Dresdner Journal : 15.06.1870
- Erscheinungsdatum
- 1870-06-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-187006157
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18700615
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18700615
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Journal
- Jahr1870
- Monat1870-06
- Tag1870-06-15
- Monat1870-06
- Jahr1870
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- Dresdner Journal : 15.06.1870
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ZV 134 Mittwoch, dm I». Jnm. 1870. I»mnm>«ü«UrE»r I» Nn46 I»6. »krUot. Sldlr.- ftjildrlick- I ., lb ., Na«»»tÜeii:— „ lb „ «»»«lo-Kuwmvro: 1 „ 1» »tritt jilkrvek ü I dir. vt«wp«lxet>ijt>r, »u»»^rl>»IV ae» ^Ior66. Post- »Uli Ltedosxlsusrdtsxttin«« Lnseratenpreist: pür äe» N»nm einer x«»p»It«»en teilet 1 77^r Vater „Lioxeseaät" Ui« /eile: L klxr. Erscheinen: T^Iivk, mit Lusoe^»« 6er 8oaa ou6 veiert«F«s 4.k«o6» kur 6«u solx«o6«u 1'»^ DiksdilerIlmriilll. Verantwortlicher Redacteur: I. G. Hartmann. »nsrrairnaonayme lmswürl«: : t- II»i«iO»r»rr»>», voluuuisionW» — 6e« Oresäoer Uooro»!«; «kevä„.: 71. k!x«l.«il, Krost, t'oer; S»mdur,->,rU» Vi»o-I.«>x«iN-Li,!!»I-pr»r>Ilkurt » «.: Ueesexse«!» N Vool.««, Lerii-t 6«orlvs'»ci>« NucNK., Uirixir«»'» vureeu, Itvool.ru Ilossu; Lremeu: L. 8vul.»rrii; 3r„l»u: 7, 8rLuo>!u'i Xnvonceu'oureeo, Klee 4'eevdiv; prevltturt e H.: »setze üuctztz.; Nöl«: -»o. Nto«»»». keris Heves, Verrir», 8vl.l.iu>» tVo., (8, kl»e« 6« le Nourse); kre^x: 1'» Kuevieu'» öuetztz.: Vie»: Orrurr». qerau«arbr.: Nöuixl. vepeäitiou lies vrecüoer Fournell, vrssäeu, Her^erettleuxes», Ho. l. Amtlicher Theil. DreSdm, 14. Juni. Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Amalie ist heute Mittag von Wiesbaden wieder hier eingctroffen und hat Sich nach Pillnitz begeben. Dresden, 14. Juni. Seine Königliche Majestät haben dem Vorstände deS GerichtSamtS Döbeln, Ge- richt-amtmann Hofrath Johann Heinrich Ferdinand Fleck, die nachgesuchte Versetzung in Ruhestand mit der gesetzlichen Pension, unter Belassung seines Titels und Ranges, allergnädigst bewilligt. Bekanntmachung, die Ausgabe neuer Zinsbogen zü den 4A> königlich sächsischen Staatsschuldenkassenschemen der vereinig ten Anleihen von 1852, 1855, 1858, 1859, 1862, 1866 und 1868 betreffend. Die Inhaber 4^> königlich sächsischer StaatSschul- denkassenscheine der vereinigten Anleihen der Jahre 1852, 1855, 1858, 1859, 1862, 1866 und 1868 werden hier durch in Kenntniß gesetzt, daß an Stelle der mit dem 1. Juli 1870 ablaufendrn Zinsichetne die Aushändigung neuer ZinSdocumente, bestehend in Talons und ZinS- coupons für die Termine 2. Januar 1871 bis mit 1. Juli 1879 zu erfolgen hat und damit den 1. Juli dieses JahreS begonnen werden soll. Die Ausgabe dieser Zinsdocumente geschieht bei der Staatsschulden-Buchhalterei in Dresden — Land haus I. Etage — gegen Zurückgabe der abgelaufenen Talons wochentägig in den Vormittagsstunden von 9 bi- 1 Uhr. Zur Förderung des sehr umfänglichen Umtausch- acschäfteS »st es unbedingt erforderlich, die alten Talons, wenn deren mehrere in einer Hand sich be- fiudrn, nach den Serien gesondert und nach der Nummerfolge geordnet zur Abgabe zu bringen; auch liegt cs im Interesse deS umtauschenden Publi- kums, ein genaues Nummerverzeichniß anzufertigen, um danach an Ort und Stelle die auszehändigt erhaltenen Zin-bogen nach Stückzahl und Nummer vergleichen zu können. Da weder die StaatSschulk-en-Buchhalterei noch Easse mit Korrespondenzen und Zusendungen sich befassen können, müssen auswärtige Interessenten, welche die Ab holung der neue»» Zin-bogen nicht persönlich bewirken wolle«, bi«S boorch hierortige Beauftragte besorgen lassen. Obwohl in der Regel bei Expedirung dcs Umtausch- gcschästes auf möglichste Innehaltung der Reihenfolge der abgegebenen Talonposten Rücksicht genommen wird, so haben doch die kleineren Posten den größeren vor- anuigehcn um einer störenden Personenanhäufnng mög lichst vorzubeugcn. Dresden, am 2. Juni 1870. -er LaMagiauzschllß zu Verwaltung der Staattschviden. Pfotenhauer. Nichtamtlicher Theil. Uebersicht. Telegraphische Nachrichten. ZritungSschau. (Moniteur. — France. — Nord deutsche Allgemeine Zeitung. — Neue freie Presse.) TageSgeschichte. (Berlin. Wiesbaden. München. Darm stadt. Wien. Prag. Paris. Bern. Lissabon. London. St. Petersburg. Warschau. Bukarest. Washington.) Dresdner Nachrichten. Provinzialnachrichten. (Leipzig.) Statistik und VolkSwirthschaft. EingesandteS. Feuilleton. Inserate. TageSkalender. Börsen- Nachrichten. Beilage. Provivzialnachrichten. (Leipzig. Reichenbach. Kö nigsbrück.) Gerichtsverhandlungen. (Chemnitz) Statistik nnd VolkSwirthschaft. EingesandteS. Inserate. Telegraphische Nachrichten. Wien, Montag, IS. Juni. (W.T. B.) Der Kaiser traf beute Morgen ans Ischl hier ein und besuchte den Reichskanzler Grafen Beust, welcher noch immer leidend ist. Der älteste Sohn deS VicekönigS von Aegnpten, Tepfik Pascha, wird demnächst aus Konstantinopel hier eintreffen und während seines Aufenthalts in Wien der Gast deS Kaisers sein. Wien, Montag 13. Juni. (Con-.-Bür.) Der böhmische Landtag wird gleichzeitig mit den übri- gen Landtagen rmberufen werden. — Die Auf lassung des ParadeplatzrS in Wien und dessen Ver bauung hat nach dem Project der Eommunalbe- Hörde die kaiserliche Sanktion erhalten. Floren», 13. Juni. (Corr. Bür.) Der Mi- nistrr deS Aenßeren erklärte in der Kammer, Saldanha habe die Beziehungen zu dem italieni schen Gesandten wegen der ÄeußerungSweise deS Letzteren über die letzten Ereignisse abgebrochen, ohne gegenüber der italienischen Regierung dieSfallS einen Schritt vorauSgrschickt oder ein Factum for- mulirt zu haben. Die Regierung berief Oldoini ab, befriedigende Erklärungen abwartend. Florenz, Montag, 13. Juni, Nachmittags. (W.T.B.) In der heutigen Sitzung der Deputirten- kammer beantwortete der Minister des Aeußern, BiSconti Venosta, eine Anfrage deS Abg. Massari bezüglich der Differenz mit Portugal. Dcr Minister »heilte mit, daß der Herzog v. Sal danha dem italienischen Gesandten Marquis Oldoini eine Note übersandt habe, in welcher er ihm ankündtgte, seine Aeußerungen bezüglich der letzten Ereignisse ver hinderten ihn, in fernere osfictelle Beziehungen zu Oldoini zu treten. Der Herzog v. Saldanha habe auf diese Weise die Beziehungen zur italienischen Gesandt schaft abgebrochen, ohne die italienische Regierung vor her von diesem Schritte in irgend einer Weise verstän digt und ohne die Thatsachcn, um welche cS sich handle, gcnau formulirt zu haben. Die Negierung habe hier auf den Marquis Oldoini abberuien, bis sie be friedigende Erklärungen erhalten haben werde. (Vgl. „Tagesgeschichte" unter Lissabon.) Dcr Minister schloß seine Auseinandersetzungen mit folgenden Wor ten: „Die Haltung der Regierung ist dcr Würde dcs Staats entsprechend; sie entfernt sich nicht von dem durch die sympathischen Beziehungen beider Länder und d-.s verwandtschaftliche Band beider Höfe gebotenen Geiste der Mäßigung." Konstantinopel, Montag 13. Juni. (Tclegr- d. P resse.) Die Verunglückten campiren in 2000 Zelten auf dem armenischen Friedhof. Das Mu- nicipiumjvertheilt täglich achttausend Oka Brod und andere Lebensmittel Bereits sind 590 Leichen auSgrgrabrn worden; gegen 1000 Familien ver- mißten Angehörige. Dresden, 14. Juni. Der Pariser „Moniteur", welcher bekanntlich jetzt keinen amtlichen Charakter mehr trägt, beschäftigt sich in einem Artikel unter der Uebcrschrift: „Die Preu ßen und die Schweiz", m t der Gotthardbahnange- legenheit, indem er darzuthun sucht, daß Frankreich berechtigt sei, in dieser Sache ein Wort mitzureden. Da diese Angelegenheit im gesetzgebenden Körper zum Gegenstände einer Interpellation gemacht wordcn ist, deren Beantwortung am 20. Juni stattfinden soll und mehrere französische Blätter sich bereits bemüht haben, der Frage bezüglich dcr St. Gotthardbahn eine „hohe politische Bedeutung" beizulegen, obwohl die Agitation gegen dieselbe mehr aus Concurrenznetd (dcr Splü gen- und Simplon-Bahn) hcrvorgehen dürfte, so kann cs nicht fehlen, daß dieser Artikel des „Moniteur" ciniges Aufsehen erregt und — gewiß mit Unrecht — gewissermaßen als ein Vorläufer der Antwort des Mi nisters betrachtet wird, weshalb auch wir von demselben Notiz zu nehmen nicht unterlassen wollen. „Wir wissen nicht", sagt der „Moniteur", „ob die Cabinete von Paris und Wien Schritte gethan haben, um den preu ßischen Versuch zum Scheitern zu bringen; augenschein lich ist es aber, daß man gegen Oesterreich und Frank reich conspirirt, gegen ihren industriellen und finan ziellen Wohlstand, wenn man, wie Hr. v. Sybel qc- sagt hat, den größten Theil des Handels mit dcr Le vante und Indien an sich ziehen will, und gegen ihre Sicherheit, wenn man dasür Sorge trägt, wie Herr v. Bismarck gesagt, sich in direkte Verbindung mit Italien zu setzen, auf dessen ewige Allianz man rechnet, und wenn man mit Millionen um sich wirft, mit denen man gewöhnlich so karg ist, um in einigen Stunden von Berlin nach Florenz kommen, Munition und Sol daten transportiren zu können. Der nordische Bun- dcskanzler weiß, daß die Neutralität der Schweiz im gegebenen Falle nur eine schwache Schranke für ihn ist, und daß die Protestationcn der Schweiz machtlos bleiben würden, wenn erst einmal Italien und der Nordbund Eigenthümer dieser großen Eisenbahn sein werden, von der sie die Spitzen besitzen. Man wird sich erinnern, wie sehr man in Preußen in Aufregung kam, als es sich darum handelte, eine französische Com pagnie in den Besitz einer belgischen Eisenbahn zu setzen, wie damals Preußen, ohne dircct zu interveni- ren, das Mißtrauen dcr Belgier erregte und sie über zeugte, daß cs um ihre Neutralität geschehen sei. Wa rum folgen wir nicht seinem Beispiele und machen die Schweiz auf die Gefahren aufmerksam, die ihrer Neu tralität drohen, wenn preußische Agenten eine Bahn -ju Händen haben, die durch ihr Territorium geht? Hr. v. Bismarck wollte voriges Jahr keine Franzosen in Belgien. Warum sollen wir ihm heute nicht — mit aller Höflichkeit, welche uns unsre Friedensliebe einflößen kann — zu verstehen geben, daß wir keine Preußen in der Schweiz haben wollen?" — Auch die „'France" sucht den Franzosen einzureden, daß cs sich bet der Gotthardbahn für Frankreich um Principien- und Jnteressenfragen, sowie um Fragen der nationalen Empfindlichkeit handle, die wohl erwocen sein wollten; freilich liege für den Moment noch dcr Schwerpunkt der Debatte mehr auf dem volkswirthschaftlichcn, als auf dem politischen Gebiete, und, setzt sie hinzu, ändern werde sich jetzt schwerlich noch etwas an dcr Sache. Die ministerielle Berliner „Norddeutsche All gemeine Zeitung" bemerkt in Bezug auf vorstehen de Artikel Folgendes: „Die Nichtigkeit solcher Tiraden, wie sie dcr „Moniteur" in großer Ausführlichkeit zu Markte bringt, liegt auf der Hand. Was spcciell den Vergleich mit der belgischen Eisenbahnfrage betrifft, so genügt es, auf die Bestimmungen des Berner Pro tokolls zu verweisen, welche heute von dcr officiöscn „Patrie" citirt werden, die in der Frage überhaupt einen besonnenen Standpunkt einnimmt. Ein Artikel dieses Protokolls bestimmt, daß die Uebertragung dcr Concession der Gotthardbahn an eine andere Gesell schaft nur mit Genehmigung dcs schweizer Bundes- rathes statthaben kann, welcher überhaupt die Ver pflichtung übernimmt, daß alle Stipulationen des Ver trages vollständig aufrecht erhalten werden. Um zu beweisen, daß Frankreich strategisch durch die neue Linie gefährdet oder wenigstens beeinträchtigt werde, hat man zu Entstellungen dcr von dem Herrn Bun deskanzler am 25. Mai im Reichstage über diese An gelegenheit gehaltenen Rcdc seine Zuflucht genommen. Graf Bismarck bemerkte damals wörtlich: „Es müssen gewiß die verbündeien Regierungen tief von der Ueberzeugung durchdrungen (ein, daß die politischen In teressen es empsebleu. zwischen Deutschland und Italien eme Verbindung zu schaffe». welche lediglich von dem neutralen Zwischenlande, der Schweiz, abhängig ist und nicht im Be- sitze einer der großen europäischen Mächte sich befindet," und ferner: „Für uns ist das Hauptinteresse, eine säst directe Verbin dung mit dem befreundeten und, wie wir glauben, auf die Dauer besreundeteo Italien zu haben." ES ist darin also - sagt die „N. A. Z." — allerdings die Wichtigkeit hervorgchobcn, welche die neue Linie als Verbindungsweg zwischen Deutschland und dem befreundeten Italien haben werde; daraus aber rine strategische Bedeutung der Linie in einem gegen Frank reich gerichteten Sinne herausznconstruiren, konnte doch nur der Phantasie jener Blätter gelingen." Auch die österreichischen Blätter beschäftigen sich mit der Frage dcr Gotthardbahn. Wir wollen hier, um auch dieser Seite gerecht zu werden, nur eures Artikels erwähnen, welchen die „Neue freie Presse" iir ihrer jüngsten Sonntagsnummer hierüber enthält. Es heißt in demselben unter Anderem: „Im Ganzen genommen ist die Gotthardbahn für die nord deutsche Handelswelt keine Lebensfrage. Man hat sich auch inBerlin gar nicht bemüht, die Bewilligung der zehnMil- ionen durch national-ökonomische Gründe zn erreichen. ... Gegen die Splügenbahn hatte sich Graf Bismarck in seiner nach Bern gerichteten Depesche vom 31. März 1869 auf das Allcrentschiedenstc ausgesprochen und die Erklärung abgegeben, zu einer solchen Linie würde der Norddeutsche Blind nicht einen Thaler beitragen. Wirtschaftlich sind beide Bahnen für Preußen und Norddeutschland gleichviel werth; cs sind also politische, strategische Gründe, die Preußen die Gotthardbahn mit solchem Nachdruck verthcidigcn und unterstützen lassen. ... Gerade weil Preußen so heftig für den Gotthard Partei nahm, beginnt man anderwärts diese Linie auf das Schärfste anznfcinden. War sie den Franzosen schon früher unliebsam und verdächtig, so müssen sie durch die neuesten Erklärungen Bismarck's noch erbit terter gegen eine Bahn werden, vie man auS strate gischen Gründen subventionirt.... Selbst in der Schweiz tauchen Besorgnisse auf. In mehreren Cantonen cir- culirt eine Petition an den Bundcsrath, worin ver langt wird, die Schweiz solle den Vertrag vom15. Octo- bcr 1869 nur dann erfüllen, wenn sic volle Gleichbe rechtigung mit den übrigen an der Gotthardbahn be- theiligten Slaaten erhalte, damit die Ehre der Nation uird die Unabhängigkeit der Republik nicht gefährdet würden. ... In Oesterreich mag die Gotthardbahn eigenthümliche Empfindungen rege machen. Das un zweideutige Mißtrauen, das aus Bismarck's Verwer fung der Splügenbahn spricht, hat für uns Deutsch- Oesterreichcr etwas Schmerzliches, ja Empörendes. Die österreichische Regierung hat keine Veranlassung gegeben, datz Preußen eine so häßliche Vorsicht zeigt und sich aus allen Kräften gegen eine Bahn wehrt, die nahe an unserer Wcstqränzc läge. ... Preußische Stim men beschuldigen Oesterreich seit vier Jahren, es sinne auf Revanche für Königgrätz. DaS Berliner Cabinet ist zu gut bedient, um nicht zn wissen, wie falsch diese Anklage sei. Aber dcr Kampf um die Gotthardbahn hat deir Gedanken geweckt, Preußen denke an eine Fortsetzung von 1866 — darum grollt man in Frank reich , sorgt man sich in der Schweiz. Was diese Eisen bahnfrage so wichtig macht, das ist die Eifersucht der beiden großen Militärmächte; sie muß in Frankreich um so heftiger rege werden, da Preußen durch die Erbauung der Gotthardbahn einen entschiedenen Vor theil über den Nebenbuhler davonträgt." Feuilleton. H. Hoftheater. Montag, den 13. Juni, wurde Shakespeare'- Schauspiel „ König Heinrich IV." neu etnstudirt gegeben, und zwar „der erste Theil" — was auf dem Zettel nicht unbemerkt bleiben dürfte — nach Schlegel's Uebertragung. Nur wenige Scenen waren gestrichen, namentlich die erste im dritten Act, aller dings rine Einbuße für die ernste und historische Hand lung des Stücks, deren Klarheit überhaupt ohne den Zusammenhang mit dem vorhergehende,» Schauspiele für ein deutsches Publicum sehr beeinträchtigt wird. Die vorzüglichste Leistung des Abends war der Percy Heißsporn des Herrn Dettmer. Er verband edle Offenheit, feurigen Schwung und ungestüme Hef- tigkeit des Vortrags, und gab eine sehr gelungene Ge staltung des jugendlichen Helden, dcr viele Züge des Prinzen ähnlich besitzt, aber durch äußere treibende Ehrsucht, überstürzende Hast und ungezügeltes Thun sich von ihm scheidet und dem Geschick erliegen muß. Herr Dessoir spielte als neu eingetretenes Mit glied unsrer Bühne den Sir John Falstaff und gab rine vortreffliche Leistung: mit Laune und Behagen, fein charakteristischem Ausdruck und beherrschter Mo dulation deS Organs durchgebtldet, und sich entschieden der Auffassung und Darstellung Döring'S anschließend. DaS gutmüthtg schalkhafte Gesicht mit den lüsternen kleinen Augen namentlich ergab ein treffendes Bild deS vrrschlemmten Ritters, und einzelne Züge diese- lie benswürdigsten und genialsten Sünders und UrtypuS aller echten Jovialität gelangen außerordrntlich, z. B. der Ehrrnmonolog, dieser Philisterkatechismus der Ehre, und — nach Art der Anlage der Rolle — die Er zählung vvmAbenteuermitden„Sttifleinenrn'. Dennoch sahen wir nicht den Falstaff Shakespeare's, diese höchste Schöpfung des Humors in wahrer Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit des Naturells. Das Genrehaste, die künstlich zurechtgelegte Komik, ein trockner Berliner Ton des Vortrags, dcr diesen tardirend und gebrochen zerbröckelte und zerstreute, dominirten fremdartig. Fal- staff's Humor, die behende Lebhaftigkeit seines Geistes, die blitzende Schlagfertigkeit seines Witzes sind unwill kürlich und widerstreben dem rhetorischen bedächtigen Tardircn; die immer regen, sprühenden Funken seines Witzes contrastiren eben ergötzlich mit der unbehilf- ltchen Fleischmasse. Es ist ein urkomischer Sieg des Geistes über die Materie. Und dieser Sieg des launig rüstigen Geistes über den Körper muß sich auch äußer lich mehr zeigen. Temperament und Beweglichkeit für einen Falstaff, der Wegelagcrei treibt und in die Schlacht zieht, waren etwas zu alt genommen; eine Haltung, die sich dem Pflegma nähert, muß ihm fern bleiben. Zu geringe Kraft des Organs legt Herrn Dessoir für seine Auffassung dieser Partie sehr behindernde Schran ken auf, und treibt zu einem vorsichtig behandelten Co- lorit, dem Fülle, Saft und Nachdruck der Farbe fehlen. Fräulein Ulrich hob die Aufführung durch zeizcnde Darstellung der Lady Percy. Herr Jaffö würde den König Heinrich IV., dessen selbstsüchtig berechnender heuchlerischer Sinn allerdings sich erst mit dem „zwei ten Theile" vollständig entwickelt, lobenswerth gezeich net haben, wenn seiner Rede nicht zu sehr Deutlich keit gemangelt hätte. Prinz Heinrich in seinem über sprudelnden, zwanglos tollen Jugendsinn und genialen Sorglosigkeit, woraus sich doch das „Königliche" und „Edelmännliche' zu wahrhafter Heldenkraft entwickelt, ist nächst Falstaff die schwierigste Partie dieses Dramas; Herrn Hanstein ist es noch nicht gelungen, sich der selben in einigermaßen befriedigender Weise zu bemci- stern, wozu vor Allem eine bessere Ausführung der Rede — auch im Tonfall — nöthig ist. C. Banck. -j- Englands hervorragendster humoristischer Novellist, Charles Dickens, bekannt unter dem Pseudonym „Boz", ist am 9. Juni an einem Gehtrnschlage gestorben. Den Nekrologen, welche ihm verschiedene Blätter wid men, entnehmen wir Folgendes: Dickens wurde am 7. Februar 1812 in Portsmouth geboren. Sein Vater war dort beim Marinezollamte angestellt und wendete sich später als parlamentarischer Berichterstatter nach London. Charles Dickens trat, da er als Unbemittelter früh schon auf Erwerb denken mußte, bet einem Ad- vocatcn in Dienst. Seine schriftstellerische Laufbahn be gann er als Zettungsreporter; bald wurde er Mit arbeiter dcs „Morntng Chronicle", in welchem er auch sein Erstlingswerk, die „Sketches of London", mit Zeich nungen von Cruikshank, bunte Bilder des Volksleben- in London, erscheinen ließ; bald darauf erschienen seine „Pickwick papers", welche Sensation machten und Dicken-' Ruhm al- humoristischer Schriftsteller begründeten, so daß die rasch nachfolgenden Romane „Oliver Twist", „Nicolas Nickelby", „Mr. Humphrey'- Elock", „Bar naby Rudge" und „Martin Chuzzlewit" seinem Rufe wenig mehr beifügen konnten, obgleich sie künstlerisch viel vollendeter sind. Alle Stoffe, welche Dickens wählte, waren volkSthümlich. Dickens besaß eine sehr feine Beobachtungsgabe, die sich besonder- in seinen Schil derungen dc- Lebens der untern und Mittlern Volks- klassen offenbarte; seine Zeichnung von Charaktere,» und Zuständen ist ungemein klar und wahr, seine Diction stets frei von ollem überflüssigen Prunkwerk; alle diese Eigenschaften befähigten ihn zum VolkSschriftsteller, al» welcher er auch einen großen und zwar vorteilhaften Einfluß auf sein Volk errang. Was ihn aber noch besonders auszeichnete und worin er von keinem neuern Schriftsteller übertroffen wurde, das war, neben dem unvergleichlich leichten und eleganten Stil, dcr glück liche Humor, der sich allen seinen Schilderungen bei gesellte. Ein eigentümliches literarisches Genre rief Dickens mit seinen Weihnachtsschriften hervor, in denen er einen phantastischen Hintergrund mit einer moralt- sirenden Tendenz verband. Za den besten seiner Ro mane gehört „David Copperfield", welcher im Jahre 1849 erschien und durch die glückliche Mischung von Laune und Pathos fesselt. AlS Dicken- sich einige» Vermögen erworben und den Continent bereist hatte, gründete er die liberale Zeitung „Daily News", zog sich dann mit einem bedeutenden Gewinn von der Re daction zurück und gründete das Volksblatt „Household Word-", welches, seit 1850 erscheinend, rasch allgemeine Verbreitung fand und mit welchem Dickens einen großen Einfluß auf die Bildung der Mittelklassen gewann. Dickens hatte sein Augenmerk besonders auf die Ver besserung des Erziehung-- und Unterrtchtswesen» ge richtet und schrieb spcciell rine Geschichte England- für Kinder. Seine Werke wurden meist in 100,000 Exem plaren aufgelegt und brachten ihm rin reiche- Einkom men, von welchem er den besten Gebrauch machte. In der letzten Zeit bereiste er Amerika und Italien und legte die Eindrücke dieser Reisen in zwei Werken nieder: „Note- of Amerika" und „PictureS fromJtaly", welche jedoch nicht jenen Anklang fanden, wie seine Romane. Der letzte Roman, an dessen Beendigung dm Autor der Tod behinderte und von dem bereit» auch da» crsteHeft einer deutschen Uebersetzung vorliegt, betitelt sich „Edwin Drood". Dickens hinterläßt 5 Kinder, von denm der älteste Sohn seit einiger Zett die Herausgabe der Zeitschrift „All the Pear Round" an seine» Vater»
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