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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.10.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-06
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041006014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904100601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904100601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-10
- Tag1904-10-06
- Monat1904-10
- Jahr1904
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2. Beilage Donnerstag, 6. Oktober 1904. Leipziger Tageblatt. Seitz 9. Nr. 510. Morgen-AuSgabe. WM OLip UN5LVS Avausn LW! Lur kinkübrung. Wechselvoll, vielgestaltig, einem brausenden Strome gleich zeigt sich das Leben unserer Zeit, und das ruhige Verharren in althergebrachten Ansck-auungen ist dein modernen Menschen kaum möglich, er wird mit hinein gerissen in die Flut der neuen Erscheinungen. Auf kaum einem Gebiete zeigt- sich aber schärfer der Gegensatz zwischen alter und neuer Zeit, oils in der Frauenfrage. Die Frau en frage an sich ist schon eine neue Er scheinung, denn die Frauen vergangener Zeiten kannten noch keine Frauenfrage, wenigstens keine öffentlich an erkannte, heimlich, gehütet vor den Blicken der Welt marterten wohl Jahrtausende hindurch bange, grübelnde Fragen das Herz des Weibes. Heute aber ist die Frauenfragc schon zu einer so brennenden Kulturfrage geworden, daß über sie hinweg kaum zur Tagesordnung geschritten werden kann. In richtiger Erkenntnis der Sachlage will das „Leipziger Tageblatt" auch dieser Strömung gerecht werden, es kommt damit fast allen be deutenden Tageszeitungen zuvor. Ohne sich einer bestimmten Richtung der Frauenbewegung an- zuschließen, was gerechterweise den Fachzeitschriften Vor behalten bleibt, wird die Frauenbeilage über alle wich tigen Erscheinungen der Frauenbewegung berichten. Der Begriff Frauenfrage soll dabei im weitesten Sinne ge faßt werden, denn Frauenfrage ist im Grunde ja alles, was das Leben der Frau bewegt. In erster Linie gehört hierher das Gebiet, dem die Frauen immer und zu jeder Zeit ihre größte Arbeit, ihre größte Sorge und ihre größte Liebe gewidmet haben und widmen werden: der Familie, dem Kinde. Die geistvolle Nordländerin Ellen Key sprach das Wort von dem „Jahrhundert des Kindes" und mit Recht, denn zu keiner Zeit ist dem Kinde größere Be achtung zu teil geworden als heute. Die Kinderstube ist ein Ort geworden, dessen innere und äußere Aus gestaltung sich Künstler, Gelehrte, denkende Frauen und Männer zur Aufgabe ihres Lebens machen. Auch dieser Strömung wird die Frauenbeilage stets ihre volle Auf merksamkeit schenken und ihr gerecht werden. Anerkannte Schriftstellerinnen, Frauen, deren Namen in der Frauenbewegung guten Klang besitzen, haben freudig und bereitwillig der Frauenbeilage ihre Mitarbeit zugesagt. Möge diese freudige Arbeit An erkennung finden und dazu beitragen, vielen Frauen inhaltsvolle, genußreiche Stunden zu bereiten! vis Reätüttiou. * Frauenkraft. Don Elsa Hasse. Nachdruck verboten. Wenn die Frau von heute auf das Frauendasein der Vergangenheit zurückblickt, so Pflegt ein Vergleich sie mit leidig zu stimmen; was damals war, ist jetzt nicht mehr: lange Dämmerungen, dunkelste Nächte; enge vier Wände und noch engere Bildungsschranten; kein leben diger Austausch geistiger Erzeugnisse; strengste Ge bundenheit an Sitte und Herkommen I Und im Hin blick darauf frohlockt nun die moderne Frau: so wie der Schimmer des elektrischen Lichtes heute unsere Nächte er hellt, so fließt aus der Lichtwelt des Geistes ein breiter Glanzstrom hinein in unser verdunkeltes Dasein, um uns anszuklären und unsere Schaffenskräfte zu beleuchten und zu wecken; die Schranken zwischen Haus und Well: lallen, tausend Fesseln werden abgestreift, tausend Fäbig- teiten werden freil Der Frohlockende wird indes, leicht ungerecht, wenn er das „Jetzt" auf Kosten des „Einst" lobpreisen will. Wir dürfen uns nicht Hochmütig richtend über ganze Zeitalter erheben, durch deren Sehnen, Glauben und Kämpfen der Mensch doch erst für das Kulturleben der Gegenwart vorgcbildet worden ist. Wir können immer noch von der Vergangenheit lernen. Wie viel hat z. B. das Mittelalter für die Pflege der- jenigen Seelenkräfte getan, die das Zusammen leben der Menschen begründen und sichern. Durch ge waltige religiöse Erregungen ist dem Menschen damals die ganze Spannweite semer Natur, ihr Höchstes und Tiefstes, zum Bewußtsein gebracht worden; durch die leidenschaftliche Predigt vom Opfer und von der Liebe wurden ihm in Wort und Bild immer wieder die ver bindenden LebenSmächte vor Augen gestellt; durch die ritterliche und geistliche Ordenszucht sollte der heiße Drang der Natur eingedämmt und der Mensch zur Demut und Selbstbezwingung, Geduld und Ausdauer, Enthaltsamkeit und Bedürfnislosigkeit erzogen werden. In jener Zeit, als die Kultur der Seele aufs höchste geschätzt wurde, ist auch die Frau als durchaus selb- ständige moralische Natur anerkannt worden. Man denke nur an die Märtyrerinnen, die Heiligen, die Muttes Gottes auf den Altären; man erinnere sich der unübertroffenen Huldigungen, welche die Kunst dem seelischen Wesen des Weibes darbrachte; man beachte die Macht und den Einfluß, den die „Liebesköniginnen" an dem oours ck'Lwour und die Fürstinnen im Rate der Männer besaßen; man vergegenwärtige sich die beispiel lose Verklärung der Frau durch die Poesie, durch einen Dante z. B., der das ganze mächtige Söhnen des Mittel alters nach Reinheit und erlösender Liebe in seiner Beatrice verkörpert hat, und man wird einsehen, daß die Frau damals maßgebenden Kultureinfluß besaß. Erst in der Folgezeit, nach allerlei kulturellen Um wälzungen, ist der Frau mit der moralischen auch die wirtschaftliche Selbständigkeit immer mehr eingeengt worden. Verrohende Kriege kamen, das Jnnungswesen änderte sich zu Ungunsten der Frauen, und immer mehr Handels- und Gewerbebetriebe entlasteten den Haus stand von der Gütererzeugung; die Aufklärungsperiode mit ihrer einseitigen Kultur des Verstandes sprach der seelischen Eigenart des Weibes jede höhere Bedeutung ab und als vollends der für Wissenschaft und Technik be sonders veranlagte Mann diese Kulturzweige mono polisierte, da wurde die Kluft zwischen Leben und Cha rakter der beiden Geschleäster immer breiter: die Frau galt neben dem Manne als ungebildet und sah sich völlig in den Schatten gestellt. Die moderne kapitalistische Kultur hat die Frau der höheren Gesellschaftskreise vollends in die Unselbständigkeit hineingetrieben: sie sieht sich zur Arbeitslosigkeit, zu kampfloser, träger Ueppigkeit, zu gefcl)äftigem Müßiggang verurteilt; ihr Seelenleben, von moderner Skepsis angekränkelt, er schlafft; sie vertändelt ihr Leben und sucht den Mutter pflichten auszuweichen. Wenn auch die heutige Kultur hauptsächlich auf der technisch vollkommenen Herstellung unendlich vieler wirt schaftlicher Güter und in einem blitzschnellen Umlaufe der Erzeugnisse des Verstandes beruht, so bleibt es dennoch wahr, daß der beste Gehalt eines Kulturlebens nicht in den tausend Geschicklich keiten und Genüssen besteht, sondern in der ed len u nd u neigen nützigenHingebungdesMenschen an den Menschen. Und hierin liegt die Stärke dec Frau, hierin hat sie immer gelegen. Indem die Frauenbewegung darauf hinarbeitet, daß wir uns auf unsere höchsten, feinsten Gaben und Kräfte besinnen und dieselben nutzbringend verwerten, indem sie uns auffordert, auch das mütterliche Empfinden hinausfluten zu lassen über die vier Wände des Hauses und in das Gemeinschaftsleben hinein, predigt sie uns nichts Neues, Unerhörtes, will sie uns der eigenen Natur nicht entfremden, sondern auf das Hinweisen, was von jeher Kern und Nerv unseres Wesens war. Wir sollen es lernen, den heiligen Geist der Weiblichkeit über die verschiedensten Lebensgebiete auszugießen. Darum müssen wir auch aufmerksam werden auf den tiefen Inhalt des Wortes „Mutter". Tas Wort ist wie ein Märchenbronnen, in dem noch viel Schätze Kegen. Alle Hülfskräfte für ein gedeihliches Zu sammenleben der Menschen liegen in diesem Wort. Denn lvahrhafte Hülfe kommt doch nur von dem, der gar nicht an sich denkt. Wenn man die Augen der schönen Madonnenbilder betrachtet: die sind so gar nicht mit sich beschäftigt, sie schweifen seherhaft ins Weite und blicken so ganz von aller Selbstsucht befreit und erlöst, sie leben ganz im Kinde. Im Bilde der Maria ist alles vereinigt, was der Mann von der Frau ersehnt und was er selbst nicht hat und besitzt. Welche Frau sich aus einer Evanatur in eine Marianatur verwandelt — in ein Wesen voller Natürlichkeit und voller Reinheit, demütig, mitleidsvoll und seelenstark, an das nichts Niedriges heran kann — die hat gesiegt über alle Verkennung und Unzulänglich keit. Wer die Fähigkeiten der Hingabe und Opfer- i Willigkeit in sich ausbildet, ist ein Kulturerzeuger im besten Sinne des Wortes. Frauen, die gelöst sind von Kleinlichkeit und Eitelkeit, zwingen den Mann, sie an zuerkennen. Jeder Mensch beugt sich, wenn er wirkliche Liebe und Hoheit des Wesens fühlt. Denn die Liebe ist es, die da herrscht, nicht Roheit und Kraft oder der er finderische Verstand: die herrschen nur scheinbar. Wer es einmal nach allen Richtungen hin durchdenkt, was das heißt: Mütterlichkeit in allen Lebenslagen, wer den Hauptberuf der Frau: sich selbst und die Menschen zur wahren Liebe zu erziehen, in jedem Augenblick zu er füllen trachtet — der wird in den Vollbesitz der Frauen kraft gelangen und dadurch auch die Frauenbewegung am besten fördern. * 8 Was In der Pariser Konfektion verdient wird. Mehr Einnahmen als die studierte Frau, ja mehr als Künstlerinnen auf idealem Gebiete, wenn sie nicht gerade die ersten sind — haben diejenigen, welche sich in den Dienst des SraaleS gestellt. Heues Staates, den die Modegöttin regiert. Vor allem im Lande der Träume einer gruncle clume, in Frankreich. Im Großbetrieb der Damenichneiderei sind 1000 Personen be- schäftigt. Tort erhallen, von unten angefaugen, Lehrmädchen, welche ihre Laufbahn mit Auslragen fertiger Kleider beginnen, 20—30 Fr., per Monat. Tas Aufgeld ist 75—150 Fr. — Mit hohen Ziffern rechnen die ersten Zuschneiderinnen, deren Gehalt je nach „Begabung" zwischen 3000—15 000 Fr. per Jahr schwankt. Diese Damen schneiden zu und haben die Ar beit zu überwachen. Ihnen an Gehalt gleich nach, kommen die „Verwaltinnen", welche stoss und Zutaten abzuinesscn haben. Nun kommen die menschltä)cn Figuren, die Modell damen, sic erhalten je nach ihrer Erscheinung 150—300 Fr. per Monat. Diese Damen werden im (Geschäft frisiert — natürlich nach neuester Mode, beköstigt und haben — es sind für jede der Damen 0 Roben am Lager, vom Ballkleid bis zum Aruskleid — nach der Nummer diese Toiletten anzulegen. Man ruft in ihre Kabine, tooselbst sich die jungen Mädchen von 10 Uhr morgens bis 0 Uhr abends aufhalten, nur die Nummer der Robe hinein, wonach sie, mit der numerierten Robe angetan, zu erscheinen haben. Da 20 Modclldaincn „funktionieren", sind 120 fertige Toiletten vorhanden. Von diesen Roben wird nicht alles verkauft und so überläßt man den „Modelldamcn" jährlich 1—2 Roben gratis. — Beyer als alle diese Angestellten, stehen sich die Verkäuferinnen, von denen hohe Intelligenz, schneid und sehr viel Schick gefordert wird. Sie erhalten leinen festen Gehalt, sondern 10—15 Pro- zenr Provision. Verstehen sie es, alle Waren ins beste Licht zu setzen, die Kundschaft zu „nehmen" und die Eigenart der Käuferin zu erfassen, so erzielen sic nackigewiesenerinaßen eine Jahreseinnahmc von 30—40 000 Fr. Natürlich gehört außer dem Geschick eine gute Portion Glück dazu. Von den Myerinnen, die wie Bienen emsig Stich an Stich reihen, mit der Hand oder mit der Maschine, spricht man nicht, aber gut mutz es auch ihnen gehen, denn mir rie,iq vergnügten Gesicht chen, sehr nett gekleidet, immer lachend und schwatzend, schwir ren sie im Tchncidervicrtel herum. (Täglich 15 000 Ar beiterinnen.) Und daß sie auch Sport treiben, das beweist- der Tauerlauf, den sie, wie bekannt, bis Berlin verpflanzt hatten. tt. ü. Schönheit im Lachen. Welch junges Mädchen, welch junge Frau möchte nicht schön sein? Zu allen Zeiten verehrte man in deni Weibe die erhabenste Verkörperung des Schönheirsbcgriffes. Dazu gehört aber nicht nur die Schönheit des Aeußeren, sondern auch die Schönheit der Seele, die das Weib er>t zur vollkommenen Schönheit erhebt. Es ist nicht Eitelkeit, sondern Pflicht der Frau, nach Schönheit zu streben. Die körperliche Schönheit verwirklicht sich in der Be. folgung aller den Naturgesetzen angepaßten und einer ver nünftigen Gesundheirspflegc entsprechenden Vorschriften; die Seclenschönheit offenbart sich in einer durch geistige Kultur und Herzensbildung geschaffenen herzgewinnenden Eigenart, in einem fröhlichen, edel erzogenen Gemüt. Alles dies wird in den seltensten Fällen beachtet. Schönheitsmitrel über Schönheitsmittel kommen auf den Markt mit plumpen An- weirdungsvorschriftcn, ohne den Damen den Weg zur wahren, dauernden und vollkommenen Schönheit zu zeigen. Daher kommt es auch, daß sich allerhand falsche Begriffe bilden, so z. B., daß das Lachen ein Feind der Sckchnhect sei, indem es Falten und Runzelbildung im Gesicht begünstige. Ein frisches, natürliches Lachen erhöht aber nicht nur den Gesamteindruck, sondern ist auch aus den Teint von günstigem Einfluß. Steinerne und langweilige Gefickter lassen uns trotz aller na türlichen Schönheit kalr. Die weltbekannte „Aok-Mcthode" hat daher recht, wenn sie diejenigen tadelt, die das Lache» ver bieten. Es gibt Damen, die vor lauter Furcht, sie könnten frühzeitig Runzeln oder Kalten bekommen, das Lachen nut Gewalt unterdrücken. Sie wissen nicht, wie häßlich sic der unnatürliche Ernst macht. Wenn die „Aok-Grimassage" vor schreibt, wie man frühzeitig Runzeln und Falten verhindert, so betont sie ztvar, daß man allzu lebhaftes 'Minenspiel, z. B. Aufreißen oder Zusammenkneifen der Augen, Kraußziehen der Stirn oder das häßliche Naserümpfen vermeiden soll, weil es ganz selbstverständlich ist, daß derlei Angewohnheiten, die un- natürlich sind, die Schönheit mehr oder weniger beeinflussen. Aber das Lachen, dieser Ausdruck eines fröhlichen Gemütes, des sprudelnden Uebermuces ist etwas ganz Natürlickes, Selbst verständliches und nur geeignet, die Schönheit zu erhöhen. Schon ohne Lachen spiegelt sich ein fröhliches Gemüt in den schönen Zügen, im Glanz der Augen wieder, wieviel mehr durck ein natürlickes Lachen. Tas Lache» bewegt das Zwerchfell, bringt das Blut zur flotten Zirkulation und ist daher auck gesund. Tic Schönheit des weiblichen Körper? ist aber nichts anderes, als der Jrrbegriff größter Gesundheit. -f- Von amerikanischen Dienstboten. Einige interessante Angaben über die Tienstbotenfrage in den Vereinigten Staaten enthält die letzte Nummer der englischen Monatsschrift „The Cornhill Magazine". Danach sind die Löhne, die die Dienst boten in den verschiedenen Staaten der Uniow erhalte», sehr verschieden. Im Süden ist der Durchschnittsgehalt eines Mäd chens, das kockicn kann, S2 Schilling im Monat. In Washing ton kann eine solche leicht 3 Pfd. St., also 60 ckl erhalten, in New Dort 3 bis 4 Pfd. st., in Chicago 4 Pfd. st., in Denver 5 Pfd. Sr. und in San Francisco sogar 6 Pfd. St. So kommt es, daß in den -Häusern der Mittelklasse» in den nördlicheren Staaten der Union eigentlich niemals ein tüchtiges Ticiist- mädchcn zu finden ist. Nur hier und da gelingt cs, an der Küste des Stille» Ozeans einmal einen Japaner zu finden, der sich als „Mädchen für alles" bei einem Gehalt von 7 Pfh. St. monatlich engagieren läßt. Diese Schwierigkeit, für billiges Geld brauchbare Mädchen zu finden, spricht sehr bei der Tatsache mit, daß neuerdings die kleine» Häuser in de» neuen Stadtvierteln fast ganz verschwinden und die Eragen in den großen Kasernen immer mehr Anklang finden, und daß die Leute ebenso wie in Paris anfangcn. ihre Mahlzeiten nicht zu Hause, sondern immer in den Resrauranrs cinzunehmen. Moüerr rmd Wirken. -f- Vom Allgemeinen Deutschen Franenverein. Den trsta- mcnrarischen Bestimmungen von Frau Luise Lenz- Hey mann entsprechend, ist der Verein verpflichtet, durch Errichtung einer besonderen Stiftung die reiche» Mittel, die ihm von Ferdinand und Luise Lenz für Studienzwecke zur Ver fügung gestellt worden sind, dauernd diesen Zwecken zu sichern. Der Vorstand hat die einleitende» Schritte zur Errichtung dieser Stiftung getan und wird voraussichtlich in der zweiten Hälfte des Oktober eine außerordentliche Generalversammlung zur weiteren Beschlußfassung in der Angelegenheit einberufen. Der Staiutenentwurj für die Stiftung wird bei der Ladung zur Generalversammlung bekannt gegeben werden. Die lang- lährige verdiente Schatzmeisterin des Vereins Frl. Jo hanna Brand st etter hat sich aus Gesundheitsrücksichten genötigt gesehen, ihr Amt vom 1. Oktober ab niederzulcgen. pk. Ein Mütterkongretz. In diesem Sommer fand in Chicago dieser eigenartige Kongreß statt, der so großen Zuspruch gefunden hat, daß bereits für das kommende Jahr in Washington ein gleicher Kongreß in Aussicht genommen worden ist. Von den Rednern sind besonders Professor Griggs und Mft. B. B. Lindsah hervorzuhebc», letzterer stellte die These auf: «Die Eltern sind für die verbrecherischen Neigungen ihrer Kin- der vcrantworrlich zu machen. Sie sollen ins Gefängnis kom men, wenn sie die Erziehung ihrer Kiiidcr vernachlässigen, wenn sie sic anlciten, zu stehlen oder zu lügen, wenn sie sie in die Schänken schicken, um Bier und Branntwein zu holen, wenn sie sie in eine lasterhafte Umgebung bringen." Professor Griggs richtete in seiner Ansprache folgende beherzigenswerte Wone an die Mütter: „Verleitet das Kind nicht zum Lügen, indem ihr Fragen an es richtet, die es in Verlegenheit bringen, aber sorgt auch dafür, daß seine Einbildungskraft nicht unter drückt wird. — Wenn das Kind in das Fragealter kommt, seid nachsichtig, aber duldet niemals Unbescheidenheit." X. Tie Furcht vor Ver Weiblichkeit. Die „Allgemeine Deutsche Universitäts-Ztg." schreibt in ihrer letzten Num mer (17): Die Frauen haben jetzt das Recht, auf deutschen Universitäten zu iludieren. Da regr sich der Gedanke, ob sic sich nicht auch am akademischen Vereinsleoen beteiligen könnten. Wir haben darin ja große Fortschritte gemacht. Während vor Jahrzehnten die Weiblichkeit bei studentischen Ausflügen und nun erst aus der Kneipe der Verbindungen eine Unmöglichkeit war, wird jetzr kaum eine studentische Festlichkeit ohne Damen gefeiert. Es muß deshalb auch bald zum Ereignis werden, studierende Frauen als Vereinsmitglieder aufzunehmen. Die „Akademische Freie Literarische Vereinigung" zu Göttingen hatte sich zu diesem Schritte entschlossen, aber ihr Antrag, auch studierende Frauen als Mitglieder aufnehmen zu dürfen, ist vom Rektorat „aus allgemeinen Erwägungen" abschlägig be schieden worden. Natürlich I Unsere Gelehrtenwelt kann stch nickt anders denken, als daß solch näherer weiblicher Verkehr zu Unsittlichkeiten führen könnte. Wie niedrig ist dies eigentlich gedacht. Es unterliegt keinem Zwcfel, daß gerade der Verkehr mit gebildeten Damen einen sehr veredelnden Ern- fluh auf unsere Studentenschaft ausübt. Sind doch leider ihr weiblicher Verkehr meist nur Kellnerinnen oder im besten Falle die kilia hospitalis. ie. Ein Arbeiterinnenheim. Vor fünfzehn Jahren grün dete ein schönes junges Mädchen, die Tochter eines Generals, Mlle. de la Givennerie zu Thiais bei Paris vre Ateliers Sainte Agnes. Die junge Dame hatte ihre warme Fürsorge den Arbeiterinnen zugewandt, manckmal harrte sie an den Toren der Fabriken auf die herauskommen. den Arbeiterinnen, um Fühlung mit ihnen zu gewinnen, sie forderte dieselben auf, sie in ihrer Wohnung zu besuchen, und nach und nach sammelte sich ein kleiner ÄreiS um Mlle. de la Givennerie. Da wurde der Vater der jungen Dame nach Algier versetzt und der Jammer der jungen Arbeiterinnen war groß, und angesichts dieser Verzweislnug faßte Mlle. de la Givennerie den Entschluß, rhr Leben den jungen verlassenen Mädchen zu widmen. Die Ateliers Sainte-Agnes entstanden. Im Anfang gab es Sorgen und Dkühe genug und alles teilte Mlle. de la Givennerie getreulich mit ihren Genossinnen. Das Haus, ein ehemaliger Pavillon Ludwigs XVI., ist von einem großen schönen Garten umgeben, innen ist alles licht und freundlich, die Einrichtung einfach und geschmackvoll, die Wände mit Bildern geschmückt, jede Bewohnerin von Salnte- Agnes hat einen Winkel, der ihr gehört, den sie nach ihrem Gefallen schmücken darf. Das Leben in Sainte-Agnes ist das einer heiteren, glücklichen Familie, einer arbeitet für den an dern, Freundschaft verbindet alle miteinander. Im Atelier wrden vorzugsweise Klyabenanzüge hergestellt, die von Engros- Häusern Zuschnitten geliefert werden, eine gute Arbeiterin kann 3—5 Frcs. täglich verdienen, eine junge, noch nicht ein- gearbeitete 1,50—2 Frcs. Jedes Mädchen lernt übrigens einen vollständigen Anzug machen, so daß sie, falls sie ausrritt, fick überall ihr Brot verdiene» kann. Auch Kinder sind im Atelier Sainte-Agnes untergebracht, die von den Insassinnen erzogen werden, außerdem komme» Donnerstag noch ungesähr ei» Dutzend kleine Mädchen, die im Nähen, Kochen und Singen unterwiesen werden. Am Sonntag sind zwei Stunden für die Erwachsenen in Rechnen, Diktat, Geographie, Geschichte und Lektüre. Die Abende verbringen die Mädchen entweder im Garten oder in dem großen Saal, sic arbeiten,sich gegen seitig ihre Kleider und Hüte, es wird vorgelesen, gesungen und geplaudert. Sonntags kommt oft Besuch, es werden Spaziergänge unternommen und es finden die sogenannten Patronage-Zusammenkünfte statt. Mlle. de la Givennerie teilt alles mit ihren selbstgewählten Gefährtinnen, die Arbeit, die Freude, die Mahlzeiten und die Spaziergänge. Ausgenom men wird jede in Saint-AgnSS, die das Bedürfnis nach einem Heim, nach Freundschaft und Arbeit hat, weder Geld noch Ausstattung wird verlangt nur der gute Wille, in der Arbeit für das gemeinsame Wohl daS Glück zu finden. Feuilleton. Bist du da? Eine Skizze aus dem Frauenleben. Von Josephine Ziehe. Nachdruck verboten. Frau Lore stand inmitten des Zimmers. Wie seltsam es ihr vorkam, daß sie nun diesen Raum für immer verlassen sollte. Nie mehr würde sie hier iveilen, nie mehr in dem hoben Stuhl dort am Fenster üben und auf die stille Strane scljauen, wie sie es so oft voller Sehnsucht und Bitterkeit getan. — Morgen bereits war sie weit, weit fort, der Zug trug sie dann in die Ferne, dem Glück entgegen. Tem Glück! Das junge Weib atmete auf, tief, er- löst, dem Glück entgegen! Frei sein, der jahrelang ge- tragenen Fesseln ledig, frei und glücklich. Glücklich, aus vollem Bewusstsein heraus glücklich war sie noch nie gewesen, wenn auch die Welt sie eme glückliche Fran nannte. Jlmg, töricht, unerfahren batte sie geheiratet, weil der Mann, der um sie warb, iyr ein sorgenloses Leben bot, sie aus der bedrückten Enge des Elternhauses her aus, in behagliche Verhältnisse führte. Und er war in seiner Art gut zu ihr gewesen, aber er war vedantiich, nüchtern, rechthaberisch und verstand nicht die Re gungen ihrer feurigen, schwärmerischen jungen Seele. Tie Kinder wurden geboren, erst ein feines, zartes Mäd chen, und dann, nach etlichen Jahren, ein Bube. Und wenn die Bekannten kamen und Frau Lore glücklich priesen im Besitz des aufmerksamen Gatten und der I blühenden Kinder, umgeben von Reichtum, dann hatte die I junge Frau wohl selbst an ihr Glück geglaubt; nur z manchmal, in einsamen Stunden, da hatte sie eine tiefe, ihr selbst unverständliche Traurigkeit ergriffen, so leer, so öde war ihr ihr Leben erschienen. Dann war die Stunde der Erkenntnis gekommen und sie fühlte, daß sie einen anderen liebte als ihren Gatten, Langsam, all mählich war diese Liebe in ihr gewachsen, wie eine Blüte, und an dem Tag, da die Blüte sich entfaltet hatte, da war Frau Lore erschrocken vor der leuchtenden Farbenglut, dem berauschenden Duft dieser Blüte. Sie hatte gekämpft gegen dies« Liebe, aber die Liebe hatte gesiegt. Heute nacht wollte das junge Weib an de» Geliebten Seite hinausfahren in die Welt, dem Glück entgegen. Morgen kam ihr Mann von einer kleinen Geschäftsreise zurück, er durfte sie nicht mehr in seinem Hause finden. Still, unbemerkt wollte sie das Haus verlassen, die Hei mat, alles, nichts mitnehmend in das neue Leben, nichts - auch nicht ihre Kinder. Das war das Schwerste, die Trennung von ihrem Manne war eine Erlösung, aber da» Scherben von den Kindern eine Qual. Aber eS muhte ja sein, sie konnte sie durfte ja die Kleinen nicht mitnehmen in ihr neues Leben, sollte sie um der Kinder willen auf ihr Glück ver zichten? Nein, tausendmal nein! „Es wöre eine Sünde an deiner eigenen Persönlichkeit", hatte -er Mann, den sie liebte, gesagt, „jeder Mensch bat das Recht auf Glück, die Pflicht gegen sich selbst steht höher als die Pflicht gegen ländere." Und Frau Lore glaubte den Worten, weil sie I liebte. Nun gatt es noch den Abschied von den Kindern, l dann war alles vorbei, die Vergangenheit lag hinter ihr. Leise schlich sie in das Schlafzimmer der Kinder, der matte Schein der Nachtlampe fiel auf die rosigen Gesichter der Klemen, wie lieblich sie aussahen! Die jun^e Frau beugte sich herab und küßte erst das Mädchen,'dann den Knaben, und dieser, von der Liebkosung halb erwachend, murmelte schlaftrunken: „Bist Lu da, Mutterle?" und schlief dann weiter, ruhig, unbekümmert, im Gefühl sicheren Geborgenscins. Frau Lore stand regungslos, „Bist du La, Mutterle?" Wie oft schon hatte sie diese Frage vernommen, und wie oft würde nun vielleicht diese Frage von ihres Kindes Lippen dringen und kerne Antwort ihm werden? Aber sie konnte nicht bleiben, das Glück rief sie ja. Draußen rollte ein Wagen durch die Stille der Nacht und Frau Lor« schrak zusammen, sie mußte eilen, fort, er, der sie holen kam, sie fortzuführen au» der gebundenen Enge, würde schon warten. Leise glitt sie auS dem Zimmer, keinen Blick warf sie mehr auf di« schlafenden Kleinen, sie durfte setzt, in letzter Stunde, nicht schwach werden. Sie löschte die Lampe im Wohnzimmer auS und öffnete das Fenster, unten auf der Strotze ging ein Mann wartend aus und ab, als er das Klirren hörte, blieb er unter dem Fenster stehen. „Bist du da?" Aus dem Dunkel heraus klang seine Stimme frohlockend, voll zitternder Leidenschaft. Frau Lore Wick, plötzlich tief ins Zimmer zuruck, wie seltsam sie diese Frage ergriff, wie ichwer doch das scheiden war. .. , . , Aber da, da klang wieder -w Frage, diesmal aus dem Nebenzimmer, kläglich, angstvoll, bittend, „Mutterle, bist du da?" . .. . _ . „Ja", Frau Lore stand schon am Bett des Kindes, und -»Kleine sah sie an mit großen, erstaunten Augen, und aus dem andern Bettchen klang dieselbe Frage: „Mutterle, bist du da?" uud in dem Ton lag schon die Gewißheit einer beruhigenden Antwort. Das Bübchen aber, sich besinnend, daß er immer, wenn er die Mutter sah, einen Wunsch hatte, lallte, den kleinen Körper reckend: „Mutterle, ich hab Durst!" Mit zitternder Hand reichte ihm Frau Lore ein Glas Milch, und dos rote Mündchen schlürfte behaglich, und dann, als die Mutter nicht, wie sonst, mahnte: „Nun schlaf weiter", fühlte er sich zu einer andern Bitte berechtigt, er zog mit seinen Aermckicn die Mutter zu sich nieder und, sein rundes Köpfchen in deren Hand schmiegend, flüsterte er schon halb im Schlafe: „Mutterle, krabble mich!" Die junge Frau glitt an dem Bettchen deß Kindes nieder, liebkosend glitt ihre Hand durch da? weiche Ge- lock des Kleinen, dann sank ihr Kopf schwer auf das Belt und ein unterdrücktes Stöhnen rang sich von ihren Lippen, oh Gott, wie schwer das Scheiden war. Die Zett verrann — Stunde auf Stunde, draußen dämmerte der frühe Sommermorgcn herauf, nun war es zu svät, dos Glück war vorüber, und Frau Lore hatte es entfliehen lassen. Sie konnte die Kinder nicht verkästen, sie wußte, daß sic unsagbar leiden würde in dem heimlichen Kampfe zwischen Liebe und Pflicht, ihr graute e» vor der ver- zehrenden Sehnsucht der einsamen Stunden — und den- noch. Ein müde«, geduldige» Lächeln stahl sich um ihren Mund, ein Lächeln voll Entsagung und verborgener »Kraft wie ruhig die Kinder schli-fen, wie behaglich im I Gefühl sickeren Schutze» — Mutterle ivar ja da. I BerantworUichc Redaktti«: -oftphin, Kirv, ia Leipzig.
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