Delete Search...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-10
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041210026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904121002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904121002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-10
- Monat1904-12
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Sette 2. Nr. «2«. 98. Jahr».Leipziger Tageblatt. England schon auS Rücksicht auf die A l l i a n z in i t I Japan der Ausfahrt der russischen Schuxirze Meer-1 Flotte durch die Dardanellen ent'chiedeuen Widerstand I entgegensetzen werde. Bis jetzt lxibc Rrrßland keine Schritte in dieser Richtung unternommen, doch werde die Möglichkeit ins Auge aekaßt Bon anderer Leite werde angenommen. England würde sich für die Erlaubnis der Durchfahrt schadlos halten, indem eS entweder eine der Türkei gehörige Position besetzen oder daS Mirtelmeer Geschwader selbst durch die Dardanellen ins Marmara- oder Schwarze Meer fahren lassen würde. Mr. Sinnet über die l istige Verhandlung in VvMftreet. Mr. Sinnet, der ebenso wie Mr. James Burk c. Roche wegen Verkaufs des Turbinenzerstörers „Caro line" eine Vorladung nach Bowstreet erhalten bat, ist von, 'pariser „Crprcß"-Vcrtret«r interviewt worden Er bat die patzigen Äeuszerungen getan: „Es dangt ganz von der Form der Antiare ab, ob ich nach London geben werde oder nicht. Sehr lvabrscheinlich werde ich die An klage beantworten, und in dem Falle kann ich Ihnen versichern, das; ich die Lacher auf meiner Seite haben werde, denn "ich werde der britischen Regierung eine kleine Ucber- raschung bereiten, die viele Leute in Erstaunen setzen wird." Auf die Frage, was diese Anspielung be deute, antwortete Sinnet: „Wenn ich dies sagte, würde ich alles verraten. Die Regierung hätte besser getan, diese Angelegenheit unbeachtet vorübergehen zu lassen. Meine srsre Antwort auf die Anklage ist, daß es sich um eine rein kommerzielle Transaktion handelt. Gegenwärtig ist es ein Verbrechen, an Ruß land Schiffe zu verkaufen, dagegen ein schlauer Streich, Japan damit zu versorgen. Uni deutlicher zu sein: die britische Regierung hat seit Beginn des Krieges in jedem Falle, wo Schiffe für Japan aus eng lischen Werften geschmuggelt wurden, beide Augen zugedrückt, die britische Regierung weiß, daß die russische Regierung hiervon Kenntnis hat, und wenn nicht die Enthüllungen in der Presse dazwischengetreten wären, würde sie auch den Verkauf der „Caroline" still schweigend übergangen haben. Wenn ich mich ent schließe, nach London zu gehen, so kann ich Ihnen ver- sprechen, daß ich gewisse Enthüllungen machen werde, bei denen der britischen Regierung etwas un behaglich werden wird, und die für das britische Volk eine Millionenferderung bedeuten. Die Beweise dafür sind hier" — Mr. Sinnet zeigte hierbei auf seinen Geldschrank. „Erst ganz kürzlich", fuhr er fort, „hat eine bekannte Pariser Agentur drei Zerstörer und ein Unterseeboot vom Tyne nach Japan gesandt. Ich versichere Sie, es wird lustig werden, wenn wir nach Bowstreet gehen." Lin Zusanrnienstoh auf der Lranrbaikalbahn. Einem Telegramm des Chefs der Transbaikalbahn zufolge fand am 8. Dezember auf der Baikalringbahn ein Zusammenstoß zwischen einem Güterzug und dein Sonderzug des kommandierenden Generals der I. Mantschurecarmee, Baron Kaulbars, statt. Ein Maschinist des GUterzuges wurde verletzt. General Linjewitfch. Der Korrespondent der „Newoje Wremja" in Mut den berichtet: „General Linjewitsch inspizierte vor einigen Tagen die äußerste- Front der russischen Stellungen. Er näherte sich dabei den japanischen Verschanzungen so weit, daß er in Schußweite kam. Die Japaner feuerten verschiedene Male auf den General und seinen Stab. Mehrere Ge schosse platzten in unmittelbarer Nähe, ein Soldat des Gefolges wurde sogar getötet. Am 4. Dezember hielt Linjewitsch eine Truppens chau ab über eine Jn- fanterieabtcilung, in der er seine Laufbahn be gonnen hat." Die Fabel von, Lebe Kuroki». Dem „Russkoe Slewo" zufolge soll General Kuroki tatsächlich gestorben und durch den Prinzen Saznava, einen Bruder des Mikado, ersetzt worden sein. Der erst im 21. Lebensjahre stehende Prinz befinde sich mit seinem Stabe in Khuan-Dzian. Von der Armee Oku» meldet der „Daily Telegraph" aus Tientsin von gestern: General Oku hat durch ein dreitägiges Bom bardement die kleine, aber hohe Insel Caschan im Liaoflusse, 60 Kilometer von Liaojang, unhaltbar gemacht. Die Russen zogen sich Sonntag 12Vs Kilo- meter nordwestlich in eine befestigte Stel lung zurück und ließen eine Menge Vor räte und verschiedene Geschütze im Stich. Sie beschossen heftig die javanische Linie und setzten am Dienstag ein Cerosinlager in Brand, wodurch eine Feuers brunst entstand, die bis Mittwoch audauerte. Die Ja- paner sollen 5000 Mann verloren haben, verteidig- t e n aber mit schwachen Kräften tapfer ihre Stellung. Versagen der russischen Defensive in Poet Arthur. Aus Tokio wird dem „Bureau Reuter" tele graphiert, nach den letzten Beobachtungen vor Port Arthur fei keine Tätigkeit der Russen im Westen und ,n den östlichen Teilen des Hafens, die sicht bar sind, mehr ivahrzunehmen. Es. sei wahrscheinlich, daß bei der Fortdauer der Belagerung die Japaner sich nicht mehr solchen Verlusten attssetzen werden, wie sie sie neulich erlitten lzaben, daß sie vielmehr mit dem Hunger rechnen, um die Festung in ihre Hände zu bekommen. Daraus, daß man kein Zeichen von Leben an Bord der russischen Schiffe während der Beschießung sah, schloß man, daß die M a t r o s e n a n's L a n d geflohen seien oder viel- mebr bei den BerschanzungSarbeiten mithalfen. — Das selbe Bureau meldet aus dem .Hauptquartier der Belage- rungsarmec von gestern: Russische Gefangene berichten, die Vorräte an Lebensmitteln in Port Arthur seien ungenügend, die Garnison erhalte verkürzte Rationen und ein Brot, das aus Dkrhl mit einer Bei mischung gröberer Kornsorten hergestellt werde. Die Offiziere erhielten zweimal wöchentlich Pferdefleisch. Infolge des schlechten Wassers herrsche Typhus und Dysenterie: frisches Gemüse sei nicht zu haben, die Kon serven seien erschöpft und die Vorräte dürften in einem Monat zu Ende sein. Lino Warnung. Das Bureau Reuter meldet aus Washington von gestern: Ein Telegramm des amerikanischen Gesandten in Tokio besagt, der amerikanische Vizekonsul in Nagasaki habe die Gesandtschaft benachrichtigt, daß alle Schiffe ge warnt seien, sich auf mehr als 2a Meilen den PeScadores- Inseln gegenüber der Westküste von Formosa zu nähern. Bei Söul würden Befestigungsarbeiten ausgeführt. politische lagezschs«. Leipzig, 10. Dezember. Die iwutsch-östcrreichlsche Vcrtragökrifi». Nack den gestrigen Darlegungen des Grafen Bülow im Reichstage kann es als positiv sicher bezeichnet werden, daß auch mit Oesterreich eine handelspolitische Verständigung erzielt wird. Ueberbaupt scheint der Abbruch der Verhandlungen nickl in so schroffer Form erfolgt zu sein, wie es erst den Anschein batte; wie nämlich jetzt bekannt wird, war bei der Abreise des Grasen Posadowsky von Wien dort ein sächsischer Bevollmäch tigter zurückgeblieben, dessen Berichte den ersten Anknüpfungs punkt für die diplomatischen Erörterungen betr. Wiederauf nahme der Handrlsveriragsverhandlungen bildeten. Nach einer Wiener Meldung stehen die Angelegenheiten augenblicklich derart, daß man auf den Abschluß der Verhandlungen noch vor Weihnachten rechnen kann, zumal bei der Behandlung der Kleineisenindustrie von der österreichi schen Regierung nunmehr Entgegenkommen gezeigt wird. Wie offiziös aus Wien mitgeteilt wird, hat dort gestern unter Vorsitz Goluchowskis eine Ministerkonferenz statt gefunden, an der außer den beiderseitigen Ministern für Handel und Ackerbau auch Körber und der Finanzminister Kosel teil nahmen. Danach fand eine Besprechung der Fachreferenten statt. Zunächst wurde das Ergebnis der Ministerkonferenz an Szögyeny nach Berlin yritgeteist, Auch batte Hieronymi eine Besprechung mit dem deutschen Botschafter. Mehrere Wiener Abendblätter kündigen an, daß die Fachreferenten wahrscheinlich oder möglicherweise nächste Woche nach Berlin gehen, doch scheint auch der schriftliche Weg nicht ausgeschlossen zu sein. Lum selben Thema äußert die hochoffiziöse „Süddeutsche Neichskorrespondenz": Die auf deutscher Sette gern willkommen geheißene Wieder anknüpfung ist tatsächlich aus einem Wunsch Oesterreich-Ungarns hervorgegangen und dementsprechend durch den Botschafter der habsburgischen Monarchie in Berlin vermittelt worden, wo auch die neuen Unterhandlungen geführt werden. Den „Münch. R. N." ging ans Wien die Versicherung zu, ... die Wiener Unterhandlungen hätten unter früheren Differenzen zwischen der ungarischen Regierung und der deutschen Reichsregierung zu leiden gehabt, und zwar in Fragen, die mit dem Handels verträge nicht zusammenhingen. Als solche Fragen werden nach der „Wiener Allgem. Ztg." der Vertrag Ungarns mit der Cunard-Linie und die Stellung Deutschlands zum Ent- Wurf des neuen ungarischen BolkSschulgesetzeS angeführt. Man versteht nicht, weshalb. Tenn die Meinungsverschiedenheiten in Sachen der Cunard-Linie wurden ohne Rückwirkung auf die handelspolitischen Verhandlungen beigelegt, und die Beilegung konnte, wenn überhaupt, die Verhandlungen nicht anders als günstig beeinflussen. In das Schicksal des ungarischen Bolks- schulgejetzrntwurseS aber hat man sich von Berlin aus niemals eingemischt. Die „Dtsch. TageS,tg." glossiert die gestrigen Erklärungett des Reichskanzlers im Reichstage folgendermaßen: Die Erklärung des Reichskanzlers über die Handelsverträge hat nach den Gerüchten, die in den letzten Tagen umherschwirrten, wenig überrascht. Sachlich mag daS Vorgehen einigermaßen be gründet erscheinen; es kommt auch verhältnismäßig wenig darauf an, ob die Verträge dem Reichstage in nächster Woche oder alsbald nach Weihnachten zugehen, da die Beratungen in beiden Fällen erst nach Weihnachten hätten stattfinden oder doch beendet werden können Zweierlei aber muß unbedingt gefordert werden, daß deS Reichskanzlers „alsbald" im eigentlichen Sinne des Wortes verstanden werde und daß, falls bis dahin ein Handels vertrag nicht zustande kommt, der bestehende Vertrag mit Oesterreich- Ungarn am 3t. Dezember 1904 gekündigt werde. Makrokosmos — Mikrokosmos. Die „D. Ostafr. Ztg." erzählt, vor dem 9. November, dem Geburtstage des Königs von England, sei einer der höchsten englischen Beamten in Mombassa bei den Deutschen „sam meln" gegangen. Einzelne deutsche Firmen hätten erhebliche Beiträge gezeichnet, und dies fei um so seltsamer, als sie sich hülfSbcdiirsligen Deutschen gegenüber meist recht zurückhaltend zeigen. DaS ist nicht so seltsam, wie die „D. Ostafr. Ztg." cs findet. König Eduard ist' ja auch nicht hülisbedürftig, und schon die Bibel sagt „Wer da hat, dem wirk gegeben". Das sind Geschäftsspesen, die sich doch vielleicht rentieren, aber wie soll es sich rentieren, einem armen Teufel von LandSmann eine Strecke weiter zu helfen? Und dann der Einfluß, den das Beispiel großen Stils erzeugt! — Wenn eS in Frankreich, Rußland oder Skandinavien brennt, da sind wir gleich zur Hand, nur im eigenen Lande und den eigenen Volksgenossen gegenüber heißt es: Hilf dir selbst, so wird dir Gott Hellen! Die Gewohnheiten der hohen Politik finden natürlich im Privatleben Nachahmung. As K«N8V M) 0L8tie. In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 2. Dezember hatte der Abgeordnete Stychel auf einen angeb lichen Erlaß des Kultusministeriums hingewiesen, in welchem den Lehrern polnischer Nationalität kurz und bündig auf gegeben sei, baß sie sich im Privalverkehr und in der Familie der deutschen Sprache zu bedienen hätten. Der Minister war nicht in der Lage, sofort auf diese Darstellung zu erwidern und jetzt erklärt die „N. A. Z.": „Wie wir annchnien müssen, bat der Abgeordnete Stychel einen Erlaß der Regierung in Posen den Sommer diese- Jahres im Auge gehabt, in welchem der Gebrauch des Polnischen in den Familien der Lehrer keineswegs verboten, aber gewisse Direktiven für den Gebrauch und die Pflege der deutschen Spracht gegeben werden. Ob der Unterrichtsminisler Lazu übergehen wird, aus diesem Anlaß seinerseits einen Zirkularerlaß über den Gebrauch des Polnischen in den Familien der Lehrer zu erlaßen, wissen wir nicht. Jedenfalls können wir sestslellen, daß eine solche Ent schließung bisher nicht getroffen ist." Wir hoffen, daß sie auch nicht „getroffen" werden wird und bemerken ganz nebenbei, daß die deutsche Wendung lautet „einen Entschluß fassen". In der Sache selbst glauben wir, daß ein solcher Erlaß nur schaden, gar nicht nützen kann. Verbitterung und Spionage sind seine einzigen Folgen. Welche Sprache ein Bürger in seinem Hause sprechen will, ist einzig und allein seine Sache. Auch für die Staatsgewalt gibt natürliche Grenon. ES ist geradezu ein empörender Gedanke, daß die Behörde einen Bürger Vorschriften darüber machen sollte, in welcher Sprache er sich mit Len Seinigen unterhalten darf. Uebrigens sind alle Verordnungen schädlich, deren Durchführung sich nicht sichern läßt und das ist hier der Fall. Das wird der Unterrichtsminister hoffentlich ein sehen und es bei dem guten Satze llouse is wz? ca«tle auch für die ihm unterstellten Lehrer bewenden lassen. Mine Niederlage Körbers. Im österreichischen Reicksrat webte gestern Kriseniust, da schon vorher der Beschluß der Fortschrittspartei bekannt war, gegen das gouvernementale Verlangen im Budget- Ausschuß, gegen die Refundierungsanleihe von 69 Millionen zur Deckung der Notstandskrcdite, zu sprechen und zu stimmen. Der Unterrichtsminister v. Härtel übernahm für die Protektionsgeschichten in seinem Beamtentum die volle Verantwortung, der Gras Sternberg hielt eine anti sozialistische Rede über die Sozialdemokratie, die die „vcr- nüttftigste aller Parteien" fei, und über die Dynastie, die Pernerstorfer unqualifizierbar angegriffen habe; er selbst batte nämlich den Antidynasten Übertrumpft. Der Doktor Kramarz warf der Regierung vor, sie sei das einzige Hindernis, und Herr von Körber bemühte sich, sein Programm vor den Unbilden des ParteichaoS zu schützen. Im Budgetausschuß wurde daS befürchtete Ablehnungsvotum ausgesprochen, und der Ministerpräsi- Souna-end, 10. Dezember 1904. dent machte von der bereitgehalieuen kaiserlichen Vollmacht zur Vertagung auf unbestimmte Feit sofort Gebrauch. Nach der Vertagung, die heute amtlich veröffentlicht wird, erwartet man die Auflösung de« Abgeordnetenhauses. Noch spät abend» fand Ministerrat statt, Herr v. Körber wurde durch den Kaiser, der au» Pest eiagetroffen war, in längerer Audienz empfangen. Aür Oesterreich liegen nun zwei Lose in der Urne, die Demission Körbers, oder auch die Allgewalt deS Paragraphen 14. Die letzten Ereignisse In Part». DaS Kabinet Combes enirinnt den Stürmen nicht mehr; vorgestern hatte es mit der knappen Mehrheit von zwei Stimmen gesiegt, am Freitag drohte ihm die Interpellation der Ribot, Milleranb und Leygues, die wegen des Zirkulars vom 18. November, des Befehls an die Präfekten, vorstellig wurden, sich bei den Gemeinderäten und Bürgermeistern über die Beanzten der Republik zu erkundigen. Herr Ribot, der nicht nachläßt, begann mit einer Philippika gegen die Schule der Demoralisation. Er bezichtigte Combes, daß er alles Große nnd Edle enlwürdigt habe, und daß er den französischen Charakter verkenne: „Was wir vor unS sehen, ist nicht mehr ein Kabinett, es ist nur noch ein Dina, für das es in der parlamentarischen Sprache keinen Namen gibt. (Tosender Beifall rechts und im Zentrum.) Ich werde mich nicht bücken, um Ihre Hinterlassenschaft auszu heben. Ihre Niederlage wird nicht der Sieg einer Partei, sondern die Revanche des öffentlichen Gewissens sein. (Lang- anyaltender, tobender Beifall im Centrum und rechts und auf einigen Bänken links.)" Millerand, dessen oppositionelle Gelüste immer leidenschaftlicher werden, redete von einer ekelhaften Wirtschaft, von der offiziellen Spionage, die alle anständigen Leute hinausjage, von der „schändlichsten und niedrigsten Zwingherrschaft." Dem unangenehmen Renegaten erwiderte der Ministerpräsident, indem er ihm, unter stür mischem Beifall der Linken, das „ekelhaft" zurückgab, und er rächte sich an Ribot, indem er Dokumente aus dessen Regierung verlas, worin die heute von ihm gebraUvmarktenDenunziationen ein Vorbild hakten. Wiederum wußte CombeS sich mit der republikanischen Mehrheit zu decken, der er sagte, daß sie mit feiner Person verschwinden würde; er wirkte damit namentlich auf die äußerste Linke, so daß er bei den Ab- stlmmungen mit zuerst 1l, danach 35 Stimmen Mehr heit davonkam. Die Pariser Berichterstatter der Berliner Zeitungen erklären, daß die nationalistische Version von einem gewaltsamen Tode Syvetovs viele Republikaner auf die Seite des MiuisteriumS gebracht habe. Ueber die Auf findung des nationalistischen Deputierten, dessen Begräbnis seine Freunde des agitatorische» Pompes wegen auf den Sonntag verlegen möchten, schreibt aus Paris vom 9. November, unser -s.-Korresppndent: Herr Gabriel Syveton, Gymnasiallehrer, aus der Loiregegend gebürtig, stürzte sich in Reims 1898 in den Drcvfuslärm, nahm einjährigen Urlaub und wurde in Paris Schatzmeister der „Liga des französischen Vater landes". Als er wiederkam, wurde er wegen seiner politischen Tätigkeit auf ein Jahr abgesetzt, ohne jeden GehaliSbezug; er verzichtete infolge dessen ganz. Im Jahre 1902 wurde er im zweite» Pariser Arrondisse ment zum Deputierten gewäklt; als man feine Wabl verwarf, blieb die Volksgunst auch bei der zweiten Entscheidung ihm treu. Oesters war er der Urheber tumultuarischcr Scen-n. Als Gauthier de Clagny über die- Humberlassäre interpellierte und die Abgeord neten sich prügelten, wurde er ausgeschlossen; er wurde nach seiner Wiederwahl ausgeschlossen, als er, ehe ihm die Prü- suligskomntissiou die Giltigkeit bewilligt hatte, wieder im Palais Bourbon erschien. Der Ueberiall auf Andrö war der letzte Streick. Herr Syveton wobnte m Neuiüy, wohin, als die unglaubliche Meldung gemacht wuroe, die nationalistiscken Gefährten und die Reporter sich drängten. Dem Berichterstatter deS „Journal" erzählte der Selrctär deS Verstorbenen, ec sei um >/z2 Ubr gelommen, und man habe ihm gesagt, Syveton wolle bis «/j.3 Uhr schlafen: „Man gab mir den Text der Rede, die er vor den Seine-Geschworenen halten sollte; auf den Rand hatte er notiert, Guyot de Villeneuve sei zu hinterbringen, daß er ihn um 7 Uhr sprechen müßte, um ihm die Rede vorzulesen". Das Papier, ras in die Abzugsröhre deS GaSofens gestopft war, ist eine Nummer des „Jntransigeant"; die Entdeckung dieses Papiers war die Ursache, daß von einem Mord gemunkelt wurde. Jules Lemaitre kam außer sich herein, siel auf ein Fauleuil nieder und schluchzte: „Die Sckweine, die Schweine! sie haben ihn ermordet". CoppSe küßte den Toten aus die Stirn, schwor gereckte Rache, siebte zu Gott um Hülse und rief vor dem Halise zum Publikum: „Er ist ermordet worden! Ich bürge dafür!" Später weinte Lemaitre: „Das arme Kind! Tas arme Kind! Es ist der größte Schmerz meines Lebens". Henri Rochefort, der Marquis de Dion, Boni de Castellane gesellten sich dazu, auch der Dichter Maurice BarrSs fehlte nicht. Der Rechtsbeistand Syvetons, der berühmte Advokat Robert, der ein sensationelles Plaidoyer gearbeitet hatte, hüllte sich in Schweigen, jedoch bat schon die bestimmte Aus kunft des Untersuchungsrichter« Boucard, eS liege Tod Lurch Mann zu ernähren? Sie möge ruhig sein, — noch sei es nicht so weit! Er werde eine Oper komponieren, die werde diesen Keffern, diesen Banausen, diesen Besser wissern beweisen, Wad er zu leisten imstande sei, wenn es ihm ernstlich darum zu tun wäre! Knirschen sollten sie, tausendmal bereuen, ihn nicht gehalten zu haben! Die ganze Sippschaft, - Annemaries gepriesener Jung- Daniel, dieser Narr, dieser Hans Dampf, an der Spitze, sollte noch kommen und ihn mit hundert Händen zurück holen wollen aber dann, dann werde er nicht mehr -zu haben sein! — Annemarie bezwang mühsam ihre impulsive Leb- Hastigkeit und schwieg zu derartigen Auslastungen, ob- gleich sie merkte, daß auch ihr Schweigen Oswald reizte und erbitterte. Mas aber hätte sie ihm erwidern sollen? Jung-Tanicl verteidigen? Damit goß sie nur Oel ins Feuer! Sich auf die Oper freuen? Ja, hätte sie nur mehr Zutrauen in Oswalds Talent setzen können, sowohl als Dirigent, als auch als Komponist! Je mehr sie Oswalds Kompositionen hörte, je mehr sie selber in ihrem musikalischen Können und Verstehen reifte und wuchs, üm so oberflächlicher nnd trivialer erschienen ihr diese Machwerke, — weder originell, noch interessant, weder markig noch tiefgründig. Eine gewisse spielerische An mut, die ohne Saft und Kraft war, einzig auf den Effekt hinarbcitend, war alles, was sich von diesen sogenannten „Schöpfungen" sagen ließ! Und einem solchen Mann sollte man eine gute Oper Zutrauen, ein Werk, das einen Abend füllen, das Geist, Phantasie und Gemüt eines ge- bildeten Publikums beschäftigen sollte? — Umsonst, daß sie ihn nach Einzelnheiten befragte, — ob er ein geeignetes Textbuch wisse, — ob er ein heiteres oder mehr dramatisches Genre gewählt, — welcher Rich tung er zu folgen gedenke! Oswald hüllte sich in ein tiefes Geheimnis, es war ihm förmlich ein Triumph, sie recht deutlich fühlen zu lasten, daß sie von derartigen Dingen dock ablolut kein Jota verstünde, — warum also frage sie danach? Wolle sie sich nicht mit der Tat- sacke genügen lassen, eine reizende Frau mit einer schönen Stimme zu sein, die alle Welt entzücke? Sei ihr daS noch nicht genug? Wolle sie so vorwitzig sein, ihr zier liches Füßcken auf eine Domäne zu setzen, von der sie nicht den blauen Dunst habe, die ihm, n u rihm. gehöre? Und das wurde nicht etwa mit gutmütigem Spott, mit freundlichem Lächeln gesagt, — es lag ein beißender Hohn darin und eine beständige geheim lauernde Furcht, sie könne auch darin seine Nebenbuhlerin »verdenk — So stand sic von fern, mit gebundenen Händen, — untätig, — nicht wissend, — unsicher geworden in jeder Hinsicht, denn sie glaubte ihm nichts mehr recht. — Oswald hatte iede weitere Erklärung über die Sere nade, über ihre Entstehung, über Andrs Dillot und seine einstigen Beziehungen zu ihm verweigert, — so konse quent und schroff verweigert, daß Annemarie doch stutzig werden muhte. Sie wußte, er war nervös und reizbar, und eine so schlimme Anschuldigung mußte ihn hart an greifen; tagelang kam sie mit keinem Wort auf jenen anonymen Brief zurück, sie ging absichtlich zur Tages ordnung über, — aber sie konnte sich nicht enthalten, oft daran zu denken, und sie hoffte zuversichtlich, Oswald werde selbst anfangen, davon zu sprechen. In dieser An nahme getäuscht, begann sie eines Tages, dies Thema zu berühren, immer noch in Heller Empörung über den lichtscheuen Ankläger, — immer noch im guten Glauben an Oswalds völlige Unschuld. Sehr geschickt wich er ihr anfangs aus dann, als sie dringender wurde, verbot er ibr kurzerhand, jemals wieder dies Thema zu berühren, es sei ihm eine zu widerwärtige und schmutzige Geschichte, um sich daran die Finger zu besudeln! — Also auch hier verbotenes Terrain! Man kann sich zwingen, über eine Tatsache nicht mehr zu reden ist sie darum aus der Welt geschafft, wenn in einem bis dahin völlig arglosen Gemüt der Zweifel bereit» Wurzel geschlagen hat? — Auch über die ominösen Briefe in grauen, grünen, bläulichen Umschlägen, mit Firmenstempeln versehen, durfte sie kein Wort verlieren, und doch erschienen diese Ungeheuer häufiger denn je im Hause, und Pauline hatte oft von den. Ueberbringern Bemerkungen anzuhörcn, die nickt mißzuverstehen waren. „Kümmere dich nicht daruin! Ueberlasso solche „Dinge" mir, — noch bin ich Herr in meinem Hause!" Pflegte Oswald aufzubrausen, wenn Annemarie eine Andeutung wagte. Sie schwieg jetzt, — konnte sie doch aus eigenen Mitteln nicht helfen, ver mochte auch nicht, die Ausdehnung des Uebels zu über sehen, — aber jedesmal, wenn sie eines ihrer eleganten Kleider anzog, wenn sie in ihre kostbare Winterjacke schlüpfte, brannten sie die Sachen wie Feuer, in dem Gedanken, all' dieser Luxus könnte noch nicht bezahlt sein! — Heute hatte cS eine neue Demütigung gegeben. Oswald hatte sich nachmittags zu einer für ihn unge wohnten Stunde zum Ausgehen zurecht gemacht und Annemarie batte ihn verwundert gefragt: „Wohin gehst du? Heute ist ja keine Probe für dich!" worauf er mit einen« gereizten Auflacheu erwidert hatte: „Keine Probe, meinst du? Na, das konimt d'rauf an. Ich gehe zu meiner Mutter, uni zuzusehen, ob sie mich noch 'mal aus der Patsche reißen kann, — nachgerade geht die Karre einfach so nicht weiter! Ob wir beide unsere „Probe" bestehen werden, das wird sich auswcisen!" Mit großen, erschrockenen Augen hatte die junge Frau ihn angesehen: „Zu deiner Mutter? Ach, Oswald, — könntest du nicht" — Er hatte von neuem bitter gelacht: „Könntest du nicht — wa»? Heraus mit der Sprache, kleines Wkib! Ob ich nicht warten könnte, bi» meine be rühmte Frau mit ibrer schönen Stimme ein Vermögen erworben hat, um mich wieder flott zu machen,.... das wolltest du dock gewiß sagen! Bedaure, — nein! Wenn ich auch da» nötige Fiduzit zu dieser interessanten. Sache hätte, — andere Leute sind eben prosaischer angelegt und trauen dem Frieden nicht! Geschäftsmänner wollen nichts von schönen Stimmen und Konzerten als Aequi- valent für unbezahlte Rechnungen wissen, — also, bitte, laß' du mich in Frieden meines Weges ziehen!" Anne marie hatte ihm bittend die Hand auf den Arm gelegt: „Wie schrecklich, Ossy, — deine Mutter wird denken, daß ich .... wenn du ihr wenigstens sagen wolltest, daß" „Daß ich meine Frau nicht in Sack und Asche einhergehen sehen möchte! Schon gut — schon gut — soll bestens ausgerichtet werden!" Damit war er zur Tür hinaus und Annemarie hörte ihn Pauline beauftragen, einen Wagen zu holen, — bei solchen« Wetter sei es ja unmöglich, zu Fuß weiterzu kommen! — Hier stand nun die junge Frau und starrte wie ver lassen und verloren in Las Schneetreiben hinaus und seufzte aus tiefster Seele; sorgenvoll dachte sie zu Oswald hinüber, — sie hörte im Geist seine Mutter Be schuldigungen auf die bcttclhaft arme, eitle und genuß- süchtige Frau häufen, die ihr den Sohn ruiniere. Würde Oswald den Mut haben, den wahren Sachverhalt auf- zudecken, — zu ihr zu stehen, die er doch liebte, — wenigstens zu lieben vorgab, — soweit eine Natur, wie die seine, das Wort Liebe verstand? Es fuhr ein Wagen drunten vor, hielt an ihrem Hause still, — ein leichtes, geschlossenes Coups, mit zwei flinken Schecken bespannt; cs sah aus, wie das Fuhrwerk eines ArztcS. Ein schlankgebauter Herr stieg aus, schaute prüfend am Hause in die Höhe, — dicht, dicht trat Anne marie an das Erkerfenster heran, damit er sie sähe; am liebsten hätte sie einen Fensterflügel geöffnet und sich hinausgebogen in den stiebenden Schnee. — Schon aber hatte der drunten sie entdeckt, den Hut grüßend gelüftet, ein paar Worte zu seinem Kutscher ge- sprocken, — dann fuhr der Wagen davon. (Fortsetzung solgt.)
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview