02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040715025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904071502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904071502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-15
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Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Pelitzeile 25 Reklame» unter dem RedaktiouSslrich (4 gespalten) 75 -4, nach den sKmiliennach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 -4- Extra-Beilagen (gefalzt), nnr mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbrfördrrung ^tl 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Annahmeschlutz fur Anzeigen r Abeud-AuSgabe: vormittag- 10 Uhr. Marge ».Ausgabe: aachmtttag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» au die Expedition zu richten. Die Lrprdition ist wocheurag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Botz in Leipzig (Inh. vr. v^ R. L W. LttllkhardK 88. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Die Königin-Witwe Carola von Sachsen verläßt heute Schloß Rehefeld und be gibt sich nach Teplitz. (S. Sachsen.) * Von der Uebernahme des Protektorats über deutsche Staatsangehörige in Ma rokko durch F r a n k r e i ch ist an zuständiger Stelle in Berlin nichts bekannt. (S. Polit. Tagessch.) * Man erwartet den Abschluß der deutsch rumänischen Handelsvertragsverhand- lun g e n in den nächsten Tagen. (S. Polit. Tagessch.) * Vom 1. Januar ab soll eine vereinfachte Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung im Deutschen Reiche cinge- sührt werden. (S. Dsch. Reich.) * Das englische Oberhaus nahm die dritte Lesung des Gesetzentwurfs an, nach dem auslän dische Silberwaren mit einem deutlichen Kenn zeichen versehen sein müssen. * Die liberalen Unionisten hielten am Donnerstag abend in der A l b e rth aIl (London) eine große Volks- Versammlung ab, in der Chamberlain als Haupt redner auftrat. (S. Ausland.) * Aus Tanger wird gemeldet, die Stimmung der Marokkaner gegen die dortigen französischen Zollbeamten sei äußerst erbittert. (S. Ausland.) * Brasilien und Peru schlossen ein lieberem- kommen, durch welches das strittige Grenz gebiet bis zu einer schiedsgerichtlichen Regelung für neutral erklärt wurde. (S. Ausland.) * Tie Meldung von ungeheuren Verlusten der Ja paner beim Kampfe um Port Arthur wird von russischer Seite wiederholt. Vie trostlose Lage in Makedonien. Aus Saloniki wird unS unterm 10. Juli geschrieben: Die aus allen Teilen der Provinz hier eingehenden Meldungen lauten derart, daß selbst der größte Optimist an eine Lösung der Wirren auf dem bisherigen Wege verzweifeln muß. Die Zahl der bewaff ¬ neten Banden festzustellen, welche augenblicklich in Make donien ihr Wesen treiben, ist kaum noch möglich. Von Bulgarien treffen fast täglich neue Trupps in Stärke von 6—20 Mann auf makedonischem Boden ein, da die Be wachung der Grenze auf beiden Seiten eine ganz unzureichende ist. Außerdem gibt es bewaffnete Banden türkischer, albane- sischer, kntzowlachischer und serbischer Nationalität. Die letzteren sind jedoch hinsichtlich ihrer Zahl und ihrer Gemeingefährlichkeit noch keineswegs mit der bulgarischen Propaganda zu ver gleichen. Die Komitatschi haben auch die vorjährige Dynamit taktik wieder im größten Maßstabe ausgenommen. Jedes Korps führt Sprengstoffe mit sich, in deren Verwendung die einzelnen Mitglieder planmäßig ausgebildet werden. Außer den letzten Dynamitanschlägen gegen die Eisenbahn liegen aus einer Woche drei Gewalttaten des Bandenführer Lukas aus dem Kreise! Vodena vor, bei denen daS Dynamit die Hauptrolle spielte. I LukaS, der sich den Titel eines Wojwoden beigelegt hat, zer-! störte innerhalb fünf Tagen die Besitzungen der drei größten muhamedanischen Grundbesitzer des Kreises, und zwar ließ er das eine Herrschastshaus nach erfolgter Ausplünderung durch Dynamit zerstören, während er die beiden anderen, die von der Dienerschaft ver teidigt wurden, durch geschleuderte Bomben in die Luft sprengen ließ. Alle Vorräte, welche die Revolutionäre nicht sortschleppen konnten, wurden vernichtet oder verbrannt. Der Mutessarif von Vodena ist wegen dieser Vorgänge sofort abgesetzt worden, und jetzt durchziehen mehrere Hundert Soldaten den Bezirk; aber die Komitatschi sind längst verschwunden. Immerhin kommen derartige Angriffe gegen die großen muhammedanischen Güter (deren Be sitzer sämtlich in den Städten wohnen) selten vor, während sich die Hauptangriffe der Bulgaren nach wie vor gegen die Griechen rickten. In der letzten Woche wurden allein im Landkreise Saloniki, in einer Entfernung bis zu sechs Wege stunden von der Provinzialhauptstadt auS vierzehn Morde an Griechen verübt, wobei 7 Männer, 3 Frauen und 4 Kinder den Revolutionären zum Opfer fielen. Zu diesen traurigen Zuständen kamen in den jüngsten Tagen die Ausschreitungen und Gehorsamsverweige rungen der türkischen Truppen infolge der Nicht zahlung des Soldes. Hierbei ist zu beachten, daß die Truppen die Meinung gefaßt haben, ihre eigene Notlage sei durch die Geldbedürsnisse für die makedonischen Reformen verschuldet. Es wird sogar von mohamedanischer Seite die Erklärung verbreitet, die Mächte hätten den Sultan gezwungen, den fremden Ossizieren und Zivilbeigeordneten so hohe Gehälter zu bezahlen, daß er den türkischen Soldaten keinen Sold mehr zahlen könne. Von diesem Gesichtspunkte aus erscheinen diese Fälle der Gehorsamsverweigerung als sehr bedenklich. ver russisch-japanische Weg. General Sfacharow meldet: Am 13. Juli gingen die Japaner auf der Linie Ssiujan — Taschitschiao zum Angriff vor. Um 9 Uhr morgens eröffnete eine feindliche Batterie, die den Paß bei Mngasu beseht hielt, 15 Werst südöstlich von Tantschi das Feuer. Um die Mittagszeit rückten die Japaner nach Weitzaju vor. Um 1 Uhr Mittags nahm eine japanische Kompagnie Kafchigou ein. Gleichzeitig eröffnete der Feind südöstlich von Taunzai ein Gewehr feuer auf eine russische Feldwache. Russische Streifwachen stellten fest, daß in dieser Richtung zwei japanische In- fanterieregimenter, zwei Batterien und zwei bis drei Eskadronen tätig sind. Ein Regiment steht mit einer Batterie bei Huantunlin. Vorpostenabteilungen des selben befinden sich bei Taunzai. Das andere Regiment und eine Batterie halten das Gebiet von Kafchigou bis Weitzaju besetzt. Abteilungen seiner Vorhut stehen in Mamugai. Drei Kosaken, die am frühen Morgen des 12. Juli über den Paß nach Mugaja hin vordrangen, be merkten Geschützschanzen, eine Gebirgsbatterie und elf Kompagnien Infanterie, sowie Kavallerieabteilungen. Nach O st e n v o n T a n t s ch i ausgesandte Streifwachen stießen auf zwei feindliche Kompagnien, ein Kosak wurde verwundet. Bei Kaodiatun zwölf Werst südlich von Tant schi sahen Streifwachen ebenfalls zwei japanische Kompag nien. Bei Zaotziatun hatte eine japanische Kompagnie ein Scharmützel nut einer Freiwilligenabteilung und einer Sotnie. Die Japaner gruppieren sich 18 Werst südlich von Tantschi. — Durch eine in der Nacht auf den 12. Juli von einer russischen Abteilung ausgeführte verstärkte Streife in der Richtung auf den Dalinpaß wurde fest gestellt, daß der Gegner die Stellung bei Siagnschan stark besetzt hat und daß eine recht bedeutende Abteilung bei Suntodsi zusammengezogen worden ist. Eine Aufklä rungsabteilung verlor im Süden von Siaoguschau bei einem Scharmützel mit einer japanischen Kompagnie einen Schüben. Drei Mann wurden verwundet. Eine in der Umgebung von Singou ansgefllhrte Streife hat bestätigt, daß eine ziemlich bedeutende feindliche Abteilung von Siahotan nach Mngasu vorrückt. Nach deu überein stimmenden Aussagen fast aller Abteilungen tragen die Japaner bei Streifzügen chinesische Kleidung oder setzen chinesische Strohbüte auf. Im Osten von Liaujang herrscht Ruhe. Eine japanische Vorpostenabteilung hat das Dorf Tantai 30 Werst südlich von Thawuan (50 Werst südöstlich von Liaujang) besetzt. Am Morgen des 13. Juli fand bei Lidiapudsa etwa fünf Werst von Tha- wuan zwischen einer russischen Feldwache und einer ja- panischen Aufklärungsabteilung ein Scharmützel statt. Tie Russen hatten keine Verluste. Die Japaner verloren an Toten und Verwundeten etwa 10 Mann, darunter einen Offizier, und ein Mann wurde gefangen genommen. Die Schüben bemächtigten sich der Waffen und der Muni tion der Japaner. — Die im Norden von Saimatsi be findlichen Abteilungen des Gegners zogen sich von Siat- schan und Siuospra zurück und besetzten am 12. Juli den Fenschuilin- und Sigoulinvaß, beide etwa 20 Werst nordöstlich und nördlich von Saimatsi. Um D-srt Arthur. Neulich wurde von russischer Seite gemeldet, bei Port Arthur habe ein gewaltiger Kampf stattgefunden. Den Japanern wurde ein ungeheurer Verlust nachgesagt. 30 000 Mann sollten sie durch Minen verloren haben. Auf einen genaueren Bericht wartet man bis jetzt vergeblich, denn die folgende Depesche kann man als solchen nicht ansehen: Petersburg, 15. Juli. Ueber den Sturm auf Port Arthur am 10. uud II. Juli liegen noch keine Einzelheiten vor; nur weiß die „Nowoje Wremja" aus Liaujang zu berichten, daß der Sturm glänzend zurückgeschlagen ist. General Fock verfolgte den Feind bis Nonalin. Tie Verluste der Japaner sind ungeheuer. Die Russen verloren gegen 1000 Mann. Japaner «nd Aoreaner. Nach einer Pariser Privatmeldung aus Söul hißten die Japaner die Flagge in Tschemulpo trotz des Widerspruchs der Koreaner. Zwischen dem japa nischen Gesandten und der koreanischen Regierung kam es zu Streitigkeiten wegen der Ausbeutung der Flüsse und Wälder der herrenlosen Landstriche. Die Ein geborenen wehren sich gegen die Besitzergreifung durch die Japaner erfolglos. Die Arbeiten zur Hebung des im Hafen von Tschemulpo gesunkenen russischen Kreuzers „Warjak" und des Handässchiffes „Sungarr" sind in der letzten Zeit erfolgreich vorgeschritten. politische Lagerrchau. * Leipzig, 15. Juli. Zu den Zollverhandlungen in Norderney wird uns von unserem O. S.-Korrespondenten aus Norderney, 14. Juli, geschrieben: Jeden Tag hat der Reichskanzler ausgedehnte Konferenzen mit dem Präsidenten des russischen Ministerkomitees von Witte. Auch mit dem Staatssekretär von Posadowsky., der den gestrigen Abend dein, Reichskanzler in Villa Wehdel zu brachte, hat Graf Bülow eingehende Spezialkonferenzen. Die russischen Delegierten haben den gestrigen Tag un ausgesetzt gearbeitet und es verlautet, daß die Arbeiten sehr gutfortschreiten. Im GroßenundGan- zen soll über die Hauptpunkte eine Ei ni- gung erzielt sein. Zur Aushülfe sind noch mehrere Vortragende Räte und Hülfsarbeiter aus dem Aus- wärtigen Amt herangezogen, so der Vizekonsul Edler von Stockhammer, Hülfsarbeiter im Auswärtigen Amt. Ter Chef der Reichskanzlei, Wirkliche Geh. Oberregie rungsrat Conrad ist ebenfalls hier eingetroffen, auch der Direktor Paul von Körner ist nun seit gestern hier. Wie uns gemeldet wird, gedenkt der Reichskanzler bis Mitte September hier zu bleiben. Vom deutsch-rumänischen Handelsvertrag. Von unserm 8.-Korrespondenten wird uns aus B u - karest, 12. Juli geschrieben: Wie verlautet, sollen die Verhandlungen über den deutsch-rumänischen Handelsvertrag soweit gediehen sein, daß der Schluß derselben in 8—10 Tagen erwartet wird. Die Kommission arbeitet im buchstäblichsten Sinne im Schweiße ihres Angesichts, denn die wahrhaft tropische Hitze, die uns seit drei Wochen heimsuchte und uns bis zu 39 Grad Celsius im Schatten brachte, verhindert den be sonnensten Mann, sich einen „kühlen Kops" zu bewahren. Deutsch-französische Verhandlungen über den Schutz der Deutschen in Marokko? Von wohlunterrichteter Berliner Seite wird uns ge schrieben: Der „Figa r o" gibt die Meldung eines Ber liner Blattes wieder, der zufolge zwischen Deutsch, land und Frankreich Verhandlungen darüber schweben sollen, ob Frankreich den Schutz der in Marokko lebenden Deutschen übernehmen wolle. Das genannte Pariser Blatt fügt der Wieder gabe dieser Nachricht hinzu: Derartige Verhandlungen würden für die Ausdehnung des französischen Einflusses in Marokko von verheißungsvoller Bedeutung sein. Wie wir erfahren, ist an zuständiger Stelle von den erwähn ten Verhandlungen absolut nichts be- kannt. Damit erledigen sich auch die Folgerungen, die der „Figaro" im Anschluß an jene unzutreffende Nachricht gezogen hat. Süddeutsche Wahlrechtsbewegung. Die bayerischen Wahlrechtskämpfe haben insofern das vorauszusehende Ende gefunden, als das Zentrum seine Unterstützung für den liberalen An- trag zur Einführung des Proportionalsystems ver- sagte ^md so abermals ein Reformwerk scheitern ließ. — Die Sozialdemokratie trieb bei dieser Gelegenheit ein Feuilleton. Die Entgleisten. Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck vrrbolen. Wenn sich der geistliche Herr auch eingehender mit Andreas beschäftigte, so zu sagen die alte Lehrtätigkeit ihm gegenüber wieder aufnahm, indem er die heiligen Schriften, dann die Kirchenväter mit ihm nochmals durch studierte, sich in die mannigfachsten Deutungen und Er klärungen einließ, um nur seinen Glauben zu befestigen, so hatte er doch nur ein- oder zweimal seit der Unter redung die direkte Frage an ihn gestellt: „Andreas, wie steht cs mit dir?" Und derselbe hatte erwidert: „Lassen Sie mir Zeit, Hochwürden! Es wird vorübergehen!" „Es wird ... es wird!" . . . dachte dann Petrov. „Wann werd' ich endlich hören: es ist vorüber." — War der junge Geistliche anwesend, so machte er sich so wenig wie möglich bemerkbar, saß still in seiner Ecke und hörte aufmerksam zu. Einem scharfen Auge wäre jedoch nickst entgangen, daß in dem Raume einzig und allein zwei Menschen für ihn vorhanden waren und es nichts anderes mehr für ihn gab. Marischka und Bcthlen waren beim Lesen stets Part- ner. Er, der die Rollen verteilte, wußte es so einzu- richten, daß ihm und ihr die Liebhaberpartien blieben, als sei dies das Natürlichste von der Welt. Und was sie lasen, das war für sie alles niedergeschrieben worden, für sie beide allein! .... Tas hatte der Dichter vor ahnend hier niedergelegt in Lächeln und Tränen, in Lust und Schmerz. ... Die ganze Welt versank, und nur, was sic selber erfüllte, lebte in Worten und Bildern da vor ihnen. — Hätte man Marischka über das andere befragt, sie wäre vielleicht die Antwort schuldig geblieben; denn sie erwachte wie aus einem seligen Traum, wenn sie auf hörte oder wieder cinsetzen mußte. Bethlen war besser daran. Er hatte meist alles im Theater gesehen, beson ders die modernen Dramen und viele Rezensionen und Besprechungen darüber gelesen. Traf ihn unerwartet eine Frage, die fein Urteil herausforderte, so hatte er noch immer in irgend einem Winkel seines Gedächtnisses eine Antwort bereit. Aber auch eine scharfe Beobachterin gab es in dem kleinen Kreise: Fräulein Virag. Sic war das Patenkind Frau von Tormas und nahm mit ihrem Vater regelmäßig an den Abenden im Schlosse teil. Julzsa erlitt in Turdova diesmal große Täuschungen, um so größer, weil sie so viel gehofft hatte. Daß sie nicht die erste Rolle spielte, wie sie sich vorgenommen, hätte sie jedoch leicht verschmerzt, wenn Graf Lavadi ihr seine Auf merksamkeit zugcwendet, wie es ihr in ihrer Einbildung zukam. ... So ober war ihre Eitelkeit doppelt schwer gekränkt, daß er eine andere auszeichnete und sie sich ihm trotzdem unterordnen mußte, daß sie zur Bedeutungs losigkeit hcrabsank, sie, die die Tonangebende, die einzig Bewunderte hätte sein können. — xvm. Trotzdem Julzsa den Leuten gegenüber ihre Heimkehr nur als einen ganz kurzen Aufenthalt im Elternhause be zeichnet hatte, mit der Hinzufügung, daß sie ihre Ver wandten in der Hauptstadt nicht entbehren konnten, war doch der Sommer und fast der Winter darüber vergangen und sie noch immer in Turdova. In Wirklichkeit aber hatte sic überhaupt keine Aussicht, dahin zurückzukehren. Denn Onkel und Tante hatten sie damals nicht nur mit dem Reisegeld, sondern direkt mit der Fahrkarte überrascht. — Deutlicher konnten sie den Wunsch nicht ousdriicken, die Nichte so bald wie mög lich bei ihren Eltern wieder zu wissen. Die ruhigen, kinderlosen Eheleute wurden auf die Dauer der arbeits- scheuen, anspruchsvollen, gefallsüchtigen Julzsa über- driissig, die außerdem noch Unruhe und Unfrieden in das stille, geordnete Hauswesen brachte. So war das Mädchen nach Hause gekommen. Da aber einerseits eitle, lügenhafte Menschen ein kurzes Gedächtnis haben, andererseits in diesem Falle die erste Unwahrheit nicht alt werden durfte, wenn sich Julzsa nicht blamieren wollte, so löste eine erfundene Geschichte die andere ab. Bald war cs ein hochgeborener Anbeter, der nach Turdova kommen wollte, um sie heimzuholen, und dessen Ankunft sich immer wieder von neuem durch irgend etwas verzögerte, dann wieder eine bevorzugte Stellung in einem altadeligen Hause in der Hauptstadt, die sich ebenfalls aus irgend einem Grunde in die Länge zog. Ihre Phantasie war wie eine üppig wuchernde Sumpfpflanze, die lustig immer neue Blüten trieb. — Hätte das Mädchen bei seiner großen Schönheit eine gleiche Klugheit und Sinnlichkeit besessen, so wäre sie eine der gefährlichsten Frauen geworden, so war sic nur, wenn auch schlau und berechnend, eine einfache Närrin, bei der Eitelkeit und Gefallsucht die Leiden schaft ersetzten. So war es auch natürlich, daß sich ihre Aufmerksam keit hier in erster Linie auf Graf Lavadi richtete. Der Doktor und Apotheker waren zur Not auch annehmbare Partien, aber fürs erste war eine bessere Aussicht vor handen Daß Bethlen verarmt war, genierte sie nicht. Wenn sie erst Gräfin Lavadi war, mußte er in die militärische Laufbahn wieder zurück, dann kam sie mit dem Adel, mit der wirklich großen Welt in Berührung, dann gab es für eine schöne Frau ein reiches Feld, ihre Netze auszuwerfen, um in eine glänzende Position hinein zukommen So hatte sich Julzsa Virag ihren Roman in Turdova ausgedacht... . Und in ihrer Einbildung hatte sie sich die Eroberung sehr leicht vorgestellt. Sie, das schöne, fesche Mädchen, das in der Großstadt gelebt, er, der leichtsinnige, heruntergekommene Offizier, der in dies öde Nest ver schlagen worden war, unter halb verbauerten Menschen! — Nie hätte sie sich träumen lassen, daß ihr Marischka den Sieg entreißen würde, diese Marischka, die höchstens hübsch genannt werden konnte, und die so einfach und hausbacken war! Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Bethlen Lavadi spekulierte auf das große Vermögen, das Ma- rischka als Adoptivtochter Frau von Tormas zu erwarten hatte. ... In der Absicht dieser Frau lag es gewiß nicht, den reichen Besitz in die Hände desselben übergehen zu lassen, dem Sohne jenes Weibes, mit dem, wie jeder im Orte zu erzählen wußte, ihr Gatte die Treue gebrochen hatte. — Es galt also nur, Frau von Torma aufzuklären, und sie würde gewiß jedem scbr dankbar sein, der dies tat, und diesen Freundschaftsdienst bei ihrer noblen Denkungsart außerdem entsprechend belohnen Viele Male schon war Julzsa mit diesem Vorhaben ins Schloß gegangen und stets unverrichteter Sache nach Hause gekehrt. So dreist sie auch sonst war, Frau Cbar- lotte an Wochentagen bei der Arbeit zu stören, wagte sie doch nicht, und abends und an den Sonntagen war immer Besuch anwesend und, was die Hauptsache war, Marischka zugegen. Endlich, eines Sonntags vormittags, kam die ersehnte Stunde. Julzsa, wie stets in großer Toilette, war aus der Tür getreten, um sich zur Kirche zu begeben, weniger aus religiösem Bedürfnis, als um sich bewundern zu lassen; sah sie Marischka über den Marktplatz kommen und in das Haus des Notars hineingehen. Sie überlegte nicht lange, ließ Kirche Kirche sein und begab sich eiligst ins Schloß. Frau von Torma, die in ihrem Bureau beschäftigt war, kam in das Wohnzimmer hinüber, als ibr der Besuch gemeldet worden war. „Du findest mich allein, Marischka ist eben mit einem Auftrag zum Notar gegangen, und da sic die Frau Notarin sehr lieb hat, wird sie sich gewiß dort fest-
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