Dresdner neueste Nachrichten : 29.11.1938
- Erscheinungsdatum
- 1938-11-29
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id490223001-193811291
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id490223001-19381129
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-490223001-19381129
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner neueste Nachrichten
- Jahr1938
- Monat1938-11
- Tag1938-11-29
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- Dresdner neueste Nachrichten : 29.11.1938
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Dresdner Neueste Nachrichten L^sr-rs -,oE mit Handels, ««- Industrie 2eit«na Halbmonatl.l,<X>RM.Posibezugm°nail.rMRM.einschI.4sRpf.posigeböhrta »H. (hierzu SSRpf.Zustellungsgeb.) Kreuzbondsend.: Mir di« Woche 1,00 RM. Siozelsummer 10 M, außerhalb «roß-vresden« IS Rps. Sk-rtfileltvng, Verlag VN- SauptgefMSfielle: Dresden A,Ser-lnan-stra-r 4 vinieiaenureiie! Grundpreis: dke Ispalttge Mw-Zrik lm An- ' zelgeniell 14Rpf.,Gt«slengesuch« un-privat« Famlllenan,eigen ü Rpf., die I» mm breit« mm-Zeile im Textt«ll 1,10 RM. Nachlaß nach Malsiaffel I oder Mengenstaffel v. Lriefgeblihr für Ziffer anzeigen so Rps. aulschl. Porto. Zur Zeit ist Anzeigrnpreisltste Nr. S gültig. Mmst-W: Dresden AI, Postfach * Fernruf: Ortsverkehr Sammelnummer 24601,Fernverkehr 27981-27SS3 * Telegramme: Aeueste Dresden *poMeck: Dresden 2060 * berliner Schrifileilung: Serlln W 35,Dittorlastraße4«. Nichtverlangt« Einsendungen an die Schrlstleltung ohne Rückporto werden weder zurückgrsanbt noch aufbewahrt. - 2m Falle hbherer Gewalt oder SetrlebSstdrung hoben unsre Bezieher leinen Anspruch aus Nachlieferung oder Erstattung des entsprechenden gntgelt« Ar.ris » Dienstag, 29. November 4938 46. Jahrgang Schweres Grubenunglück bei Waldenburg Brand im Hans-Heinrich-Schacht der Kuchsgrude - Spanien Hauptthema -es Chamberlain-Besuches bei Mussolini Daladiers Dekrete (SNfchtoffene Maßnahmen gegen den Generalstreik r«l«g«amm unsres Korrespondenten 8. PartS, LS November Die französische Oesfentlichkeit steht heute, am Tage vor dem fitr morgen augeküudigten Generalstreik, »«ter dem Eindruck der nunmehr verössentlichtcn RegiernugSdekrete über die Requirierung sämtlicher Angestellte» und Arbeiter der Ssseutlichen Verwal tungen, d«r Siseubahueu «nd der ander«, sogenannte« „konzessionierten* Betriebe. Auch die Requirierung der Pariser Untergrundbahn, aller Autobusse und Straßenbahnen ist angeordnet worden, und das Arbeitsmiuisterinm hat die Requirierung der Berg, werk« und der mit ihnen verbundenen Industrien deö Departements Oberrhei« besohlen. Mit der Durch, führ««- dieser Dekrete, die sich auch auf das Gesetz vom 11. Juli 1988 über die Organisierung der Nation i« KriegSsall beziehen, ist Daladier als Minister präsident n«d Landesverteidigungsminister beauftragt. Daladier, der gestern Besprechungen mit dem Pvltzeipräfekten von Parts und dem Oberstkomman. dtorenden des Militärbezirks von Parts hatte, hat ätz 000 Polizisten in Paris zufammenztehen lasten, und Ingenieure des Heere» und der Marine nach Paris beordert, um die ElektrizitätS-, Wasser- und Gaswerke der Hauptstadt unter allen Umständen in Betrieb zu halten. DaS Militär wird morgen in den Kasernen zu- sammengrzogen bleiben. Daladier hat die Anlegung einer Liste aller Beamten befohlen, die morgen ihren Dienst nicht tun, um sofort am 1. Dezember die „gesch lichen Sanktionsmaßnahmcn" ergreifen zu können. Man rechnet damit, daß der Streik zwar grobe Aus maße gewinnen kann, aber doch nicht zu einem wirk lichen Generalstreik werden wird; denn ein grober Teil des französischen schassenden Volkes leistet der vo« Moskau ausgegebenen Parole der Berhetzunq Widerstand. Während der marxistische Eisen, bahnerverband seine Mitglieder im Dienste der bolschewistischen Gewaltpolitik zur „passiven Resistenz" ausgefordcrt hat, die morgen von 4 Uhr bis 1v Uhr dauern soll, hat der Elsässische Eisenbahner verband seine Mitglieder ansgcfordert, morgen Dienst zu tun. Während die kommunistisch verseuchte Lehrer gewerkschaft in einem Ausruf die strikte Durchsithrung der Streikparole verlangt hat, hat der Stadtrat von Paris dem Ministerpräsidenten sein Vertrauen ausgesprochen, wobei sich die Kommunisten und Sozialdemokraten angesichts ihrer sicheren Niederlage in der Abstimmung der Stimme enthielten. Angesichts dieser Stimmung im Lande haben die marxistischen Gewerkschastsbonzen versucht, mit Daladier in Ver bindung zu treten, wobei die Gruppe der Sozial republikanischen Bereinigung den Mittler spielen wollt«, Ihr Vorsitzender, Frofsard, hat in einem »Offene« Brief" an Daladier seinen Wunsch nach einer Vermittlung ausgesprochen, da sonst Frankreich sn zwei Blocks gespalten werde. Der rote Gewerk- schastSpapst Jouhaux selbst hat bei Staatsminister ChautempS um Besprechungen mit Daladier ersucht; aber Daladier hat zur Vorbedingung jeder Besprechung mit den marxistischen Gewerkschaften die Anrück- ztrhuug derStretkparolc gemacht, und seine Haltung wird unterstützt durch zahlreiche Aufrufe auch marxistischer BernsSverbände gegen den Streik. So haben sich di« Beamten von Toulouse, die Lehrer von Roubaix, die Postbeamten insgesamt gegen den Streik ausgesprochen, und es steht jetzt schon fest, dab zahlreiche Betriebe- in Paris nicht streiken werden. Pt« Folgen der kommunistischen Stretkhetze haben jetzt schon die 28 000 Arbeiter der Renault- Werke zu spüren bekommen, die in den Streik getreten waren und nunmehr entlassen worden sind wegen Bruch des Kollektivvertrages. So ist denn heute „Petit Partsien" überzeugt, dab sogar bet den Eisenbahnern nur die Hälfte streiken werde, und Blätter der Rechten sehen bereits eine Niederlage der Kommunisten und Sozialisten voraus. Allgemein heibt bi« Hauptfrage: Teilstreik oder Generalstreik? D4e von der Gewerkschaftsleitung ausgegebenen Anweisung?» an ckü« Eisenbahner wurden Vorsicht», halber nicht mit der Post geschtckt, sondern von Hand z« Hand wettergegeben oder durch vertrauenswürdige Voten befördert. Die enthalten, wie verlautet, auch die Anweisung, daß sogar di« internationalen Trpreßzüg« punft 4 Uhr angehalten werben sollen, nötigenfalls auf sreier Streck«. Wo sie sich befinden, haben sie bi». 7 Uhr abends stehenzu bleiben. M 23 Todesopfern zu rechnen Sofort eingeleitete Rettungsarbeiien erfolglos — Kurzschluß -ie Ursache X Waldenburg, 29. November I« einem Rutscheuftreb des HauS-Heinrich- Schachtes der Fuchsgrube bei Waldenburg iRiederfchlesie«) entstaub in ber Nacht vom 28. zum 29. November t« einem Znleitungökabel für ein« Schrämmaschine Kurzschluß. Hierdurch geriet die Grubenzimmerung in Brand. Infolge der starken Rauchentwicklung gelang eS einem Teil der Streb- Belegschaft nicht mehr, sich zu retten. Die Grubenwehr deS HanS-Heinrich-Schachtes «nd die Bereitschaft der HauptrettungSftelle, die bereits eine halbe Stunde nach Ausbruch des Brandes an Ort «nd Stelle waren, konnten infolge der starken Verqualmung der Baue nur langsam vorrücken. Es gelang ihnen nicht mehr, Lebende herauszuholen. Bisher wurden neun Per sonen geborgen. Vermißt werden noch 18 Knappen. Mit ihrem Tode muß gerechnet werben. Die Bergungs arbeiten werden fortgesetzt. Der Führer des Be- triebrS »ud die Bergbehörde befinde« sich aus der Unsallgrube. Der Leiter der K««ppschastSb«r«sS-e«offe«schast Kellermanu hat sofort »ach dem veka»«tw«rdr» des schwere« Grubenunglück» dem Betrieb u»b de» Angehörige« der verunglückte» Kameraden tele graphisch seine herzlich« Anteilnahme ausgesprochen und augekünbtgt, baß alle Maßnahmen zur Fürsorge und Versorgung für die Hinterbliebenen in die Wege geleitet seien «ud aus dem schnellsten Wege durch geführt würbe». ReichswirtschastSminister Funk hat dem Betriebs führer und der Gefolgschaft der Arche telegraphisch jein Beileid übermittelt. Vom ReichowirtschastSministcrinm befinden sich der Leiter der Bcrgabteiinng und der Leiter des GrubensicherhcitSamteS an der Unsallstclle. „Condor" in Karatschi gelandet X Berlin, 29. November DaS Focke-Wnls-Flugzeng „Condor* D-Acon, baS am Montagnachmittag zu einem großen Langstrecken slug Berlin—Tokio gestartet ist, ist heute 12,37 Uhr in Karatschi gelandet. * Der Flug der Focke-Wnls „Condor" D-Acon nach Tokio hat i« Japan große Freude ausgelöst. Aus d«m Flugplatz Tachikawa sind Vorbereitungen zum Empfang getroffen worden. Die Schauspielerin Setzuko Hara wird den deutschen Fliegern bei ihrer Anknnst Blume» überreichen. (Siehe auch die Meldung ans S. 10) 17Z Käufer in Palästina gesprengt Verbrennung von Lebensmitteln — 63jährige r Gchrverlranker erschossen — Kolbenstoße des englischen Gewaltregimes * Jerusalem, 29. November Trotz der scharf augezogeueu englischen Zeusur dringe» von Zeit zu Zeit die Meldungen über surcht- bare Grausamkeiten der Engländer in Palästina gegen die arabischen KreiheitSkämpser an bi« Außen welt. Immer mehr scheinen sich die Engländer nun auf Sprengungen der arabischen Häuser «nd Aus hungerung der Arabischen Bevölkerung zu verlegen und werde« hierdnrch in ost sehr verlustreiche Kämps« verstrickt, in bene« bi« Engländer mit alle« modernen Wasse» vorgehe«. So sprengte baS englische Militär in dem Dors Ras Ahmar nahe Sased 17S Hänser samt Mobiliar in die Lust. Bier britische Militärlaftwagen wurden dabei durch Landmineu zerstört und 1ö Engländer schwer verletzt. Bei der DurchsnchungSaktio« gegen die Dörfer Jjzim Singbazal nnd Ummazzinat setzte» die Engländer Flngzeng« «in. Das Gefecht war mit große» Berlnftea für die Araber — darunter 1ö Tote — verbnnde«. In Beith Hanlna wurde ein «dsähriger schwer kranker Araber ohne Gerichtsverfahren vom britischen Militär wegen WasseirbesitzrS erschollen. Bei der „Wasse* handelte es sich um «ine alt« Jagdslinte, sür die ein ordnungsmäßiger Kassenschein vorlag. Kerner wurden auch in Bethlehem zahlreiche Häuser, an denen in der Nacht Ausrufe der Freischärler angeklebt worden waren, jn die Luft gesprengt. Besonders empörende Borgänge spielte» sich in einem Gefangenenlager in der Nähe vo« Jerasalem ab. Als «ach Abla«s des Fastenmonats, am Briram« seft, einem der höchste« mohammedanische« Festtage, die Familie« vo« 890 verhastete« arabische« Freiheits» kämpser» in dieses Gefangenenlager kamen, «m ihre« Angehörige« Este« z« bringe», w«rde dieses vor den Angen der hungrige« Gesänge««» durch britisches Militär sortgeschüttet. EI« SH«licheS „Mufter*-Gefa«ge«enlager besindet sich bet Jasfa. Dort si«b mehrer« hundert »«hastete Araber in einen viel z« kleine« Raum zusammen- gepfercht, so daß die Unglückliche« Mensche« weder sitzen noch liegen, sondern «nr znsammengekanert hocke« könne«. Wenn einer der von dieser ««natür lich«« Stell««- ermüdeten Gesängen«« sich a«srtchte« oder hinle-e« will, so erhält er, wie An-e»,e«-«« bestätige«, »o« de« bewache»»«« britische« Militär Kolbenstöß« oder Fußtritte. ««ßerdem habe« die MandatSbehörde« »och »er bot««, daß LebensmitteltrauSport« in arabisch« Dörfer «nd Städte vorgenommen werden dürfe». In einigen Dörsern «nd Städten wurden sogar die Lebensmittel überall, auch, in den Privathäusern, be schlagnahmt, aus den Plätzen znsammcngetragen nnd mit Benzi« verbrannt, so daß die Bevölkerung tat sächlich dem Verhungern nah« ist. Schließlich wurden vom Militärgericht in Palästina wieder zwei Todes urteile ausgesprochen, «in lebenslängliches Gefängnis, nrteil wurde bestätigt, zwei Todesurteile worden in lebenslängliche Grsängnisftrase« „««gewandelt*. * Spärlich, sehr spärlich, sind die Nachrichten, die aus dem Jordanland zu uns dringen, so spärlich, daß sogar die ausländischen Berichterstatter das Land verließen, weil sie sich dem Terror der Zensur nicht länger beugen wollten. Doppelt spärlich sind aber die Meldungen für uns, denn nach zuverlässigen Aussagen nehmen sich die Zensurbehörden der für Deutschland bestimmten Meldungen mit besonderer Liebe und Sorgfalt an. Da drängt sich unS nun allerdings die Frage auf, welcher englischen Korrespondenten Berichte wir zensiert haben, als die Herren glaubten, aus der gerechten Empörung des deutschen Volkes gegen die Inden Sensations material liefern zu müssen, um so den internationalen Greuelmarkt noch zu vergrößern. Kein einziger eng- lischer Korrespondent mußte in diesen Tagen seine Be richte vorlegcn, kein einziger hat während dieser Tage infolge AensurterrorS baS Land verlassen brauchen. Wir hatten «ine wahrheitsgetreue Berichterstattung nicht zu scheuen. Man hat aber diese Gutmütigkeit in unerhörter Weise mißbraucht und die Tatsachen entstellt und gelogen. Anders in Palästina. Hier gab nnd gibt es tatsächlich Greuel von englischer Sette in Hülle nnd Fülle. Sie werden von den Engländern durch die Zensur geleugnet, und Berichterstatter empfindet man als lästige Ausländer. Wie schlecht muß doch das Gewissen setn, das mit solchen Mitteln zu arbeiten gezwungen ist. Noch dazu, wenn sich dieses schlechte Gewissen in einer so krassen Form enthüllt wie durch die vorliegenden Meldungen über britische Grausamkeiten, die sich tag- täglich steigern. Hier werden wirklich Erinnernngen an die grausame Unterdrückung -er Freiheits bewegungen inIndien und inIrland wach, und man denkt nur mit Schaudern daran, wie sich solch ein Gewaltsystem weiter halten will, ohne nicht zu noch weit härteren Maßnahmen greifen zu müssen. Darüber aber machen sich weder englische noch ameri kanische Zeitungen Gorgen. Mögen bi« Araber ruhig unterjocht werden — sür sie steht im Mittelpunkt des Interesses die Judenverfolgung" tn Deutschland. DaS ist demokratische Moralt Herbstein-Me in WA. m. Was ist schief gegangen?* st'Ii. 8oii. New Bork, im November Um 12 Uhr beginnt die große Frühstückspause deS amerikanischen GcschästolcbcnS. Restaurants, Eafö- tcriaS und Drugstores sind bis ans den letzten Platz ge füllt. In den Tpeisesälcn der großen Hotels aber pflegen die Leute zusammcnzukommcn, die an einem leichten Frühstück oder an einem soliden Mittagessen allein nicht genug haben nnd in der kurzen Arbeitspause unbedingt noch eine „loatnrv" hören wollen: einen Vortrag. Tie Amerikaner halten begeistert gern Vorträge und hören ihnen ebenso begeistert gern zu. Das ist vielleicht ein Erbteil aus früheren Puritaner« Sonntagen, ap denen die Geistlichen stundenlange Predigten hielten nnd es sür ihre Zuhörer ein gott- gcsälliges Tun war, geduldig zuznhörcn. Bei geeisten Fruchtbcchcrn, Hühnchen auf Süd- staatenart, Vanilleeis nebst der »»vermeidlichen großen Tasse Kassce können die Enkel jener Puritaner beinahe jede» Tag in New Bork je nach ihrer Laune oder den Dispositionen der unzähligen hierfür zuständigen Klubdamen mehr oder weniger tiefgründige Vorlesungen über tausend und einerlei Dinge hören: über Kinderclend in Stidwest-Jndicn, über die Bedeutung der Hygiene in den Indianerreservationen, über die Notwendig keit der Errichtung von Lazaretten für kranke Pferde oder Kaninchen, über die Folgen der Politik von München oder über die Lage der Juden in Deutsch land. Alle diese Fragen werden in angenehmen Ge plauder in 40-Minuten-Vorträgen, noch bevor der letzte Lössel EIS gegessen ist, restlos gelöst, und wohl- wollend lächelnd saßt die gewöhnlich präsidierende Dame die Worte deS verehrten Redners in den Wunsch zusammen, daß doch alle Regierungen der Welt die gleiche großzügige Einsicht beweisen möchten, wie die hochverehrte aufgeklärte Mittagogescllschast. Diese FriihslückSzirkcl stellen ein beliebtes Audi torium für sogenannte „prominente Ausländer" dar, unter denen natürlich in New Bork auch viele deutsche Emigranten sind. In einem solchen Kreise machte z. B. gerade dieser Tage Thomas Mann, der gern und möglichst rasch amerikanischer Staatsbürger werden möchte, eine tiefe Verbeugung vor der ameri kanischen „Freiheitsidee". ES schmeichelt den Ameri kanern bei aller Ueberlcgcnhcit, die sie gern Euro- päern gegenüber an den Tag legen, doch, wenn Leute aus Europa mit klingendem Namen (wenn auch sonst nicht viel hinter dem Namen steckt) zu ihnen sprechen und ihnen erzählen, wie wundervoll doch ihre poli tischen und wirtschaftlichen Einrichtungen seien und welches erhabene Vorbild USA. für das alte Europa darstelle. Man ist für solche Schmeicheleien hier znr Zeit besonders stark empfänglich, weil man selber zutiefst unsicher geworden ist. Jedem Amerikaner sitzt immer noch — mag er sich dessen voll bewußt sein oder nicht — der entsetzliche Schlag in den Knochen, der ihm an jenem unheilvollen Scp- tembertagc deS JahrcS 1929 versetzt wurde, als daS gigantische, zu schwindelnder Höhe cmporgewachscnc KnrSgebände an der New Aorkcr Börse zusammen brach und die glänzende Fassade der Scheinprosperität, wie sie sich in den zwanziger Jahren diesesJahrhundcris unter den Präsidenten Eoolidge und Hoover entwickelt batte, krachend einstürztc. Dieser Tag war eine histo rische Schicksalsslundc — ebenso entscheidend, wie einst der Tag, an dem der Krieg zwischen Nord- und Süd staaten begann oder an dem im 18. Jahrhundert die Kaufleute von Boston die britische Tecladung inS Meer werfen ließen und der Unabhängtgkeitskampf gegen England seinen Anfang nahm. An jenem Septem bertagdeSJahres1929gingntcht nur eine WirtschaftSpertode, sondern auch eine politische nnd weltanschauliche Epoche amerikanischer Geschichte end gültig zu Ende. Ein neues Kapitel begann. Man kann sich bei unS nur schwer ein Bild davon machen, wie stark der Einsturz des KursgebändeS das Leben jedes einzelnen Amerikaners berührte. Denn nicht nur die Finanziers, die Makler, die Geschäfts leute hatten spekuliert, sondern baS ganze Volk war Jahre hindurch vom Speknlationsstcber ergriffen. Ein berufsmäßiger Börsenspieler vergangener Zeiten wußte, was er tat und was er riskierte. Die Mallen des amerikanischen Volkes und die damals noch sehr zahlreichen Einwanderer aus Europa wußten das nicht. Sie glaubten vielmehr, ganz normal wirtschaft- ltch zu handeln, wenn st« ihre Ersparnisse ohne jede * Val. auch die Artikel In den Audaabc» Nr. 272 und 271.
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