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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.12.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-06
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041206016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904120601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904120601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-06
- Monat1904-12
- Jahr1904
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»tilr «. Nr. «2». 98. Jahr«. Lrt-ztger Taftcblall. Dienstag, 6. Dezember 1WL. im Zusammenhangs unverständlich, auch was er über die neuen Handelsverträge lagt, ist nur teillveise vernehm lich. Redner spricht die Hoffnung aus, datz nunmehr di« Handelsverträge bald erledigt werden mögen. Nach den ZettungSnachrichten ist Graf PosadowSky ohne einen Ab schluß mit Oesterreich zurückgekehrt, es mag nicht an gängig sein, daß uns nunmehr Mitteilungen über die /Verhandlungen mit Oesterreich gemacht werden, aber e- wird angängig sein, von unserer Seite auszudrücken, datz Oesterreich irrt, wenn es sich ettva in dem Glauben be findet, daß wir, wenn ein Tarifvertrag nicht zustande kommt, ihm Meistbegünstigung gewähren (Lebhafte Zu stimmung rechts), mag der politiläre Bund mit Oesterreich noch so enge sein und mögen die politischen Ziele noch w sehr übcreinstimmen. Ich bin als Großdentscher der letzte, der das nicht wünsäieu sollte, ich iveitz das lebl-aste Interesse Deutschlands an der Erhaltung Oesterreichs zu schätzen, das kann mich aber nicht veranlassen, uns mit gebundenen Händen Oesterreich preiszugcben, während dies allein einen handelspolitischen Vorteil hätte. (Bei fall rechts.) Wir freuen uns unserer freundsclwftlichen Beziehungen zu den anderen Ländern. Jüngst hat Prä sident Roosevelt eine Aeutzerung getan, der ich lebhaf testen Wiederhall in Deutschland wünsche. Bei der Ein weihung eines neuen Lstrchengebäudes in Washington sprach er seine Ueberzeugung dahin aus, er wolle, daß in den großen Vereinigten Staaten jeder Bürger seinen Schöpfer verehren könne in den Glauben, den er bekennt. (Lebhafter Beifall. Zustimmung.) In Deutschland !>at noch vieles zu geschehen, uni dieses Ziel zu verwirklichen. Denn man das anerkennt, dann muß man die katholisch Kirche auch anerkennen in allen ihren Anstalten, inuß inan auch jeden Ordensmann, jeden Jesuiten anerkennen. (Lebhafter Beifall im Zentrum.) Redner geht dann auf die Zunahme der Selbstmorde unter der höheren Schul jugend ein und scheint diese in Zusammenhang mit der fortschreitenden Entsittlichung der Literatur und der Presse zu bringen. Zu den inneren Vorkommnissen des laufenden Jahres gehörte auch die Geschichte eines unse rer Kleinstaaten, mit dem in den letzten Jahren cttvas im Depeschenstil verkehrt worden ist. Wir können dem Bundesrat nur dankbar sein für die rasche und glückliche Art der Erledigung der Sache. (Beifall rechts und im Zentrum.) In der inneren Geschichte des Reiches haben wir auch zwei Jubiläen zu verzeichnen gehabt. Zum 25jährigen Jubiläum des Reichsgerichts hat der Kanzler die Gelegenheit wahrgenommen, dem Gericht seine Glück wünsche auszusprechen; dagegen ist das 25jährige Jubi läum der Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zum Deut schen Rsiche unbeachtet geblieben. Elsatz-Lothringen ist bisher ohne Vertretung im Bundesrat, eine solche Ver tretung muß dem Reichslande gewährt werden. Was den Etat des Reichsamts des Innern betrifft, so möchte ich das Handwerk der besonderen Mrsorge des Staats- sekretärs empfehlen, insbesondere die Ausdehnung des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb. Es sollte ein Rcichshandwerkerblatt gegründet werden. Man würde damit dem Handwerk einen großen Dienst erweisen. (Zu stimmung.) Eine andere Frage berührt zum Teil das Reichsamt des Innern, zum Teil die Militärverwaltung. Ich möchte wünschen, daß die einzelnen Verwaltungs- bebörden das ihrige täten, um den Handwerkerkreisen die Ueberzeugung beizubrrngen, daß sie die Konkurrenz mit den großen Unternehmern aufnehmen können, wenn sie sich zu Verbänden zusammenschließen, und daß ihnen dann große Aufträge gegeben werden. Was recht schnell in Angriff genommen werden muß, ist der Schutz der Heimarbeiter. (Zustimmung.) Was die Militärvorlage anbetrifft, so müssen wir daran festhalten, datz die Ver abschiedung nur erfolgt, wenn für die Deckung der Mehr ausgaben gesorgt ist. Was die zweijährige Dienstzeit an geht, so müssen wir uns auch hier die Prüfung im ein zelnen Vorbehalten. Sehr bedauerlich ist, datz noch immer Soldatenmitzhandlungen Vorkommen. Das ganze Ver trauen in dem Militärstrafvcrfahren beruht darauf, datz die Bevölkerung die Ueberzeugung gewinnt, das Kriegs gericht sei ebenso unabhängig wie das Zivilgericht. (Leb hafte Zustimmung. Lachen bei den Sozialdemokraten.) An dem Flottenprogramm halten wir fest. Redner schließt mit einer Erwiderung auf den Appell des Präsi denten an das Haus, dem schrecklichen Absentismus zu entsagen. Dieser Appell sei gewiß berechtigt, hänge aber nicht allein von dem guten Willen der Abgeordneten ab. Möchte doch endlich die Diätenfrage für den Reichstag gelöst werden! (Lebhafter Beifall und Zustimmung.) Abg. Bebel (Soz.): Ich mutz zunächst mich lebhaft darüber beschtveren, daß der Reichstag anläßlich der außerordentlichen Ausgaben für Südwestafrika nicht zu- 'ammenberufen ist, uni seine Zustimmung zu geben. Es ist freilich nicht das erste Mal, daß der Reichstag in dieser Weile mißachtet wird. Wären Sie vor 4 Jahren, als es sich um die chinesische Expedition handelte, mannhafter gewesen, dann würde die Regierung diese Behandlung nicht zum zweiten Male gewagt haben. (Beifall bei den Sozialdemokraten.) Dagegen protestieren wir aus das Entschiedenste, gegen eine Mißachtung des deutschen Reichstags, wie sic in keinem Lande der Welt möglich wäre. Was dem Vorredner besonderes Pathos abge zwungen bat, war die Diätenfrage. Daß die Anträge, die wir hier dutzendc Male gestellt und angenommen haben, immer wieder in den Papierkorb aelvandert sind, hat auch wiederum der Reichstag seiner Energielosigkeit zu verdanken. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozial- Semokraten.) Der Reichshoushaltsetat befindet sich in einer außerordentlich traurigen Lage, er ist der schlimmste, der dem deutschen Reichstag seit seiner Existenz Vorge legen hat. Nach dieser Richtung verdient er die Aner kennung, datz die Ausführungen der Rcichsschatz'ckretäre nicht die geringste Unklarheit übrig gelassen haben. Die Rede des Staatssekretärs in Bezug auf die Würdigung des Etats ist von ungleich größerer Bedeutung als die des Führers der Zentrumspartei. Alles, tvas in der Marine- und Militärpolitik in den letzten Jahren ge macht ist, haben Sic (zum Zentrum) nicht nur durch Zustimmung unterstützt, sondern ist in Bezug aus die For mulierung der Gesetzentwürfe in erster Linie Ihr Werk. So und Sie diejenigen, die die vollste Verantwortung für die gegenwärtigen finanziellen Verhältnisse zu über nehmen haben. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozial demokraten.) Auch bei den Handelsverträgen werden die erwarteten Früchte ausbleiben. Wer erklärte denn bei der Zollvorlage, schon im nächsten Juni würden dem Reichstage alle Handelsverträge vorgelegt werden kön nen? Es war Bassermann, der mitwirkte, daß unter dem Bruch der Geschäftsordnung und der Verfassung der Zolltarif zustande gebracht wurde. Vizepräsident Dr. Paasche ruft Bebel zur Ordnung wegen dieses Vorwurfs. Abg. Bebel fährt fort: Durch den Ordnungsruf wird nur unterstrichen, was ich gesagt habe. (Beifall bei den Sozialdemokraten.) Spahn will wiederum die Matri- kularbeiträge erhöhen Er meint, es müßten die Matri- tularbciträge nicht nach der Kopfzahl, sondern nach der Leistungsfähigkeit der Einzelstaaten erhoben ioerden. Ja, verehrter Herr Spahn, das ist ja seit Jahrzehnten die Frage. ES ist bis l>eute kein Columbus ausgetreten, der das richtige Ei dazu gefunden hätte. (Heiterkeit.) Diese Frage zu lösen, ist Sache des Zentrums. Die Einnahme posten des Etats für 1905 sind teilweise ganz unbe friedigend. Die Schaumweinsteucr, eine Luxussteuer, ist uuergiebig wie alle Luxussteuern und weist kein Plus auf. Wie verkehrt das Steuersystem ist, hat ganz schlagend die Zuckersteuerpolitik erwiesen. Bei den an deren 1900 beschlossenen Einnahmecrböhungcn sind ebenfalls Mindereinnahmen zuni Ansatz gekommen. Die Reichsschuld ist allein in diesem Jahre von 3200 auf 3600 Millionen gestiegen; von 1888 ab ist die Neichsschuld von 726 Millionen auf diese ungeheure Summe gelaugt. Tic Heer-, Marine- uud Kolonialpolitik ist allem die Ursache dieser Schuldenlast. Nun sehen wir den Aufstand in Südwestafrika immer mehr um sich greifen. Das ist doch gerade Aufgabe des Politikers, über seine Nase hinaus- zusehen. Die Mehrheit des Reichstages war entrüstet, als ich iin Februar prophezeite, daß wir mit den da maligen Nachtraqsforderungen nicht davonkommcn wür den, was stellt sich jetzt heraus? Ich habe noch viel zu wenig prophezeit. Welchen Vorteil hat der deutsche Han- del von der Kolonialpolitik? Der ganze Handel beläuft sich auf 33 Millionen. Ein chinesischer Mandarin hat auf einem Schiff zu einein Reisenden gesagt, er begreife nicht, wie man ein Drecknest wie Kiautschau habe er werben können. Dort kann es kosten, was es will, wenn es nur eine Kolonie ist. Mit welchem Recht bleiben wir überhaupt in China, was haben wir dort zu suchen? Man spricht von deutscl>er Ehre, wo man einmal ist, bleibt man auch sitzen, es koste, was es wolle. Die Heeresvor- lage hat der Kriegsminister hinsichtlich der finanziellen Wirkung so elegisch besprochen, wie ich es bisher von keinem Kriegsministcr gehört habe, und überrascht hat es mich, datz der Vorredner kein Wort über die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit gesagt hat. Für uns hat Festlegung keinen Wert, die gesetzliche Festlegung lxtt für die Regierung sogar den Vorteil gewisser Kom- pensationen. Wir sind durchaus Verteidiger der allge meinen Wehrpflicht. Die Resultate der früheren 20 wöchigen Reservistenansbildung tvaren geradezu ausge- zeichnet. (Lachen rechts.) Das beweist, daß eine weitere Verkürzung der Dienstzeit durchgeführt werden kann. Was nützen uns große Paraden auf dem Tempelhofer Feld ? Hätten wir den Paradedrill nicht, könnte man viel Zeit und Kosten für andere Militärzwecke verwenden. Marsch-, Schieß- und Turnübungen sollten von Jugend auf getrieben werden wie in Japan. Ueber den Wert der .sfavallerie ist man verschiedener Meinung. Als Kriegs waffe bat die Kavallerie nach Meinung französischer Offi ziere keinen Wert, das haben die Erfahrungen in den letzten Kriegen gezeigt. Man könnte viel ersparen, wenn man für die .Hauptleute der Infanterie die Pferde ab schaffte. Auch die Uniform ist reformbedürftig. Der Reichskanzler hat einigen englischen Journalisten die Ver sicherung gegeben, daß Deutschland niemals an einen Krieg mit England denken würde. Es wäre mir lieber gewesen, wenn der Reichskanzler hier bei der Etatsdebatte dem Beispiel des Reichsschabsekretärs und des Kriegs ministers gefolgt wäre und sein Expose gegeben hätte. (Sehr richtig bei den Sozialdemokraten.) Das ist eine große Mißachtung seitens des ersten Beamten des Reiches. Die Erklärungen des Reichskanzlers in dem Interview waren doch ganz gut, weil in der Tat in Englcind die öffentliche Meinung dahingeht, daß die deutsche Flotten rüstung nur gegen England gerichtet ist. Was wir von den Handelsverträgen zu erwarten haben, ist noch dunkel. Es werden auch hier die Erwartungen nicht erfüllt wer den. Ein wahres Glück, datz Rußland durch den japa nischen Krieg bis über die Ohren in der Patsche sitze, und gezwungen war, einen Handelsvertrag mit Deutschland abzuschlietzen. Oesterreich befindet sich in einer anderen Lage. Ob wir zu einem Zollkrieg kommen oder nicht, zweifellos müssen neue Einnahmequellen geschaffen werden. Die Neichen müssen zu den Steuern herange- zogen werden. Leute, die buchstäblich im Reichtum er sticken, sind nicht zu haben, wenn sie ein paar Groschen auf den Altar des Vaterlandes opfern sollen. Wenn Sie das Einkommen, das nach Hunderttausendsn, ja Millionen zählt, mit 20 Proz. Steuer für nationale Rüstungszwecke heranziehen, dann haben diese Klassen noch überreichlich zu leben. Wenn wir jetzt schon in Friedenszeitsn alles, tvas Steuern tragen kann, mit Steuern belasten, dann frage ich Sie, was soll dann wer den, wenn der ganze ungeheure Apparat im Ernstfall in Wirksamkeit treten soll? Auch wir sind an der Grenze der Leistungsfähigkeit angelangt, wir können nicht mehr Menschen aufbieten. Früher spielte bei solchem Her vorragen auch Rußland eine große Rolle. Im jetzigen Kriege sehen wir, was Kavallerie, Artillerie und die neuen Waffen leisten. Wir haben den Zusammenbruch des dortigen militärischen Systems. Tas ist ein Glück sür uns und auch für das russische Volk. Wenn im Jahre 1906 die Hundertjahrfeier der Schlacht bei Jena gefeiert werden wird, dann hat das deutsche Volk keinen Anlaß zur Trauer, sondern nur das offizielle Preußen. (Un ruhe.) Das Volk könnte eine Siegesfeier veranstalten. Man hört jetzt viel von Schiedsgerichten und Friedens- k Verträgen. Roosevelt hat auf der einen Seite eine Ein ladung zu einer zweiten Friedenskonferenz unter- I schrieben, dann auf der anderen eine neue Flottenvorlage unterzeichnet. ES scheint Vertrauen zwischen Rußland und Deutschland zu bestehen, wpnach wir russische Militär pflichtige ausliefern müssen. Redner geht dann auf di« Handhabung der Justizfrage über und berührt u. a. den Prozeß Schulz-Romeick. Wenn es nicht der Oberhof» meister der Kaiserin, sondern ein Tozialdemckrat gewesen wäre, der auSgesagt hätte, er wisse nicht, wo die 325 000 Mark hingekommen seien, der Sozialdemokrat wäre sofort wegen Meineides angcklapt worden. DaS ist derselbe Herr, der immer das Christentum im Munde führt. Wenn Sie wirklich Christen sein wollen, dann sorgen Sie dafür, daß den Tausenden von Proletarierkindern, die in Berlin sogar des Frhstücks entbehren müssen, wenn sie in die Schule kommen, solches gereicht werde. Wo bleibt die Verwirklichung des sozalcn Programms deS Kanzlers und die Gleichberechtigung der Arbeiter? Wo bleibt das Versprechen des Kaisers, preußische Staats betriebe sollen Musteranstalden werden? Zu einer der artigen Staatsverwaltung sollen wir noch das geringste Vertrauen haben? DaS sind Zustände im Tegenwarts- staate des Grafen Bülow! Wo bleibt das Genossenschafts, recht für Staatsarbeiter? Wo bleibt das deutsche Ver- sammlungs-, wo das Koalitionsrecht? Ueberall geht es rückwärts! Auch nicht der mindeste Lichtblick, nicht der mindeste Fortschritt ist zu entdecken. Strebertum, Charakterlosigkeit und Feigheit ist neben der Heuchelei die Signatur unserer Zeit. Man wagt nicht mehr zu sagen, was man denkt, man sagt, was man nicht denkt. Man sieht den Himmel voller Geigen: es wimmelt von Denkmalsenthtzllungen, Paraden, Monarchenbegrüß- nngen aller Art, kurz, man muß im Auslände glauben, Deutschland sei ein großes Freudenhaus. (Unruhe.) Der Kanzler sagt: Deutschland in der Welt voran! Jawohl aber in Rüstungen und Unterdrückung des Rechtes. Die Masse des Volkes steht im Kampf für alles wasedel, gut und schön ist, und wird in diesem Kampfe seinen Mann stehen (Andauernder Beifall bei den Sozialdemokraten.) Reichskanzler Gras v. Bülow: Was Bebel soeben über Jena gesagt hat, hat mich nicht Wunder genommen. Bebel hat weiter gemeint. Die Früchte eines großen europäischen Kriegens würden in erster Lime die Sozial demokratie davontragen. Diese Auffassung halte ich für richtig, das ist ein Grund mehr, warum die Negierungen aller großen Länder, wie ich hoffe, fcsthalten werden an der jetzigen, guten, besonnenen Friedenspolitik. Das ist auch wohl der innere Grund für die Art und Welle, wie die Sozialdemokratie sich zu dein ostasiatischen Konflikt gestellt hat. Dix Sozialdemokratie will ja gar nicht, daß tvir den ostasiatischen Krieg gegenüber neutral bleiben. In Wirklichkeit möchte die Sozialdemokratie uns gegen Rußland verhetzen, sie möchre den Druck der öffentlichen Meinung hervorbringen, um unserer auswärtigen Politik Schwierigkeiten zu bereiten, um uns Hindernisse in den Weg zu legen, und im letzten Ende, um ein kriegerisches Durcheinander bevvorzurnfen, bei dem dann der Weizen der Sozialdemokratie blüht. Wenn die deutsche Sozial demokratie wirklich eine neutrale H ltung gegen über dem o st asiatischen Kriege wollte, würde sich der Führer der Partei nicht in Angriffen gegen Rußland ergekwn. Von einer revolutionären Einmischung in die inneren Verhältnisse anderer Länder wollen wir nichts wissen. Wir baden gar nicht das Recht, in die inneren russischen Verhältnisse knnemzureden und umgekehrt. Sie wollen international sein. Sie gefährden die internatio nalen Beziehungen! Sie predigen gegen den Krieg und suchen ihn herbeizuführen! Sie erklären, datz unsere ruhige, besonnenen? Politik eine phantatistische wäre und empfehlen uns eine Politik, die, Uxmn nur einschlagen würden, uns in Schwierigkeiten verwickeln würden! Wenn übrigens Bebel sich gegen die russische Autokratie echauffiert, spottet er seiner selbst, er Weitz nicht wie. (Beifall bei der Mehrheit. Lachen bei den Sozialdemokraten.) Tie Art und Weise, wie er die eigene Partei leitet, steht ungefähr auf der Höbe des Zustandes, der ihm in Rußland nicht gefällt. Werden Sie erst selbst wirklich liberal und be greifen sie erst selbst das Wesen wahrer Freiheit, bevor sie unter Störung der internationalen Beziehungen uns Ihre Freiheit importieren wollen. Nun ist Bebel auf Zwischenfälle eingegangen, die sich im vorigen Sommer durch Aufbringung deutscher Han- delsschiffe und vor einigen Wochen durch die Be schießung des Geestemünder Schifferdampfers „Sonn- tag" ereignet haben. Sobald die ersten Nachrichten eingetroffen lvaren, haben wir eingegriffen. Ich freue mich, daß die russische Regierung den berechtigten Forderungen sogleich entgegengekommen ist. Auch andere Regierungen haben den Weg diplomatischer Verband- lungen beschritten und haben sich auch bestrebt, diese Frage in einer Weise zu behandeln, die nicht notwendig zu Konflikten führen mußte. Das war freilich nicht nach dem Sinne mancher Leute. Namentlich im sozialdemo kratischen Lager zeigte es sich, daß man lebhafte Sehn sucht nach der gepanzerten Faust hatte (Heiterkeit), die ihnen doch sonst nicht sympathisch ist. Da wurde mir ge raten, ich möchte, ohne die russische Erklärung abzu warten, die deutsche Flotte nach Kronstadt schicken, und als die „Sonntag" beschossen wurde, wurde im sozial- demokratischen Lager ganz fürchterlich gescholten. Weiter hieß es in einem Artikel, was speziell Rußland anlangt, muß mit größtem Nachdruck gefordert werden, daß Deutschland zu der allgemeinen Verletzung schleunigst Stellung nimmt und sofortige Aufklärung über den Fall verlangt. Weiter heißt es, die deutsche Regierung müsse Genugtuung verlangen, wenn sie nicht länger der Ver achtung anderer Nationen preisgegeben sein solle. (Un ruhe.) Die radikale Presse sekundierte in diesem Falle der sozialdemokratischen. Die „Volkszeitung'^ brachte einen schneidigen Artikel mit der Ueberschrift: „Bülow heraus!" (Stürmische Heiterkeit). Da hieß es: Was wird der deutsche Reichskanzler tun, um für das dem Völkerrecht hohnsprechende, an die Praxis der marokka nischen Seeräuber erinnernde Verfahren Genugtuung verlangen? Selbst das „Berliner Tageblatt" wurde ganz wild. Warum eigentlich, meine Herren? Sie fanden es doch unerhört, als wir den Marokkanern auf die iFnger klopften, weil sie ein deutsches Schiff gekapert hatten. Sie protestierten, als wir in Wahrung deutscher Interessen gegen Venezuela etnschrttten, Sie schienen wie besessen (Heiterkeit), als wir die Ermordung un schuldiger Missionare und d<S deutschen Gesandten durch chinesische Boxer nicht dulden wollten, daß wir nicht dulden wollten, daß man armen deutschen Farmern den Hal» abschnitt I Wir sollten jogar das Hereroland wieder von Erfolg gekörnt war, fand der „Vorwärts", daß die Genugtuung außerhalb jeder Kritik lag«. Dasselbe sozialdemokratische Blatt, das so oft behauptet hat, die Konflikte gingen aus der gegenwärtigen Ordnung hervor, das so oft erklärt hat, im Zukunstsstaat gebe es keine Kriege und keine Konflikte, dieser Vorwärts schrie zur Genugtuung aller vernünftige^ Leute, al» der Hüller Zwischenfall einem Schiedsgericht unterbreitet wurde. Das ist schon eine recht bösartige Hetze und erklärt wahr scheinlich, weshalb während und noch dem Hüller Zwi schenfall die Nachricht auftauchte, wir suchten Rußland und England zu verhetzen, d. h. wir verimnstigen Leute. Die große Mehrheit des hohen Hauses hatte das getan. (Heiterkeit.) Der Gipfelpunkt aber war, daß anläßlich des Hüller Zwischenfalles, der uns nicht anging, der „Vorwärts" auffordcrte, im Namen der fozialdemokra- tischen Partei, sofort energischen Protest gegen Rußland zu erlassen. (Heiterkeit.) Nun ich hoffe, daß sie die Reizbarkeit ihres Nationalgefühles auch bei anderen Gelegcnheten zeigen werden. (Sehr gut! Sehr richtig! rechts. Große Heiterkeit.) Ich verstehe nicht, wie unter solchen Umständen Bebel nicht mit beiden Händen für die Forderungen meines verehrten Kollegen des Kriegs- nimisters gestimmt hat. (Große Heiterkeit.) Ich hoffe, daß er bei jedem Anlaß uns Mittel bewilligen werde zu Lande und zu Wasser, zu der kampfbereiten Politik, wie er sie in seinem Leiborgan empfiehlt. Daß es mit dem großen Mund alleinnicht getan ist, (Große Heiter kett.) will ich gern zugeben. Die Angriff, wie Bebel sie gegen Rußland gerichtet hat, sind doppelt bedauerlich, während des Krieges, wo die Empfindlichkeit doppelt so groß ist, da soll sich der Unbeteiligte möglichsten Taktes befleißigen, (Sehr wahr rechts.) sine Eigenschaft, die freilich unter den Menschen verschieden verteilt ist. (Heiterkeit.) Bebel hat auch den Königsberger Prozeß berührt, über den Prozeß wird sich der preußische Justiz- Minister an der zuständigen Stelle aussprechen. (Ah! bei den Sozialdemokraten.) Ich aber möchte Folgendes sagen, wenn Fehler begangen sind gegen sie auf dem Ge biete juristischer Meinungsverschiedenheit und Theorie, (Aha! bei den Soz.) es handelt sich hier aber nicht um theoretische Fragen, nicht um Mristische Formfragen, sondern um die in Königsberg festgestellte Tatsache, daß die deutsche Sozialdemokratie mit Bewußtsein daran arbeitet, die in Rußland bestehende Ordnung der Dinge umzustürzen (große Unruhe uei den Sozialdemokraten), um die Tatsache, daß sozialistische und anarchistische Schriften nach Rutzland verbreitet werden, die den Zweck verfolgen, die russische Regierung zu stürzen, wenn wir solche gegen die Regierung eines befreundeten Landes ge richteten Treibereien passieren ließen, würden wir die friedlichen Beziehungen zu dem Nachbar gefährden. Die deutsche Sozialdemokratie hat osten erklärt, daß sie die Zustände in Rußland umstürzen wolle. Der sozmldemo- irakische Verteidiger in Königsberg, Liebknecht, hat er- klärt, die Pflicht der internationalen Solidarität un- beirrt weiter erfüllen zu wollen, bis auch Rutzland an die westeuropäische Kultur angeschlossen und in einen Rechts staat umgewandelt jein würde. (Beifall bei den So- zialdemokraten.) Vorher hat Haase erklärt, es sei Pflicht aller Mitglieder der sozialdemokratischen Partei, noch viel mehr für die Verbreitung russischer Schriften, die in Deutschlaird erlaubt sind, Sorge zu tragen. (Hört, hört, hört! rechts.) In einer Berliner Volksversamm lung hat Abg. Liebknecht (Zwischenrufe: „Durch gefallene Liebknecht!" Heiterkeit) erklärt, daß jeder frei sinnige deutsche Mann es für seine Pflicht halten müsse, die Bestrebungen der russischen Parteigenossen zu unter- stützen. (Stürmischer Beifall. Heiterkeit.) In der- selben Rede äußerte Liebknecht über die Ermordung des russischen Ministers Plehwe: „Gestern eilte die Kunde durch die Stadt, daß Plehwe tot sei, daß der Hund von Wilna (minutenlanger tosender Beifall) gerecht gerichtet worden ist. Der Täter von gestern ist ebenso mutig ge- wesen, wie der vor wenigen Tagen in Finnland, auch er hat sein eigenes Leben eingesetzt; er wollte das Volk von einem Tyrannen befreien. Ein ehrendes Andenken ist den Märtyrern sicher, sie sind edle Menschen, die den Namen Heroen verdienen. Wir müssen die Be- strebungen unterstützen. Ich werde Schriften schicken und bitte alle Sozialdemokraten, dasselbe zu tun. (Stürmischer Beifall.)" Da wollen Sie bestreite", daß Sie uns zu feindlichen Beziehungen mit Rußland treiben, daß Sie uns in kriegerische Verweckelungen mit Rußland bringen würden, wenn Sie das Heft in die Hand be kommen. nachdem Sie uns vorher durch ihr bekanntes Milizsnstem wehrlos gemacht hätten? (Große Unruhe links, Zustimmung rechts). (Die Sitzung dauert fort.) ZSchrircher llancltag. Erste Kammer. -2- Dresden, 5. Dezember. Am Regierungstische: Staatsminister v. Metzsch. Der Präsident Dr. Graf v. Könneritz eröffnet die Sitzung um 3 Uhr nachmittags. Auf der Tagesordnung steht die Beschlußfassung über die Ein gänge und die Beschlüsse der Zweiten Kammer. Damit die Kammer schon morgen über die Regierungsvorlage beschließen kann, ist die Genehmigung sowohl der Kammer selbst, als der Regierung erforder lich. Diese wird beiderseits erteilt. Damtt ist die Tagesordnung erledigt. Nächste Sitzung morgen (Dienstag) 12 Uhr mittags. Tagesordnung: Antrag zum mündlichen Bericht der zweiten Deputation über das Kgl. Dekret Nr. 1. Lusvkrlcsuk sllgkksllgknkr Riekerkikn rii Wem srniedolbsrell kreise. lünlcr, »ecken, dmen, leppielie, 8tn!>IK»nlen, kenstecniäntel, Ülen8kliicme, bobvlm ele. L kteinBksngvn, Vv5tstrsssv 6711. vsi"I vallsok, kkotogrspdisclie Kunst-llnstnlt, "
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