Dresdner Journal : 21.08.1880
- Erscheinungsdatum
- 1880-08-21
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-188008217
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- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18800821
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Journal
- Jahr1880
- Monat1880-08
- Tag1880-08-21
- Monat1880-08
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- Dresdner Journal : 21.08.1880
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Sonnabend, den 21. August. 1880. I» ss»»»« »«te»,: ötLrliek: . . l« f-jLdrlicd: 4 Kitrir SO kl. Liorslov Kunnosro. lv kk rd»Id 6s»6e»t»ct>«Q keiet»«» tritt I'o»t- uo«t 8tewp«lrui>ottitt^ dimu. luseruteunnei»«» ttr «Iso ltooio einer ^«i>»Iteovo ?stitr«ils 20 ?k. voter „Lio^«»»Lät" Uls Leit» bv kl. knebeluvur KEliob mit Xuinnkms 6er 8000- 006 keierta^ Xbeoä» für 6ea kol8eo6eo "kog DreslMtl ^oimml. Inxerutenannnlinie an^vllntilt Letprt^: F>. ^ra»<l»t«tter, t^oinmi^xioniir 6e« Dreeüuer 6ourvi«k; N^darff -N»rii» Vi«o l.«ip»i^ L»««I - Lr«»l»a krLokkurt A - Daa«tn>tfln L kvA/er, Lerlio Vi«o-Si»md«rss- kri«^-I^ipii^-kr»ll>lturt ». U »üoeksa: K»««e,' L,riia: §./«»rnicl', , Sr«m«ll: D.KcKotte,' Lr«,I»u. L. LtariAe n^ kiirenu; vdimotti: /<>. kr»nkfurl ». H.: </arAer^»ct>e u. </. 0. ^err»>a»o- eeke liuekk-nölnvl«; 0vrM«: Ln Snooorer: 6 Scku»-«/,,,' k»rt» L«rlm-rr»lll«tui-t ». ». StnttU^! Daube ^a.,- Loiadar^: D L^leuclAe», F6. Lt«»er. Verantwortliche Redaction: Oberredacteur Rudolf Günther in Dresden. IkerLnsxvdvr: Lönitkl. Petition 6e» l>re»6oor lournLie, !>ro»6en, /viv^relruE Ko 20. Amtlicher Theil. Se. Majestät der König hat allergnädigst geruht, dem Metallgiebereibesitzer Christoph Albert Bierling zu Dresden da- Ritterkreuz II. Klasse vom AlbrechtS- orden zu verleihen. Se. Majestät der König hat allergnädigst geruht, dem Obermarkthelfer in der Verlagsbuchhandlung von I. I. Weber zu Leipzig, Johann Gottlieb Richter, da» allgemeine Ehrenzeichen zu verleihen. Nichtamtlicher Theil. Telegraphische Nachrichtr». London, Donnerstag, 19. August, AbendS. tW. T B.) In der heutigen Sitzung deS Unter hauses erfolgte die Beantwortung mehrerer Inter pellationen bezüglich der orientalischen Krage. In Beantwortung einer Anfrage Wolss's erklärte der UnterstaatSsecretär des Aeußern, Dilke, die Re gierung sei bereit, auf vollständige Ausführung de» Berliner Vertrage» zu dringen. Ihren Vertreter in Sofia habe sie erst ganz kürzlich angewiesen, die Auf merksamkeit der bulgarischen Regierung auf die Stipu lationen wegen der Festungswerke von Rustschuk zu lenken. Aber sowohl diese Frage wie die Frage der Uebernahme eine» Theiles der türkischen Schuld durch Serbien interessire in ganz gleichem Maaße auch die übrigen Unterzeichner de» Berliner Vertrages. Etwaige bezügliche Schritte seien daher im Einverständniß mit den anderen Mächten und nicht von England allein »u thun. — Anderson gegenüber bemerkte Dilke, eS sei ihm nicht» davon bekannt, daß eine türkische Frau, welche jüngst zur englischen Botschaft sich geflüchtet habe, nach ihrer Entlassung au» der Botschaft stran- gulirt worden sei. Der Botschafter Göschen sei aber telegraphisch angewiesen worden, über das Gerücht, da» er für unwahr halte, Erkundigungen einzuziehen. — Auf eine Anfrage Bartelot'S endlia, antwortete Dilke, der bulgarischen Regierung seien unausgesetzt wegen der Mißhandlung von Muselmännern Vorstellungen gemacht worden; die anderen Mächte hätten, wie er glaube, ähnliche Schritte gethan. In einigen Theilen Bulgarien» seien die Muselmänner großen Leiden aus gesetzt gewesen, für ihr Leben und Eigenthum fehle eS an wirksamem Schutze; die bulgarische Regierung habe aber die bestimmtesten Versicherungen gegeben, daß sie den Muselmännern ausreichenden Schutz gewähren wolle, und nach den neuesten Nachrichten scheine auch eine Besserung der Zustände eingetreten zu sein. Nach einer Meldung auS Sim la von heute war daS Gerücht verbreitet, Ajub Khan habe Kandahar von der Südseite auS angegriffen; von drei Seiten der Stadt her sei vom Morgen bis zum Abend eine Kanonade hörbar gewesen; die englischen Verluste seien nur unbedeutend. St. Petersburg, Donnerstag, 19. August, AbendS. (W. T. B.) Die Ernennung deS Grafen LoriS-Melikow zum Minister deS Innern ist nach officiellrr Mittheilnng nunmehr erfolgt. Gleich zeitig ist General Tscherewin, bisher Leiter der dritten Abtheilung der kaiserlichen Kanzlei, zum UnterstaatSsecretär im Ministerium des Innern ernannt worden. Bukarest, Donnerstag, 19. August. (Tel. d. Presse.) Die Russen ziehen bei Leovo am Pruth (Bessarabren) rin ArmeecorpS, auS 25099 Maua bestehend, zusammen, wovon 10999 Mann - Infanterie, 3090 Cavallerie, 8 Batterien bereit» in der Umgebung deS Städtchens lagern. Weitere 5000 Mann Infanterie und 3990 Eavallerie sind von Bender auf dem Marsche und stehen äugen- blicklich bei Karabuuar (Bessarabien). Feuilleton. Nedigitt von Otto Bauet. Au» der Makart«AuSstellung. Am 22. August wird die Makart-AuSstellung auf ber Brühl'schen Terrasse geschlossen, worauf wir, bei der Thrilnahme, welch« dieselbe findet, nicht verfehlen wollen, aufmerksam zu machen. Ein Besuch der Au», strllung dürste sich gegenwärtig umso lohnender er weisen, al» letztere seü Kurzem, neben dem bereit» hier besprochenen Gemäldecyklu» »die fünf Sinne*, ein zweite», von dem Meister jüngst erst vollendete» Bild, -Eine BacchantensamiUe", enthält, welche» in seinen künstlerischen Qualitäten noch ungleich bedeutender und anziehender erscheint, al» jener Lytlu». Die lebendigen Gestalten gehen mit dem breit und schön behandelten, landschaftlichen Hintergrund prächtig zusammen, indem da» Eolorit eine seltene Kraft und Einheit erzielt; do» Ganze ist in seiner Wirkung von dem unlaugbaren Reiz, welcher allen Schöpfungen de» reich begabten Künstler» eigen, trotz mancher Flüchtigkeiten in der LuSsührung, die sich auch hier wiederholen. Noch bietet die Au»stellung Gelegenheit, Makart » sämmt« ltche Werke, wenigsten» in Photographien, kennen zu lernen; daruoter befindet sich auch .die Jagd der Diana*, «iue große, figurenrelche Darstellung, welche ebeusall» «ine Rundreise durch die Kunststädte Deutsch- land» angrtreten hat und die bereit» iu der Presse be- sproche» worden ist. x Konstantinopel, Donnerstag, 19. August, Nachmittags. (Corr.-Bur.) Die von gestern datirte Antwort der Pforte auf die letzte Note der Mächte betreffs Montenegro wurde heute den Botschaftern zugestellt. Wie die „Neue freie Presse* erfährt, erklärt die Regierung de« Sultan», daß sie zur Abtretung Dul- cigno» an Montenegro entschlossen sei. Die neue Grenze müsse aber von Podgonzza bis zum Skutari see an Ort und Stelle nach den durch den Berliner Vertrag angegebenen Punkten tracirt werden. Indem nun die Pforte diesen Beweis von Willfährigkeit gebe — heißt e» in ber Antwort der Pforte — und an Montenegro die Hauptstadt einer fruchtbaren Provinz abtrete, stelle sie zugleich das Verlangen um Verlängerung des CessionStermins um einige Wochen, indem 21 Tage zur Durchführung der Ab tretung ungenügend seien. Die Pforte hofft um so mehr, daß die Mächte diesem Wunsche nachkommen werden, al» sie bereit» Maßregeln zur Abtretung er griff. Die Pforte hält ferner an der Wahrung der SouveränetätSrechte bl» zum Augenblick der vollzogenen Abtretung fest, damit man jede fremde Einmischung vermeide. Wenn die Mächte diesen Vorschlag ablehnen und Montenegro trachte, Dulcigno mit Unterstützung der Mächte durch Gewalt in Besitz zu nehmen, dann erklärt die Pforte, an keiner derartigen Coörcitlvmaß- regel Theil nehmen zu können. Dresden, 20. August. Bedeutsame administrative Reformen sind in den letzten Tagen aus Rußland gemeldet worden. Die bekannte dritte Abtheilung der kaiserl. Kanzlei soll ausgelöst und in ein vom Ministerium des Innern ressortirendes Departement umgewandelt werden. Des gleichen ist die Auflösung der vom Grafen Loris- Melrkow präsidirten EomMission beabsichtigt. Das Ministerium deS Innern würde in der Folge Graf Lons-Melikow übernehmen, während der bisherige Ches desselben, Makow, mit der Leitung des Post- und TelegraphenwejenS betraut wird. Das letztere Ministerium existirte bereits selbstständig, bis General Timaschew vor ca. 12 Jahren zum Minister des In nern ernannt wurde, worauf eS zu einem Departement des Ministeriums de» Jnnein umgesormt wurde. AuS Allem geht hervor, daß ruhigere Verhältnisse in Ruß land thatsächlich emgetreten sind, und das ist ein Er folg des Grasen Lorts-Melikow, wie man ihn kaum zu hoffen gewagt hatte. Nach der Meinung der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung* charakteri- siren sich die m Aussicht gestellten Personalveränderungen und Berwaltungsresormen im Großen und Ganzen als „eine Steigerung der Machtbefugnisse des Grafen Lorls- Melikow*. Auch die „Neue freie Presse* erblickt rn jenen eine Stärkung der Autorität dieses Staats mannes, begrüßt in ihnen aber zugleich mit ausrich- riger Befriedigung „das Ende der Dictatur in Ruß land*. Die Thätigkeit des Grasen Loris - Melikow erfährt bei dieser Gelegenheit in dem entschieden russen feindlichen Organ eine gerechte Würdigung, bei welcher, weil von dieser Seite kommend, von einer Parteinahme jedenfalls nicht die Rede sein kann. Das cilirte Wiener Blatt sagt: „UeberauS langsam vollzieht sich der innere Wandlungsproceß, welchem Rußland gegen wärtig unterworfen ist, denn nut zäher Ausdauer hält das Zarenthum allen populären Wünschen zum Trotze an seinen absolutistischen Urberliejerungen fest. Die Zugeständnisse, welche seit Jahresfrist gemacht wurden, sind im Vergleiche mit den Forderungen, welche ihnen gegenüberstehen, verschwindend gering, und wären nur sie eS, aus denen man das Schweigen des Nihilismus und die allgemeine Beruhigung der Gemüther herzu- lelten hätte, so befände man sich vor einem schwer Musiker-Typen. (Schluß zu Nr. ISS.) Meyerbeer wiederum trug stet» eine geflissentliche Bescheidenheit zur Schau. Ganz im Gegensätze zu Spontini suchte er Jede» durch zuvorkommende Liebens würdigkeit für sich einzunehmen. Als er in Paris seinen „Robert" vorbereitete, fand er in der Ausstat tung Manches zu simpel. „Lieber Director* — sagte er zu Veron — „wollen Sie denn meine Musik ganz ruiniren und sie gar nicht unterstützen?" Veron ließ sich da» gejagt sein und entfaltete in dem Arrangement der Nonnenscene eine ganz ungewöhnliche Pracht. „Aber lieber Director" — sagte jetzt Meherbeer zu Veron — „wollen Sie meine Musik ganz ruiniren? DaS Publicum wird nur sehen und sie ganz ver gessen I" Meyerbeer war ein Weltmann im vollsten Sinne deS Worte- und besaß die Schmiegsamkeit eine» solchen, hatte aber dennoch seine Marotten, die »hn zu einem Sonderling stempelten. Der Sänger Levasseur wußte davon manches pikante Stückchen zu erzählen. Ein Zufall hatte mich mit Levasseur zusammen geführt. Als eS kund wurde, daß Meyerbeer gestorben sei, eilte ich in die Wohnung de» Tonmeister-, um etwa- Nähere» über die letzten Stun den de» Dahlngeschiedenen zu erfahren. Ich fand un ten bei dem Concierge mehrere Herren, die in dersel ben Absicht gekommen waren. Der Concierge erzählte ihnen gerade, wie vor einigen Stunden Rossini dage wesen und de» ihm, al» er die Nachricht vom Tode Meyerbeer'» vernahm, in Ohnmacht gefallen sei. „Der arme Rossini!* nes ein kleiner Mann imt einem grauen, schon stark m» Weiße spielenden Vollbart au», „ihn lösbaren Räthsel. Nichtsdestoweniger ist e» nun einmal eine unverkennbare Thatsache, daß seit 6 Monaten der revolutionäre Ansturm, welcher daS russische Staatswesen von innen her aus den Angeln zu heben drohte, sich beschwichtigt hat, daß der ent setzlichen nihilistischen Razzia aus das Leben des Zaren Einhalt gethan und die demagogische Propaganda in ihre Schlupfwinkel zurückgedrängt worden ist. Wem gebührt dieses Verdienst? Unzweifelhaft dem Grafen LoriS-Melikow, dem Chef jener obersten anordnenden Commission, welche nach dem Attentat im Winter palaste errichtet und mit Befugnissen ausgestattet wurde, die eher auf die Absicht einer blutigen, als auf den Wunsch einer humanen Bewältigung des Unheil» schließen ließen. Und wie hat e» Graf Loris-Mellkow zu Stande gebracht, das hitzige Fieber zu verscheuchen? Indem er kluge Milde walten ließ, wo bisher die Un barmherzigkeit der Knute in Uebung gewesen war, die Entfernung mißliebiger Minister, wie Timaschew'», des Ministers deS Innern, und Tolstoi's, des Auf klärungsministers, bewirkte und der studlrenden Jugend die Möglichkeit eröffnete, ohne Einbuße an ihren künf tigen Hoffnungen aus der Umarmung der nihilistischen Propaganda sich zu lösen. Es wäre kein Wunder ge wesen, wenn einem solch erfolgreichen Wirken gegen über das Schranzenthum und der in seinen Grund festen bedrohte Tschin sich zusammengethan hätten, um den armenischen Neuerer auS der Gunst des Zaren zu verdrängen. Und eS hat an Bemühungen dieser Art in der That nicht gefehlt. Gras LoriS-Melikow hatte schwere Mühe, durch sein Verhalten die Vorurtheile gegen seine „Dictatur" zu beseitigen, schwerer noch, die Meinungsgegensätze liberalisirender PhraseurS von der Sorte Walujew'S, das Uebelwollen allmächtiger Günst linge von der allrussischen Observanz zu überwinden. Hätte er sich in seiner dornenvollen Mission, den Pulsschlag des m allen Schichten aufgewühlten rus sischen Volke- auf eine normale Frequenz zurückzu führen, auch nur die geringste Blöße gegeben, so wäre sein Wirken rasch zu Ende gewesen. Als er die dritte Abtheilung unter seine persönliche Aufsicht nahm und deren unbeschränkte Befugnisse eindämmte, al- er die Ersetzung Tolstoi'- durch Saburow und die Berufung des freisinnigen Abaza an die Spitze der Preßverwal- tung veranlaßte, waren seine Widersacher hoch erfreut, denn sie wähnten, es seien eitel Mißgriffe, die den Sturz des neuen Posa zur Folge haben müßten. Aber der kluge Armenier sah scharfer, als sie; er hatte die Präsumtion des Erfolges für sich, da die That sache der wachsenden Beruhigung und des zuneh menden Vertrauens im Volke auch im Winterpalaste nicht unbemerkt bleiben konnte, und Zar Alexander, sonst von argwöhnischem und mißtrauischem Na turell wie alle Selbstherrscher, denen bittere Erfah rungen nicht fremd geblieben, bewahrte ihm sein Vertrauen, das er nicht blos durch ein unbedingtes Gewährenlassen, sondern auch durch manches äußere Zeichen demonstrativ bethätigte. Und noch eine andere Klippe war klüglich zu umfegeln, wenn das Schiff, welches den Grafen LoriS-Melikow und sein Glück trug, nicht scheitern sollte. Die Macht ist eine arge Verführerin; wer sie besitzt, versteht es selten, zur rech ten Zeit sich ihrer zu entjchlagen, noch , seltener, sich in ihrem Genüsse vor Ueberhebung zu bewahren. Wie viel Größe ist doch an diesem Defecte zunichte gewor den. Gras Loris-Mellkow war der mächtigste Mann in Rußland, und es hätte ihn, je nachdem, ein über- müthiger Ehrgeiz oder em resignirte» Ruhebedürsniß anwandeln können rm Angesichte der gewaltigen Auf gabe, die ihm gestellt war. Aber nichts von Alledem geschah. Er folgte unverwandt seinem Ziele, und er begiebt sich, da er den Weg dazu sich rüstig angebahnt hat, freiwillig der außerordentlichen Machtsülle, die ihm elngeräumt war, um fortan nicht mehr auf einsamer Höhe, packt die Angst, daß nun die Reihe an ihn kommen könnte. Aber wer hätte auch gedacht, daß mein armer Freund Meyerbeer gerade jetzt sterben werde?" —„Sie kannten Meyerbeer persönlich?" fragte ich ihn. — Ob ich ihn gekannt habe? war ich doch der erste Bertram!" — „Also Herr Levasseur?" — „Ja! ja! der alte Le vasseur, der schon ein ausrangirtes Pferd ist, während mem armer Freund in seiner vollen Thätigkeit dahm- schied." — Als wir zusammen fortgingen, theilte nur Levasseur noch manches Interessante über die erste Aufführung des „Rodert" mit. Der Meister liebte es, bevor die großen Proben angingen, den Trägern der ersten Partien seine In tentionen auf daS Genaueste darzulegen. So wollte er auch Levasseur ein Bild der Rolle des Bertram vorhalten, wie er dieselbe sich gedacht habe und wie er sie auSgeführt wünschte. Das Natürlichste war, den Sänger für eine bestimmte Stunde zu sich einzu laden. Allein dieser Weg war für Meyerbeer zu praktisch. Bei ihm könne man leicht gestört werden, meinte er, und so wählte er ein andere» Mittel für diesen Zweck. Er mlethete in der Hauptstraße der ziemlich entlegenen Vorstadt BatignolleS em kleines Zimmer m einem vierten Stock. Dort trafen sich denn Beide zu einer bestimmten Zeit, gewöhnlich um 4 Uhr Nachmittag», und besprachen die Sache. Einige Tage ging Alle- prächtig. War auch der Ausgang beschwerlich, so fand man doch die gewünschte Ruhe. Aber e» sollte bald ander- kommen. Einst saßen Beide ganz vertieft in ihre Aufgabe; Meyerbeer ent faltete dem Künstler alle Pointen des Bösen, welche dieser au»gestalten sollte, al» e» mit einem Male an die Thüre klopfte. „Wer ist da?' rief Meyerbeer un« sondern in Reih und Glied, im Zusammenwirken mit den Anderen für die Förderung Rußlands thätig zu fein. Er übernimmt daS Portefeuille deS Innern und behält von den Prärogativen der Dictatur nichts, als die Leitung der dritten Abtheilung; jenes, weil eS am unmittelbarsten den Zusammenhang des Staatswesens mit dem Volksleben repräsentirt, diese, weil an keiner Institution in Rußland in höherm Maße die Verant wortung für das angerichtete Unheil klebt, al» an der dritten Abtheilung. ES ist keineswegs eine Minde rung der Autorität, welche sich in diesem Wechsel der Functionen darstellt, man könnte eher dar Gegentheil behaupten. Das Ministerium des Innern ist der In begriff aller thatsächlichen Macht, denn es verfügt nicht bloS über sämmtliche Behörden, sondern auch über die Polizei. Es kann dem Unwesen der Tschi« nowiilks, der Exportation ohne Spruch und Unheil, der Bestechlichkeit und dem Aemterjchacher steuern. So lange eS von einem Timaschew verwaltet wurde, be deutete es nichts; ein Lons - Melikow, der sich der Dictatur begiebt, um unmittelbar an die Verbesserung der vaterländischen Zustände die Hand zu legen, kann es zu der Amtsstelle erheben, von welcher vielleicht die innere Wiedergeburt Rußlands ausgeht. Der naheliegende Schluß, daß die Gefahr weiterer Con- vulsionen in Rußland beseitigt sei, weil die oberste anordnende Commission und mit ihr der Ausnahme zustand aufgehoben, weil die Dictatur abgeschafft und die dritte Abtheilung endgiltig depossedirt wird, wäre trotzdem verfrüht. Die revolutionäre Propaganda ist nicht todt, sie liegt nur lauernd und auf günstigere Zelten wartend im Verborgenen. Und sie wird auch nicht früher auSgerottet jein, als bl- die Umwandlung Rußlands »n einen modernen Staat wirklich vollzogen ist. Eine Krankheit, wie diejenige, welche in der poli tischen Pathologie den Namen des Nihilismus trägt, wird nicht binnen Monaten und nicht durch calmirende Mittel besiegt; sie weicht nur, wenn dem erschütterten Organismus diejenige Kräftigung zugeführt wird, welche die Völker auS einem geordneten Versassungsleben schöpfen. Aber wenn Rußland überhaupt noch bessere Zeiten sehen soll, so muß zunächst sein Beamtenthum, seine Polizei gesäubert werden, und dies zu voll bringen, scheint das Ministerium deS Innern die rechte Schmiede und Graf Lous - Melikow der rechte Mann zu sein. Graf LoriS-Melikow ist ke«n Russe; vielleicht erklärt eS sich aus diesem Umstande, daß der Procep der inner» Wiederherstellung Rußlands unter seiner Hand ruhiger und geräuschloser von Statten geht, als eS unter der Hand eines Russen der Fall sein würde." — Auch ein russischer Correspondent der „Neuen Evangelischen Kirchenzeitung" beschäftigt sich ein gehend mit dem bisherigen W«rken des Grafen LoriS- Melikow und constatirt, daß die Maßnahmen desselben von einem gesündern Geiste, als dem der hlsherigen Verwaltung eingegeben seien. Zugleich aber wird der Befürchtung Ausdruck verliehen, daß der Graf die Nihilisten durch den Slawismus für sich zu gewinnen und, nachdem er gewisse Conceffionen im Innern ge währt, die Augen der Nation nach außen zu richten beabsichtige. Ebenso halte er auch an der Verquickung von Slamenthum und russischer Staatsorthodoxie fest. Zwar würden den konservativen Secten der russischen Kirche gewisse Concejsionen in Aussicht gestellt, um dieselben allmählich mit der Hauptklrche auszusöhnen. Aber die Staatskirche werde nach wie vor an erster. Stelle als politischer Factor angesehen und daher aller Erweckung mnern Lebens in ihrer Mute, wovon man politische Schwierigkeiten jürchtet, entgegenlrelen. Zahl reich besuchte Versamnuungen des Obersten Pajcykow, des Grasen Bobrinsky und des Grafen Korff m St. Petersburg, welche nichts, als eine sichtlich«. Verinner lichung erstrebten, seien durch direktes Einschreiten de» Dlktators geschlossen worden. willig. — „Im Namen des Gesetzes, öffnen Sie die Thüre", hieß eS draußen. — Beide sahen sich verblüfft an. „Was soll das heißen?" rief Meyerbeer. — „Im Na men des Gesetzes, öffnen Sie tue Thürl* hieß es aber« malS draußen. Mit einem verwunderten Gesicht öffnete Meyerbeer jetzt die Thür. Da zeigten sich einige Sergeant»-de-Ville mit einem Lommissar und hinter ihnen die Miethrfrau, welche verschmitzt lächelte. „Wa» soll da» heißen?" rief der Componist. — „Ich habe den Befehl, Sie unverzüglich zu verhaften und Sie auf da» Polizeibureau zu führen." — „Wie?! Wa»?!* — „Kommen Sie ohne Weiteres mit", lautete die peremptorische Antwort. Da war nun weiter nicht zu thun. Beide mußten sich in da» Unvermeidliche fügen und unter dem Geleite einer zahlreichen E-corte müßiger Zuschauer dem Lommissar in da» glücklicher Weise nahe gelegene Bureau folgen. Hier hieß e» wieder warten, bevor das Verhör begann. „Meyerbeer schaute wüthend drein" — sagte mir Levasseur — „mir jedoch machte die Affaire königlichen Spaß, denn wa» konnte schließlich heraus kommen!" In der That wurden Beide, sobald sie sich legltimirt hatten, al» ungesährliche Menschen entlassen. Die Ausklärung ließ nicht auf sich warten. Der MiethSs.au war e» ausgefallen, daß die neue Wohn« Parte» da» Zimmer nur für einige Stunden benutzte und sich immer zu einer bestimmten Stunde mit einem fremden Herrn ein Rendez-vou» gab, wo dann eifrig debattirt wurde. Die Frau lauschte mitunter, da sie aber nicht» von Dem verstand, wa» gesprochen wurde, so hielt sie die Männer sür verdächtig und machte die Anzeige bei der Polizei. Natürlich. Die Jnlirevolu« tion war noch in frischer Erinnerung, man witterte
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