Dresdner Journal : 14.11.1905

veznisprei«: Veim Bezüge durch di« HelchLstsIlelle inner««« Dresdens 2,50 M (einschl. Zulragung), durch die H?ok im Dkulichkii Reiche 3 M. (au-schließlick Bestellgeld) vierteljährlich. Einzelot Nummern 10 Ps. Wird Zurücklenduna der für die Schriftleitung bestimmten, «der von dieser nicht ein» geforderten Beiträge bean sprucht, fo ist das Postgeld beizufügen. ArtMm W Zmmlnl. Herausgegeben von der Königl. Expedition des Dresdner Journals, Dresden, Große Zwingerstraße 20. — Fernspr.-Anschluß Nr. 1295. Erscheinen: Werktag- nachm 5 Uhr. — Originalberichte und Mitteilungen dürfen nur mit voller Quellenangabe nachgedruckt werden. Ankündigung-gebühren: Die Zeilt kleiner Schrift der 7 mal gespaltenen Ankündi- gunaS-Seite oder deren Raum 2« Pf. Bei Tabellen- und Ziffernsatz 5 Pf Ausschlag für die Zeile Untern, Ne- daktion-strich (Eingesandt) sie Textzeile mrttier Schrift oder deren Raum bv Pf. Gebühren > Ermäßigung bei Ssterer Wiederholung. Annahme der Anzeigen bi miltags 12 Uhr für die nach mittags erscheinende Nummer. W265 Dienstag, den 14. November nachmittags. 1905. Amtlicher Teil. Dresden, 14. November. Se. Königl. Hoheit der Herzog und Ihre Kaiserl. und Königl. Hoheit !»e Frau Herzogin Philipp von Württemberg nnd heute früh 7 Uhr 8 Min. hier eingetroffen und haben im Prinzlichen Palais Zinzendorfstraße Quartier genommen. Se Majestät der König haben Allergnädigst geruht, dem Obermarkthelfer Holder in der Buchhandlung von Fr. Ludwig Herbig in Leipzig die Friedrich August-Medaille in Silber zu verleihen. Vom 1. Dezember 1905 ab ist der Hilfsreferent, Postinspektor Dittrich in Chemnitz in gleicher Eigen schaft zur Kaiserl. Ober-Postdirektion in Leipzig ver setzt und die dadurch bei der Kaiserl. Obcr-Post- dircktion in Chemnitz frei werdende Stelle eines Hilssreferenten dem Telegrapheninspektor Poller in Leipzig unter Ernennung zum Postinspektor über tragen worden. Nachdem Se. Majestät der König von Sachsen auf Grund von Art. 50 der Verfassung des Deutschen Reiches zu diesen Anstellungen die landesherrliche Bestätigung erteilt haben, wird Solches zur öffent lichen Kenntnis gebracht. Dresden, am 8. November 1905. Finanzministerium. -,261 Ernennung««, Versetzungen re. im öffent liche« Dienste. Am «eschäftsberciche dc« Ministeriums veö Kultus und öffentlichen Unterrichts. Zu besetzen: die 4. ständige Lehrerstclle in Röblitz b. Lichtenstein. Kol- lator: die oberste Schulbehörde 1300 M und Amtswohnung. Gesuche mit sämtlichen vorschriftsmäßigen Unterlagen, auch AmtSführungszeugnissen bis in die neueste Zeit und gegebenen- salls Militärpapieren, sind bis 30 November bei Bezirks- schulinspektor vr. Richler, Glauchau, einzureichen; — eine ständige Lehrerstelle an der siebenklassigen Schule zu Grün hainichen. Kollalor: die oberste Schulbehörde. 1300 M , erhöht sich aller 3 Jahre zweimal um je 150 M. und sieben mal um je IFO M; Wohnungsgeld für verheirateten Lehrer 250 M , für unverheirateten 200 M.; dazu kommen ev 2 St. Unterricht in der Fortbildungsschule und 1 Turnstunde. Musikalische Kenntnisse erwünscht. Bewerbungen mit allen erforderlichen Unterlagen bis 29. November an den Bezirks schulinspektor in Flöha j -, (Behördl. Bekanntmachungen erscheinen auch im Anzeigenteile.) MchlnmNichtr Teil. Schweden. Auf Grund der Verhandlungen in Karlstad, die in Verfolg der Ereignisse des 7. Juni d. I. in Norwegen stattgefunden haben, ist durch Vertrag zwischen Schweden und Norwegen die seit 1814 zwischen beiden Ländern bestandene Union gelöst worden. Dieser Vertrag, bestimmt eine neue dauer hafte Unterlage für die Beziehungen zwischen den genannten Staaten zu bilden, hat beiderseits die Genehmigung der maßgebenden Faktoren erhalten. Hiernach ist von der schwedischen Regierung allen den Staaten, wo schwedisch-norwegische Vertretungen beglaubigt waren, die erfolgte Trennung von Nor wegen und der Verzicht des Königs Oskar und seines Hauses auf die Krone von Norwegen notifiziert worden. Der Titel des Monarchen wird künftig lauten: König von Schweden, der Goten und der Wenden. Vom 1. November ab ist auch aus der Lunst und Wissenschaft. Königl. Opernhaus. Am 13. d. M.: „Der Troubadour". Oper in vier Akten. Nach dem Italie nischen des S. Cammerano von Heinrich Proch Musik von Joseph Verdi. Mit zwei Gästen in entscheidenden Rollen ging gestern das längere Zeit nicht gegebene, der Sturm- und Drangzeit seines Schöpfers entstammende Werk in Szene, was jedoch nicht verhinderte, daß sich die Vorstellung vor nur schwach besetztem Hause abspielte. Von den beiden Debütanten schnitt der Vertreter des Manrico Hr. An ton vom Stadttheatcr in Essen wenig günstig ob. Der offenbar noch junge Sänger verfügt ersichtlich über sehr belangreiche Mittel, anscheinend über einen auf baritonaler Grundlage ruhenden echten Hcldentenor, aber angesichts des Standes der Ausbildung, in dem sich das schöne Material befindet, wird jede Diskussion über ein in Aussicht zu nehmendes Engagement hin fällig. Ganz abgesehen davon, daß auch das Spiel ein für die hiesigen Verhältnisse unmögliches zu nennen war Da hatte denn der andere Gast, Frl Marga Neisch vom Stadttheater in Breslau, welche die Azucena sang, von vornherein einen günstigen Stand Aus dem Konzertsaal war es bekannt, daß die Sängerin über eine Stimme (Mezzo-Sopran) von nicht gewöhnlichem Um fang und beträchtlicher Ergiebigkeit verfügt, also über Mittel, die ihre Berufung für die Bühne nach dieser Seite hin außer Zweifel stellen. Daß diese Mittel nicht gerade von einem besonderen Reiz im Timbre sind, fällt für den »I krvsoo-Stil des Bühncngesangs ohnedies weniger in« Gewicht Frl. Neisch zeigte aber überdies auch eine gute darstellerische Befähigung, die zwar mehr Produkt des Fleißes, als Ausfluß einer ursprünglichen Kriegs- und Handelsflagge das bisher in der oberen Ecke befindliche Unionszeichen entfernt worden. Die schwedische Flagge bietet demnach wieder den früheren Anblick: blau mit gelbem Kreuz Gleich anderen Regierungen hat auch die schwedische die Anerkennung Norwegens als selb ständigen Staat ausgesprochen und es ist nach allem die Hoffnung begründet, daß unter den neugcstalteten Verhältnissen friedliche und freundschaftliche Be ziehungen auf der skandinavischen Halbinsel sich ent wickeln werden. Im unmittelbaren Anschluß an die vollzogene Trennung der Union ist es in Schweden zu einer Ministerkrisis gekommen. War es auch zu er warten, daß der letzte schwedisch-norwegische Minister des Auswärtigen angesichts der veränderten Lage sein Portefeuille zur Verfügung stellen würde, so ist der Grund für die Demission des gesamten Kabinetts Lundeberg doch nicht sowohl in den äußeren Vorgängen, als vielmehr in der innerpolitischen Lage Schwedens zu suchen. Tas in sich wohl nicht durchweg geschlossene konservative Ministerium Lundeberg sah sich unter dem Druck liberaler Strömungen genötigt, zurückzutreten und einem liberalen Ministerium unter Führung des Rechtsanwalts Staaff Platz zu machen Die Mitglieder des Kabinetts sind über die Grenzen ihres Heimatlands hinaus nicht bekannt und von Interesse ist für das Ausland zunächst wesentlich nur die Persönlichkeit des Mannes, der als erster be rufen ist, die neue Phase schwedischer Politik ein zuleiten. Es ist dies der bisherige schwedisch norwegische Gesandte in Kopenhagen v. Trolle. Hat man gewiß auch darauf Rücksicht genommen, einem Manne das Portefeuille des Äußeren zu übertragen, der nicht in verständnislosem Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern des Kabinetts steht, so ist doch hierbei wohl in erster Linie die Erwägung maß gebend gewesen, eine Persönlichkeit zu finden, die ge eignet und befähigt erschien, die mit jeder Neu gestaltung verbundenen Schwierigkeiten zu überwinden. In Deutschland und gerade auch hier ist Hr. v. Trolle kein Fremder; lange Jahre hat er der in Berlin und an verschiedenen anderen deutschen Höfen be glaubigten schwedisch-norwegischen Gesandtschaft als Legat'onsrat angehört. Er wurde dann in die verantwortungsvolle Stellung des Kabinettssekretärs im Ministerium des Äußeren in Stockholm berufen, die er schließlich allerdings nur für wenige Monate mit dem Gesandtenposten in Kopenhagen vertauschte. Man wird sagen dürfen, daß für das ihm jetzt an vertraute Amt kaum eine glücklichere Wahl getroffen werden konnte. Möchte dem Minister zum Wohle Schwedens und zur Erhaltung guter Beziehungen nach außen eine lange erfolgreiche Wirksamkeit beschieden sein! Der Aufstand in Deutsch-Zü-weltafrika. Die früheren englischen Mitteilungen über den Aufenthalt von über die Grenze geflüchteten Herero im britischen Betschuanaland und über die Art, wie sie dort gehalten werden, finden aus neuester Zeit eine zuverlässige Bestätigung. In Nuchei, unweit Ouagganei, einer kleinen Polizeistation, die mit acht Basutos unter dem Kommando eines weißen Sergeanten besetzt ist, sitzen etwa 700 Herero, darunter 230 Männer mit etwas über 300 Rindern und 200 Bokkies Unter diesen Herero befinden sich folgende Großleute: Trau gott, Tjetjos Sohn, Justus Kavizeri, Jan Bois, Kaus ipau, der früher in Oas ansässig war, Baratjo von Otjihaenena. In Tsau sitzen gegen 300 Herero, davon 75 Männer mit nur 30 Rindern. Dabei sind Samuel Maharero, Friedrich Maharero, Alfred, Johannes Mupurua, der Schulmeister Wilhelm, Kajata, Katjahingi, Mutate von Omaruru, Kau- nunia, Kambasembls Sohn. Timotheus und Sala- tiel von Waterberg sind, wie die soeben eingetroffene „Deutsch-Südwestafr. Ztg" berichtet, zu Nechale ins Ovamboland gezogen. Die Engländer haben den Herero sämtliche Waffen abgenommen. Tagesgeschichte. Dresden, 14. November. Heute früh 7 Uhr 8 Min. trafen Se. Königl. Hoheit der Herzog und Ihre Kaiserl. und Königl. Hoheit die Frau Herzogin Philipp von Württemberg zu mehrtägigem Be suche Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Johann Georg hier ein und nahmen in Höchstdessen Palais Wohnung Se Königl Hoheit hatte Sich zur Be grüßung der Durchlauchtigsten Verwandten auf dem Hauptbahnhofe eingefunden Deutsches Reich. Berlin. Gestern vormittag unternahm Se Majestät der Kaiser vom Neuen Palais bei Potsdam einen Spaziergang und hörte dann die Vorträge des Ehefs des Zivilkabinetts Wirkt. Geh Nats vr. v Lucanus, des preußischen Kultusministers v. Studt und des Ober hofmeisters Frhrn. v. Mirbach. Später empfing Se Majestät der Kaiser den Regierungspräsidenten Schilling. — Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin, sowie der Kronprinz sind 10 Uhr 5 Min. abends nach Nürnberg abgereist. — Zum Jagdbesuch beim Fürsten Egon zu Fürsten berg wird Se Majestät der Kaiser heute kurz vor 12 Uhr nachts in Donaueschingen eintreffen. Für den 15. und 16. d M sind Fuchsjagden in Aussicht ge nommen. Die Abreise des Kaisers wird voraussichtlich am 17 nachmittags erfolgen. Für den 24 und 25. d M sind Hosjagdcn in der Göhrde geplant, zu der mehrere fürstliche Gäste Einladung erhalten werden — Die „Nordd Allg. Ztg." schreibt: Das „Berl. Tgbl " will gegen andere besser unterrichtete Blätter die Behauptung aufrecht erhalten, daß eine Mittel meerreise Sr. Majestät des Kaisers für das nächste Jahr festgesetzt sei. Die „Hohenzollern" habe Befehl erhalten, Mitte Januar seeklar zu sein. Derselbe Befehl sei an den „Sleipner" gegangen. Der Kreuzer „Porl" solle feme Probefahrten derart beschleunigen, daß er zu derselben Zeit fahrbereit sei. Die Schiffe würden die italienischen Gewässer aufsuchen und bis Konstantinopel dampfen An allen diesen Angaben über die Vorbereitung einer Mittelmeerfahrt Sr. Majestät ist nicht ein wahres Wort. — Die „Köln. Ztg." meldet: Auf Anregung Japans sind die deutsche und die japanische Re gierung schon vor einiger Zeit übereinaekommen, die Umwandlung der beiderseitigen Gesandtschaften in Tokio und Berlin in Botschaften in die Wege zu leiten. — Die Einberufung des preußischen Land tags ist, wie die „Nordd. Allg. Ztg." mitteilt, für den 5. Dezember in Aussicht genommen — über den augenblicklichen Stand der Reichs finanzreform verlautet, wie Berliner Blätter melden, an unterrichteter Stelle bisher noch nichts Endgültiges, da die Verhandlungen noch nicht so weit gediehen sind, daß es schon möglich wäre, irgendwelche feststehende Einzelheiten bekanntzugeben Es ist jedoch für die nächste Zeit eine Bekanntgabe der hauptsächlichsten Punkte von feiten der Verbündeten Regierungen zu erwarten Die Nachrichten, die in der Presse bisher über Einzelheiten auftauchten, beruhen, so weit sie nicht offiziösen Ursprungs sind, durchgehends nur auf Vermutungen, wenn ihnen auch das eine oder andere Richtige zugrunde liegt. Doch gehen die Absichten der Verbündeten Regierungen in einzelnen Punkten der projektierten Steuern wesentlich weiter, als bisher in der Öffentlichkeit angenommen wurde, während sie in anderen Punkten wieder dahinter zurückbleiben. Ob im Reichstage aus dem Kreise der Abgeordneten beraus ein Antrag gestellt werden wird, die Rcicks-Erb- unv starten Begabung zu jein scheint, sevoch immerhin auch in größeren Verhältnissen genügen dürfte. Jeden falls war die Leistung eine solche, daß man weiteren Darbietungen der Sängerin, die übrigens nur aushilfs weise auftrat, mit Interesse entgegensehen würde Die übrige Rollenbesetzung gibt nur in wenigem zu Be merkungen Anlaß Vor allem muß der Leonore der Frau Abendroth rühmend gedacht werden, die künst lerisch die schwerwiegendste Leistung des Abends war. Hr. Kieß ist dagegen als Luna nicht in seinem Element. So sehr man den Künstler als fleißige, vielseitig ver wendbare Kraft hat schätzen gelernt, so wenig wird man doch verkennen dürfen, daß sein künstlerisches Vermögen für Heldenbariton-Rollen nicht auSrcicht O. S. Rcsidenzthcater. Am 13. d M: „Unsere Don Jüans." Gesangsposse in vier Akten von Leon Trep tow Couplets von Gustav Görß Musik von Franz Roth und Adolph Fcrron (4 Vorstellung der I Serie dcS Schauspielabonncmcnts) Die bunten Erheiterungen, die der Treptowschc Schwank darbietet, haben, wie seine freundliche Wieder aufnahme am gestrigen Abend erwies, auch heute ihre Wirkung noch nicht verloren. Das ist ganz verständlich, wenn man sich die Poffen und Schwänke von heute mit ihren Obszönitäten und Schlüpfrigkeiten betrachtet Von ihnen untcrscheitet sich das alte Treptowschc Stück zu seinem Vorteile durch das Fehlen alles Lasziven und Widerwärtigen, während es an Unsinnigkeit mindestens nicht mehr gibt als diese Die gestrige Darstellung des Werkes war eine flotte und im großen und ganzen wohlgelungcne, wenn auch mehrere Einzelleistungen die Erinnerung an frühere Bühnenkünstler nicht verlöschen konnten. So vor allem die nicht an den ausgezeichneten Navratil des Hrn. Schweig hofer. Wie fleißig durchgearbeitet auch die Darstellung des Hrn Karl Bayer m vieler Rolle war: cs fehlte ihr doch das undefinierbare Etwas, das Hrn. Schweig hofer in dieser Aufgabe umblühte. Recht ansprechend charakterisierte ein neu gewonnenes Mitglied des Operettenensembles, Frl. Bertha Menzel, das heirats lustige Tschcchcnmädel Kathinka; insbesondere gelang ihr die Gesangsszene mit Tanz im zweiten Akte ganz vor trefflich. Die Regieführung wurde von Hrn Direktor Karl Witt mit gutem Gelingen besorgt, und Hr. Kapellmeister Bruno Brenner dirigierte die in die Handlung ein gestreuten Couplets, an deren Wiedergabe noch Hr. Franz Schwaiger wirkungsvoll beteiligt war, mit Ge schmack und musikalischer Sorgfalt. W. Dgs. Eine russische Literaturgeschichte. Die Blicke des ganzen Europa sind nach Osten ge richtet, mit mehr Teilnahme als Verständnis verfolgt man allerseits die erschütternden Vorgänge, die Gärungen und Wandlungen im russischen Reiche Schon lange vor dem Beginn der gegenwärtigen Begebenheiten ist die Empfänglichkeit für die Eigenart und die hauptsächlichsten Erscheinungen der russischen Literatur aus engen Kreisen in die weitesten gedrungen. Daß sie mehr und mehr den litera rischen Erscheinungen galt, die mit der gleichzeitigen Bewegung auf politischem und sozialem Gebiet, mit der wachsenden Opposition der gebildeten russischen Gesellschaft gegen die herrschenden Zustände, in ursächlichem Zusammenhang standen, stimmte mit der in Rußland selbst geltenden Anschauung überein. Die „Geschichte der russischen Literatur" von vr. A Brückner, dem Geschichts schreiber des russischen Reiche«, di« soeben (Leipzig, C F. Amelangs Verlag, 1905) hervortritt, muß schon in ihrer Einleitung bekennen, daß eine rein ästhetische Behandlung gerade der russischen Literaturcntwickelung schaftssteuer auch aus die V-Deszendenten und Ehegatten auszudehnen, ist natürlich unbekannt, doch hält man cs nicht für ausgeschlossen, daß aus den Reihen der links stehenden Parteien ein derartiger Antrag gestellt werden wird. Man glaubt jedoch trotz der bisherigen unklaren Haltung des Zentrums nicht, daß ein solcher Antrag Aussicht hat, im Reichstage angenommen zu werden Noch frag licher aber erscheint eS, daß er, falls dies wirklich ein- tretcn sollte, die Zustimmung des Bundesrats finden würde. Durch das Neichsfinanzgesetz vom 24. Mai 1904 ist das Fundament für eine sachgemäßere Haushalts führung im Reiche gelegt worden Darüber aber, daß man damit auch noch nicht entfernt das Ziel erreicht hat, sondern aus der betretenen Bahn kräftig weiter- fchreiten muß, wird niemand im Zweifel sein können, der sich die gegenwärtige Finanzlage rm Reiche, die in der nächsten Zeit mit Sicherheit zu gewärtigenden neuen Ausgaben und die zur Deckung derselben vor handenen Mittel vergegenwärtigt Was den gegen wärtigen Stand der Reichsfinanzen anlangt, so konnte schon das Gleichgewicht in dem Etat des letzten ab geschlossenen Rechnungsjahrs 1904 nur dadurch hergestellt werden, daß 40,6 Mill durch Überweisungen nicht ge deckter Matrikularumlagen ausgeschrieben wurden, von denen der 24 Mill, übersteigende Betrag im Interesse der Bundesstaaten mit zweijähriger Budgetperiode kreditiert wurde. Außerdem war im Reichstage der Ertrag der Zölle um 20 Mill M. über den Etat-Voranschlag der Verbündeten Regierungen erhöht worden. Von dem Kapital des Reichsinvalidcnfonds endlich mußten trotz der Entlastung des Fonds von den Veteranenbeihilfen nicht weniger als einige 30 Mill M aufgezehrt werden Dabei waren zur Deckung der Aus gaben des außerordentlichen Etats Anleihen im Betrage von über 235 Mill M vorzusehen, darunter über 101 Mill. Ai. für die Expedition in Südwestafrika Jedoch das Rechnungsergebnis des Jahres 1904 war noch ungünstiger als der Etat; cs weist nämlich einen Fehlbetrag von 8,6 Mill M auf Der Grund liegt vornehmlich darin, daß die im Reichstage vorgenommcne Etatskünstelei durch Heraufsetzung der Zolleinnahme um 20 Mill., wie im Jahre vorher die ebenso vom Reichs tage vorgenommcne Erhöhung des Etalsansatzes der Zuckcrsteuer, den tatsächlichen Verhältnissen nicht ent sprach; denn der Ertrag der Zölle blieb hinter dem erhöhten Etatsansatze um nicht weniger als 21 Mill. M zurück Der Etat für das laufende Rechnungsjahr konnte sodann, abgesehen von einer noch höheren Inanspruch nahme des Kapitals des Reichsinvalidenfonds, nur durch Erhöhung der Belastung der Bundesstaaten mit un gedeckten Matrikularumlagen auf den Betrag von 78 Mill M., alfo um nicht weniger als 54 Mill M. höher, als das, was ihre Finanzen dauernd höchstens tragen könnten, ins Gleichgewicht gebracht werden. Für 1905 mußte gleichfalls eine Anleihe von 226 Mill. M., darunter 81 Mill für Südwestafrrka, bewilligt werden. Auch für 1905 wurden im Reichstage wieder Ab änderungen der Etatsansätze vorgenommen Wie sich das Rechnungsergebnis stellen wird, ist zurzeit noch kaum auch nur annähernd zu schätzen. Das Bild der jetzigen Finanzlage des Reiches, wie cs sich aus Vorstehendem ergibt, ist demzufolge in seinen Hauptzügen folgendes: Stetiges und rasches Anwachsen des Fehlbetrags der eigenen Einnahmen des Reiches gegenüber seinen ordentlichen Ausgaben, demzufolge immer wachsende Belastung der Bundesstaaten mit ungedeckten Matrikularbciträgen bei unwirtschaftlicher Aufzehrung des Kapitalstocks des Reichsinvalidenfonds, und zugleich stetiges und rasches Anwachsen der Neichsschuld ohne entsprechende Vermehrung des werbenden Vermögens des Reiches. — Am 1. Januar 1906 treten die vom Bundesrate anfangs Juli d I erlassenen Verordnungen über den Betrieb der Bleihütten und über die Verwendung von Bleifarben in Kraft Die in Betracht kommenden Betriebsleiter werden gut tun, möglichst frühzeitig an die infolge dieser Verordnungen notwendigen Änderungen der Betriebseinrichtungen zu denken, damit mit dem Beginn des nächsten Jabres die rum Schutz der Arbeiter cr um veswtüen unmöglich sel, weit Vie Rusten setvst aus die ästhetischen Werte in ihrem Schrifttum das geringste Gewicht gelegt haben. „Daher die auffallende Ein seitigkeit, ja Ungerechtigkeit, die Ruffen den vollendetsten Werken der eigenen Literatur gegenüber bewiesen, wenn sie der Tendenz, den Erwartungen der Partei oder des Tages nicht entsprachen." Ter Tatsache gemäß, daß die Hauptströmung der russischen Literatur eine tenden ziöse ist, der anderen Tatsache entsprechend, daß sie unter den großen Literaturen die jüngste bleibt, spiegelt Brückners Werk in neunzehn Kapiteln, mit der Ent wickelung der russischen Literatur, der Dichtung zumal, auch die Entwickelung des gesamten russischen Wesens und Lebens, der Wechselwirkungen slawischer Ursprünglich keit und fremder Einflüsse, und widmet von seinen neunzehn Kapiteln nicht weniger als fünfzehn den Erscheinungen des neunzehnten Jahrhunderts Vier ein leitende Abschnitte müssen genügen, die Bedingungen, unter denen das moderne Ruffentum erwachsen ist, und ohne deren Kenntnis die richtige Einschätzung seiner Literatur, „des vollsten ungezwungensten Ausdrucks seiner selbst" unmöglich sein würde, darzustellen Der weitaus größte Teil des Brücknerschen Buches — 400 Seiten von 500 — gilt der Entwickelung, die sich von der Zeit Zar Alexander« I. bis zur unmittelbaren Gegenwart er streckt Nichtsdestoweniger sind die vier einleitenden Kapitel von besonderer Bedeutung, erschließen dem deutschen Leser die unbekannte früheste Geschichte de« russischen Geistesleben«, lösen eine Menge von Rätseln und Widersprüchen, die jedem abendländischen Beurteiler in der Literatur de« neunzehnter. Jahrhundert« aufsallen müssen und betonen vor allem die in der Zeit Peter« des Großen eingetretene Trennung der Sprache vom Kirchenslawischen Peter, für Schaffung einer russischen Literatur zunächst auf Übersetzungen angewiesen, schärfte mehrfach ausdrücklich seinen Übersetzern ein, daß