02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-06
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040706026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904070602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904070602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-06
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VrzsgS-PretS t» d« Ha«pte«edttio, oder der« NnSoab», stell« a»,,holtt vierteljLhrttch ^48.—, bet zweimalig« täglich« ZustrUnng tu« Hau« 8.75: Durch die Post bezog« für Deutsch land u. Oesterreich ««telstchrltch ^4 4.50, für die übrig« Länder laut Lettung-prriSlfft«. NedakNo«: JohanntSaafie 8. Sprechstunde: S Uhr Nachm. Fernsprecher: 1ü» »xpedtttm»: JohauniSgaff« L. Fernsprech«: 8LL. FtltalexpedtNaueu: Alfred ^hu.B«chd<indlg,Uutversttät«str.3 tF«nspr.stk. 4Ü4S), L Läsche, -achartnea- strahe 14 <8«usprech« Nr 8935) ».Königs- platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). daupr-Ktltale Dresden: Marteustrahe 84 (Ferusprrch« Amt I Nr. 1718). Haupt-Atltale Berlin: TarlDunkker, H«zgU8apr^ofdnchbaudla- Lützowstrahe lt>(FernsprecherAmtvl Nr.4603.) Ar. AL Abend-Ausgabe. nMer TagMait Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- »nd des Königlich« Amtsgerichtes Leipzig, des Nates «nd -es Noli.teiamtcs -er Ltadt Leipzig. Mittwoch den 6. Juli 1904. Arrzeigeu-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen mit« de» RedaktionSftrich (4 gespalten) 75 -H, nach d« Fenrilknnach- richten (6 gespult«) 50 aZ. Tabellarisch« and Ptssernsatz entsprechet höher. — l^ebihren für Nachweisung« und Ossutmannahme 25 «rtra-veUane» (gesalzt), nnr mtt der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mtt Poftbefürderung ^l 70.—. Suuah»efchl»tz n»r Luzei-r«: Abend«Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: aachmtttag» 4 Uhr. Anzeigen find stets au dir Expedition zu richt«. Dir Erveditiou ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck und Verlag oou G, Pol- tu Leipzig (Inh. vr. 1L, R. L W. Sliukhardt). 98. Jahrgang. Var lvicdtigrte vsm lagt. * Bor dem vereinigten 2. und 3. Strafsenate des Reichsgerichts begann heute der Spionage- Brozeh gegen den Schlosser Julius Davot aus Uekingen bei Diedenhofen. (S. Prozeß- bericht.) * Der preußische Minister des Innern Freiherr von Hammer st ein begibt sich nach London, um kommunale Einrichtungen zu studieren. (S. Dtsch. Reich.) * Das englische Oberhaus nahin die zweite Lesung der Bill an, nach der ausländischeSilber- waren mit deutlichem Kennzeichen versehen sein müssen * Das englische Unterhaus hat den Vor schlag Balfours betreffend das Schankgesetz mit 262 gegen 207 Stimmen angenommen. * Die Wiederaufnahme der Arbeiten für den Panama-Kanal steht, wie man uns aus Paris schreibt, nach dort eingetroffenen Nachrichten aus Colon unmittelbar bevor. * Aus Halifax und Boston werden große Brände gemeldet. (S. Aus aller Welt.) * In Tibet haben die Engländer nach Ablauf des Waffenstillstandes die F e i n d s e l i gk eiten wreder ausgenommen. (S. Asien.) Vie poinircde llrlabr. Nach Meldungen auS Krakau hat eine dort abgehaltene Versammlung der polnischen Jugend folgende Er klärung beschlossen: „Da eine möglichst empfindliche Schwächung Rußlands im polnischen Interesse liegt und den Wiederaufbau Polens er- leicht«!, so sympathisiert di« polnische Jugend in innigster Weise mit den Japan«« und beglückwünscht sie zu ihr« bis her «zielten Erfolgen, die die Macht und das Ansehen Ruß lands namhaft erschüttert hab«. Im Hinblick auf die bevorstehende Mobilisierung in Russisch-Polen erachtet die polnische Jugend eS für «gezeigt, daß die Desertion der polnischen Soldaten und Reservisten nicht vor der Mobisierung, sondern erst später auf dem Kriegsschauplatz erfolgen soll, da nur letzteres die russische Armee sowohl numerisch als auch moralisch zu schädigen vermag." Die österreichischen Polen greifen mit ihren agita torischen Bestrebungen «ans ßchno nach den benachbarten russischen Bezirken polnischer Zunge hinüber und tragen keinerlei Bedenken, den auf dem ostasiatischen Kriegsschauplatz befindlichen oder dahin abgehenden polnischen Soldaten den Hochverrat in schlimmster Form zu empfehlen, in der Absicht, auf diese Weise zur Schwächung und Demoralisierung der russischen Armee beizutragen. Und ähnliche Uebergriffe und Hetzereien aus öster reichisch-galizischen Gebieten polnischer Zunge, wenn auch, da der Anlaß dazu fehlt, nicht in dieser extremsten Form, erstrecken sich nachweisbar auch auf die benach barten preußischen Gebiete. Di« „Münch. Allg. Ztg." läßt sich darüber aus Wien bericht«, daß Flugschriften und Gelder über die Grenze gehen, ein Vorgang, der ganz dem Treib« der Italia irredenta analog sei. Und zwar wird diese systematisch und mit großen Mitteln betriebene Wühlarbeit, von Krakau und Lemberg, den Zentren der gesamt« propolnischen Bewegung, nicht nur auf die gemischtsprachig« Bezirke Oberschlesiens, sondern bis nach Posen und Weftpreußen hin ausgedehnt. Wie man sieht, entspricht die Wirklichkeit genau dem Bilde, das in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses von dem Treiben dieser polnischen Agitationskomitees entworfen wurde. ES genügt aber nicht, geg« solche von außen herein getragenen Hetzereien aufs allerfchärfste zu protestieren. Jener Beschluß der polnischen Jugend in Krakau zeigt, was auf dem Spiele steht. Wir leben in einer Zeit, die, so friedlich und ruhig sie scheinen mag, doch das Eintreten plötz licher und sehr gefährlicher Krisen keineswegs ausschließt. Und was soll daun werden, wenn inzwischen in den Ostmarken des Reiches die auf die Vernichtung deS Deutschtums ab zielende Wühlarbeit so viel Boden gewonnen hat, daß hier ein erbitterter und starker Gegner emporgewachsen ist, mit dem ernstlich gerechnet werden muß? Die polnische Frage geht weit über die Bedeutung einer lediglich preußischen oder gar nur lokalen Angelegenheit hinaus. Dem Deutschtum und dem gesamten deutschen Volke will das neue Ansiedelungsgesetz dienen, indem es Gewöhnung des polnischen Staatsbürgers an preußische Verhältnisse und Interessen anstrebt. Es wird aber ernstlich zu erwägen sein, ob nicht Mittel und Wege gefunden werden können, welche die Ueberschwemmung der gemischtsprachigen Landesteile mit revolutionären und hochverräterischen Schriften einzudämmen und gemeingefährliche Aufhetzungen ausländischer Agitatoren, wie sie jetzt an die russischen Polen ergangen sind, von den preußischen Staatsbürgern polnischer Zunge fernzuhalteu geeignet sind. ver Humana der Herero. Die Vernehmung -er Hän-lerr Wallace. Eine ausführlichere Meldung über die bereits durch Generalleutnant von Trotha gemeldete Vernehmung des englischen Händlers Wallace bringt der Berichterstatter des „B. L.-A.", Hauptmann a. D. von Dannhauer. Er telegraphiert aus Oka Hand ja: Der Händler Wallace ist nunmehr hier gerichtlich vernommen worden; er ist ein Mann Ende der fünfziger Jahre, von englischer Abkunft und mit einer Hererofrau aus Otjimbingue verheiratet, die aber jetzt bei den Herero in Waterbcrg zurückgeblieben ist; er bestreitet entschieden, mit Samuel verwandt zu sein. Wallace trieb Handel in Okombahe und erklärt, er wäre beim Ausbruch des Aufstandes von den Herero vollständig ausgeplündert, mit nur fünf Pfund in der Tasche gewaltsam fortgeführt und von Ort zu Ort ge fangen mitgeschleppt worden. Erst anfangs Juni sei er auf seine steten, bis dahin vergeblichen Bitten von Samuel frei gegeben. Darauf verließ Wallace Waterberg gemeinsam mit Frau Bremen und Frau Roloff die erstere eine Bastardin, die zweite eine Herero, beide aber mit weißen Männern verheiratet. Der Händler Bremen ist, wie erinnerlich sein wird, bei Ausbruch deS Aufstands ermordet Word«. Beide Frau« werden heute hier vernommen. Nach den Aussagen Wallaces wollen die Herero nicht abzieh«, sondern Widerstand leist«. Samuel mit allen Groß- und Werstleuten nebst 5000 Stück Großvieh sitzt an den großen FleetS (Wasser stellen) zwischen Omuramba und dm Abhängen des Water bergs um Weinboro Kerum. Er hat seine Orlogslente an den Omutamba vorgeschoben. Michael hält mit seinen Leut« bei Omayeroumue dm Waterberg durchschneidenden Paß. Wallace gibt die Stärke dm Herero auf 25 000 Köpfe an, davon mindestens 2000 Kriegslertte mit Gewehren. Interessant ist, daß Wallace, der gänzlich mittellos geworden zu sein behauptet, auf die Unterstützung der deutschen Regierung rechnet. Vorläufig bleibt er in Haft. Lrttpperrbeweguirgerr. Die Abteilung Glaseuapp ist auf Otjire abmarschiert ; starke Patrouillen Estorffs, Heydes und Glasenapps, sämtlich unter landeskundigen Offizieren, sowie die Wfttboi- und Bastard-Abteilung klären die Gegend zwischen Ouramba und Waterberg auf. („B. L.-A.") ver rusrizch-japaitirche «stieg. Bericht -er General» Ssacharow. Am 4. Juli ist folgende Meldung des Generals beim Generalstabe in Petersburg eingetroffen: Dio Vorhut der sich im Osten von Liaujang bofin- denden Abteilung Hatto am 3. Juli eine Stellung im Ian- s e l i n p a tz besetzt. Arn Abend desselben Tages wurde durch Rekognoszierungen festgestellt, daß eine Abteilung der feind lichen Vorhut in Stärke von etwa 1500 Mann vor der Froitt unserer Stellung die Dörfer Tschawuan und Tsä^aumenka ein nimmt, die Hauptmacht des Gegners dagegen iveitcr zurück geblieben ist im Fenschuilin- und im Modulinpaß. Gleichzeitig wurde bemerkt, daß eine japanische Abteilung in einer Stärke von etwa einem Bataillon unter Umgehung des linken Flügels der Stellung im Janselinpaß in der Richtung auf Liandiansian vorrückt. Um dies zu verhindern, wurden in der bedrohten Richtung Abteilungen ausgesandt in einer Ge samtstärke von 5 Kompagnien, 12 berittenen Freiwilligen- KvmmandoS und einer halben «otnic. Zur Feststellung der feindlichen Streitkräfte, die sich vor dem Janselinpaß befinden, befahl der Abteilungschef 10 Kompagnien unter dem Befehl des Obersten Letschizki in der Nacht zum 4. Juli eine genaue Rekognoszierung nach Tschawuan, Tschindiapusa, Lidiapusa und dem Götzentempel auf dem Ssiaokaolinpaß zu unter nehmen. Um den Rückzug der Abteilung Letschizkis zu sichern, sollten die drei Kompagnien unter dem Befehl des Oberst leutnants Garnizki nach Makumensa (2 Werst südlich von Tschawuan) sowie nach den, Sfinkailin- und dem Laholinpaß marschieren. A m 4. I u l i früh marschierten beide Kolonnen in den an- gegebenen Richtungen ab; um 2(4 Uhr begann ein Gefecht. Die Abteilung des Oberstleutnants Garnizki erreichte den Kreuzungspunkt der nach dem Sfinkailin- und dem La. holinpaß führenden Straßen und verdrängte von hier eine feindliche Feldwache, die eine Kompagnie stark war. Gleich zeitig warf die Abteilung des Obersten Letschizki, ohne zu feuern, die feindlichen Vorposten zurück und näherte sich oem Fuße der Höhen, 6 Werst östlich von Tschawuan. lieber den weiteren Gang des Gefechts berichtet der Abteilungschef aus Lidiapusa, das er gegen 4 Uhr passierte, folgendes: Unsere Soldaten griffen die Feldwache an, die von einem Hügel auS das Feuer eröffnete, aber in die Flucht geschlagen wurde. Unsere Kolonne rückte, ohne zu fecccrn, während sic von der Front und vom Flügel aus beschossen wurde, bis auf 150 Schritt an den Paß heran. Hier wurde sie von einem heftigen Feuer empfangen. Die Vorhut ging zum Bajonett. kampf über und vertrieb nach einem Handgemenge die Japaner aus dm Schanzen. Der Paß wurde besetzt. Da der Feind von der Front und von den Flügeln aus mit bedeutenden Kräften vorzugehen begann, zog sich der Chef der Kolonne den ihm vorher erteilten Weisungen gemäß zurück. Die rechte Kolonne des Oberstleutnants Garnizki rückte um 2 Uhr nachts aus Tschawuan aus und begab sich nach Makumcnsa und dem oben erwähnten Kreuzungspunkt. Garnizki hatte ebenfalls einen Bajonettkampf mtt eiuer japanischen Feldwache zu be stehen, die teils niedergemacht, teils zurückgeworsen wurde. Die drei Kompagnien Garnizkis besetzten dm ihnen angegebenen Punkt. Als Oberst Letschizki fick -prückzuziehen begann, wurde von den Hügeln und vom Paß, dm die Japaner inne hatten, ein mörderisches Feuer eröffnet. Trotzdem zog sich die Kolonne in mustergültiger Ordnung zurück. Oberst Letschizki, der die ganze Zeit in der Schützenkette blieb, kettete mtt großer Klug heit und Kaltblütigkeit die Kolonne und ging mtt dem Stabschef und dem Adjutanten als letzter zurück. Alle Mannschaft« verhielten sich sehr ruhig und kamen den ihnen gegebenen Be- fehlen musterhaft nach. Oberst Letschizki wurde leicht ver- wundet; ferner wurden auf unserer Seite 6 Offiziere ver wundet, deren Namm festgestellt sind, und noch mehrere Offi ziere, deren Namen ich spater melden werde. An Toten und Verwundeten verloren wir mehr als 200 Mann. Die Aerzte verbanden unter heftigem Feuer die Verwundeten. Die der Abteilungschef berichtet, kehrten viele Verwundete, nachdem sie Verbund« worden waren, in die Front .zurück. Nach einer weiteren Meldung des Generals Ssacha- row an den Generalstab vom 4. Juli räumten die Japaner am 3. Juli das Dorf Tamerlpou; dagegen hat den T s ch a v a n l i n - P a ß und Madiawaia nach wie vor der Feind inne. Auf dem nördlichen Wege von Ssiujan besetzte eine kleine japanische Abteilung das Dorf Li n t i a t a t y o l, 9 Werst östlich von Liabotan, und befestigte cs. Die Hauptmacht des Gegners be findet sich jetzt anscheinend in der Umgegend von Wandsiapndsa und bei Schuckmio, 16 Werst westlich von Ssiujan. Der Dalin-Paß wird von den Japanern befestigt. Abkonrnien über -ie Robbenfisehcrei währen- -e»Ariege«. Wie bas „Reutersche Bureau" «jährt, billigt Japan voll kommen das zwischen England und Rußland getroffene Ab kommen, nach dem England für die Dauer des KrieaeS den Schutz über die Robbenfischerei an der Ostküstc SibinenS und die Festnahme von Räubern übernimmt. Die Erleickte- ung«, die hierfür den englischen Kriegsschiffen beim Kohlm- uebmen in Petropawlowsk nigcsichert sind, werden derart sein, wie sie sonst Kriegsschiffen in Häfen einer befreundeten Macht gewährt werden. Japanischer Sehisf»kaus. Wie die Genueser Zeitung „Secolo" meldet, ist der italienische Handelsdampser „San Gottardo", 2417 Tonnen, an die japanische Regierung verkauft worden. politische ragesscdau. * Leipzig, k. Juli. Der ostasiatischc Krieg und die neutralen Mächte. In London regt sich offenbar der Argwohn, daß Großbritannien als Bundesgenosse Ja- pans in den ostasialischcn Krieg verwickelt werden könnte. So erklären sich Meldungen Londoner Blätter aus Tokio über japanische Zeitungsartikel, in denen ein Appell an das englisch-japanische Bündnis unter gewissen Feuilleton. Die Entgleisten. Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck verbot«. Andreas erschien auch erst, als der Kaffee im großen Salon herumgereicht wurde. Er war vorher im Pfarr- Hof gewesen und hatte die kirchlichen Geräte, die er auf seinem Gange mit sich getragen, abgelegt. Sein Gesicht sah müde und abgespannt und noch blasser als sonst aus. Unwillkürlich flog der Blick der Pflegemutter zu einem der Fenster, wo Bethlen in eifriger Unterhaltung mit Marischka stand. Wie frisch, gesund und blühend sah er aus! Und das Lachen und Plaudern dieser beiden jungen Menschenkinder füllte wie die Stimmen des Früh lings das Zimmer. . . . Ein großes, zärtliches Mitleid stieg in ihrem Herzen auf; sie ging ihm entgegen, ergriff seine Hand und sagte mit weicher Stimme: „Du bist lange fortgeblieben, mein Sohn! Ich habe mich schon nach dir gesehnt. Und müde und ausgehungert bist du gewiß auch?" „Müde ja, hungrig nicht", versetzte er. „Ich habe mir im Gebirge Milch und Brot geben lassen und bin vollauf befriedigt." „Du wirst also gar nichts essen?" Er verneinte. „Wir haben Besuch", sagte sie dann, und wies nach dem Fenster. „Den Grafen Lavadi. Ich will Euch mit einander bekannt machen." Sie hatte nicht nötig gehabt, ihn aufmerksam zu machen. Gleich beim Eintreten hatte er die hohe Gestalt des Offiziers bemerkt und zugleich auch die lebhafte Unter haltung mit Marischka .... ein seltsam beklemmendes Gefühl stieg in ihm auf. „Muß es sein?" fragte er zögernd und mit der Scheu, die ihm eigen war. „Aber Andreas! Meinst du nicht auch, daß Freund- lichkeit und Gastfreundschaft zu den Tugenden deines Standes gehören?" Frau von Torma ergriff seinen Arm und näherte sich den beiden am Fenster. Doch als sie die Worte sprach: „Mein Sohn, der Kaplan Andreas, der Herr Graf Lavadi", war der er zwungene leichte Ton verschwunden und ihre Stimme klang vor innerer Bewegung unsicher. Da standen sich die gegenüber, die Brüder waren, Söhne einer Mutter, ohne eine Ahnung davon zu haben! Und beide so verschieden von einander! .... Der eine gesund und stark, mit dem blitzenden Strahl der Lebensfreude in den blauen Augen, der andere blaß, schmächtig, mit dem nach Innen gekehrten leidvollen Blick der Entsagung, der Weltentfremdung Dem jungen Offizier kam die Unterbrechung ettvaS ungelegen. Er hatte Marischka von seinem Leben in der Hauptstadt erzählt, von seinen Freunden gesprochen und sie zum Schlüsse gefragt, ob sie keine Freundin besäße? Denn wo es auch sei, in den engsten Verhältnissen habe der Mensch das Bedürfnis, an Gleichalterige und Gleich gesinnte sich anzuschließen. Marischka hatte eine Freundin: Julzsa Virag, die Tochter des Kommissars. Diese war zwar um zwei Jahre älter, aber sie hatten einen Lehrer gehabt und waren immer sehr gut miteinander ausgekommen. Seit zwei Jahren wellte Julzsa in Budapest bei Verwandten, ihrer Ausbildung halber, wie es hieß. Diesen Frühling sollte sie wieder nach Hause kommen. Marischka sah der An kunft der Freundin mit Freude, aber auch mit Bangen entgegen; sie fürchtete, sie würde ihr nicht mehr genügen. Der letzten Bemerkung widersprach nun Bethlen mit großer Lebhaftigkeit, und in seinen Augen lag ein solch ehrlicher Ausdruck, daß es schwer war, ihm nicht zu glauben, daß ihre frische Natürlichkeit und Klugheit es mit der Gebildetsten und Geistreichsten aufnehmen könne. Und da wurden sie gerade gestört! — Doch Bethlen wandte sich zu dem jungen Geistlichen und begrüßte ihn mit großer Höflichkeit. „Ich sah Sie ein- oder zweimal, Herr Kaplan, Sie zu sprechen fand ich noch keine Gelegenheit", sagte er. Andreas hielt die Blicke zu Boden gesenkt. Das Licht, das Leben, das von diesen beiden Gestalten ausging, schien seinen Augen weh getan zu haben .... Man sah ihm den Zwang an, als er ein paar Worte murmelte. Marisckkas Begrüßung äußerte sich auch sonst herz licher und freudiger; aber sie war noch mtt ihren Ge danken bei Bethlens letzten Worten, so sagte sie nur: „Du kommst spät, wir haben dich zum Mittagessen er wartet." „Ich war bei einem Sterbenden", versetzte Andreas, dann sich zur Pflegemutter wendend, „es war ein schweres Sterben .... und es war der erste Anblick für mich . . . . einen solchen Eindruck überwindet man nicht so leicht.... Entschuldige mich, liebe Mutter, ich wollte dich nur be grüßen! .... Es wird auch bald zur Vesper läuten uird ich muß zur Kirche!" .... Er verneigte sich in seiner linkischen, unbeholfenen Art vor dem Offizier, aber ohne ihm die .Hand zu reichen, und ging nach der anderen Seite des Saales, wo der Pfarrer mit dem Advokaten und Kommissar in ein eifriges politisches Gespräch verwickelt war. Politik! Das war auch der einzige Gegenstand, der den alten Herrn ins Feuer bringen, sein ruhiges, gleich mäßiges Empfinden zur Leidenschaft steigern konnte. Der Kommissar gab den Zuhörer ab. Er gehörte zu denen, die es mit keinem verderben wollen, und so verteilte er in bewunderungswürdiger Parteilosigkeit sein: „Das ist richtig!" „So ist's auch!" bald an den einen, bald an den andern Gegner. Bethlen sah der schmächtigen Gestalt nach, wie sie durch das Zimmer schritt und die das lange, dunkle Ge wand nur noch hagerer erscheinen ließ. „Der Herr Kaplan ist wohl leidend?" sagte er dann. „Sie glauben, weil er blaß aussieht? Das ist immer seine Farbe gewesen", versetzte das junge Mädchen. „Er war aber stets gesund, nur in der letzten Zeit sehr ange strengt." „Ich hab' das Gefühl, als könnte man in der Nähe Ihres Herrn Bruders nicht recht froh werden", meinte Bethlen nach einem Schweigen. „O nein!" Widerspruch jetzt Marischka mit liebevollem Eifer. „Andreas hat ein tiefes Gemüt. Auch aufhettern läßt er sich gern, wenigstens von mir. Früher bin ich immer sein David niit der Harfe gewesen, oft auch die Schlange, die ihn zu manchem kleinen übermütigen Streich verführte." „Sie sind Geschwister?" fragte Bethlen. Marischka verneinte. „Andreas ist der Neffe meiner Pflegemutter, ich aber bin ein ganz fremdes Kind. Daß ich's bin und ein halbes Jahr alt ins Schloß kam, bab ich durch die grausame Offenheit anderer erfahren . . . . Die Menschen zerstören einem die schönsten Träume und nennen es dann Wahrheitsliebe .... Aber auch jetzt, wenn ich nicht direkt daran erinnert iverde, vergesse »ch, daß die gütige Frau nicht meine rechte Mutter ist." Einige Zeit später, als die Lampen angezündct wurden, begab sich Frau Charlotte, begleitet von den be treffenden Herren, um den Kaufvertrag fertigzustcllen, in ihr Arbeitszimmer. Und als dann Bethlen Lavadi seinen Namen unter das Schriftstück setzte, lxttte er ein Gefühl großer Erleichte rung, die Empfindung, als l)abe alle Not für ihn ein Ende; denn die Verkaufssumme betrug zehntausend Gulden. Frau von Torma hatte den Preis festgesetzt, ,md Bethlen ahnte nicht, daß er um mehr als die Hälfte den
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