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Erzgebirgischer Volksfreund : 03.06.1886
- Erscheinungsdatum
- 1886-06-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735709689-188606037
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735709689-18860603
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735709689-18860603
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungErzgebirgischer Volksfreund
- Jahr1886
- Monat1886-06
- Tag1886-06-03
- Monat1886-06
- Jahr1886
- Titel
- Erzgebirgischer Volksfreund : 03.06.1886
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rett- hatten die ersten Wagen beim Lasthan« di; Rückfahrt angetreten, al- noch auf ür Ringstraße di« Wagenburg sich staute, und al- die groß« Hitze nachlteß und ein milder Früh« liua-abend anbrach, kamen wieder neue Theilnehmer am Feste in wunderschönen Wagen, «ei Anbruch der Dunkel heit lbste sich der Korso nur mit Schwierigkeiten auf und der Menschenstrom (40,000 Personen) lenkte nach der Ro tunde ab, wo ein reichhaltige- BergnügungSprogramm sich abwtckelte. Im Tanzen wurden für 267,973 Personen und 2790 Wagen Eintrittskarten gelüst. AuS Lachsen. Leipzig. Unter der Rubrik „Ktrchenzucht" schreibt die „Leipziger Zeitung" Folgendes: .Der der Synode ;u- aeganaene Entwurf eines Gesetzes Über die Ordnung des kirchlichen Lebens in der sächsischen Landeskirche überschreitet sehr erheblich das von unserer bisherigen Kircheugesetzgekung (Gesetz vom 1. Dezember 1876 und Ausführungsverordnung vom 12. Dezember 1876, Trauordnung, ConfirmationS ordnung rc.) in dieser Beziehung eingehaltene Maß. Die jetzige Gesetzgebung kennt bekanntlich nur folgende Zucht mittel: 1) Verlust des activen und passiven Wahlrecht« bei kirchlichen Wahlen; 2) Unfähigkeit zur UrbertächW bez. Verlast kirchlicher Ehrenämter; 3) Ausschließung von den Rechte, Laufzeuge zu werden; 4) Versqgung der Trauung. — Der Großsteinberger Entwurf fügt hinzu: 5) Ausschlie ßung vom Abendmahls; 6) Verlust des Rechtes auf die Keuschheitsprädicate (bisher nur ortsstatutarisch) sowie des Rechte-, bet tir ITraüung den Brautkranz zu tragen; 7) Ver sagung des kirchlichen Begräbnisses (bisher nur in gewissen Fällen des Selbstmordes); 8) persönliche oder schriftliche Rüge, privatim oder vor dem Kirchenvorstande; 9) Verkün digung von der Kanzel, jedoch ohne Namensnennung; 10) Versagung der kirchlichen Danksagung bei Geburten, so lange die Eltern noch nicht getraut find. Als weitere Verschär ¬ fung wird dann noch vorgeschlagen: 11) über die erfolgte Aberkennung ist ein Aberkennungsregister zu halten; 12) zur Wahrung der Abendmahlszucht dient „ein ortsstatutarisch zu regelndes Elmahnungsverfahren"; 13) die Eltern eines außerehelichen Kindes haben sich, so lange sie nicht getraut sind, vierzehn Tage vor dem Abendmahlsgang zu demselben anzumelden, auf die Gefahr, zu demselben nicht zugelassen zu werden. Die geordneten Kirchenstrafen treten ein nach dem gegenwärtig geltenden Rechte bei Verzögerung oder Ver weigerung der Trauung, der Taufe oder der Confirmation, ingleichen bei Eingehung einer Ehe, welche gegen die kirchlichen Eheverbote verstößt. Außerdem sind nach 8 8 der Kirchen - Vorstandsordnung von der Äimmberechtigung und Wähl barkeit bei Kirchenvorstandswahlen ausgeschlossen, bez. dieser Function zu entheben Diejenigen, welche durch Verachtung des Wortes Gottes oder unehrbaren Lebenswandel öffent liches, durch nachhaltige Besserung nicht wieder gehobenes Aergerniß gegeben haben. — Der Großsteinberger Entwurf erweitert diese Bestimmungen folgendermaßen: 1) Vom kirchlichen Stimmrecht ist ausgeschlossen, wer notorisch oder nachweisbar dadurch, daß er sich vom SonntagSgottrS- dienste oder vom Genüsse des heiligen Abendmahls beharr lich fernhült, oder sich offen zu atheistischen, widerchrist- lichen, mit den Grundlagen des evangelisch-lutherischen Be kenntnisses unvereinbaren Grundsätzen bekennt oder mit der heiligen Schrift Spott treibt, unkirchlichs Gesinnung une Verachtung des Wortes Gottes an den Tag legt; 2) das kirchliche Begräbniß ist nicht nur Selbstmördern, und zwar unbedingt, sondern allen denjenigen Personen zu versagen, hei welchen bis zum Ableben das Kirchenzuchtverfahren vergeblich geblieben ist oder welche bis zu ihrem letz ten Bthemzug sich als zweifellos unbußfertig erwiesen haben. Der Jnstanzenzug war bisher der, daß über den Aus schluß von der Stimmberechtigung und Wählbarkeit in erster Instanz der Kirchsnvorstand und auf Reklamation, die Kirchinspektion, in allen übrigen Fällen dagegen die Kircheninspektion erstinstanzlich entschied. Dabei soll nach 81 des Gesetzes und der Ausführungsverordnung von 1876 zuvörderst der Geistliche seelsorgerisch und der Kirche,»Vor stand aber über die Art des vermittelnden Einschreitens in keiner Weise durch gesetzliche Vorschriften beengt werden. — Der Großsteinberger Entwurf hingegen merzt die Ätrcheninspektion als Instanz in Sachen der Kirchen-? zücht vollständig aus und läßt an ihre Stelle den Diö- zesanaurschuß treten. Der Pfarrer erhält Citattons- recht mit der Ermächtigung, Geldstrafen zu verhängen. Soweit wir unser sächsisches Volk kenne», werden die An tragsteller mit diesem Entwurfs den Erfolg, den sie beabsich tigten, nicht erreichen. Schon weil ihm das Eine fehlt, was die ganze sächsische Gesetzgebung, die kirchliche wie die nichtkirchliche, auszeichnet, was auch ihrer Ausführung den Stempel aufdrückt und füglich als unsre StammeSeigenthüm- lichkeit gelten kann: der Geist der Milde, der Mäßigung und der Versöhnlichkeit. Diese Eigentümlichkeit hat aber, wie die jetzt so gern geschmähte Kirchenstatisttk nachweist, den kirchlichen Sinn unsers Volks nicht gehindert, sich seit etwa einem Jahrzehnt über die kühnsten Hoffnungen hinaus wieder kräftig zu entfalten, hat nicht verhindert, daß der ehemals fast alleinherrschende Rationalismus aus unserer Landestirche nahezu verschwunden ist und daß die theologischen Lehrstühle unserer Universität nur mit positiv gerichteten Vertretern der theologischen Wissenschaft besetzt sind. Auch was den Entwurf sonst noch charakterisirt, seine entschiedene Abneigung gegen das weltliche Regiment wie seine Ablehnung an gewisse katholisch-hierarchische, zum Mindesten aber eng« wch-episkopale Vorbilder, darf in dem Lande, das sich immer noch die Wiege der Reformation nennt, nur auf ein ge- rurzes Verftändniß rechnen. Was dann noch übrig bleibt, namentlich der Gedanke, daß „das zur Wahrung der Abend mahlszucht anzunehmende Ermahnung«-(Admomtions-) Ver fahren ort-statutarisch zu regeln und dafür ein Normal« statut für das Land zu entwerfen" sei, erinnert in seiner wahrhaft ztvilprozessualen Dürre und reglementaren Starr- Heu an alles Andere als an eine echt lutherische Seelsorge. Was wohl der große Reformator zu diesem „orts- und normatftatutartsch geregelten AdmonittonSverfahren" gesagt haben würde?" Aus der Lößnitz, 31. Mat. Die Erdbeerbörse, welche schon seil geraumer Zeir alljährlich zu Anfang Juni auf dem Bahnhofe zu Kötzschenbroda w langeMrbltrt wird, bis der reiche Ertrag der würzigen Frucht, welchen die sonnige Löß nitz bietet, in den bekannten weißen Holzschachteln nach allen Himmelsgegenden verhandelt und versandt ist, fand in die sem Jahre am heutigen Lage zum ersten Male statt und war schon ganz leidlich beschickt. Di» Liter Erdbeeren galt heute 1 M. 70 Pf., ein Preis, der für den Beginn des Ge schäfts keineswegs allzu hoch genannt zu werden verdient. Die erquickenden Gewitterregen der letzten Tage und Nächte haben die Hoffnung auf eine reiche Trdbrerernte übrigens frisch geweckt und dürfte sich daher der vorstehend genannte hohe Preis für die beliebten Beeren jedenfalls nur ganz kurze Zeit halten. Aus dem oberen Vogtlands, 30. Mai. Trotz des langen Winters hat sich Heuer die Natur so prächtig und rasch entwickelt, wie es seit langen Jahren nicht der Fall war. Das Wintsrgetreide, das diesmal während der kalten Jahreszeit fortwährend durch eins hohe Schneedecke geschützt war, hat sich außerordentlich gut bestockl und schon seit 8 Tagen geschoßt. Hafer und Gerste sind nach den mehrfachen Regengüssen gleichfalls rasch gewachsen und die erst vor wenig Wochen gelegten Kartoffeln sind schon gut ausgegangen. Selten hatten wir im Mai so schönes war mes Wetter, wie diesmal, deshalb ist auch dieses rasche WachSthum erklärlich. Die Laubbäume, die sonst oft Mitte Mai noch nicht ausgeschlagen hatten, stehen Heuer schon vollbelaubt; die Baumblüthe ist vorüber und im Walde zeigen Tannen, Fichten und Kiefern schon so lange junge Triebe, daß man seine Freude daran haben muß. Die Hei» del und Preißelbeeren haben reichliche Blüthen angesetzt und lassen den armen Leuten die Hoffnung auf einen guten Ver dienst. So ist bei uns eitel Freude über den schönen Frühling und es ist nur zu wünschen, daß die Hoffnungen sich allenthalben verwirklichen. OerUiche Angelegenheiten. Scheeberg. Wie bereits durch Inserat bekannt ge geben, soll Freitag, den 4. Juni abends 8 Uhr in Siegels Restauration ein Gabelsberger Stenograp henverein für Schneeberg und Umgegend begründet werden. Da rauf bezüglich; Wünsch; find öfters ausgesprochen worden, und daher steht zu erwarten, daß dis Betheiligung an dem Vereine eine lebhafte sein wird. Schneeberg. Soeben giebt ein junger Verein, der erst im Anfang des vorigen Jahres gegründet wurde und auch in unserer Stadt Anhänger fand, sein erstes Mitglis- derverzeichniß heraus. Es ist der Verein für Latein schrift, welcher, in ganz Deutschland und über dessen Gren zen hinaus arbeitend, bereits die ansehnliche Zahl von 3871 Mitgliedern aufweist. Die Bestrebungen desselben gehen da hin, die den Jugendunterricht zu schwer belastende Doppel- schreibunz zu beseitigen, ein Ziel, welches gewiß von der Mehrzahl aller Lehrer mit Freuden verfolgt, und dessen Erreichung von Jedem mit Freuden begrüßt werden dürfte. Daß bei der Einführung nur einer Schriftart gerade die lateinische vor der sog. deutschen Schrift den Vorzug ver dient, Hst freilich von mancher Seit; Widerspruch erfahren, der sich namentlich darauf gründete: der Deutsche möge stolz sein, eine Nationalschrift zu besitzen. Nur übersah man dabei, daß diese sog. deutsche Schrift gar nicht deutsch-natio nal ist! Vielmehr ging sie im Laufe des Mittelalters durch Brechen und Berschnörkeln aus der damals auch bei uns gebräuchlichen, runden oder Lateinschrift hervor; aber nicht blos in Deutschland, sondern gleichzeitig in Italien, Spanten, Frankreich u s. w. entstand diese Eckenschrift, die lediglich deshalb zur sog. Deutschen wurde, weil nur der Deutschs daran festhielt, während die anderen Nationen bald zu den zeschmackvollern und einfacheren, runden Schrtftzei- chen zurückkehrten. Daß die Lateinschrift jetzt Weltschrift ist und ihr allgemeiner Gebrauch den internationalen, geistigen und geschäftlichen Verkehr erleichtert, ist unbestreitbar, und die stattliche Mitgliederzahl des jungen Vereins beweist, wie lebhaften Anklang seine Bestrebungen finden. Die völlige Kostenlofigkeit der Mitgliederschaft soll jedem die Theilnahme daran erleichtern, zumal auch solche gern Aufnahme finden, denen aus irgend welchen Gründen vor der Hand der allei nige Gebrauch der Lateinschrift unmöglich ist, denen aber ihrer Ueberzeugung nach, die Erreichung einer einheitlichen Schrift als wünschenSwerth erscheint. Der hiesige Zweigverein zählt, wie wir hören, zwölf Mitglieder. Lößnitz, 31. Mai. Heute Mittag'/.1 Uhr fand dir feierliche Amtseinweisung und Verpflichtung unsere» Herrn Bürgermeisters Zieger durch Herrn Regierungsrath vr. Kunze von der König!. Kreishauptmannschaft Zwickau in Gegenwart der städtischen Collegien und der Beamten der Stadt statt. Der Herr Regierungsrath betonte die ver antwortliche Stellung eines Bürgermeisters unserer Stadt, wies auf die erfolgreiche Wirksamkeit des AmtSvorgängers Herrn vr. von Woydt hin und gab der Hoffnung Ausdruck, daß auch die Wirksamkeit des Herrn Bürgermeisters Zieger, welcher das volle Vertrauen der Bürgerschaft genieße, eine recht segensreiche für unsere Stadt sein werde. Der Herr Bürgermeister versicherte, daß er jederzeit bestrebt sein werde, das ihm im vollsten Maße entgegengebrachte Vertrauen zu rechtfertigen und er seine ganze Kraft unserer lieben Stadt Lößnitz widmen werde. Dem feierlichen Acte schloß sich die Be glückwünschung von seilen der anwesenden Vertreter und Be amten der Stadt an: An dem im RathhauSsaale sich an schließenden und in der gehobensten Stimmung verlaufenen Festmahle nahmen die Spitzen und Mitglieder der König!, und Kaiserlichen, sowie der städtischen Behörden und viele Bürger der Stadt, an über 100 Personen, theil. Herr Amtsrichter Schubert brachte in beredten Worten den ersten Toast auf unsern allverehrten König Albert aus, h. Stadtverordn. Vorsteher Neitsch feierte in seinem Toast den Herrn Bür germeister Zieger, welcher länger als ein Jahrzehnt sich der vollen Sympathien der Bürgerschaft erfreut. Herr stellv. Bürgermeister Stadtralh Wagner toastete auf den Vertreter der König!. Kretshauptmannschaft Herrn Regierungsrath vr. Kunze unter DankeSauSdruck für die Beweise de- Wohlwollens der König!. Kreishauptmannschaft für unsere Stadt. Herr Lehrer Conreetor Röter gedachte im Trink spruch und poetischem Liede der Huldigung, Welchs dem Herrn Bürgermeister in allen hiesigen Kreisen geworden. Herr Oberpfarrer Steininger begrüßte und beglückwünschte den Gefeierten im Namen der Kirchengemeinde, Gotte- reichen Hegen i« Amte und Hau- wünschend, Herr Schul» dlrätol Meier aber Namen- der Lehrerschaft und der Schul» jagend unter herzlichem Glückwunsch für Herrn Bürger- «Aster und werthe Familie. Der Herr Bürgermeister Zieger brachte, unter Dank gegen die hohe König!. Regie rung, die städtische Vertretung und für die ihm allseitig ent- gegengebrachten großen Sympathien in seinem .Toaste seine echt bürgerfreundliche Gesinnung »um Ausdrucke Und betonte, daß er zu allen Zeiten da- beste Einver nehmen mit den Behörden und der gesammten Bürgerschaft der Stadt bethätigen werde. Bon dem in Dresden weilen den früheren Bürgermeister Herrn vr. KraUße und dem Herrn Bürgermeister vr. von Woydt in Schneeberg gingen BegrüßunzStelegramme ein. Der Trinkspruch des Herrn Regierungsrath vr. Kunze galt der städtischen Vertretung und der Wohlfahrt unserer Stadt. Der von köstliche« Hu mor gewürzte Toast des Herrn Diac. Schmidt galt einer langen gesegneten Amtsdruer des Hirrn BücqrcmeisterS. Herr Stadtrath Martin brachte in seinem Trinkspruch de« neuen Stadtoberhaupt die Glückwünsche der Gewerbetrei benden unserer Stadt dar. Herr Amtsrichter Schubert brachte im feierlichen Abschluß des Festmahles seine persön lichen Gefühle, die edlen Charaktereigenschaften des Herrn Bürgermeisters kennzeichnend, zum Ausdruck. Möge der Himmel auf die Wirksamkeit unseres neuen Stadtobsrhaup- tes zum Wohle der Stadt reichen Sezen fließen lassen. Die Lage tu Belgien. Wenn auch die belgische RegierungSpreffe, ja selbst die liberalen OpposttionSblätter Ursache haben mögen, über die bedenkliche Stimmung und den revolutionairen Geist der Arbeitermasssn des Landes möglichst wenig verlauten zu lassen, so steht nach anderen zuverlässigen, objectiven Be richten dennoch fest, daß die innere Lage des belgischen In dustriestaates keineswegs eine vertrauenerweckende ist. So fehlt eS nicht an ganz greifbaren Anzeichen, daß der sogenannte Generalrath der belgischen Arbeiterpartei ein förmliches Agitationsqesetz über das ganze Land gebreitet hat, um die für die Psingstfeiertaze angekündigte Demon stration in Brüssel möglichst großartig zu gestalten. Alle socialdrmokeatischen Wanderredner, welche bereit» gelegentlich der letzten Arbeiter-Unruhen sich als sehr brauch bare Werkzeuge der revolutionairen Agitation erwiesen ha ben, durchziehen schon jetzt das Land, um durch aufreizende Declamationen die Leidenschaften der Arbeitermaffen zu er regen. So finden schon seit Mitte Mai jeden Sonntag in den verschiedenen Jndustrieorten Belgiens große Volksver sammlungen statt, die gewöhnlich den-socialtstischen Wander rednern Dsfuiffaux, Bolders, Bertrand und anderen Gele genheit geben, den Fanatismus der ungebildeten Massen ge hörig zu schüren. Der Schlußsatz aller Reden ist stets die Aufforderung, am 13. Juni massenhaft nach Brüssel zu kommen, um dort da» allgemeine Stimmrecht zu „erobern" (vouczusrir), falls die „Pfaffen- und Bourgeois-Regierung" die Waffen nicht willig strecken sollte. Allem Anscheine nach wird die socialdemokcattsche Kundgrbung am 13. Juni inso fern einen Erfolg haben, als die Zahl der demonstrirenden Arbeiter wahrscheinlich alle Erwartungen übertreffen wird. Es giebt nämlich in ganz Belgien kein Arbsiterdorf, in welchem nicht schm seit Wochen durch Geldsammlungen für die Reisekosten möglichst zahlreicher Arbeiterzüge nach Brüssel gesorgt wird. Man muß sich aber mit Beunruhigung fragen, ob dieses Zusammenströmen von Bolksmassen in dec Haupt stadt nicht das Zeichen zu Ereignissen bilden könne, deren Tragweite die Führer der Bewegung vielleicht gar nicht er wogen haben. Das schlimmste an der Sache ist, daß die Regierung kein gesetzliches Mittel besitzt, rechtzeitig einzugreifen, wodurch ernste Ruhestörungen verhindert werden könnten. Nach der belgischen Verfassung, welche auf der Freiheit und Selbst ständigkeit der Gemeinden beruht, kann die Regierung nur dann einschreiten, wenn ihre Intervention von den obersten Gemrinde-Behörden in Anspruch genommen wird. Die Bür germeister dagegen haben zwar das Recht, eine Manifesta tion auf der Straße zu verbieten, falls dis angekündigte Kund gebung die Ruhe der Stadt geführten könnte, aber eine Ver sammlung in geschloffenen Räumen kann nach den bestehen den Gesetzen nicht verhindert werden. So können also die nach Brüssel kommenden Arbeiter der Form wegen erst Ver sammlungen in verschiedenen geschlossenen Localen abhalten, um alsdann massenhaft durch die Straßen der Stadt zu ziehen. Jedenfalls wird die Regierung für den 13. Juni umfassende Vorsichtsmaßregeln treffen; ja es heißt schon jetzt, sie habe bereits Befehl gegeben, daß während der Dauer der Anwesenheit der Arbeitermaffen aus den Provinzen eine größere Truppenmacht in der unmittelbaren Umg-bung Brüs- selS zusammengezogeu werde. Der durch die Unterdrückung der jüngsten Arbeiter-Unruhen bekannt gewordene General van der Smiffen wird als Stadt-Commandant für die Ruhe Brüssel» Sorge tragen. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen steht indeß die ruhige und loyale Bevölkerung Brüssels dem 13. Juni doch mit einigen Bangen entgegen, denn da- massenhafte Zuströmen der Arbeiter au» den Provinzen läßt sich, wie bereits gesagt, in gesetzlichem Wege nicht hindern. Die jüngsten groben Arbeiter-Ausschreitungen, Gewalt- thaten und Brandstiftungen finden jetzt ihre Nachspiele vor den Gerichten. So bringt die „Gazette de LiSge" einen Bericht über die gerichtliche Untersuchung, zu der die Brand stiftung im Glaswerke und im Schlosse de» Fabrikanten Baudoux Veranlassung gegeben hat. Eine große Zahl der an der Zerstörung dieser beiden Gebäude betheiligten Per sonen ist tn den Händen der Justiz. Es soll bereit» er wiesen sein, daß große Quantitäten Petroleums am Tage vor dem Brande der Glasfabrik und des Schlosses in der Nähe derselben verborgen worden find, ja selbst Dynamit ist in den Wohnungen mehrerer Arbeiter gefunden worden, welche sich ganz plötzlich als fanatische Sozialdemokraten gezeigt haben. Diese Arbeiter dürften also wohl Sendlinge des sozialdemokratisch-anarchistischen Seheimbunde» gewesen sein, welcher durch ste dir Verhältnisse tn der Fabrik Bau doux' au-forschen und die Verbrechen vorbsreiten lassen wollte. Die genannte Fabrik und da- Schloß ihre- Eigen« thümerS lagen auf einer Anhöhe. Der Ueberfall fetten der aufrührerischen Arbeiter geschah ganz plötzlich, ja der Eigenthümer und seine Familie fanden kaum Zeit, sich vor
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