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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041003018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904100301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904100301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-10
- Tag1904-10-03
- Monat1904-10
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daß die Ausgestaltung der Bürgerschule durch eine vierte Klasse nicht auf Kosten de- »iederösterreichischen LandeSfondö und des BezirkSschnlsondS stattfinden könne. Anstatt nun die sachliche, curck finanzielle CrwLaungen beschwerte Frage sachlich zu würdi gen, vergingen sich die Männer, die fürdaS klerikale VandeSlehrer- feminar in St. Pölten 10 000 Stronen bewilligt baden, in plebeischen Ausfällen gegen die Schult. Dr. Gest mann stellte im Namen der Wähler aus Währing, Strebersdorf, Dorebirn und sonstiger Kulturzentren den Ablehnungsantrag. Der Abgeordnete Kern beteuerte, die Neuschule brauche man nicht; er selbst sei noch in die klerikale Schule gegangen und habe dort gelernt, was er für das bürgerliche Leben brauche. Den besten Trumpf jedoch spielte der un aussprechliche Herr Bieblohlawek aus, der mit Schläue auf den „interparlamentarischen Preßkongreß" mit seinen wahr- kaftig nicht christlich-sozialen Teilnehmern anspielte, um die Ekre der antisemitischen Stadtverwaltung zu retten. Er berief sich frohlockend darauf, daß jene Leute nunmehr den großen Lueger, den vielverhaßten, von den Preßbeftien so zerzausten Bürgermeister als den besten, gescheitesten, größten Menschen hingestellt hätten. So rächen sich Toaste und (Sratisunterhaltungen. Die „N. Fr. Presse" skizziert noch die folgende Episode: Abg. Bielohlawek: Tie Sozialdemokraten haben über die Em pfänge im Rathaus immer einen so großen Zorn, nicht wegen der Empfänge selbst, denn solche Fressereien waren bei ihnen auch in Amsterdam, Bremen und Salzburg . . . Abg. Seitz: Aber nicht aus Stadtkoste»! Abg. Bielohlawek: . . . sondern weil sie wissen, daß sich dabei herauSstellt, was sie alles zusammenlügen, diese krummbeinigen Schreiber.... Abg. Seitz: Aber Sie ver wechseln das mit den Geburtstagsgratulanten, den Freunden des Lueger! Abg. Bielohlawek: Die anständige Bevölkerung ist über die Lügen dieser Presse längst zur Tagesordnung übergegangen. Einige Judenblätter haben auch bereits Witterung bekommen und ge- sagt: Mit dem Lügen gehts nicht mehr, seien wir objektiv. So hat sich ein großer Teil der Presse entschlossen, nicht mehr mitzu- lügen. Die Sitzung endete negativ, nachdem Lueger seine Glorie durck eine Rede über den Staatssäckel, der verpflichteter sei als der Gemeindesäckel, erneuert und Herr Seitz geschworen batte, daß er kein „Judenbua" sei. — Im galizischen Landtag sind die Ruthenen, welche in der vorigen Tagung wegen der Ablehnung der Errichtung eines ruthenischen Ghm- nasiums in StaniSlau aus dem Landtag ausgetreten sind, wieder erschienen, und nach den Erklärungen, welche der Badeni in seiner Eröffnungsrede gegeben hat, scheint der Schluß erlaubt, daß die Polen die Absicht haben, den Ru thenen diesmal in dieser Frage Zugeständnisse zu machen. — Zm Krainer Landtag haben die unter der Führung des Abgeordneten Susterfic stehenden klerikalen Slovenen eine Taktik eingeschlagen, welche die „N. Fr. Presse" als die Wiederaufnahme der alten Obstruktion bezeichnet. Die An griffe der Fraktion Suslersic richten sich in erster Linie gegen den Landespräsidenten Baron Viktor Hein, dessen Entfernung diese Fraktion, allerdings vergeblich, verlangt hat. * Die Monarchenbesuche in Wien. Das „Neue Wien. Journal" meldet in einer Petersburger Privatdepesche, daß alle Bemühungen des serbischen Königs, in Petersburg empfangen zu werden, vergeblich waren. Auch die Intervention des Fürsten von Monte negro nutzte nichts. „Königsmörder kommen nicht über meine Schwelle", sagte der Zar indigniert. Auch von Wien erfolgte eine Ablehnung des beabsichtigten Be suches. — Der König und die Kön i g i n^von R u - mänien reisten, wie uns gemeldet wird, Sonnabend nachmittag nach Bukarest ab. Zur Verabschiedung hat sich auf dem Bahnhofe auch der deutsche Botsclzaster Graf v. Wedel eingefunden, den der Rumäne ja empfangen hatte. Spanien. * Von dem Vertrag mit Frankreich. Der „Voss. Ztg." wird aus Madrid depeschiert: Obwohl der französisch spanische Vertrag noch nicht unterzeichnet ist, wendet sich ein großer Teil der Presse bereits dagegen, da Spanien zum Gendarmen Frankreichs herabgedrückt werde. Ter Vertrag werde Kosten, Verluste und eine unaufhör liche Reihe von Unannehmlichkeiten im Gefolge haben und Spanien in Kriege und Streitigkeiten verwickeln. Rußland. Ter Rückkauf der trausmantschurtschen Bahn durch China ist von Londoner Interessenten als großartiges Zukunftsprogramm an die Wand geworfen worden. Jedoch man erfährt bereits, wer der eigentliche Vermittler des sonder baren Gerüchtes ist: die Pariser Wochenschrift „L'Europöen", die soeben in ihrer letzten Nummer von den Verhandlungen mit dem Prinzen Tsching erzählte. Das Blatt, das „europäisch" nur zur Zeit des Falles Krupp gewesen ist, freut sich der „kategorischen" Bestätigung seiner Angaben, wonach eine Möglichkeit vorhanden wäre, den Krieg durch zwei, die Mantfchurei betreffende Verträge zu beenden; einen russisch-chinesischen und einen chinesisch-japanischen Ver trag. Die Redakteure, die unter ihren Mitarbeitern die Herren Nowikow und Björnson zählen, machen Friedenspolitik ohne Resonanzboden. feier ües rr jährigen verleben; <ler sieiH;gericbt;. -Ul- Leipzig, 1. Oktober. Zur Erinnerung an den Tag, an dem sich, am 1. Oktober vor 25 Jahren, die feierliche Eröffnung des Reichsgerichts vollzog, versammelten sich heute nach mittag die Mitglieder des Reichsgerichts, der Reichs anwaltschaft und der Rechtsanwaltschaft beim Reichs- gericht mit ihren Damen zu einem gemeinsamen Jubiläumsbankett im Gesellschaftshaufe des Leipziger Palmengartens. Es waren hierbei Einladungen an sämtliche Mitglieder der juristi schen Fakultät der hiesigen Universität, an das Oberhaupt unserer Stadt, Herrn Oberbürgermeister Justizrat Dr. Tröndlin, sowie an sämtliche früheren Mitglieder des obersten Gerichtshofes des Reiches, der Reichsanwalt schaft und der Rechtsanwaltschaft beim Reichsgericht er gangen. Allseitig entsprach man freudig diesem freund lichen Willkommen, so daß der glänzenden Feier weit über zweihundert Festteilnehmer ihre Anwesenheit liehen. Zur Rechten Sr. Excellenz des Reichsgerichtspräsi- denten. Kaiserlicher Wirkt. Geheimrat Dr. Gutbrod, hatten die Herren Geh. Gofrat Professor Dr. Stro- Hal, Ober-Reichsanwalt Tr. Olshausen, Senats- Präsident Maß mann. Geh. Rat Professor Dr. Friedberg, Reichsgerichts-Rat Beer, Senats- Präsident Rintelen, Senatspräsident Dr. Löwen stein, mit ihren Damen Platz genommen. Zur Linken Sr. Excellenz saßen die Herren Ober bürgermeister Justizrat Dr. Tröndlin, Senats- Präsident Dr. Bolze, Geh. Justizral Patzki, Neichsgerichtsrat Dr. Schlesinger, Reichsgerichts rat Ealame, Senatspräsident Tr. Freiesleben, Reichsgerichtsrat Dr. Turnau, Geh. Rat Professor Dr. Wach, mit ihren Damen. Gegenüber der Ge nannten waren die Herren Neichsgerichtsrat Tr. Baisse- lier, Senatspräsident Dr. von Bomhard, Justiz rat Erythropel, Reichsgerichtsrat Weichsel, und Justizrat Sachs, sowie weiter die Herren Geh. Justizrat Dr. Romberg, Reichsgerichtsrat Reincke, Reichs gerichtsrat Wüsten seid, Justizrat Dr. Seelig, Geh. Rat Professor Dr. Wach, Geh. Rat Professor Dr. Binding und Stadtverordneten-Vorsteher Rechts anwalt Dr. Iunck zu bemerken. In festlichem Glanze bot sich der Saal. An der östlichen Längsseite des Saales erschien, aus dem dichten Grün von Palmen und Lorbeer hervor- leuchtend, die Büste Kaiser Wilhelm ll., während rings um den Saal an den Wandflächen und in den Ecken dichte Gruppen von Krntien und Phönixpalmen fchmuckvoll eingefügt waren. Rings um die Brüstungen der Galerien aber zogen sich breite Festons von frischgrünem Eichen- laub, unterbrochen von der weiten Bogenhalle des Pal- menhauses, dessen exotische Flora, vom Gold der Nach mittagssonne überstrahlt, einen freundlichen Gruß in den prächtigen Festsaal entsandte. Die Tafel selbst, hufeisenartig den Raum erfüllend und zwei Mittel tafeln umspannend, zeigte sich vom Schimmer der elek trischen Kronen und dem Kerzenlicht der Kandelaber überstrahlt, im Schmuck buntleuchtender Blüten der schar- lachroten Salvia splvnäons, rosa und dunkelroten Rosen. Ein erlesenes Menu lag dem Jubiläumsmahle zu Grunde: Diplomatenschüssel. — Mosel „Cabinet" (Kühlwein und Co„ Trier). Schildkrötensuppe. — 1897. Brauneberger (Gott- Helf Kühne, Leipzig). — 1900. Medoc. .Hamburger Kalbsrücken nach Montgelas (I. Frede- rich, Lüneburg). Gebirgsforellen, blau mit frischer Butter. — 1895. Liebfrauenmilch (P. I. Dalkenberg, Worms). Böhmischer Fasan mit Ehampagnerkraut, Dunstobst und Salat. — 1893. Chateau Brown Cantenac, Origr- nalabzug von Lalande Co. (F. F. Brems L Co.) Stangenspargel mit holländischer Tunke. — Bur gess grün. Gemischtes Eis. — Käseplatte. — Frisches Obst. — Gegen V26 Uhr traten die Erschienenen, die sich vor her zur Begrüßung im braunen Saale des Gesellschafts hauses versammelt hatten, unter den Klängen des Krö nungsmarsches aus den „Folkungern" in den eigent- lichen Festraum ein, eine illustre Tafelrunde aus der juristischen Welt. Unmittelbar nach dem ersten Gang wandte sich der Präsident des Reichsgerichts Kaiser!. Wirkl. Geheimrat Dr. Gutbrod an die festliche Versammlung, die sich zu einer für unser ganzes Vaterland bedeutungsvollen Feier hier vereint. Von Beginn der Tätigkeit des Reichsgerichts haben die Mitglieder des Reichsgerichts alle Zeit oen 1. Oktober als einen Tag der Erinnerung begangen, und es ver- stand sich von selbst, daß diese Erinnerung noch stärker entfacht werden mußte, als die 25. Wiederkehr des Tages nahte, an welchem das Reichsgericht eröffnet wurde. Die immerhin kurze Spanne Zeit fei indessen Grund dafür gewesen, daß der Feier eine eigene amt liche Anerkennung noch nicht gegeben wurde, aber die, die als Glieder eines großen Körpers in diesem sein Wachsen und Gedeihen mitempfinden, fordert dieser Höhepunkt in der Geschichte des Reichsgerichts von selbst zu einer Rückschau und zu einer Vorwärtsschau auf das Vollbrachte und das zu Erreichende auf. Wir richten nun unsere Augen auf die Stelle, die für uns alle das Band der Einheit der Fürsten und Völker bildet, nach der Person unseres geliebten Kaisers, in dessen Namen das Werk des Reichsgerichts vollzogen und verkündet, und so die Rechtseinheit vollendet wurde. Mit dieser Rechtseinheit haben wir ein Besitztum erhal ten, das zu wahren und durch die Rechtsprechung zu mehren unsere hohe Aufgabe sein soll. Jeder, der das Glück habe, dem Reichsgericht anzugehören, habe es empfunden, wie angenehm es für ihn sei in einer so blühenden Handelsstadt und Universitätsstadt wie eS Leipzig sei, wirken und schassen zu können und man blicke in dankbarer Gesinnung zu dem Herrscher dieses Landes, einer der wenigen überlebenden Führer aus der Zeit des großen Krieges, jenes Krieges, der Deutsch land die politische Einheit und eine ihrer vielen Früchte auch die des Reichsgerichts beschert. Wir sind beglückt, daß die Krankheit des Königs, die in den letzten Tagen ihren Schatten auf unser Fest zu werfen begann, wieder gewichen, und die innigen Wünsche zur Genesung begleiten nun unser Gedenken. Lassen Sie uns, so schloß Se. Excellenz, die Gefühle, die wir in diesem Augenblick empfinden, in den Ruf zusammen fassen: „Se. Majestät der deutsche Kaiser, das Ober haupt des Reiches, Se. Majestät der Köntg von Sachsen, der Landesherr des Bundesstaates, in dessen Gebiet das Reichsgericht seines Amtes waltet, hochl hoch! hochl" Unter freudigster Zustimmung der Versammelten wurde Sr. Excellenz die Genehmigung zu einer Aistwort auf das Glückwunschschreiben des Reichskanzlers gegeben, ebenso zur dankbaren Erwiderung auf ein von dem Großherzog Friedrich von Baden eingelaufenes Tele gramm, daß den Fürsten zu den herzlichsten Glück wünschen zu dem Jubiläum führte. Möge es Len Beginn einer neuen Periode erfolgreicher Tätigkeit verkünden. Zur nächsten Tafelrede ergriff Herr Senatspräsident Dr. Loewenstein das Wort: Freudig wolle er, so sprach er aus, bekennen, wie die Erwartungen und Wünsche, die das deutsche Vaterland an das Reichsgericht geknüpft, habe sich mit Gottes Hülfe erfüllt. Er glaube es aussprechen zu dürfen, daß es bei dem Reichsgericht nie an Arbeitsfreudigkeit, an eifrigem Streben, das Rechte zu finden und auszulegen, nie gefehlt, daß es immer von dem Gefühl der Verantwortlichkeit und dem Bewußtsein der Unabhängigkeit nach oben und nach unten durchdrungen sei, mit Zuversicht, betonte er es, daß es dem Reichsgericht ferner gelingen werde, sich seiner hohen Aufgaben würdig zu zeigen und die Schwierig, leiten, die sich durch Uebernahme neuer Geschäfte immer umfangreicher gestalten, siegreich zu überwinden. Redner gedachte, sodann dankbar der Stadt Leipzig, die unter der weisen und Weitblickenden Leitung seines Oberbürger meisters stehend, das Reichsgericht freudigst aus genommen und ihm freundlichstes Entgegenkommen be wiesen, und er feierte mit der Stadt Leipzig und ihrem Oberbürgermeister zugleich die Mitglieder der juristischen Fakultät, ihnen insgesamt ein Hoch bringend. Herr Ober-Reichsanwalt Dr. Olshausen gedachte im Namen der Reichs-Anwaltschaft der drei Senioren der Rcichsanwaltschaft und der vier Senioren der Rechts anwaltschaft, und brachte allen früheren Mitgliedern des Reichsgerichts, der Reichsanwaltschaft und der Rechtsan anwaltschaft am Reichsgericht ein begeistertes Hoch. Er wähnt sei bei dieser Gelegenheit, daß von den Jubilaren die Herren Senatspräsident Dr. Bolze, Senatspräsident Dr. Maßmann, Reichsgerichtsrat Schlesinger; von den Anwälten: die Herren Justizrat Erythropel, Justizrat Sachs, Justizrat Dr. Seelig, Geheimer Justizrat Dr. Romberg, Geh. Justizrat Patzki, und von auswärtigen früheren Mitgliedern die Herren Reichs gerichtsrat Boisselier, Senatspräsident Dr. von Bomhard und Senatspräsident Rintelen beim Feste zugegen waren. Im weiteren Verlaufe der Tafel brachte Herr Senatspräsident Dr. Bolze in längerer Rede ein Hoch dem Deutschen Reiche, widmete Herr Ge heimer Hofrat Professor Tr. Stro Hal dem Reichs- gericht einen begeisterten Trinkspruch, ließ Herr Geheimer Justizrat Tr. Patzki das gemeinsame Zusammen wirken dreier bedeutungsvoller Faktoren, Reichsgericht, Reichsanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft leben. Wäh- Feuilleton. II. Bachfest iu Leipzig. n. Tie zwei Konzerte im Neuen Gewundhause. Nachdem mit der Motette in der Thomaskircbe dem Bachfest der würdigste Anfang gegeben war, fanden die zwei folgenden iveltlichen Konzerte in den Räumen des Neuen (Gewandhauses statt. Am Sonnabend abend ein Orchesterkonzert im großen Saale, am Sonntags vor mittag eine Kammermusikmatinee im kleinen Saale. Wir wollen gleich vorausschicken, daß beiden Veranstal tungen ein volles Gelingen zu teil wurde. Tie Konzerte waren äußerst stark besucht, und die Zuhörerschaft geizte nicht mit ihrem Beifall. Auch der Nestor der Leipziger Musik Professor Dr. Carl Reinecke, erschien zur Freude seiner vielen Verehrer bei beiden Ausführungen, trotz seiner 80 Jahre noch immer elastisch und rüstig. Als auf fallend hingegen muß ec- bezeichnet werden, daß Professor Hans Sitt nirgends zu sehen war. Sitt hat den Bach verein 15 Jahre in der selbstlosesten und zugleich in künstlerisch anregender und fruchtbarer Weise geleitet. Wie kommt es, daß der ehemalige Leiter bei diesen Ehren tagen des Bachvereins fehlt? Der neue Dirigent des Vereins, Herr Karl Straube, zeigtesich den ihm gestellten mannigfachen Ausgaben durch aus gewachsen. Und eine große Anzahl Bachscber und auch Händelscher Kompositionen waren seiner Direktion anvertraut, eine so große Anzahl, daß ein näheres Ein gehen auf dieselben mit dem uns zu Gebote stehenden Roum absolut nicht in Einklang zu bringen ist. So müssen wir uns aus eine niehr summarische Besprechung beschränken. Von Orchestersachen kamen die I) - stuv- Suite (Nr. 4) von Bach und das Ooueoi-to prosso in (t-stur (Nr. 12) von Händel zur Ausführung,^ beide vom Gewandhausorchester in vorzüglicher Weise vorge- tragen. In dem Händelschen Konzert vertraten die Herren Konzertmeister Edgar Wollgandt und Hugo Hamann die Violin-Solopartien, und Herr Max Kießling das Violoncello mit bestem Ge lingen. Ebenfalls drei Solisten erforderte das lt-mnll- Konzert für drei Klaviere und Orchester von Bach, vorge- tragen von den Herren Alfred Reisenauer, Josef Pemba ur jun. und Anatol von N 0 essel Ganz besonderen Eindruck machte in diesem Stück der erste wuchtige Satz. Diese stürmische Chro matik, dieser Reichtum an scharfen Dissonanzen wirkten bei dem kräftig zusassenden Vortrag der drei Solisten wahrhaft faszinierend. Alfred Reisenauer trug außerdem noch das O-stur - Klavierkonzert von Bach vor (ursprünglich ein Violinkonzert). Technisch war es natürlich für ihn keine schwere Ausgabe, aber besonders müssen wir das überall dokumentierte Gefühl für den hier erforderten großen Stil hcrvorhebcn. Namentlich machte der melancholische Mittelsatz tiefen Eindruck. Wir mochten dies einzige Stück betiteln: „Stimmung um Golgatha." „Und es war um die sechste Stunde" Daß diese in die dunkelsten Tiefen des Herzens dringende Musik umrahmt wird von zwei Sätzen voll kräftigen, heiteren Lebens, das ist auch eins der vielen Rätsel, die Bach uns Epigonen ausgegcben hat. Einen wahren Sturm von Enthusiasmus erregte das vierte Brandenburgische Konzert, in welchem die Solo vartien von den Herren Wollgandt (Violine), Maximilian Sch Wedler und Oskar Fischer (Flöte) übernommen worden waren. Aber es lebt und webt auch in dem Werke ein geradezu hinreißender Klang zauber. Welche wunderbare Poesie in dem Mittelsatze, welche feurige Leidenschaft in der Schlußfuge! Einen gleichen Erfolg errang sich Herr Professor Julius Klengel nist dem Vortrag der Suite Nr. 5 für Violin- cello-Solo, eines Stückes, welches wohl so ziemlich allen Zuhörern eine Neuheit gewesen ist. Und wenn auch die ersten Sätze mit ihren vielen schwierigen Doppelgriffen (von Klengel übrigens stets klangschön und klangrein ge spielt) so mancliem etwas wunderlich erschienen sein mögen, so mußte die ganz einstimmige, wundervolle Sarabande mit ihrem geradezu religiösen Ideengehalt eines jeden Herz und Sinn fesseln. Wie schwierig tech nisch diese Suite ist, gehl schon aus der von Bach ver langten Stimmung der Saiten hervor: die -4. - Saite muß nämlich einen ganzen Ton (nach xc) herabgestnnmt werden. Daß dies für den Spieler eine geradezu ver wirrende Unbequemlichkeit mit sich bringt, ist einleuchtend. Mit Klaviersachen von Georg Böhm, Christian Ritter, Telemann und einigen Tanzstücken aus der Zeit von 1650, von ungenannten norddeutschen Meistern gesetzt, erfreute Herr Richard Buchmayer die Zuhörer schaft. Namentlich Ballo (L-moll), wie die englische Maskerade (D-stur) erwarben sich den größten Beifall. Nach der Angabe des Programms scheinen diese Tanz- stücke noch Manuskripte zu sein. Es läßt sich aber un schwer Vorhersagen, daß nach Drucklegung diese reizenden und originellen Sachen selbst weitere Kreise interessieren und sich bald zahlreiche Freunde erwerben dürften. Als letzten der Jnstrumentalsolisten nennen wir jetzt einen Mann, der ganz ruhig an dieser letzten Stelle stehen kann, weil er ja doch immer der E r st e ist und fein wird: JojefJoachi m. Wir wissen ganz genau, daß es jetzt einer besonders guten körperlichen Disposition von seiner Seite aus bedarf, um Len alten Löwen, den Groß- meister der Violine, in ihm wieder zu erkennen: gestern war er in dieser glücklichen Disposition. Er spielte mit Berrn Buchmayer Bachs Violinsonate in L stur. Daß er den Ideengehalt dieses köstlichen, poesievollen Werkes voll und ganz erschöpfen würde, daran war ja von vorn herein kein Zweifel. Aber auch technisch gelang ihm alles überraschend gut. Daß man ihn mit enthusiastischem Beifall geradezu überschüttete, war nur eigentliche Pflicht dieses Publikums, dieses Bach Publikums. Tenn Josef Joachim hat sich um diesen Meister die unsterb- lichsten Verdienste erworben. Er war es, welcher un ermüdlich für Bach Propaganda gemacht, er war es, welcher neben Ferdinand Tavid die als undankbar und unspielbar verschrieenen sechs Solosonaten für Violine durch immer und immer wiedcrkehrende Vortrüge recht eigentlich erst in der musikalischen Welt eingeführt hat. Also Tank, herzlichen Dank ihm, dem Meister! Ten Vokalwerken uns jetzt zuwendend, können wir ein vergnügtes Lächeln nicht unterdrücken. Tenn ab- gesehen von zwei .Händelschen Solostücken für Tenor — von welchen Herr Pinks das eine, die Arie, weniger glücklich, Las andere, ein einfaches Lied, aber ganz vor züglich vortrug — gab man nur noch zwei Bachsche Kan taten voll teilweise heiterster, ja burlesker Einfälle. Wie schon vorgestern an dieser Stelle erwähnt, ist „Ter Streit zwischen Phöbus und Pan" eine tendenziöse Komposition, deren Spitze sich gegen den Hamburger Kritiker Scheibe gerichtet haben soll. Bach hat ibn denn auch nicht mit Glacehandschuhen angefaßt, sondern ihn tüchtig ge rüttelt und geschüttelt. Er setzt ihm dabei (in der Be gleitung) durch ein fortgesetztes I—eine Schellenkappe mit ein paar tüchtigen Eselsohren auf, er traktiert ihn nut ganz unmenschlicher Baßführung, während er seinem eigentlichen Widersacher, dem Pan, die Töne einer gluck senden Henne in den Mund legt. Herr Mergelkamp, welcher den Pan vertrat, hätte ganz ruhig sein „wackackackackelt" singen können; hier kann man schon recht gut diesen derben Spaß vertragen. Warum er daraus „wa-ha-ha-ha-ckelt" macht, konnten wir nicht ver stehen. Daß Herr Mergeltamp am Schluß des Mittel teils seiner Arie, in welchem sich Bach aus glücklichste Weise selbst persifliert, um einen halben Takt zu früh ein setzte, und ruhig ganze zehn Takte dem Orchester um ebenso viel voraus blieb, war ein etwas wunderlich kraußer Einfall. Es gab da eine ganz geeignete Stelle, wo Sänger und Dirigent sich hätten wieder zusammen finden können. Doch packte Herr Mergelkamp sonst seinen Pan recht kräftig an, nur dünkte uns seine wunder- schöne Stimme als nicht sehr geeignet, diesen doch etwas drollig-täppischen Gesellen ins richtige Licht zu stellen. Sehr gut aufgehoben war der Phöbus bei Herrn Arthur van Eweyk, der mit seiner namentlich be züglich der Atemtechnik als auch des Figurenwerkes außerordentlich schwierigen wie wunderschönen Arie einen sehr günstigen Eindruck hervorrief. Der Tmolus des Herrn Oskar Noö litt unter einer ersichtlichen In disposition des sonst so sehr sympathischen Sängers. Hoffentlich hat er sich bis zu seinem nahe bevorstehenden Liederabend ganz erholt. Ganz auf stimmlicher Höhe stand hier Herr EmilPinks, welcher die vielen hohen ^'s seiner Burleske-Arie mit leuchtendem Glanze heraus schmetterte. Momus und Merkur ivaren bei Frau Buff- Hedinger und Fräulein Philippi bestens aufge hoben. Während letztere mit der Arie „Aufgeblas'ne Hitze" sich eine guten Erfolg ersang, auch den mutwilligen Charakter dieses Stückes gut zu betonen verstand, zeigte Frau Buff-Hedinger erst in der noch viel drolligeren „Kaffee-Kantate" alle Vorzüge ihrer Gesangs, und Cha rakterisierungskunst. Wahrlich, sie war ein munteres Lieschen, dem man seine unstillbare Sehnsucht erst nach Kaffee, dann nach einem Manne gern verzieh. „Wenn ich des Tages nicht dreimal mein Schälchen Kaffee trinken darf, so werd' ich ja zu meiner Oual wie ein verdorrtes Ziegen-Brätchen" — ach! das war doch gar zu hübsch! Herr van Eweyk machte hier alis dem Papa Schlendrian einen gar lustigen Poltron, vortrefflich pointiert; und als sich der Papa und sein emanzipiertes Töchterlein mit der „Jdealstimme" des Tenors (Herr Pinks) zu dem lustigen Schlußtrio vereinten: „Die Katze läßt das Mausen nicht, Tie Jungfern bleiben Kaffeeschwestern" da wollte der Applaus des in heiterste Stimmung ge ratenen Publikums gar kein Ende nehmen. Daß der alte Bach das „stesipewe in loco" so vorzüglich verstau- den, das war eine neue und nicht unangenehme Ueber- raschung! Nur wäre sehr zu wünschen, daß bei einer et waigen Wiederaufführung dieser lustigen Kantaten die vollständige Wiederholung des ersten Teiles der Arien unterbliebe. Dadurch wird die ganze Sache zu lang und der Witz direkt abgeschwächt. Abkürzungen sind durch die Weglassung der Einleitung oder Benutzung der Ein- leitung als Schluß leicht zu erreichen. Was bei jeder Lratorienaufführung geschieht, wird bei diesen Werken leichterer Art erst recht erlaubt sein. Um vollständig zu sein, wollen wir erwähnen, daß Herr Karl Tamme die Oboe st'amar? mit vollendeter Kunstfertigkeit hand habte, und daß die Partien des Cembalo von den Herren Pembaur, Carl Hasse und Dr. Max Seif- fert gespielt wurden, von welch letzterem auch mehrere Bearbeitungen der Händelschen Werke stammten. Warum auf dem Programm „eamdali" angekündigt waren, welche sich unfern Blicken als regelrechte, allerdings sehr schön klingende Blüthnersche Flügel erwiesen, ist ein Ge heimnis des Comit^s. Ter ChorüesBach Vereins hatte nur in „ Phöbusund Pan" eine kleine Auf gabe zu erledigen und erwies sich derselben vollständig ge wachsen, man müßte denn in dem ersten „Windchor" die Ausstellung machen, daß bei einem derartigen Sturm tempo die Figuren des Basses und des Tenores auszu führen zur absoluten Unmöglichkeit werben. Laß der Mitwirkung des Thomanerchores — der doch vollständig auf dem Platze zu sein schien — keine Er wähnung getan wurde, erregte einigermaßen Verwun derung. Doch sei dem, wie es wolle: der Klang war edel, kräftig und schön und verheißt einen vollen Genuß für die heute zu erwartenden Kirchenkantaten. 8eiuricll Goellner. * 2. Prof. Richard Müller Gestern ist der allen älteren Leipzigern wohlbekannte Professor Richard Müller in hohem Alter verstorben. Müller, ein Sohn des Altenburger Hoftapellmeisters Müller und Schüler Carl Zoellners, ist der Begründer des hochangcsehenen akademischen Gesangvereins „A r i 0 n" der Leipziger Universität, dessen Wurzeln bis in die Schülerzeit Müllers auf der Thomasschule hinaufreichen. Prof. Müller rvar auch langjähriger Dirigent der Leipziger Lieder täfel, sowie Gesanglehrcr an der 1. Bürgerschule. Auch als Komponist von gemischten wie Männerchören hatte er sich be kannt gemacht. Mit ihm sinkt wiederum ein Stück Alt-Leipzigs ins Grab. Ehre seinem Angedenken! Wissenschaft. k Medijinalrat Professor Dr. Tillmanns vollendet heute sein sechzigstes Lebensjabr. Er wurde am 3. Oktober 1844 zu Elberfeld geboren und erhielt seine medizinische Ausbildung auf den Universitäten Bonn, Würzburg, Prag, Halle und Leipzig, an den beiden letztgenannten als Schüler der bedeutenden Chirurgen v. Volkmann und Thirrsch. Nach längerer praktischer Tätigkeit im Kreiskrankcn- Hause zu Zwickau und an der chirurgischen Klinik und Poliklinik in Leipzig, sowie nach reger wissenschaftlicher Betätigung, namentlich aus physiologischem und pathologisch-anatomischem Gebiete unter Führung eines Ludwig, Wagner und Cobnheim, habilitierte er sich im Jahre 1875 an der Leipziger Universität für das Spezial fach der Chirurgie. Zahlreiche, zum Teil sehr umfangreiche Ar beiten sind im Lause der Jahre aus seiner Feder hervorgegangen: sie behandeln unter anderem das Erysipel, die Verletzungen und chirurgischen Erkrankungen des Beckens, ferner Wundkrant- heiten, Knochenkrankbeiten, die Chirurgie der Gelenke, Brust- und Bauchhöhle, der Nerven usf.; auch an der Begründung einer Zeit schrift (Zentralblatt für Chirurgie) war er beteiligt. Am berühmtesten aber und, man kann wohl sagen, in den wissenschaftlichen Kreisen der ganzen Welt bekannt gemacht hat ihn sein Lehrbuch der Chirurgie, welches iu den Jahren 1888/90 zum ersten male erschien und jetzt schon in achter (spezieller Teil) und neunter (allgemeiner Teil) Auflage vorliegt; dabei ist es schon in eine Anzahl fremde Sprachen, zuletzt ins Italienische, übersetzt und sogar eine türkische Ucbcrsetzung in Vorbereitung! 1889 wurde er zum Professor ernannt, erhielt später den Medizinal ratstitel und wurde vom König L I» suit« des König!. Sächpschen Sanitätskorps gestellt, in welchem er den Rang eines Generalarztes beneidet. Auch um unsere Stadt hat sich Herr Professor Tillmanns große Verdienste erworben, indem er namentlich in seiner damaligen Eigenschaft als Stadtverordneter sich seiner Zeit der von Professor Heubner ausgegangenen Idee der Be gründung eines eigenen Kinderkrankenhauses in Leipzig mit Eifer und lebhaftem Interesse aunahm und sie fördern half. An dieser Anstalt, welche zu den besten ihrer Art in Deutschland und Oesterreich gezählt wird, wirkt er selbst seit ihrer Eröffnung im Dezember 18S1 al» chirurgischer Oberarzt.
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