02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-18
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040718029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904071802
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904071802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-18
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Anzeigm-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen nut« dem Redaktion-strich («gespalten) 7Ü nach den Frnülienoach- richten (6 gespalten) 50 «z. Tabellarischer und Ziffernlatz entsprechend höh«. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 25 Ertra-Vetlageu (gesalzt), nur mit der Margen»Ausgabe, ohne Postbesvrderung ^il 60.—, mit Postbefärdttung ^l 70.—. Annahmeschlutz für Nuzetgrur Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« au dir Lrprdttiou zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Polz tu Leipzig (Inh. vr. L.R. L W. Kltukhardt). Nr. 382. Montag den 18. Juli 1904. 88. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Aus den Verhandlungen des 5. Kongresses der christlichen Gewerkschafton, der gestern inEssen a. d. R. begonnen hat, ist sehr bemerkenswert der radikaleTon, auf den die Ausführungen der bis jetzt zu Wort gekommenen Redner gestimmt sind. * Professor Or. Binswanger- Jena dementiert jetzt selbst die Meldungen über sein angebliches Eintreten für die katholische Studentenverbindung Sugam- bria. (S. Dtsch. Reich.) * Leute beginnen inKoburg die Tourniere des 14. deutschen Schachkongresses. kitt „politischer" stsman. Jeder Dichter ist so etwas wie ein Prophet, aber ein Prophet gilt bekanntlich nichts in seinem eignen Lande. Das mag man ost bedauern, manchmal aber darf man sich darüber auch freuen. Und so würde ich mich denn von Herzen freuen, wenn August Niemann das übliche Prophetenschicksal erfahren sollte. Sein Roman hat gehalten, was in der Ankündigung seinerzeit versprochen und von uns damals „gewürdigt" wurde. August Niemann hat einen Roman geschrieben, den er „Weltkrieg" nennt und der den Untertitel „Deutsche Träume" führt. . . . Die Gliederung des Stoffes ist sehr einfach. Eine Liebesgeschichte, denn es ist ja ein „Roman". Zwischendurch wird dann in Weltpolitik gemacht, d. h. ein Dreibund zwischen Deutschland, Frankreich und Ruß- land wird geschlossen und England wird zertrümmert, denn es handelt sich ja um „deutsche Träume"! Die tragische Liebesgeschichte zeigt die typische Trivialität des ganz gewöhnlichen Durchschnittsromans, sie liefert den besten Beweis dafür, daß Niemann kein Dichter ist. Aus der Art aber, wie er gleichzeitig „deutsch träumt", geht auch hervor, daß er kein Politiker ist. Ueber einen trivialen Roman brauchte man sich nicht weiter aufzuregen, dergleichen gehört eben zu dem Ballast, den jede Literatur in größeren oder kleineren Mengen mit sich führt. Aber die politischen Anschauungen des Ver fassers dürfen denn doch nicht so unwidersprochen in die Welt hinausgehen. Selbst wenn man glaubt, daß Niemann aus innerster Ueberzeugung ein Gegner Englands ist und nicht nur die politische Konjunktur für die Popularisierung seines Romanes ausnützen will, so darf das doch noch immer kein Grund für ihn sein, die schwierigsten Probleme der großen Politik in so oberflächlicher Weise abtun zu wollen. Niemanns Weltkrieg soll offenbar schon in kürzester Zeit ausbrechen. Rußland, das zu diesem Zwecke seinen inzwischen natürlich erfolgreich verlaufenen Feldzug mit Japan rasch beendet, läßt ganz unbemerkt eine Armee in Indien einmarschieren; die Engländer werden ge schlagen. Frankreich und Deutschland besetzen Belgien und die Niederlande. Die englische Flotte wird zwar nicht von der deutschen total geschlagen, aber doch zum Rückzüge gezwungen, da die Franzosen den Deutschen zu Hülfe kommen. Zwei deutsche Armeekorps — oder sind es drei — setzen unbemerkt von Kiel nach Schottland über. England ist von Truppen entblößt, die Milizen werden geschlagen, die Verbündeten ziehen in London ein. Friede! Rußland bekommt Indien, Frankreich Aegypten, Deutsch, land Ostafrika und Antwerpen. Die Niederlande treten dem Deutschen Reiche bei, die Burenrepubliken werden wieder hergestellt usw. usw. Schluß Niemann entläßt uns mit der tröstlichen Hoffnung, daß dies einst weilen wohl der letzte Krieg sein dürste und man beruhigt in die Zukunft blicken könnte. In der Politik ist alles möglich, und es ist daher nicht ausgeschlossen, daß sich unter bestimmten Verhältnissen die Mächte in dieser Weise gruppieren. Es ist gleichfalls nicht ausgeschlossen, daß in einem solchen Falle England gründlich geschlagen und die Erde dann in der proportio nierten Weise neu aufgeteilt wird. Aber dieser Hergang hätte uns doch ein wenig Plausibler geschildert werden sollen, denn daß die wichtigsten Entscheidungen lediglich durch den Verrat von Flottenplänen und dergleichen herbeigeführt werden, ist doch ein etwas dürftiger Trick. Noch weniger stichhaltig erscheint mir die politische Ge sinnung. Rußland als Kulturträger, der Indien vom englischen Joche befreit und diesen: Lande die Segnungen eines milden Regimes bringt Mag man es immerhin vom nationalpolitischen Standpunkte aus be klagen, daß England sich so ungeniert die Taschen mit allerhand guten Sachen vollstopfen durfte und wir uns mit den Abfällen bescheiden mußten, mag es oft als schmerzlich empfunden werden, daß die Skrupellosigkeit der englischen Politik so häufig triumphiert, all' das könnte für die deutsche Politik doch nur eine Lehre sein. Glücklicherweise können wir ja die verschiedenen welt politischen Möglichkeiten für Deutschland noch in aller Ruhe erörtern, denn der Gang der Ergebnisse beweist die politische Kurzsichtigkeit des Weltkriegdichters jedenfalls deutlicher als es diese Zeilen vermögen. Einstweilen be findet sich der Krieg zwischen Rußland und Japan noch im ersten, für das Land der aufgehenden Sonne günstigen Stadium, und Rußland wird daher gut tun, seine Truppen vorläufig lieber noch nach dem fernen Osten als nach dem sonnigen Süden marschieren zu lassen. D. 2. Königsberger hocbverrrttr- «na Sebeimbunaprorerr. * Königsberg, 16. Juli. Aus der heute vorgenommenen Vernehmung des Berliner Stadtverordneten Glocke, des Expedi tionsvorstehers des „Vorwärts", sei der folgende, bereits telegraphisch kurz erwähnte Zwischenfall noch aus führlich wiedergegeben. Glocke sagte aus, er sei seit 16 Jahren in der Expedition des „Vorwärts" angestellt. Im Keller hätten allerdings rus sische Schriften gelegen, er selbst habe aber sich nicht viel um die Dinge gekümmert, da sie ihn nicht» angingen. Er habe Wohl gelegentlich gesehen, daß Pakete ankommen und habe auch gewußt, daß Leute kamen, die die Sachen im Keller umpackten. — Vors.: Bei Ihrer gerichtlichen Vernehmung in Berlin haben Sie ausgesagt, es sei Ihnen nichts davon bekannt, insbesondere auch nichts über den Verkehr der Ruffen. Weshalb wollten Sie nichts angeben? Sie waren doch zur Angabe der Wahr heit verpflichtet, denn Sie wurden doch als Zeuge, nicht als Angeklagter vernommen. Oder dachten Sie, daß Sie sich mit der Angabe der Wahrheit selbst einer strafbaren Handlung be- zichten? — Zeuge Glocke: Das nicht, ich dachte aber, daß ich den Angeklagten vielleicht Unannehmlichkeiten bereiten könnte. — Vors. :Wenn Sie mit der Wahrheit als Zeuge zurückhalten, so nennt man das Begünstigung. — Bert. Rechtsanwalt Haase: Befürchten Sie, mit Ihrer Aussage die Angeklagten der Strafe zuzuführen? — Zeuge Glocke: Das nicht. Es liegt überhaupt in meinem Eharakter, etwas zurückhaltend zu sein. — Vors. Landgerichtsdirektor Schubert sehr scharf: Wir haben jetzt schon mehrmals in dieser Verhandlung gehört, es sei ein Grund satz der Sozialdemokratie, vor Gericht mit der Wahrheit zurückzuhalten. Da war zuerst ein Vertrauensmann der Sozialdemokratie, namens Linde, der an einen anderen Parteigenossen schreibt: Bestreite alles und verweigere die Auskunft I Und jetzt kommen Sie und sagen, daß es auch Ihr Grundsatz sei, vor Gericht mit der Wahrheit zuriickzuhalten. — Zeuge Glocke: Das habe ich nickst sagen wollen, sondern nur, daß ich im allgemeinen zurückhaltenden Charakters bin. — Rechtsanw. Haase: ES fiel vorhin seitens des Herrn Vorsitzenden der Ausdruck: es scheine sozialdemokra tischer Grundsatz zu sein, vor Gericht zurückzuhalten mit der Wahrheit. — Vors. (unterbrechend): Herr Verteidiger, ich glaube die Erklärung abgeben zu müssen: Nicht bloß sämtliche Angeklagten, die alle Sozialdemokraten sind, haben nicht bloß als Zeugen, sondern auch als Angeklagte erklärt, daß sie die Auskunft verweigern, dann haben wir das Schreiben des Ver trauensmannes Linde gehört und jetzt wieder den Ausspruch dieses Zeugen, da ist man doch wohl berechtigt, von einem Grundsatz der Sozialtdemokratie zu sprechen. — Bert. Rechts anwalt Haase: Die Aussage zu verweigern, ist das gute Recht der Angeklagten. Was den Lindeschen Brief anbetrifft, so geben wir ohne weiteres zu, daß derselbe höchst ungeschickt ist. Auch Glocke hat schon erklärt, daß er etwas ganz anderes ge meint habe. Ich kann diesen Ausspruch nicht unverändert laufen lassen, da man sonst annehmen könnte, er sei richtig. — Vors.: Herr Rechtsanwalt, ich finde ja Ihren Standpunkt be greiflich, aber wir haben ja nun einmal zwei Zeugen hier, von denen der eine, ein Vertrauensmann, schwarz auf weiß schrciN: „Sage vor Gericht nicht die Wahrheit." — Hierauf trägt Privatdozent Or. Rost die von ihm vorgenommene Ueber« setzung der fraglichen Paragraphen des russischen Strafgesey- buches vor. Die 88 241 und 242 behandeln tätliche Angriffe gegen den Zaren und sehen dafür Todesstrafe vor. Die Majc- stätsbcleidigung durch Wort und Schrift betreffen die 88 248 und 246 und hierauf stehen Strafen von 10 bis 12 Jahre Zwangsarbeit in Sibirien. Der 8 260 betrifft die Anwendung der Strafbestimmungen einer Reihe aufgezählter Paragraphen, unter denen sich die 88 245 und 246 (Majestätsbeleidigung) nicht befinden, auf Vergehen gegen auswärtige Staaten, „mit denen auf Grund von Verträgen oder allgemein veröffentlichter Gesetzesbestimmungen in dieser Beziehung gegenscuigc Ver einbarung existiert." — Bert. Rechtsanwalt Haase: In der dem Strafantrag d«r russischen Botschaft beigefügten, durch daS Generalkonsulat bewirkten Uebersetzung heißt cs: mit welchen auf Grund besonderer Verträge oder sonst wie Gegenseitigkeit verbürgt ist. Das „sonst wie" ist also frei hinzugefügt. ES wird auch verschwiegen, daß die Gegenseitigkeit sich nicht auf Maje stätsbeleidigung erstreckt, das möchte ich schon an dieser Stelle heute hervorheben. — Das Gericht beschließt hierauf, die Zeugen Abel und Rautmann zu verteidigen, dagegen den Zeugen Stadtverordneten Theodor Glocke aus Berlin wegen Verdachts der Begünstigung der Angeklagten, zum mindesten des Ange klagten Patzel, nicht zu vereidigen. Es ist ein Telegramm des Polizeipräsidenten von Charlottenburg eingelaufen, in dem er die beiden für die Beschlagnahme der Pakete beim Gastwirt Weber in Frage kommenden Beamten der Charlottenburger Polizei benennt. Sodann telegraphiert der Polizeipräsident: „Die Genehmigung zur Aussage sowie zur Vorlage der Akten versage ich." Rechtsanwalt Liebknecht: Ich beantrage, von Amtswegen die gesetzlich zulässige Beschwerde gegen die Ver weigerung der Genehmigung einzureichen. Nach kurzer Be- ratung beschließt das Gericht, den Antrag, von Amtswegen Beschwerde einzureichen, abzulehnen, da daS Gericht die An- sicht des Verteidigers nicht teilt, daß die Bestimmungen des 8 52 Abs. 2 für die Versagung der Genehmigung nicht zutreffen. Die Verteidigung behält sich die Erklärung vor, ob sie auf Vorladung der beiden Zeugen dennoch bestehen bleibt. Nach einer Erklärung des Rechtsanwalts Liebknecht, für den Zeugen Glocke, daß dieser bei seiner ersten Vernehmung irrtümlich ge glaubt haben will, nicht als Zeuge, sondern als Angeschuldigter geladen zu sein und daß er deshalb die Aussage verweigert haben will, wird gegen 4 Uhr die weitere Verhandlung aus Montag früh vertagt. Kolitis«« Lagerrchau. * Leipzig, 18. Juli. Sozialdemokratischer Eiertanz. Tie „Sächsische Arbeiterztg." versteht sogar den Tod des früheren Präsidenten Krüger dazu zu be- nutzen, um ihren Gegnern eins auszuwischen. Von gro teskem Humor aber ist es, wie sie dabei zugleich der deut schen Regierung und dem Bürgertume — die bekanntlich in der Burenfrage in verschiedenen Lagern sich be fanden, — zu Leibe gehen. Der Regierung macht sie einen großen Vorwurf daraus, daß sie den Präsidenten bei seinem Besuche in Deutschland schlecht behandelt habe. Dies sei die bitterste Erfahrung gewesen, die Krüger je gemacht habe, und diese Behandlung des Präsidenten sei kein Ruhmesblatt der deutschen Politik. Aehnlicher Ansicht war bekanntlich auch ein großer Teil des deut- schen Bürgertums, der denn auch damals der Miß- billigung des Verfahrens der deutschen Regierung un- zweideutig Ausdruck verlieh. Nun sollte man meinen, daß, wenn das sozialdemokratische Organ das Verfahren der Regierung mißbilligt, es der damaligen Opposition des Bürgertums beistimmen müßte. Aber nein, es nennt die damalige Volksstimmung „großmäulig" und spricht von der „blöd-sentimentalen, durch keine klare politische Erwägung angekränkelte Bierbank-Burenschwärmerei des deutschen Philisters"; diese Schwärmerei sei mehr komisch als imponierend gewesen. Also die englandfreundliche Regierung hatte Unrecht und die burenfreundliche Volks- stimmung hatte Unrecht, nur die Sozialdemokratie hat Recht. Allerdings hat ja auch kaum eine andere Partei einen so wohlbegründeten Anspruch darauf, inFragen der auswärtigen Politik als maßgebend an gesehen zu werden, wie die deutsche Sozialdemokratie. Man erinnere sich nur, mit welchem Scharfsinn die sozial demokratische Presse während des ersten Teiles des Burenkrieges nachwies, daß das Milizsystem das einzig wahre sei, während die Buren, wenn sie dieses System nicht gehabt hätten, noch heute ein selbständiger Staat wären. Man erinnere sich ferner an die so klare und scharfsinnige sozialdemokratische Politik während der China-Wirren und jetzt wieder bei dem Herero-Aufstande und im ostasiatischen Kriege. Man erinnere sich endlich an den Galimathias, den Herr Bebel alljährlich über Feuilleton. Die Entgleisten. Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck verbalen. Es war Frau v. Torma schon in der zweiten Hälfte der Nacht eine gewisse Veränderung an Marischka aus gefallen, ein stiller, gedrückter Ausdruck, der zu ihrem son nigen Gesicht so gar nicht paßte. Und als sie sie jetzt auf merksamer betrachtete, sah sie jenen Glanz in den Augen, der von lauernden Tränen zeugt .... War die uner wartete Verlobung Terkas die Ursache dieser Nieder geschlagenheit? Wenn es auch kein Neid war, das lag ihrer guten Natur fern, so hatte es doch vielleicht ein ähnliches Sehnen und Wünschen in ihr wachgerufen? . . . WaS in ihr selber vorging, das Geheimnis ihrer Liebe sah sie in den beiden andern verkörpert, und diese standen Hand in Hand und dursten cs der ganzen Welt zeigen! ... Es war ein Gefühl, das ebenso natürlich wie berech tigt war. — „Marischka", sagte die Pflegemutter nach einem Nach denken und nahm ihre Hand, „du kannst mir ruhig sagen, was dich bekümmert." Aber das Kind konnte es nicht; es wurde blaß und rot, zitterte, und jetzt brachen die versteckten Tränen hervor. . . . „So will ich's dir sagen .... du liebst Bethlen La- vadi. .. nicht wahr, Marischka?" Und als das Mädchen wortlos nickte und nur die Tränen heißer flössen, fragte Frau v. Torma, mit einem Lächeln zwar, da sie es ja wußte: „Und glaubst du auch, daß er dich liebt?" Da sah Marischka auf, die einem glückseligen Leuchten, das das ganze Gesichtchen verklärte. „Er liebt mich solange wie ich ihn . . . seit wir uns kennen ... ich weiß es schon lange, Mutter, aber beim Tanzen hat er's niir gesagt, und mit solch lieben, guten Worten!... Aber er ist arm, meint er, und wagt nicht . . ." „Sag' ihm, Marischka, daß es mir lieb sei und er zu mir kommen möge." „Mutter!" schrie das Mädchen auf, „gute, einzige Mutter!" Und dann fiel es ihr lachend und weinend um den Hals. So war die Sache rascher zum Abschluß gekommen, wie es Frau v. Torma in ihren Gedanken bestimmt und vor dem Pfarrer geäußert hatte. Aber nach näherer Er wägung war es ihr recht so, schon der Leute wegen, dis durch ihre Mitwisserschaft eine Art Wächter- und Richter amt übernommen hatten, das ihr nicht passen konnte . . . Und doch war auch diese Rücksicht nur der zweite Grund, der erste war der Gedanke an Andreas. Je höher der Wall aufstieg, je mehr sich Umibersteig- licheS türmte, das sein Empfinden von seinem Gegenstand schied, desto mehr Aussicht auf Heilung . . . und je rascher dies geschah, desto besser für sein armes Herz ... XX. Gegen Abend dieses Tages begab sich Frau Charlotte nach dem Pfarrhause. Eine Stunde vorher war Bethlen im Schloß gewesen; es hatte eine ernste Unterredung mit ihm, dann in ihrer Gegenwart ein stillos Verlöbnis zwischen den zwei Glück lichen gegeben .... Diese Nachricht sollte der Kaplan jedoch nur von ihr, l der Mutter, erfahren .... sie durfte ihn nicht unvor Gegenwart anderer treffen ... nur sie und er und kein anderes Auge dabei! — Es traf sich gut; denn der Pfarrer war bei einer Ge meindesitzung, wie ihr die alte Wirtschafterin sagte, die sie an der Haustür mit einem Handkuß und vielen Bück lingen empfing; sie fügte dann noch hinzu: dec Herr Kaplan befinde sich in seiner Giebelstube oben, sie mühte aber die gnädige Frau aufmerksam machen, daß der arme Herr Andreas nicht wohl zu sein scheine, da er seit zwei Tagen schon gar so wenig esse. Sie stieg die schmale Treppe hinauf und klopfte leise an. Als keine Antwort erfolgte, öffnete sie die Tür und trat ein. Tas Zimmer war schon ganz von den Schatten des Abends erfüllt; nur durch die Fenster fiel ein hellerer Schein, und in einem davon zeichneten sich die Umrisse von Andreas' Gestalt ab; er saß regungslos, die Ellen bogen auf das Fensterbrett und den Kopf in die Hände ge stützt. . Eine Weile blieb sie bei der Tür stehen und sah auf ihn hin. „Andreas, schläfst du?" fragte sie dann. Das Klopfen und Oeffnen der Tür hatte er überhört, der Ton der Stimme ließ ihn emporfahren. „Mutter, du!" rief er verwirrt, „du kommst zu mir?" „Es ist doch nicht das erste Mal, Andreas?" meinte sie. Er machte Licht; seine Hände zitterten, al- er die Glaskuppel auf die Lampe setzte. Wußte sie etwas da- von? . . . hatte Marischka gesprochen und kam sie heute darum? .... Er sah wirklich sehr elend auSI „Wie kann man ihm nur helfen?" dachte die Pflege- mutter. Der Kaplan rückte ihr jetzt einen Stuhl an den Tisch heran. „Nimm Platz, Mutter!" Sie setzte sich- und dann trat Schweigen ein. Wie sollte sie es nur be ginnen? Es war überhaupt jetzt so schwer mit ihm zu sprechen . . . man mußte so vorsichtig sein ... „Die alte Frau unten sagte mir, du seiest nicht wohl. Was fehlt dir?" „Was fällt dem Weibe ein?" fuhr er fast auf. „Ich bin ganz gesund." „Ich habe dich zwei Tage nicht gesehen, und du siehst schlecht aus", versetzte sie ruhig und sehr sanft, „und da mußte ich's glauben." Er gab keine Antwort, aber sie merkte, wie ihm die Unruhe in die Augen stieg, jener ängstliche und zugleich gequälte Ausdruck, den sie gut kannte .... die Furcht vor einem Angriff auf irgend einen verborgenen Punkt seiner Seele .... „Andreas!" begann sie, aber wieder hielt sie inne. Es war doch zu schrecklich, ihm diese Mitteilung zn machen! .... Und sie sollte es tun, die bis jetzt jedes Leid von ihm ferngehalten?" — „Was willst du mir sagen, liebe Mutter?" fragte der junge Mann jetzt, da er die Unruhe in ihren: Gesicht ge wahrte; auch machte er sich plötzlich Vorwürfe, unfreund lich gewesen zu sein. Die Pflegemutter machte eine ge waltige Anstrengung; er durfte doch nicht ahnen, daß sie um sein Geheimnis wußte. „Ich habe dir eine Neuigkeit mitzuteilen", sagte sie so ruhig wie möglich. „Unsere Marischka hat sich beut' nachmittag mit Bethlen Lavadi verlobt. Die beiden lieben sich herzlich, das wirst du auch schon bemerkt haben, und da es so zu sagen ebenfalls be reits ein öffentliches Geheimnis ist, hab' ich es für richtig gefunden, schon jetzt Ja und Amen dazu zu sagen." Sie hatte etwas länger gesprochen, um ihm Zeit zu lassen, sich zu fassen. nassen Augen strahlten in! bereitet in
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