarrheik die Vielgestaltig leit deS Lebens einzwängt, sondern daß Ueberganas- unü Ausnahmebestimmungen getroffen werden, die der neuen Verordnung eine gewisse Elastizität sichern. Ein Zehnstundentag allerdings, der als kategorischer Im pcrativ anskrikt und dessen Regeln niemals durchbrochen «werden dürfen, sckfeint uns nicht nur nicht nützlich, son I dern schädlich. Eilige Aufträge des Auslands, Moüe- I wechsel, Saisonbedarf, Streiks ud manche andere Even tual.täten machen es notwendig, daß ein derartiges Gesetz mit äußerster Sorgfalt und Vorsicht formuliert werd?» muß. Geschieht dies aber, so dürfte es vortreffliche hygienische Folgen haben und die industrielle Gesamt leistung wird schwerlich geschädigt werden, denn man weiß, daß das Minus der Zeit häufig ein Plus der Arbeitsleistung herbeiführt. Allerdings ist dies nicht immer der Fall und selbstverständlich gibt es eine untere Grenze, die nicht überschritten werden darf. Es kann aber wohl kaum die Rede davon sein, daß diese Grenze mit dem Zehnstnndenarbeitstag bereits erreicht iei. Viel leicht wird man zunächst den Zehnstundenarbeitstag für Frauen cinführcn, der von den meisten amtlichen Be richterstattern befürwortet wird. Unserer Ansicht nach kann cs gar keiner Diskussion unterliegen, daß die Ein- die Augen, — so nahe wie bei einem Kuß. Die Luft ist schwül, ermattend, erregend; die Atmosphäre des Flirtens — der Galanterie. In den Nischen und Couloirs lauern geheimnisvolle Abenteuer. — Tie Neuangekommenen bleiben in der Nähe der Tür stehen und halten Umschau in dem vollen Saale, dann begeben sie sich auf die Suche nach einem freien Plätzchen. Immer an den Wänden entlang, jeden einzelnen Tisch musternd. Hier und da stößt wohl ein Mann seinen Nachbar an und deutet auf die Dame: „Brillantes Weib, was?" Aber die weitaus meisten achten gar nickt auf sie in dem Gedränge. „Ist er nicht hier?" flüsterte leise die Dame ihrem Begleiter ins Ohr. — Der zuckt mit den Schultern. — Sic gehen weiter. — „In der Nische, links ist noch ein Platz für uns", sagt plötzlich der Herr. Die Dame wirft einen schnellen Blick hinüber und bleibt unwillkürlich stehen. Toch nur einen Augen- blick. Dann atmet sie tief auf und beide steuern auf die Nische zu. Dort sitzen an einem Tischchen, das eigent lich nur für zwei Personen berechnet ist, ein Herr und eine Tame. Sie ist ein Typ der eleganten Berliner Demi-Mondaine; elegant, etwas auffallend gekleidet, schlanke Figur, volle Düste, stark geschminkt, — mit nach gezeichneten Augenbrauen und Wimpern. In den Ohren und fast an allen Fingern blitzen Ringe — vielleicht Simili. Der Mann scheint auf den ersten Blick ein Japaner zu sein. Ein schöner Mann, soweit nach unseren Be griffen von Schönheit bei seiner Rasse überhaupt die Rede sein kann. Natürlich klein, wie alle Japaner; aber hinter seinen goldumränderten Augengläsern blitzten ein Paar intelligente Augen. Sein ganzer Gesichtsausdruck zeugte von Energie. Er ist einfach und elegant gekleidet. Tie beiden anderen haben den Tisch erreicht und nach dem üblichen Höflichkeitsaustausch daran Platz ge- uommen, zur ersichtlichen Freude des Japaners, dec sich gar nicht satt sehen kann an der Schönheit seines Gegenüber. Die Musik setzt mit einem wilden Offenbachschen Cancan ein. D i e Gäste, die sich bis jetzt auf dem Tanz- boden aufgehalten hatten, ziehen sich an die Wände zurück, um den spiegelglatten Tanzboden den bezahlten fünf Tanzmädchen zu überlassen. So entsteht ein ziem- liches Gedränge zwischen den Tischchen. Nur eine Französin kann den Cancan tanzen, und diese fünf sind Französinnen. Immer leidenschaftlicher werden ihre Be wegungen, immer mehr reißen sic die Zuschauer mit sich fort. Tas Gedränge zwischen den Tischen wird stärker; einige Gäste haben sich auf die Stühle gestellt, um besser sehen zu können. Auch der Japaner und seine Dame gehören zu den interessierten Zuschauern. Mit einem wilden Akkord brach die Musik ab. Donnernder Applaus sckiallte durch das Haus; die Mädchen verbeugten sich nach allen Seiten wie im Theater. Ta ertönten die Klänge des Ziehrerschcn Land- streicher-Walzers, die jungen Männer stürzten auf die Französinnen zu, andere Paare folgten und bald wimmelte der Boden von Tanzenden. Lackend und schwatzend begaben sich die Gäste an ihre Tische zurück. Um seinen Sitz wieder zu erreichen, mußte sich der Japaner zwischen zwei Tischchen hindurchzwängen. Tabei kollidierte sein Ellbogen mit einem bis an den Rand gefüllten Kelck Rotwein, das Glas wurde um gestoßen, und der Inhalt ergoß sich über die elegante, Helle Toilette der schönen Fremden. Mit einem kleinen Schrei des Entsetzens sprang die Tame auf und sah den unglücklichen Japaner wütend an. „Verzeihung — mein Fräulein — in dem Gedränge hier —", stammelte, der Japaner, ganz rot im Gesicht. Ter Begleiter der Dame unterbrach ihn. „Aber mein Herr — es ist ja nicht der Rede wert. So etwas kann ja passieren!" Ec nahm ruhig die Hand seiner Tame, die eifrig damit beschäftigt war, mit der Serviette das Kleid einigermaßen zu säubern, und zog sie auf ihren Stuhl nieder. „Laß nur, Kind — bestell' dir morgen ein anderes—." Ter Japaner nahm Platz. „Ich weiß nicht, wie ich meine Ungeschicklichkeit, die ich gar nicht begreife, wieder gut macken soll —" Hub er an. „Dürfte ich wenigstens den Verlust —" Wieder unterbrach ihn der Fremde. „Aber, bitte, reden Sie dock nicht weiter darüber! Eine Erinnerung mehr für meine Tochter." „Ah, Sie sind zu gütig, mein Herr! — Gnädigste sind Ihre Tochter?" Er lächelte zur Dame hinüber. „Ja. Wir wollten nur etwas von Berlin bei Nacht kennen lernen, ehe wir nack Hause — nach London — zurückkehrten", antwortete die Dome, schon lange nicht mehr so böse.
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