02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040803022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904080302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904080302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-03
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Tabellarischer und Zifsrrnsatz entsprechend hoher. — Gebühren für Nacluveiiungen und Ofsertenannahme 25 -H. Nnnahmeschlutz für Anzriqrn: Abend-Ausgabe: vormittags IO Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mrt Postbesörderung 70.—. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. V., R. L W. Klinkhardt). Nr. 392. Mittwoch den 3. August 1904. 98. Jahrgang. Var lvicdtigrte vom Lage. * Zu den Gerüchten über Verhandlungen innerhalb politischer Parteien wegen -etwaiger Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie erklärt die „Natlib. Korresp., die nationalliberale Partei lehne solche Gesetze nach wie vor ab. (S. Polit. Tgssch.) * Der als verschollen gemeldete Kieler Dampfer „Thea" ist am 23. Juli mit einer für Japan bestimmten Ladung Fische von dem russischen Wladiwostoker Ge schwader betroffen und versenkt worden. (S. russ.- I«p. Krieg.) * Statthalter Alexejew hat sich über Chardin nach Wladiwostok begeben. Vie englische» veeresreformen. Ein auswärtiger militärischer Berichterstatter schreibt uns: Die Reorganisation der englischen Armee, die seit dem Burcnkricg alle Kreise des Dreiinselreiches fortgesetzt aufs lebhafteste beschäftigt, ist noch immer zu keinem Abschluß gelangt. Vielmehr ist sie, seit Arnold Forster das dor nenvolle Amt eines Kriegsministcrs übernommen hat, wieder in ein neues Stadium getreten. Will man zu einem richtigen Urteil gelangen, so muß man daran festhalten, daß trotz aller früheren und jetzigen Rcformbestrebungen die englische Landarinee nach wie vor aus drei völlig von einander geschiedenen Gruppen besteht und sich in das stehende Heer, die Miliz und in Freiwillige teilt. Ter große Uebelstand dieser. Dreiteilung, der vor- nchmlich darin besteht, daß gesetzmäßig das stehende Heer nur zur kriegsmäßigen Verwendung außerhalb des Mutterlandes verfügbar ist, während Miliz und Frei- willige nur zur Verteidigung der engeren Heimat dienen sollen, hat schon in früheren Kriegen zu großen Unzuträg- lichkciten geführt und machte sich im Burenkriege ganz be- sonders nachteilig geltend. Aber wenn sich auch schon damals gewichtige Stimmen dafür erhoben, daß mit der Axt an das Grundübcl heran, getreten werde und daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht als die wirksamste Lösung anzusehen sei, so mußte dieser Gedanke doch bald wieder fallen gelassen wer- den, da er in der großen Masse des Volkes durchaus keinen Beifall fand. Auch der Vorschlag, ein großes einheitliches Heer zu schaffen und die Linie mit der Miliz zu verschmcl- zcn und nur die Freiwilligen als eine Art Reservctruppcn bcizubchaltcn, stieß auf zu große Schwierigkeiten, als daß es hätte verwirklicht werden können. Dagegen fand der Plan des damaligen Kricgsministers Brodrick, nach dem Vorbilde der deutschen Armee sechs Armeekorps zu for mieren und dadurch das gesamte Heerwesen allmählich auf eine höhere Stufe militärischen Wertes zu bringen, die Zustimmung der Parlamente, so daß alsbald mit der Aufstellung dieser Formationen begonnen werden konnte. Aber schon nachdem kaum zwei von den sechs projektierten Korps ihre Organisation beendet hatten, zeigte es sich, daß das Werbesystem nicht ausreiche, um das Menschen- niatcrial für die noch fehlenden vier Armeekorps aufzu bringen. Und da sich trotz aller Bemühungen die Aussichten nicht besserten, blieb nichts an deres iibrig, als die Ausführung der Brodrick- schen Projekte, denen ein guter Kern nicht fehlte, fallen zu lassen. Der Kriegsminister selbst zog die Konse quenzen dieses Mißerfolges und trat von seinem Amte zurück. Seine Stelle übernahm Herr Arnold Forster, der seine Tätigkeit damit begann, sich eine Art militärischen Beirats zu schaffen. Aufgabe dieses „War Council Office" ist es, alle auf die Armee bezüglichen Fragen einer gründ- lichen Prüfung zu unterziehen und danach mit Vor schlägen hcrvorzutreten, deren Verwirklichung im Be reiche der Möglichkeit läge, und die daher die Zustim mung der Regierung, wie der Volksvertretung finden könnten. Als Ergebnis dieser Tätigkeit und als vollendete Neuerungen von Wichtigkeit sind bis heute die Ab- schaff ung der Stelle des Höch st komman dierenden des Heeres, die Einrichtung eines „Army Council" und eines „Defence Coun cil", sowie die Ernennung eines Generalinspek tors der Armee in der Person des Herzogs von Connaught anzusehen. Tas weitaus wichtigste dieser Aemter ist das „Army Council", das sich in vier Departe ments teilt, an deren Spitze der Chef des Generalstabes für alle Mobilmachungsarbeiten usw., ein Generaladju- taut für die Rekrutierung, ein Generalquartiermeister für alle administrativen Angelegenheiten und ein Feldzeug, meister für das Geschützwesen stehen. Was den „Defence Council" anbelangt, so obliegen ihm die Pflichten eines Landesverteidigungs-Ausschusses, und der Generalinspek tor soll nach näheren Anordnungen des Kriegsmini- sterinms Truppenbesichtigungen abhalten, wodurch seiner Selbständigkeit ziemlich enge Grenzen gesteckt sind. Als ein weiterer Schritt auf dem Wege der begonnenen Re formen hat endlich auch noch das endgültige Aufgeben der Brodrickfchen Armeekorps-Organisationen zu gelten. Nur ein einziges Korps ist beibehalten worden, mit der aus- schließlichen Bestimmung, sederzeit zur Verwendung außerhalb des Mutterlandes bereit zu sein. Alle übrigen Vorschläge der Esher-Kommission sind noch in der Schwebe. Insbesondere gilt dies von der beabsichtigten Teilung des Landes in neunzehn Brigade bezirke zur Erleichterung der Rekrutierung, in acht Be zirke zu Vcrwaltungszwecken und in fünf Kommandos für die Friedcnsausbildnng des Heeres und die Befehls führung im Kriege. Es scheint, als ob der Regierung in letzter Stunde Bedenken und Zweifel an der Möglichkeit der Durchführung dieser Prosekte entstanden waren, nnd auch sonst hat man den Eindruck, als ob namentlich der zunehmende Rekrutenmangel die Weiterarbeit des mini steriellen Beirates empfindlich verzögerte und die Vorlage neuer Entwürfe sehr erschwerte. ver HuMsiul Ser lserers. Samuel Maharer». Samuel Maharero hat nach Aussagen von Ge- fangenen und Ueberläufern bei Ongansira und Ovnnnvo im ganzen acht seiner eigenen Leute, die sich weigerten^ von neuem zum Sturme vorzugehen, erschossen. -ver Onganjira erschoß er sogar gegen Abend einen Grotz- mannssohn, der ihm erklärte, er gmge letzt nut ferner Ab teilung zurück. Diese Sckrärfe hätte hierzulande memanb diesem Trunkenbolde zugetraut. In der zweiten Halste des Aprils trennten sich, nach der „H. Ztg/ , die Herero: Samuel, Tetso, Michael und Zacharias gingen mit ihrem Anhang direkt nach Norden mit dem Marschziel Water- berg: Traugott (Tetjos Sohn) und Kajata (militärisch der begabteste Herero, Inhaber des deutschen Militar- ehrenzeichens 2. Klasse vom Feldzug 1896, 60 Jahre alt) zogen nach Osten: Marschziel: Britisch-Betschuana- Icmd. Als letztere schon mit der englischen Grenzpolizei wegen Uebertrittes verhandelten, kam ein Brief von Samuel: sie sollten schleunig zurückkommen, da aus dem Ovamboland drei Wagen, befrachtet mit Gewehren und Munition, angekommen seien: „sie könnten also wieder Krieg machen". Tatsächlich kehrten daraufhin, etwa um den 10. Mai, Traugott und Kajata um und treckten nach dem Waterberg. Nach der Aussage eines kürzlich über gelaufenen Herero soll jedoch die Sache mit den Muni tionswagen eine Finte Samuels gewesen sein, um die beiden Großleute mit ihrem starken Anhänge wieder heranzuziehen. Der letzterwähnte Ueberläufer sagte jedoch ferner aus, daß es dem Feinde nicht an 1888er Munition — er hat etwa 200 1888er Gewehre mit entsprechender Munition durch den Ueberfall der Stationen, vurch Ab schießen von Streifwachen usw. in Besitz — und Patronen zu Henry Martini-Gewehren mangle: ein großer Teil der Kriegsleute hätte außer der Gurtmunition noch die Taschen voll Patronen. Ordeirrltfte. Das „Militär-Wochenblatt" veröffentlicht die vom Kaiser an Offiziere und Mannschaften der Kaiserlichen Schutztruppe für tapferes Verhalten im Herero-Aufstande verliehenen Auszeich- nungen. Hauptmann F r a n k e , der sich so oft rühm lich hervorgetan hat, wurde durch den Roten Adler-Orden 3. Klasse mit Schwertern und der Königlichen Krone aus gezeichnet. Ferner erhielten den Roten Adler-Orden 4. Klasse mit Schwertern der Hauptmann und Kompag- niechef v. Koppy, der Hauptmann der Reserve von Burgsdorfs, der Leutnant a. D. v. d. Äussche - Ippenburg gen. v. Kessel und der Stabsarzt vr. Kuhn, den Roten Adler-Orden 4. Klasse am schwarz weißen Bande der Stabsarzt vr. Hummel, den Kronen-Orden 4. Klasse mit Schwertern die Oberleut nants Böttl in, v. Zülow, v. Nathusius, die Leutnants Leutwein, Alexander Merensky, Voigts und Hauber und der Kriegsfreiwillige Goergens, Vorstand des Vermessungsamtes in Windhuk. An Mannschaften wurden 6 Militärehren- zcichen 1. Klasse und 66 Militärehrenzeichen 2. Klasse verliehen. Die für Eingeborene neugestiftete Kriegerver dienstmedaille haben erhalten Hendrik Witboi und der Unterkapitän Samuel Isaak die erste Klasse in Gold und der Vormann Max Katuokombanda die zweite Klasse in Silber. Im ganzen sind also 89 Orden und Ehrenzeichen zur Verteilung gekommen. ver rurrirch-tapakirche Hü eg. Arrroxatkin» Stellring erschüttert? Der Petersburger Korrespondent des „Daily Tele graph" telegraphiert, wie die Wiener „Zeit" berichtet, seinem Blatte, daß ihm versichert worden sei, daß es Kurv- patkins Gegnern gelungen wäre, das Vertrauen in den Oberkommandierenden zu untergraben und die Ansicht zu erwecken, daß seinen strategischen Fehlern die Miß erfolge zuzuschreiben seien. Zu dieser Ansicht habe man sich besonders dadurch bestimmen lassen, daß es Kuropat- kin trotz des Eintreffens der von ihm als notwendig be- zeichneten Verstärkungen unmöglich war, eine Wendung zum Besseren herbeizuführen. Der Korrespondent sagt, daß die Feinde des Generals behaupten, dieser habe über haupt keinen Plan und scheine sich mit den Heldentaten der Soldaten zufrieden zu geben. Es soll hauptsächlich die zwar indirekte, aber beißende Kritik des Generals Drago- mirow gewesen sein, die den Glauben an Kuropatkin un tergrub. Dragomirow brachte eine Lobpreisung des japa nischen Generals Kuroki, und wenn er auch in einen, Artikel vom 26. v. Mts. versichert, daß er damit General Kuropatkin nicht habe tadeln wollen, fo ist doch die Lob preisung des japanischen Generals allgemein so aufgefaßt worden. Die „höchste Zentralbehörde" soll sich mit dem Gedanken tragen, die Kriegführung in andere Hände zu legen. Man spricht von Admiral Alexejew und findet es bemerkenswert, daß General Kuropatkin dem Admiral einen Besuch abstattet. Die allgemeine Ansicht gebt dahin, daß das Ende der Negenperiode gleichzeitig das Ende des Oberkommandos sein wird. Der Wechsel im Kommando dürfte jedoch in solcher Weise stattfinden, daß das persön- liche Ehrgefühl der Beteiligten möglichst geschont wird. Man spricht von der Ernennung des Generals Sukotin, -er mit General Kuropatkin zusammen unter der Kon trolle und Verantwortlichkeit des Vizekönigs die Truppen im Felde zu führen haben würde. Va» Wladiwostok-Geschwader. Ein Telegramm des Admirals Skrydlow an den Kaiser meldet: Der von mir mit dem Kreuzcrgeschwader, bestehend aus der „Rossija", dem „Gromobo," und „Njurik", an die Ostküste Japans ausgeschickte Konter admiral berichtet: Das Geschwader traf bei seiner Aus- fahrt aus der Meerenge von Saugar in den Ozean am 20. Juli auf einen kleinen japanischen Tampser „Okasima Maru". Nachdem die Besatzung das Schiff verlassen hatte, wurde dieses versenkt. Die Besatzung fuhr auf Booten ans Ufer. Gleichzeitig wurde der englische Dampfer „Kamara" angehalten und einem Verhör unter worfen. Ter Dampfer führte Kohlen nach Mororan. Obgleich Grund zu der Annahme vorhanden war, daß das Schiff sich mit der Beförderung von Kriegskontrebande beschäftigt, wurden wir doch durch das Fehlen direkter In- dizien bestimmt, es freizugeben. Bald darauf stieß das Geschwader auf den japanischen Küstendampfer „Kioduniu Maru" mit 50 Passagieren, zum größten Teil Frauen. Dieser Umstand bestimmte uns, den Dampfer freizugeben. Auf der Weiterfahrt nach Süden trafen wir nacheinander zwei japanische Dschunken, beide mit Fischen und Salz beladen. Die Dschunken wurden nach Uebcrnahme der Mannschaft versenkt. Am 22. Juli wurde 100 Meilen von Yokohama der deutsche Dampfer „Arabia" angehal ten, der eine bedeutende Ladung Kriegskontrebande führte. Die Kontrebande bestand in Eisenbahnmaterial und Mehl, das für japanische Häfen bestimmt war. Die Feuilleton. Der Fall Delotti. Roman von Waldemar Urban. Nachdruck verboten. Still und aufmerksam fuhr der Advokat in seiner sonderbaren Arbeit fort. Was suchte er nun eigentlich? Er war ein erfahrener und kluger Mann und wußte, daß an solchen Börsenpapieren, die manchmal so tief und ein schneidend in das Schicksal des Menschen eingreifen, ja, in denen nicht gar selten Tod und Leben hängt, gewisse Merkmale hängen bleiben. Wenn sie von Hand zu Hand gehen, im öffentlichen Verkehr — wie mögen sie manch mal mit Wohlgefallen, ja mit Liebe betrachtet werden, wenn ihr Wert steigt und wenn dadurch ihr Käufer als ein schlauer, findiger Mann erscheint. Wie mögen sie aber auch manchmal wütend zerknittert, wild in irgend eine Ecke geworfen, verflucht und verdammt werden, wenn sie fallen. Die Menschen sind einmal so und lassen ihren Aerger oder ihre Freude in kindischer Weise an un- tchnldigcn toten Papierfetzen aus, statt mit sich selbst, als die erste Ursache zu beiden, zu Rate zu gehen. Und hier an diesen stummen Zeugen von Verlust und Kummer, Not und Sorge, Verbrechen und Mord sollte nichts zu sehen fein? Alles das sollte spurlos an dem empfindlichen Papier vorübergegangen sein? Herr Leseune konnte das nicht glauben. Er wollte wissen, wo- her diese Papiere stammten, was Herr Belotti dafür be- zahlt hatte und warum kein Abschlußschein dabei lag. Auch aus den Büchern ließ sich darüber nichts feststellen, und das war es eben, was zuerst den Verdacht des Herrn Lejeunc rege gemacht. Wenn der Ankauf reell vor sich gegangen war, mußte er sim Nachweisen lassen. War das nicht der Fall, so war der Verdacht begründet, daß es auch mit dem reellen Er werb nicht weit her war, und die Aktien vielleicht nur dazu da waren, um irre zu führen. Dazu war aber Herr Lejeune nicht der Mann. Plötzlich hielt der Advokat in seiner Arbeit inne und blieb minutenlang über eine der Aktien gebeugt, die auf dem zweiten Blatt einen Riß gehabt hatte. Vielleicht hatte eine zornige Hand im ersten Aerger über das Papier den Riß verursacht, oder er war durch einen Zufall ent- standen, dann aber war -er Riß mit einem jener gum mierten Streifen wieder überklebt worden, wie man sie zu solchen Zwecken von den Briefmarkenbogen abtrennt, deren Ränder ja ebenfalls gummiert sind. Und dieser Streifen trug zufälligerweise in grüner Farbe aufge druckt den Postvermerk: Nr. 587. Oinq krunos ü oing Centimes. I. V. 98. Tas sollte also heißen, daß der Bogen, von dem der Rand abgetrennt worden war, 100 Briefmarken » 5 Centimes enthalten und am 1. Mai 1898 ausgegeben war. Zu dieser Zeit waren aber die Panama- Aktien schon völlig entwertet. Daraus wieder folgte, daß Herr Belotti entweder den Streifen selbst aufge klebt oder die Aktie — vielleicht mit allen übrigen, nach der Entwertung gekauft hatte, natürlich zu dem Zwecke, den Abgang von großen Summen oder großen Werten ans seinem Geschäft zu verschleiern und den Anschein zu erwecken, daß er sein Geld verspekuliert habe. „Sachte, Herr Belotti, mir sachte", murmelte Herr Lejeune, „ich komme schon mit", und schnitt sorgfältig den verräterischen Rand des Briefmarkenbogens mit einer Schere aus der Aktie heraus. Da zufällig auch die Nummer des Bogens erhalten war, so hoffte Herr Lejeune auf der Hauptpost leicht feststellen zu können, wohin der Bogen verkauft oder doch wo er ausqegeben worden war. Tann schloß er die ganze ihm übergebene „Masse" in seinen Schrank und ging aus, um ohne Ver zug seine Feststellungen auf der Post zu versuchen. In demselben Augenblick als der Advokat sein Haus verlassen wollte, klammerte sich ein sehr freundlicher Herr an ihn, den er nur ganz flüchtig als Reporter des „Petit Marseillais", einer kleinen Tageszeitung, kannte. Der freundliche Herr war der Ansicht, daß Maltre Lejeune über den Stand der Belottischen Konkurssache genau in formiert sein müsse, daß die ganze Sache von höchster Aktualität sei und ihm sein Journal einen langen Artikel darüber gut bezahlen würde. Dann zog er — immer während sie schon auf der Straße gingen — den Bleistift und Konzeptpapier aus der Tasche und sah den Maitre Lejeune mit einem wahren Attentäterblick an, als wolle er sagen: „Jetzt aber los oder Sie sind eine Leiche!" Herr Lejeune sagte ihm, was er für gut fand und der freundliche Herr machte sich, immer neben ihm hergehend, seine Notizen, wobei er sich lebhaft, wie er war, durch allerlei Ausrufe unterbrach. „Gut, gut, sehr gut, Opfer des Panamaschwindels — ausgezeichnet. Wieviel? Gegen dreihundert Aktien? Schön, sehr schön. Sagen wir gegen vierhundert. Es kommt nicht darauf an und nimmt sich voller aus. Und die Gläubiger bekommen natürlich nichts. Wie? Oder wenig, famos. Sagen wir also: so gut wie nichts. Das ist ja ein wahres Fressen für das Publikum. Meinen Respekt, mein teurer Herr Lejeune, und meine Empfeh lung an die werte Familie. Zu Gegendiensten selbstver ständlich gern bereit. Adieu!" Damit schoß er wieder davon, seelenvergnügt, vielleicht im Innern schon ausrechnend, wie viel Zeilen wohl sein Artikel umfassen und wie-viel Honorar er dafür bekommen würde. „Des Einen Unglück ist des Andern Glück", dachte Herr Lejeune und ging weiter. Als er am nächsten Morgen auf der Eisenbahn saß und sich zufolge der auf der Post erhaltenen Infor- mationen nach Toulon begab, kaufte er den „Petit Mar- seillms", um sich daraus zu unterichten, wie es eigentlich mit der.Konkurssache Belotti stand. Er erfuhr, während er den Artikel mit einem eigentümlichen Schmunzeln las, daß die Sache sehr schlecht stehe, daß die Gläubiger so gilt wie nichts erhalten würden und daß Herr Belotti wie Tausende anderer ein Opfer des Panamaschwindels sei, jenes Riesenschwindels, der die Schmach Frankreichs sei, das Unglück seiner Bürger, der Schandfleck Euro pas usw. usw. In Toulon angekommen, ging Maitre Lejeune sofort wieder nach dem Hauptpostamt und ließ sich hier mit einer wahren Engelsgeduld von den Beamten hin- und her schicken, treppauf, treppab, hinter und vor, rechts und links. Das dauerte eine ziemlich lange Weile: alte, ver staubte Register wurden nachgeschlagen, Bordereau aus gekramt und endlich wurde ein alter Beamter herbeige rufen und gefragt, ob er den kleinen, lahmen Austräger mit dem unförmlichen Kürbiskopf kenne, der immer Samstags nach der Post komme und Postwertzeichen hole. „Ars-nc Hip", antwortete der Beamte sofort. „Er ist kein Austräger, Herr Sekretär, er ist Comptoirist bei Arssne Hip in der Rue du Marchs. Wie er heißt, weiß ich nicht." „Arssne Hin, Arssne Hip", sagte der Sekretär dann mehrere Male, „das ist er. Arssne Hip, das muß er sein, Herr Rechtsanwalt." „Wer ist Arssne Hip? Hat er ein Geschäft oder etwas dergleichen?" fragte Herr Lejeune. „Etwas dergleichen jedenfalls, Herr Rechtsanwalt. Ein Geschäft möchte ich es nicht nennen, aber etwas der gleichen. Unter uns gesagt, Arssne Hip ist der größte Halsabschneider in ganz Toulon. Wie gesagt, ein Ge- schüft möchte ich sein Geschäft nicht nennen, wenigstens kein ehrliches. Aber etwas dergleichen, wie Sie sehr treffend sagten, Herr Rechtsanwalt." Herr Lejeune bedankte sich für die erhaltenen Aus künfte und ging wieder fort nach der Rue du Marchs. Obgleich er in Toulon wenig Bescheid wußte, so fand er diese Straße ziemlich leicht ans. Es hat immer sein Gutes, wenn eine Straße einen passenden Namen lrat. zufolge dessen auch ein Fremder sowrt weiß, wo er sic zu suchen hat. Aber leider hat man das in vielen Ortschaften, be sonders kleineren, noch nicht erfaßt. Als Herr Lejeune die Rue du Marchs hinunterging —
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