Deutsche allgemeine Zeitung : 16.07.1844

Dienstag Nr. L98. 1«. Julius 1844. leimig. »Die Zeiümg crs<bc!ni iL^licbÄbcndk:. Au v-,l,hen durch »Ue Postüvltcr dc« In- und Auslandes. Deutsche Allgemeine Zeitung. Preis lür das Mcrlci- iatzr Thlr. —, Inserlionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Ueberblick. iveutseblanv. "Aus Norddentsehland. Die Gegensätze der Freiheits - und Staatsansichten. — Die Litulatursachc. — Jahresfest des Central' Bibclvereins zu Nürnberg. — Der Advocatenverein in Hannover. Wei mar. Criminalpflege und Selbstmord. -Lübeck. Das kriegsgerichtliche Urtel. Befserungsvcreine. Vreußen. K Berlin. Ein schlesisches Bürgerfest. Oesterreich. ""Wien. Der nicderöstcrreichische Provinziallandtag. Die Ein kommensteuer. Die italienischen Rcvolutionairs. "Prcsburg. Die Rcichs- tagsquartiere. Non der Donau. Die Donaumündungen.— Die warns- dorfer Vorgänge- Portugal. "Lissabon. Die preußische Kriegscorvctte. Das Justizmini sterium. Frcmdenstcuer. Festtage- Spanien. * Paris- Rücktritt des Marquis de Biluma- Die Cortes. Be wegungen- Marokko. Großbritannien. Proceß O'Connell. Sir Augustus d'Este. Der Kö nig von Sachsen. Chinesische Entschädigungsgeldcr- Verbrechen aus Le bensüberdruß. Frankreich. Deputirtcnkammcr: König Dagobert's Lehnstuhl. Die Haus suchungen. Der Advocatenstrcit- Luftcisenbahn. Marschall Gerard. Ar- beitervcrbindung. Theatercxceß. s Paris. Der Sessel de« Königs Dago- gobert. Die Elementarlehrer. Das Unterrichtsgcsetz. Die Jesuiten. Niederlande. SÄmsterdam- Die niederländische Armee. Rußland und Polen, s Warschau. Das Leihwcscn und die Beamten Griechenland. ""Leipzig. Das Unterrichts - und Bildungswcsen in Grie chenland. Ancona. Grivas und Lzavellas- Die athener Garnison. Aegypten. Aufstand im Sudan. Emin-Pascha. Brasilien. Eröffnungsrede des Kaisers. Rio-Janeiro. Nachrichten von Rio Grande do Sul. Perfonalnachrichten. Handel und Industrie. "'Aus Sachsen. Die atmosphärischer Eisen bahnen- — Die preußische Sechandlung- "Frankfurt a. M. Börsen bericht- "Leipzig. Die Sächsisch-Böhmische Bahn- "Düsseldorf- Die Steele-Vohwinkler Bahn. — Frequenz der Leipzig-Dresdner Eisenbahn. * Lübeck. Wollmarkt. — Leipzig. Neueste Nachrichten. Paris. Deputirtcnkammcr. Lord Cowley. Ankündigungen. Deutschland. * Aus Norddeutschland, 13. Jul. Man hat oft gesagt, die germanische Freiheits- und Staatsansicht sei von dem Individuum und seiner Berechtigung ausgegangen und habe von da aus das Gemein wesen gebildet. Freilich, wie das Meiste, wie auch die Ansicht, daß im antiken Staate das Gegenthcil stattgefunden, ist auchDas nur annäherungs weise begründet. In der That — so paradox das klingen mag — das Volk ist älter als das Individuum so weit wir es kennen; wir kennen den Menschen nicht außer dem Volke und der Volksgeist lebt auch in jedem Einzelnen./ Selbst jene alten Sachsen, die auf ihrem einsamen Hö fen saßen, Jeder sür sich Priester, König und Herr, ohne sichtbaren Staats verband, erst allmälia zu einer Dammcommune zusammcntrctend, die sich nach und nach zum Staate erweiterte, selbst sie waren doch ässe von der Art ihres Volks, sie waren verstreute Glieder eines Volks, brachten die gleiche Sprache, die gleichen Rechte und Sitlenbcgriffe mit und wurden durch eine gcistigeVerwandtschaft, wenn auch nicht durch ein äußeres Band gehalten. Ebenso ist der Staat an sich nicht eine Sache der Wahl, son dern eine natürliche Nothwcndigkcit und eine sittliche Pflicht. Jndeß bis zu einem gewissen Grade hat der obige Sah unläugbar seine Wahrheit, und so weit er sie hat, halten wir das germanische Verfahren, die ger manische Freiheitsansicht allerdings für natürlicher, sickernder, politisch- weiser als die modernisirte antikeAuffassung, und ganz gewiß ist jene un sern Zuständen angemessener. Die «ntike Staatsansicht gehörte den Ver hältnissen kleiner, keine wesentliche Mischung der Lebens- undBildungsart darstellenden Gesellschaften an. (Das Altcrthum half sich überdies mit dem Sklavcnthum, was die arbeitenden Klassen aus der ganzen politischen Rechnung hcrausbrachtc und das regierende Volk von den abziehcndcn Be rufsarbeiten sreimachte. So sind auch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die Sklavenstaatcn die Sitze der Demokratie und der leb haftesten politischen Bewegung.) Die antike Ansicht hatte sich aus den Zuständen kleiner Städte hcrvorgcbildet und war auf diese bezogen. Sic ist allemal in Verfall gerathen, wenn sie auf weitern Raum sich ausdeh nen wollte, oder eine größere Ungleichheit unter den Gesellschaftsgliedern eintrat. Auch blieb die Grundgefahr der ganzen Auffassungöweise: die einer naturwidrigen Entwickelung der Gesellschaft nach den einseitigen An sichten Einzelner, oder eines Moments, selbst dort nicht ohne Erfüllung. Dieselbe Ansicht, wenn sic auf andere Zustände angewcndct wurde, machte es sich freilich bequemer, half sich mit Fiktionen, Präsumtionen und hochklingcnden Phrasen aller Art, mit vieldeutigen, unbestimmten Klangwörtern, mit einem on blno-Nehmen der Verhältnisse; borgte den Nachdruck für Federungen, deren Voraussetzungen nur bei einzelnen Klas sen der Gesellschaft zutrafen, dcrcn Erfüllung nur im Interesse einzelner Herrschsüchtigcn war, von dem Namen der Gcsammthcit; setzte Kräfte und Verhältnisse voraus, nicht wie sie waren, sondern wie das System sie grade brauchte, und hat dann auch Früchte geärntct, die solchem Beginnen, solchem leichtfertigen, willkürlichen Umspringen entsprachen. Das rechte Verhältniß liegt in der Mitte zwischen beiden Systemen, in der rechten Vermittelung von Pflicht und Freiheit. Verlangen die Einzelnen mit Recht eine Sicherheit, daß nickt die Einseitigkeit anderer Glieder, die sich sür das Ganze geben, ihnen die Gebilde des Momentes naturwidrig auf- drinacn könne, soll auch der Staat vor der Freiheit des Einzelnen mit Ehrfurcht zurückweichen, wo nicht Nothwendigkeil und Pflicht zu ihrer Beschränkung zwingen, so muß doch auch das Ganze die Macht haben, seinen wahren und wichtigen Zwecken die Selbstsucht oder Befangenheit der Glieder jederzeit unterzuordncn, und in allen Volksgliedern muß der Sinn geweckt und genährt werden, dem solche Unterordnung nicht mehr ein Opfer dünkt. — Die Kölner Zeitung enthält vom Main, 6. Jul., folgenden Artikel: „Die nünmchr beim Bundestag in Anregung gebrachte Prädi catsfrage der deutschen Herzoge wird ohne Zweifel in der Weise gelöst werden, daß den Häusern Braunschweig und Nassau der großher- zogliche Titel und Rang zuerkannt, dagegen den Herzogen von Sachsen und Anhalt das Prädicat herzogliche Hoheit und den übrigen regierenden Bundesfürsten daß Prädicat fürstliche Hoheit cingeräumt wird." Nürnberg, 7. Jul. Am 26. Jun. feierte der Central-Bibel verein dahier'das zwanzigste Jahresfcst, welchem nicht nur eine große Zahl hiesiger Einwohner, sondern auch sehr viele Vereinsmitglieder und Gäste von auswärts beiwohnten. Der Jahresbericht, welchen Pfarrer Port gab, lieferte von dem Fortschreitcn des Vereins einen höchst erfreu lichen Beweis, da, wenn auch einzelne Localvereinc in ihrem Eifer nach ließen, neue sich bildeten, andere enger sich zusammenschtossen, auch die Zahl der Kinder-Bibelvcreine im Steigen ist. Die mitgetheilte Jahres- tcchnung ergab das höchst erfreuliche Resultat der Einnahme von 12,330 Fl. 13 Kr., die Ausgabe betrug 11,750 Fl. 36 Kr. Abgegeben wurden aus der Vcreinsniedcrlagc 34 Psalter, 6408 Bibeln, 602 Neue Testa mente. . (Nürnb. Kur.) — In Hannover hatte sich, der „Posaune" zufolge, der Advoca- tenvercin am 5. Jul. versammelt, um sich über seine Beteiligung bei der Mainzer Versammlung zu entschließen. Von etwa 90 Mitgliedern hatten sich 16 eingefunden und unter diesen waren nur 5 für Erlaß einer Adresse, nur 3 für Absendung eines Deputirtcn. Weimar, 6. Jül. Privatbriefc aus dem Eisenachischen berichte» folgenden seltsamen Crimi nalfall: Ein begüterter Landfuhrmann aus Berka an der Werra gelangte vor kurzem in der Nähe von Lengsfeld auf eine Anhöhe, wo cs nöthig war, den schwcrbeladencn Wagen ein zuhemmen. Nm dies zu thun, begab er sich an das Hintertheil des Wa gens, wo die Vorrichtungen zu diesem Zwecke gewöhnlich angebracht sind. Während er dieses Geschäft, ohne die Pferde angehaltcn zu haben, verrich tete, rollte der Wagen etwas schneller und mehr seitwärts den Berg hinab, sodaß ein Kinderwagen, welcher ihm vorausgefahren mar und wegen des engen Weges nicht schnell genug ausweichen konnte, von den Pferden umgeworfen ward, das darin befindliche Kind unter den Wagen gericth und durch das Ueberfahren getödtet wurde. Dieses Ereigniß verursachte große Theilnahme. Der Fuhrmann ward sogleich festgcnommen und der Vorfall dem Amte zu Lengsfeld angezeigt. Das Amt schritt nun zu ei ner vorläufigen Vernehmung, wobei sich aber sogleich herausstellte, daß der Angeklagte schuldlos sei. Weil sich aber das Amt in dieser Sache nicht für competent hielt, so berichtete der Amtmann darüber an das Cri- minalgcricht zu Dermbach/wohin der Angeschuldigte auch gebracht wurde. Obschon nun der Amtmann zu Lengsfeld dem Criminalgerichtc zu Derm bach den Hergang genau berichtet und noch außerdem auf die Unschuld des Mannes hingcwiesen hatte, so wurde dem Anqeschuldigtcn von Sei ten des Criminalrichters doch schon während der Rntcrfuchung eine Be handlung zp Theil, 'wie sie nicht einmal einem Verbrecher, geschweige denn einem ehrlichen Manne geziemte. Nach beendigter Vernehmung wurde nicht nur der mit fremden Gütern beladene Wagen des unglück lichen Mannes mit Beschlag belegt, sondern er selbst, ungeachtet aller Vorstellungen und Cautionsanträge, ins Gefängniß gebracht. Hatte den redlichen, sich keiner Schuld bewußten Mann'und Familienvater schon das traurige Ereigniß selbst niedergedrückt, so mochte er durch die Ge fangennahme vollends der Verzweiflung nahe gebracht worden sein; denn am andern Morgen fand man, daß er sich erdrosselt hatte. Als hierauf der Leichnam der mütterlichen Erde übergeben werden sollte, verweigerte die katholische Gemeinde ihm das Begrävniß, theils weil der Verstorbene