Deutsche allgemeine Zeitung : 12.03.1854

Sonntag. —— Nv. Di« Zeitun« - erscheint mitAutnahm« de« D' Ljs -DtllNwt Mül Pret« für da« Viertel, jahr l'/, Lhlr., jede ein zelne Nummer 2 Ngr. Preußens Stellung zur orientalischen Frage. Unsere gestern bereits erwähnten Mittheilungcn aus Berlin über die Stellung Preußens geben wir in Folgendem: t Berlin, 10. März. Die Sendung des Generaladjutanten des Königs, Generals v. d. Gröben, nach London und die des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen nach Pari« hat, wie man in den hiesigen Hähern Kreisen mit Bestimmtheit andeutcn hört, den Zweck, die Beschlüsse Preußens in Betreff der von Frankreich und England, namentlich aber von letzterm, dringend ergangenen Auffodcrung, sich den Westmächten anzuschlie ßen oder überhaupt eine bestimmte Erklärung hinsichtlich der von ihm bei den bevorstehenden Kriegsereignissen einzunehmenden Stellung abzugebcn, dem londoner und pariser Cabinet zu überbringen. Die von Preußen gefaßten Beschlüsse gehen dahin, eine entschiedene und vollkommene Neutralität aufrechtzuerhalten und weder Rußland noch die Westmächte zu unterstützen und zu fordern. Nach Wien und nach Petersburg dürsten auch als Ueber- bringer dieser Beschlüsse Preußens hochstehende Männer abgehen. Wie es heißt, steht es in Absicht, mit der Sendung nach Petersburg den Prinzen August von Württemberg zu betrauen, welcher bekanntlich erst vor kurzem von dort hierher zurückgekehrt ist. Es ist eine irrige Meinung, daß derselbe in Bezug auf die orientalische Angelegenheit nach Petersburg gesendet wor den war, indem der Prinz bereits vor mehren Monaten seine Reise nach Petersburg unternommen hatte, wohin er sich fast in jedem Jahre zum Be suche seiner Verwandten des kaiserlichen Hauses begibt. Wie von hochgestell ten Männern angeführt wird, hat sich Rußland unter den gegenwärtigen Verhältnissen mit der von Preußen aufrechtzucrhaltcndcn vollkommenen Neu tralität für befriedigt erklärt, da man nunmehr auch in Petersburg erkenne, daß eine der russischen Politik noch günstigere Haltung Preußens bei den jetzt obwaltenden Umständen sich nicht erreichen lasse. Es liegt auf der Hand, daß die hier beschlossene Neutralität für Rußland schon ein sehr großer Vorschub und Vorthcil ist. Dies erkennend, hat nun auch die Neue Preu ßische Zeitung die Fahne der Neutralität hoch erhoben und betheucrt jetzt, daß sie nichts wolle als eine vollkommene und aufrichtige Neutralität Preußens. Wir erinnern daran, daß dieses Organ vor nicht langer Zeit folgende Worte aussprach?„Preußcn und Rußland! steht auf unserer Fahne, und diese Fahne werden wir aufrechterhalten mit der eisernen Festigkeit voller Ueberzeugung bis ans Ende. Rußland ist im Rechte und Preußen kann nicht wider das Recht." ... „Alle Staaten, und besonders diejenigen, welche kein directes Interesse an den türkischen Händeln haben, müssen da her eine Stellung zu denselben nehmen, die durch den nachfolgenden Prin- cipicnkrieg bedingt ist. Dies ist also ganz vorzüglich die Aufgabe Preu- ßens und seine Pflicht die offene Erklärung, daß es als christlicher Staat wie als legitime Monarchie durch seine Geschichte wie durch seine Verträge, durch seine Neigung wie endlich durch seinen Vorthcil sich verbunden er achte, in dem bevorstehenden Principienkriege auf diejenige Seite zu treten, von der es die Mitvertheidigung seiner besten Güter erwartet." Wir er wähnen dieses Ausspruchs der Reuen Preußischen Zeitung, weil die Führer der Partei derselben in den letzten Tagen eine Thätigkeit entwickelt haben, die eine außerordentliche genannt werden kann. Auf den von Preußen gefaßten Entschluß hat diese Thätigkeit unzweifelhaft einen großen Einfluß auSgeübt. Die beschlossene Neutralität wird von der Kreuzzeitungspartei auch als ein von ihr errungener Sieg erachtet, indem die Auffassung: Preußen habe sich den Westmächten anzuschließen, hier das Uebcrgewicht zu gewinnen schien. — Wie wir hören, wird den Kammern binnen kur zem eine sehr wichtige Vorlage in Betreff einer von Preußen zu ma chenden Anleihe zugehen. Die orientalische Frage dürfte bei dieser Ge legenheit in den Kammern zur Sprache gebracht werden. Mit Bestimmt heit sprechen sich viele, den verschiedenen Fractionen angehörende namhafte und hervorragende Kammermitglieder dahin aus, daß diese Anleihe nur unter der festen Voraussetzung und der offenen Erklärung, daß Preußen nicht mit Rußland gehe, werde bewilligt werden. Die Aufcechthaltung einer wirklich aufrichtigen und vollkommenen Neutralität wird demnach mindestens Vorbedingung der Genehmigung der Anleihe sein. Was einigermaßen hier beruhigt ist, daß der Ministerpräsident v. Manteuffel und der Kriegsmini, ster v. Bonin nicht aus dem StaatSministerium scheiden, wie irrig befürch tet worden ist. — Dem Vernehmen nach haben in Betreff der nach Lon don und Paris zu sendenden hochstehenden Personen Meinungsverschie denheiten im hiesigen Cabinet obgewaltet. Der Ministerpräsident hatte in dieser Angelegenheit vor wenigen Tagen eine lange Besprechung mit dem Könige. tt Berlin, 9. März. Bei der Beurthcilung der Situation ist nicht zu übersehen, daß die Westmächle in ihren amtlichen Kundgebungen jede pe- remtorische oder herausfodernde Form vermieden hatten. Preußen und Oester reich waren nur eingeladen worden, diejenige Basis des künftigen Friedens 61. — S2 März L8S4 Zu beziehen durch allc V / Postämter de« In - und Milk itltlllia. DSM Hnsertlonagebuhr Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz I- für den Raum einer Ze„e in bindender Form festzustellen, welche sie selbst in den Wiener Protokollen anerkannt hatten. Wie auch sonstige unvorsichtige Aeußerungen, die in Pa ris und London über Deutschlands Abhängigkeit gefallen waren, von der russischen Partei vcrwcrthet und ausgebeutet worden: cs bleibt unbestreitbar, daß sich die Wcstmächtc mindestens bei der Feststellung schon längst zugege bencr Punkte beruhigt hätten. Die Demonstration der feierlichen außer ordentlichen preußischen Sendungen hat daher einen unverkennba ren, für die Sache des europäischen Rechts keineswegs günstigen Sinn. Die Gesandten sollen die in dem bekannten Artikel der Preußischen Korrespon denz zusammengefaßle Antwort mitlhcilen und die Nichtannahme des eng lisch-französischen Vertragsentwurfs sowie die nunmehr eingestandene Neu tralität erklären. Was sonst von neuen preußischen Vorschlägen verlautet, bleibt mehr als dunkel. Nicht mit Unrecht wird befürchtet, die unausbleib liche Zurückweisung dieser Vorschläge werde von der russischen Partei für die weitere Förderung ihrer Zwecke benutzt werden. Die ganze Wendung Hal im Publicum einen tiefen Eindruck gemacht. Es ist Ihnen schon bekannt, daß von dem Rücktritte von der Betheiligung an den Geschäften derjeni gen Persönlichkeiten die Rede ist, welche sich der Majorität des Ministe riums in der letztern Zeit genähert hatten. Den Ministerkrisisgerüch ten wird direct widersprochen. Das Gerücht der Abberufung Bunsen's, obgleich ziemlich verbreitet, scheint andererseits verfrüht. — Ich schrieb Ih nen von neuen aus Petersburg nach Wien gelangten russischen Vor schlägen und fügte hinzu, die Nachricht, obgleich aus guter Quelle stam mend, scheine unglaublich. Der Morning Advertiser halte darauf dieselbe Version und zwar nach einer dem französischen Gesandten in London zu- gegangenen telegraphischen Depesche. Heute wird die Mär von neuem mit Bestimmtheit wiederholt und dahin ergänzt, daß die Vorschläge von den in Wien anwesenden, wenn auch nicht mehr vereinigten Mitgliedern der früher» Conferenz sofort als unannehmbar bezeichnet wurden. Nach an dern Nachrichten handelt cs sich um die Rückantwort auf die dem Grafen Orlow aus Wien mitgegebenen Proposiiioncn, was Alles kaum noch ein historisches Interesse hat. ^Berlin, 10. März. An der von uns schon bezeichneten Wendung der Politik Preußens zu Gunsten Rußlands ist nach allen verläßlichen Mittheilungcn nicht mehr zu zweifeln und die Neue Preußische Zeitung hat bereits der Regicrung ihren zweideutigen Beifall darüber kundgegeben, daß man endlich der von ihr so warm empfohlenen Politik Rechnung trage. Preußen soll, wie behauptet wird, die vom Grafen Orlow an die Wiener Conferenz überbrachten, von dieser aber nach dem Vorgänge Oesterreichs einstimmig als unannehmbar bezeichneten Propositionen Rußlands wieder aufgenommen haben, um sie den Cabincten von London und Paris zur An nahme zu empfehlen. Dies der Gegenstand der besonder» Missionen. Man mag diese neue Phase der preußischen Politik, wie cs bereits von officiöser Seite geschehen, immerhin als eine von den deutschen Interessen gebotene bezeichnen, wiewol damit der frühere Widerspruch gegen eine vom Deutschen Bunde auszusprechende Neutralität nicht erklärt ist; aber man wird sich ebenso wenig über den Erfolg wie über die Consequenzen einer solchen Po litik Illusionen machen können. Nachdem zwischen den Westmächten und Rußland der diplomatische Verkehr in einer wenig rücksichtsvollen Weise abgebrochen ist; nachdem zwischen zweien der betheiligten Souveräne ein Briefwechsel stattgefunden, der viel Anlaß zur Erbitterung gegeben und eine große persönliche Gereiztheit darlegte; nachdem endlich auf beiden Seiten die kolossalsten Rüstungen unternommen sind — kann man schwerlich noch an eine Bereitwilligkeit der Westmächte, den russischen Foderungcn Rechnung zu tragen, glauben. Wenn nun aber auch die neuen Vermittelungsversuche, bei denen Preußen doch das Wesentlichste der russischen Propositionen zu dem Seinigen machte, abgelehnt werden, so verlangt die Consequenz, daß es auch für dieselben eintrete; eine Rückkehr zur Politik der Neutralität oder Passivität scheint als unmöglich. Es kommt hierbei noch in Betracht, daß Oesterreich nach dem gestern hier bekannt gewordenen Artikel der Oesterrei- chischcn Korrespondenz eine durchaus würdige und selbständige Stellung in der gegenwärtigen Lage eingenommen: eine Stellung, welche sowol den eigenen wie den Interessen Deutschlands, ja Europas entspricht. Die öffent liche Meinung spricht sich seit den letzten Tagen ungetheilt und entschieden gegen eine ruffenfreundliche Politik Preußens aus. Die Ansichten der Krcuzzcitung sind nur als die ganz exclusiver Kreise zu betrachten, welche im Ganzen genommen nur einen kleinen Bruchtheil des Volks repräsenti- ren. Die gestrige Börse begleitete die neue Phase unserer Politik mit an haltend rückgängiger Bewegung. Deuts chland. Preußen. /XBerlin, 10. März. Ungefähr 50 Mitglieder der äußer sten Rechten haben cs sich herauSgenvmmen, in einer Separatadresse an den