Der Querschnitt

Literarischer Querschnitt v.H. In der Zeit des Radio und des Films hat es Jahre hindurch den Anschein gehabt, als sei die Liebe zum Buch in die Romantik einer vergessenen Zeit unter gegangen. Wer mochte schon ein ernstes Buch lesen, wer gönnte sich die Zeit, der Welt des Dichters nachzuleben? Es gab eine Zeit, in der nur eine ganz kleine Schicht priesterlicher Menschen nach den dichterischen Stimmungen, nach den epischen Weisheiten der Dichter Verlangen; trug. Ganz im Stillen gingen sie in den Buchladen und erwarben sich eines ihrer Bücher, das sie versteckt und heimlich nach Hause trugen, damit sie keiner sah ... denn wer wird denn noch lesen?! Geradezu antiquarisch mutete es an, wenn einer sich wie zu Urgroß vaters Zeiten eine Bibliothek einrichtete... man denke, einen Bücherschrank, in dem Bücher standen und nicht Akten lagen oder Likörflaschen sich bauchten! Das Buchproblem ist zu einem internationalen Problem geworden, zu einem europäischen zum mindesten, wie alle Kunst und wie alle Philosophie über die Grenzen der Nationen hinausragt, wenngleich Kunst und Philosophie nur dann in Wahrheit echt sind, so sie im Herzen des Volkes ihre Wurzeln haben. Die Liebe zum Buch drohte eine Sache altmodischer Menschen zu werden ... wurde nun doch die Angelegenheit der Jugend aller Völker. Die Besinnung auf die eigene Nation und auf das eigene Volk mußte naturbedingt auch zur Besinnung auf Dichtung und Kunst werden, da wir wieder anfingen, stolz auf die eigene Leistung zu werden. Man liest wieder! In einer solchen Zeit des Werdens, in einer solchen Zeit der Erinnerung ist jedes Werk zu begrüßen, das die Liebe zu den Büchern zu wecken versteht. Und zu Werken solcher Art gehört: Deutscher Zitatenschatz von Paul Friedrich im Kurt Wolff Verlag A.G., Berlin. (Ln. 3.75 RM.). Es ist eine verdienstvolle Sache des Verlages, einem Literaturhistoriker wie Paul Friedrich (Historiker aus Liebe zur deutschen Dichtung und nicht aus trockener Gelehrsamkeit) Gelegenheit gegeben zu haben, diesen Zitatenschatz zu veröffentlichen. Zitat um Zitat weckt die Sehnsucht, sich immer wieder von neuem mit deutscher Literatur zu beschäftigen, mehr noch ... sich darein zu vertiefen. Zitate aneinanderzureihen, erscheint oft als eine gefährliche Sache, weil sie langweilig oder ermüdend wirken kann. Allein auf die Art der Zusammenstellung kommt es an, allein auf das Herz kommt es an, mit dem sie ausgewählt sind Meisterlich ist Friedrich die Auswahl gelungen, trefflich hat er die Weisheiten des deutschen Volkes zusammengefügt, und wer ie Paul Friedrichs Grabbe-Biografie gelesen hat, weiß, daß er der richtige Mann, der liebende Schatzgräber ist. Wie eine kunstvolle Filigranarbeit mutet diese Buntstickerei deutscher Zitate an. Ernst und Humor, Geist und Witz reichen sich die Hand. So sieht die Einteilung aus: „Dichterworte" — „Aus dem Reich der Töne" — „Weisheit und Wissenschaft" — „Historische Schlagworte" — „Das Buch der Bücher" — „Volksmund". Ein sauber durchdachtes Namen- und Zitatenverzeichnis ermöglicht es jedem Dichter, jedes Wort sofort aufzufinden. Wahrhaftig, dies ist ein Buch, das in keinem Bücher schrank fehlen sollte; denn es ist ein Buch, das einen tiefen Einblick in die deutsche Seele gewährt. ★ 41