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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.01.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-01-15
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191101153
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110115
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110115
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1911
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Bezugs-Preis ur r:«lpt>4 »»d «orortt durch i«i«» IrLger und «rxdurure 2««I tätlich <n» <>au« gedrachl: 26 »»uati., oicrt«!l»drt Brt un!«n> Filiale« ». Ln. nahm«»ellen abgehol» 7» «»natl., A.rL v eneiiSdrl. vurch dir V»K: iun«hald rrulichtand» und d«r d«N-«» Kolonien viencilLdr:. US» mooutl. I^iv auslchi. Poftdrslellgkld. ,Z«r»«r >n Belgicn, Dänemark, den Donaullaote«, Ilaiien. Luxemburg, ^irderUlNdc, dior» weuen, Oeilerreich Ungarn, Üiudiand, Schweden, Schweiz u. Spanien. In allen udngen Liaaren nur direkt durch di« ÄeichaitSueUe :«» iölalte» ervtiUlch. Ta» Leipziqei Lagedia« erlchemi 2«al ltglich. Sonn, u Anerlag» a« mmrgen«. ütvanli« ent-Annayme - Auguüudplatz 8. dei unieren Trägern, Filialen, Spediteuren und Lnnahmeitellen, sowie PoitLmter» und ÄriMrtgern. ütugelderlanidprei« der Morgen ausgabe 1v H, der Lbenb uSgab« S Nedakttvn und GeschLftdllell«: Iol>anni»gasje d. oerniprecherr 1460^ iäüdii, 14üv< rWMrTagtblaü Handelszeitung. Amtsblatt -es Nates und -cs Nolizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Nr. l5. Sonntag, üen lS. llanuar lSll. Anzeigen-Preis ch» AMrratr au» Ueiozig and UmzeduM, »»« 6ge>valtene S0 Mio dreU» Uetlt^ii» L> ch. bi» 74 nun drei» «eklamezelke I »oa auiwLrt» K- ch, itteklameo t.20 Jnlerare von üebdrden w amiltchen D«U die 74 Mw breit» Pekitzeil« 40 Leichatttanzeigen mii pagooNchnirea and in der Abenbausgab« >ni i-ren« erhöht, itiaban nach Lara. iveilagegedühr 6 p. Tarnend «xkl. Postgebühr. FeNerteiir« Auiträge könne» »ich! zurück. gezogen werden, zur da» Erscheinen an oeliimmten Tagen und Plätzen wir» kein« Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Auguckudplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen rlnnoncew- itrpedltlonen der In- und Aullande«. chaupt.Atltal« Vrrlt»! Tart Duack», Herzoge Paar. Hokbuch. dandlung Lutzowstrane KL tT-t-rdoa Vl. »ir. 4V0Ü-. Haupt -tltale Lresden: Seeitr che 4, 4 (Telephon 4üllli. 7 los. Ishrgang. Dss Wichtigste. Der König von Sachsen wird sich am 27. Januar nach Berlin begeben, um dem Kaiser persönlich seine Glückwünsche darzubringen. * Die Landtags-Ersatzwahl im 23. länd lichen Wahlkreise findet am 22. März statt. s§. Dischs. RZ * Der Reichstag nahm am Sonnabend in dritter Lesung die Rouelle zum Militär strafgesetzbuch und zur Militärgerichtsordnung an und beendete dann die z w e i t e Lesung der kleinen Strafgesctznovelle. sS. Reichstagsber.f * Infolge des Eisenbahner st reiks in Portugal kam es auf dem Lissaboner Hauptbahnhof zu Unruhen (S. Letzte Dep.) * Der Ballon „Dresden" hatte am Freitag in den Wäldern des Isergebirges eine sehr schwierige Landung. (S. Letzte Dep.) Gin Dsrnungsruk. Das neue Jahrhundert hat uns im Bereiche der Wissenschaften eine seltsame Anomalie ge bracht. Die Freiheit der Forschung und der Lehre unserer deutschen Hochschulen tst in einer Zeit, wo man auf Pflege der Persönlichkeits werte und der selbständigen Betätigung der Indi viduen den denkbar größten Wert legt, sonder baren Hemmungen ausgesetzt gewesen und noch ausgesetzt. Derartige Einengungen und Beschränkungen haben schon einmal kurz nach der Jahrhundertwende eine geharnischte Ver wahrung der betroffenen Kreise veranlaßt. 2m Jahre 1901 war es der greise Mommsen, der die deutschen Hochschullehrer auf die Schanze rief zum Kampfe gegen die reaktionären Gewalten, die von einer Voraussetzungslosigkeit aller Forschung nichts wissen wollten. Damals stimmten ihm 49 Professoren der Leipziger Univer sität zu, indem sie erklärten: „Die Freiheit wissenschaftlicher Bewegung duldet keine Be schränkung durch das Gebot der Rücksichtnahme auf irgend welche Tendenzen konfessioneller oder nichtkonfessioneller Art. In dem Kampfe für die Erhaltung des Lebenselementes der deutschen Wissenschaft und Hochschule — dieser Quelle ihrer Kraft und ihrer Erfolge seien Sie auch unserer Genossenschaft versichert." Aber das erste Jahrzehnt des neuen Jahr hunderts sah trotzdem schärfere Vorstöße gegen die Lehr- und Forschungsprinzipien der deutschen Hochschulen denn je. Die Kurie glaubt noch heute an den Grundsatz des Mittelalters, daß die Kirche zugleich Quelle und Behüterin der Erkenntnis sei. Sie folgert in der ihr eigenen Logik daraus, daß deshalb keine For schung zu dulden sei, deren Ergebnisse einen Widerspruch zur kirchlichen Anschauung mit sich brächten. Solche aus der geschichtlichen Ent wicklung wohl erklärliche, aber eben um dieser Entwicklung willen schlechthin unhaltbare Macht ansprüche hatte beim Jubiläum der Leipziger Universität der damalige Rektor Binding wohl auch im Auge, als er den stolzen Satz aussprach: „Je reiner wir Weltschulen bleiben, um so mehr nützen wir den Staaten, in denen wir beheimatet sind. Unsere lautere Treue zur Wissenschaft kann die einzige Münze sein, in der wir dem Staate für die großartige Hilfe, die er uns leistet, unsere Dankesschuld abzahlen können." Und nun droht deutscher Wissenschaft in diesen Tagen wieder schweres Verhängnis. Papst Pius X. hat mit verschärfter Kraft den Kampf gegen die neue Weltanschauung ausgenommen, die sich von kirchlichen Banden völlig losgelöst, als lediglich im Dienste der Wahrheit nicht aber im Dienste einer an sich ehrwürdigen In stitution stehend, betrachtet. Er hat die Proteste wiederholt, die ein Gregor X1T. gegen die „falsche Wissenschaft" richtete, die ein Pius IX. und ein Leo XIII aus Sorge vor derselben „Gefahr" erhoben, ja er hat sich erkühnt, einen gewissen belastenden Eid von den Bischöfen, Priestern und Lehrern zu verlangen, worin „die häre tische Voraussetzung von der Entwicklung der Dogmen" zurückgewiesen, die „von der Tradi tion der Kirche abweichende Beurteilung und Interpretation der heiligen Schrift verdammt" wird. Trotz aller harmlos klingenden Aus legungen dieses Eides durch den Rottenburger Bischof Keppler und entgegen den unglaublich kühnen dialektischen Künsteleien des Universi tätsprofessors Mausbach in der „Köln. Volksztg." steht unerschütterlich fest, daß damit den katholischen Theologie-Professoren ein Schwur angesonnen wird, der die Preisgabe ihrer in ernster wissenschaftlicher Arbeit errungenen Ueberzeugung fordert, wenn sie der Lehre der Kurie zuwiderläuft, ja der den Tod alles geistigen Fortschritts zur unaus bleiblichen Folge haben muß. Es unterliegt keinem Zweifel, daß alle die Universitätslehrer, die sich dem neuen, unerhörten Machtgebot Roms beugen, sich selbst des Rechts begeben, wissenschaftlich ernst genommen zu werden. Die natürliche Folge dieser Tatsache ist eine Er klärung des Deutschen Hochschullehrer tags, in der allen Hochschullehrern, die den Anti modernisteneid geschworen haben, die Gemein schaft mit jener Vereinigung verweigert wird. Die Kundgebung hat folgenden Wortlaut: Der in Leipzig versammelte Ausschuß des Deutschen Hochichullehrertages ist anläßlich der Vorbereitung von Satzungen für den Verein „Deutscher Hochschullehrertag" übereinstimmend zu der Ansicht gelangt, daß diejenigen Mitglieder akademischer Lehrkörper, welche den Antimoder nisteneid geleistet haben, nicht Mitglieder dieser Vereinigung sein können, weil sie damit den Verzicht auf unabhängige Er kenntnis der Wahrheit und Betätigung ihrer wissenschaftlichen Ueberzeugung aus gesprochen und so den Anspruch auf die Ehren stellung eines unabhängigen Forschers verwirkt haben. Leipzig, 7. Januar 1911. o. Amira, München. Darth, Leipzig. B.en- tano, München. Hartmann, Wien. Pappen heim, Kiel. Stengel,Greifswald. Balkhausen, Hannover. Binding, Leipzig. Ehun, Leipzig. Krüger, Hannover. Rein, Jena. v. Wett stein, Wien. Diese wuchtige Erklärung wird im ganzen Deutschen Reiche, soweit man sich nicht der Kurie gegenüber verpflichtet hat, wegen ihrer kernigen, unverfälscht deutschen Sprache ungeteilte Zustimmung auslösen. Sie bedeutet die denkbar schärfste Absage von Männern, die auf ihren wissenschaftlichen Gebieten als rück haltlose Wahrheitssucher und als bemerkens werte Verkünder wissenschaftlichen Fortschritts weithin geehrt und geachtet sind, an die Vertreter einer Weltanschauung, die sich mit Zwangsmitteln in der Gegenwart zu behaupten trachtet. Sie ist das vernichtende Urteil über all die nachgiebigen Naturen, die vor dem Stuhle Petri in Demut ihre wissen schaftliche Ueberzeugung geopfert haben. Sie wird endlich wirken als Warnungsruf an alle die Hochschullehrer, denen vielleicht die Ableistung dieses Eides noch angesonnen werden sollte, deren Name aber dann ausgelöscht würde aus der Reihe der Männer, die unbeirrt durch äußere Einflüsse irgendwelcher Art lediglich der Wissenschaft und der^Wahrheit dienen. Mit Stolz erfüllt es uns, daß dieser Warnungsruf von Leipzig ausgegangen ist. Möge ihm die erwünschte Wirkung beschieden sein! Dte Eroberung Perliens unü üie Ssgüsü-Lslnl. Die Tage Persiens scheinen gezählt. Die drei Monate der englischen Oktobernote sind nahezu herum. Mag die Sorge um den guten Schein, der Widerstand der Opposition — die in diesem Falle nicht mit der unionistilchen zusammensällt —, endlich da» Ausbleiben aktueller UnruhenaHrichten aus dem iranischen Reiche das Ereignis noch einige Wochen oder Monat« verzögern: es wird damit gerechnet werden müssen, daß rm Jahre 1911 die persische Beute in der einen oder andern Form von den Teilung«, machten England und Rußland eingebracht werden wird. Es fragt sich nur, wie die Aufteilung vollzogen wird. Der englisch-russische Vertrag von 1907 hatte eine englische „Interessensphäre" im Süden, eine russische im Norden des Landes festgestellt. Damals schienen demnach die beiden Mächte auf ein Analogon der ersten polnischen Teilung hinzuarbeiten, die bloß di« Randländer von Polen abriß, das Schicksal des Kernlande» aber der weiteren Ent wicklung überließ. So war auch diesmal für Mittel- perfien noch keine Bestimmung getroffen. Allein ehe noch die letzten Konsequenzen des Ver trages gezogen sind, ist der bevorstehende Erwerb zu klein für Englands Geist geworden. Die Presse der Tories, die sich bereit» bemüßigt fühlt, der hippo kratisch abgemagerten Mehrheitsreaierung die Zügel zu nehmen, hat herausaefunden, daß England der dem Abkommen ein schlechtes Geschäft gemacht hab«. Während Rußland das an Bodenschätzen reiche und bereit» industriell entwickelt« Nordland Zufällen soll, Jugenükürlarge. Der preußischen Thronrede ist nicht viel Günstiges nachzurühmen gewesen. Sie war farblos bis zur Un wahrscheinlichkeit und von einer nüchternen Geschäfts mäßigkeit, die in diesen politisch bewegten Tagen fast wie eine Herausforderung wirkte. Und doch hat sie an einer Stelle den Finger an ein« dringende Frage der Zeit zu legen versucht. Sie erzählt von dem Ent schluß der Regierung, eine planmäßige Ausgestal tung der Jugendfürsorge ernzuleiten Das ist ein Wort, das sich hören läßt. Denn hier tut vor ist die britische Ausbreitung zunächst auf den dürren Südosten angewiesen. Durch dessen Besetzung würoe freilich das „Glacis" Indiens — wie Lord Curzon sich ausdrückt — verstärkt. Aber England verfolgt in Persien nicht allein militärische Zwecke, sondern eigentlich mehr noch merkantile, die aber auch nrili torischer Stützpunkte bedürfen. Dementsprechend hat es bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts sich der Bahrein-Inseln am Eingänge des Persischen Golfes bemächtigt, und die dortige Perlenfischerei mehr und mehr tn seine alleinige Hand gebracht. In den legten Jahrzehnten aber ist es tiefer und Lieser in den Golf eingebrungcn. Es hat die Insel Kischm besetzt und auch im westlichen Teile des Busens die Türken aus Koweit hinauskomplimentiert, unter dem Vorgeben, die Unabhängigkeit des arabischen Duodez- Sultans zu schützen. Schon sind gelegentlich Truppen in Bender - Bujcheher und Bender - Abbas ousge- schifft, den wichtigsten Häfen der persischen Küste. "Rach der endgütngeu Einbeziehung dieser Golflüste in den großbritannischen Machtbereich schreien jetzt „Daily Telegraph" und „Daily Graphic" samt ihrem Anhänge. Sie schreien um so dringender, als von ihnen ein Eindringen — Deutschlands befürchtet wird. Trotz und zum Teile wegen der englischen, franzö sischen und russischen Eifersüchteleien dominieren die Kapitalien der Deutschen Bank in der Gesellschaft, die die Bagdadbahn ausbaut. Mit unendlichen Weitläufigkeiten ist es gelungen, das Riejenunter- nehmen so weit zu fördern, daß in absehbarer Zeit die Vollendung des Schienenweges zu erwarten steht, der zu der alten Stadt der Kalrfen führen soll. Indessen, eine Bahn bloß bis Bagdad liefe in eine Sackgasse aus, wenn es nicht noch gelingt, sie wenigstens bis zu einem Golfhosen fortzusetzcn. Als geeignetster Endpunkt aber bietet sich eben Koweit. La soll nun Englands dringendstes Interesse es er- sordern, daß unbedingt der Union - Jack über der auf blühenden Araberstadt gehißt und mit den türkischen Ansprüchen ein gründliches Ende gemacht wird. Es ist gar keine Frage, daß an dieser Stelle die deutschen und die türkischen Interessen so haarscharf zusammenfallen, wie sonst nirgendwo. Hier gilt es nicht nur, den freundschaftlichen Worten für dte Zu kunft des ottomanischen Reiches endlich einmal eine Tat folgen zu laßen, deren Gelegenheiten 1906 im Sinaistr.ite und 1908 bei dem doppelten Staats streiche Bulgariens versäumt wurden. Auch in den nordpersischen Fragen sieht sich die Pforte verzweifelnd nach einem wohlwollenden und tatkräftigen Be günstiger ihrer Ansprüche um. Der heutigen tür kischen Regierung ist es noch weniger zu verargen, als den Kabinetten Abdul Hamids, daß sie endlich ein mal ihr durch zahlreiche diplomatische Niederlagen und Landverluste erschüttertes Ansehen durch einen handgreiflichen Erfolg, durch eine Mehrung des Reiches heben möchte. Das Ziel ihres Ehrgeizes ist die Landschaft um den Urmiasee. Sogar wenn Persien frei bliebe, müßte eine gleichfalls durch Ab hängigkeit von den Okzidentalen ungehinderte Türkei alles daran setzen, diese Gegend von dem mohamme danischen Bruderstaate abzureißen. Nicht um der dürren Salzsteppe willen, sondern um ihre eigene Kurdensrage abschließend zu lösen. Die Stärke dieses Räubervolkes beruht wesentlich auf der Mög lichkeit, sich jederzeit vor den türkischen Waffen in eine persischen Schlupfwinkel zu flüchten. Nun ver acht allerdings Rußland, die Regierung von Stam mt mit der Aussicht zu beschwichtigen, daß Rußlands chärsere Faust — die die Anarchie Kaukasiens nicht eben erkennen läßt — das Raubgesindel auf persischem Boden bester im Zaum halten werde, als die schwache persische Verwaltung. Aber wer bürgt auch nur für Rußlands guten Willen? Es wäre nicht das erstemal, daß die zarijche Regierung eine wilde Völkerschaft hinterrücks zur Erregung von Unruhen auf türkischem Gebiete aufmuntere, um einen Vor wand zum Einschreiten, in diesem Falle also dazu zu gewinnen, mit leidlichem Scheine des Rechtes Hand an Türkisch-Mesopotamien zu legen. Wie stark Rußlands Streben in Lieser Richtung geht, ist ersichtlich genug aus dem, was über das im Werden begriffene deutsch-russische Abkommen verlautet: Rußland soll das alleinige Recht zu gestanden werden, die nördlichen Anschlußwege an die in Bagdad ausmündende deutsche Bahn herzustellen! Es droht also der Türkei nicht nur die Vereitelung ihrer Hoffnungen auf Urmia, zu deren Beförderung bereits seit über drei Jahren türkische Truppen in die Grenzprovinz eingedrungen sind, nicht bloß der end gültige Verlust des im Berliner Vertrage an Persien abgetretenen Khotur, sondern auch das bewußte „friedliche" Eindringen Rußlands in die Euphrat lande, in einen der zukunftsreichsten Bestandteile des ottomanischen Reiches, der durch die engsten geschicht lichen. religiösen und nationalen Bande mit ihm ver wachsen ist. Uns Deutschen aber droht, wenn die werdende Bagdadbahn durch eine russische Linie von Norden und durch eine englische von Süden, über Bassora, zu sammengeschnürt wird, die politische Ent wertung unseres wirtschaftlichen Erfolges im nahen Oriente. Es wird einer mit Kraft gepaarten diplomatischen Geschicklichkeit bedürfen, um solche Gefahr abzu wenden. die Tore zu den Seitengasten unserer neuen Handelsstraße nicht zu beliebigem Verschluß unseren politischen und wirtschaftlichen Rivalen zu über liefern; um an dieser Stelle zu geschweige« ron der erneuten Schädigung unseres Ansehens bei den Völkern des Orientes, der Erschütterung ihres Glau bens an unseren Willen und an unsere Macht unseren Augen ein Abgrund sich aus, der von Jahr zu Jahr sich erweitert. Man könnte es fast das Problem unserer Tage nennen: was machen wir mit den Jugendlichen, die die Schule entlassen und die die große Voltserziehungsanstalt des Heeres noch nicht ausgenommen Hal? Heule lautet die Ant wort in der überwiegenden Zahl der Fülle: Gar nichts! Man läßt diese Halbflüggen wild wachsen, wobei es dann geschieht, daß manche gedeihen, einige an Leib unü Seele verderben, unü viele nicht eigent lich entarten, aber verkümmern. Die Keime, die die Schule in sie gesenkt hat, verdorren. Was sie dort gelernt haben mochten, wird vergessen: was sie tüchtig machen sollte zum Leben, wird in den Strudeln des Daseinskampfes fortgeschwemml. Auf der Basis privater Fürsorge hat inan do und dort versucht, die Lücken ^uszusüllen. Manchmal mit schönem Erfolge: mitunter auch, wenn der Men schenseele unkundige Pietisten das Heft in der Hand haben, ohne rechtes Ergebnis. Vor allem aber: diese freiwilligen Veranstaltungen können, weil sic spora Lisch und sozusagen regellos auftreten, gar nicht alle erfassen, nicht allen dienen, denen solche Fürsorge not täte. Darum ist cs an sich ein kluger und guter Ge danke, daß die preußische Regierung eine Art Zu sammcnlegung dieser Anstalten verheißt, daß sie zum mindesten mit ihren Mitteln sie ausbauen und erweitern helfen will. Noch besser aber ist, was üie Thronrede über die Ausgestaltung des F o r t b i l d u n g s sch u l w e j e n s und besten wirtschaftliche Seite sagt. Wie die Dinge heute liegen, wird der Mehrzahl unserer Volks-, genosten die leitende und führende Hand gerade dann geraubt, wenn sie ihrer am dringendsten bedürfen. Zu einer Zeit, wo eine Minderheit junger Menschen, noch sorgsam von Schule und Elternhaus gehütet, erst langsam reift, werden sie mitleidslos ins Leben hin ausgestoßen. Das macht unter Umständen früh selb ständig. Aber noch öfters macht es gefühllos, ober flächlich, ehrfurchtslos. Die Eltern, deren Hauswirt schaft häufig genug nur durch die 10 « balancieren kann, die diese 11- bis 17jührigen „abgeben", haben keine Autorität über sie. Und der moderne Großbetrieb, übrigens auch schon der kleine, bcan sprucht eine solche gar nicht erst mehr außerhalb der Arbeitsstätte. So sind diese Jugendlichen wirklich ein Spielball aller an sie heran treten den Eindrücke. Diese Eindrücke sind bisweilen gut, noch häufiger aber schlecht, und mit bangem schrecken sehen wir, wie zumal in unseren großen Städten von Jahr zu Jahr in breiteren Scharen ein zücht- und pietätloses Geschlecht heranwächst, das mit allem fertig ist, ehe es überhaupt mit ihm sich be schäftigen konnte; das, was uns allen heilig ist: Reli gion, Vaterland, Volkstum, die Beziehungen der Gene rationen, längst über Bord warf unü dessen je nach dem Temperament bald düster, bald keck gefärbter Trotz nur noch von der Unwissenheit von Welt und Dingen übertroffen wird. Nicht daß diese Kinder des Volkes, die so brüchig werden, von Haus aus böse wären. Jeder, der in der Jugendpflege irgendwie gearbeitet Hal, bestätigt uns immer von neuem, wie viel im Grunde gut artige, willige, auch gutmütige Naturen unter ihnen sind. Aber mit 14 Jahren ist man eben noch ein Werdender; da hat keiner noch die Reife und die sitt liche Kraft, auf sich allein gestützt, seinen We^ sich zu bahnen. Darum ist, was der preußische Staat hier zaghaft und tastend versucht, wirklich der A n sang zur Lösung einer Kulturaufgabe Fraglich könnte nur »ein, ob er sie in der richtigen Wetze versucht. Der „Vorwärts" zetert in einem grimmigen Leitartikel über den „reaktionären Iugendfang", der den Geist des angeblichen „Kultur fortschrittes zu erdrosseln sich anmatze", weil man, ge wollt oder ungewollt, bei dieser Gelegenheit den fozialdemokrattzchen Jugendorganisationen entgegen zuwlrken strebt. Das ist natürlich pomphafter Un sinn. Es kann gar kein Zweifel sein, daß die so zialdemokratische „Jugendfürsorge" mit ihrem öden und einseitigen Parteidrill eine G e - fahr für das junge Geschlecht ist. Parteien sind Organisationen für Erwachsene Das jugendliche Gehirn, das zu früh in sie gerät, kann leicht rettungs los der Schablone verfallen. Aber auch von der anderen Seite melden sich Gefahren. Zentrum und Konservative scheinen die vom Staat ge plante Jugendpflege als eine Erweiterung des bislang schon recht ausgiebigen Religions unterrichtes anzusehcn. Von diesem preußischen Religionsunterricht sagt ein warmherziger Menschen freund und erfahrener Jugendpflege!, der daneben ein strenggläubiger Geistlicher ist, der Hamburger Pastor W. F. El assen, in seinem Buch „Vom Lehrjungen zum Staatsbürger": „Der in Preußen von oben her befohlene Reli gionsdrill schafft uns für die Städte die giftigsten sozialdemokratischen Agitatoren. Das Blut >onst trefflicher Männer verwandelt sich in gärendes Drachengift, wenn sie ihrer ländlichen Religion« lernerei gedenken. Die Religionsstunde >>t die Krone des Unterrichtes — aber nicht ein an befohlenes Mittel zur Erzeugung einer guten Untertanengesinnnng?' Wer die Welt, wie sie wirklich ist, kennt, wird nicht finden, daß hier auch nur ein Wort Hu viel ge sagt wäre. An der sozialdemokratischen szylla und der klerikal orthodoxen Charybdis muß die Jugend pflege oorbeigeleitet werden, wenn sic gedeihen soll Sie ist wirklich eine Sache, die um ihrer seihst willen und im Interesse der künftigen Generation, also der Zukunft des Staates geleistet werden muß. Jede Quacksalberei der politischen Extreme ist da vom Uebel. Sie würde von vornherein das ganze Unter fangen kompromittieren. ver ksukmsnn in üen Reichsvetrieden. Am Sonnabend vormittag haben sich, wie die „Mil.-pol. Korr" meldet, auf eine amtliche Ein ladung hin, die Abgeordneten Nacken, Erzberger und Dr. Weber in Begleitung eines Offiziers des Kriegsministeriums mit einem von den Verkebrs truppen zur Verfügung gestellten Armee Kraftwagen nach Spandau begeben, um die Buchführung
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