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Zwönitztaler Anzeiger : 02.09.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-09-02
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1859945678-190909023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1859945678-19090902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1859945678-19090902
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungZwönitztaler Anzeiger
- Jahr1909
- Monat1909-09
- Tag1909-09-02
- Monat1909-09
- Jahr1909
- Titel
- Zwönitztaler Anzeiger : 02.09.1909
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Berlins ^eppelmtag. Sv hell wie jener Pfingstsonnlag, an dem Graf Zeppelin auf seiner großen Fernfahrt bis nach Bitterfeld gelangte und von einer tausend« köpfigen Menschenmenge auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin erwartet wurde, war der neue Zeppelintag (28.) freilich nicht. Der Himmel blickte unentschieden zwischen lachendem Blau und trübem Wolkengrau auf das weite Tempelhofer Feld, auf daS sich immer neue Menschenmassen in un- verfiegenden breiten Strömen ergossen, um gleichsam vom Raum verschluckt zu werden. Zehntausende verschwinden hier, als wäre es ein kleines Grüppchen, und die Hundert tausende, die da draußen waren, füllten bel weitem nicht das Feld. Und Stunde auf Stunde verrann. Da end lich kommt die Meldung, daß ein Unfall die Weiterfahrt gehindert hat, daß das Luftschiff nur mit Mühe Bitterfeld erreichen wird. Die Enttäuschung der Massen ist ungeheuer; endlich, wenn auch mit schwerem Herzen, ziehen die Hunderttausende heim. Der Luftkreuzer in Bitterfeld. In der Nähe der Nervenheilanstalt Tannen feld bei Ronneburg hatte „Z. Hl" einen Pro peller nebst Antriebscheibe und Welle verloren, und der Motor mußte daher abgestellt werden. Langsam nur konnte die Fortsetzung der Fahrt erfolgen, aber die Nachricht, daß schon vor Bitterfeld eine Zwischenlandung vorgenommen werden müsse, bestätigte sich nicht. Hin und her lavierend, um nicht gegen den Wind fahren zu müssen, kam man vorwärts, und um 5 Uhr 1b Min. war Bitterfeld glücklich erreicht, und nun ging die Landung ohne Zwischenfall glück lich vonstatten. Graf Zeppelin hatte sich bei der ersten Nach richt von dem neuen Unfall seines Luftschiffes per Automobil aufgemacht, um ihm in der Rich tung nach Leipzig, wo die Landung erfolgen sollte, entgepenzufahren. Aber mitten auf dem Wege kam ihm das Luftschiff entgegen. Als in Bitterfeld die Landung glatt erfolgt war, setzte sich Graf Zeppelin mit Kaiser Wilhelm, dem übrigens von dem in Bitterfeld weilenden Kronprinzen schon Mitteilung gemacht worden war, in Verbindung. Die Begeisterung hat in Bitterfeld Szenen gezeitigt, die sich nur schwer beschreiben lassen. Als das Luftschiff in Sicht kam, sausten Graf Zeppelin und Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg im Automobil auf den Ankerplatz. Sie kommen nicht weit, die Menge umringt sie; langsam gelangen sie bis zur inneren Absperrung und von hier zum Ankerplatz. Dieselbe Szene spielt sich ab, als der deutsche Kronprinz kommt. Dann wenden sich die Zuschauer wieder dem Luftschiff zu. DaS ist jetzt in der nächsten Nähe. Und nun ereignet sich eine überwältigende Szene. Die Absperrung war gut und kraftvoll: Soldaten, Matrosen, Gendarmen, schwere Taue, Stacheldrähte — alles war aufgewendet, aber wo blieb all dieses in der nächsten Minute! Ein einziger Aufschrei auS vielen tausend Kehlen und dann wie auf ein gegebenes Signal: Sturm. Da gab es kein Halten. Querfeldein ging eS, als gelte es eine Festung zu nehmen. Kinder, Frauen fielen. Man sprang über sie hinweg. Die be rittene Gendarmerie sprengte der anstürmenden Menge entgegen, es nutzte nichts. Sie mußte weichen oder ein Blutbad anrichten, und so riß sie die Köpfe ihrer Pferde herum und ritt zurück. Mit geschwungenem Säbel wurde nunmehr versucht, dem Ansturm Einhalt zu gebieten. Es nutzte alles nichts. Und in dem Moment, wo das Luftschiff den Boden be rührte, waren die Gondeln von Tausenden um ringt. Und als die Soldaten das Fahrzeug zur Ankerschleife zogen, marschierte die Menge, „Deutschland, Deutschland über alles" singend, im Takte mit, direkt unter dem Schiff. Kaiser Wilhelm verkündet Zeppelin- Kommen. 'ln den Straßen Berlins wollte sich die nach oerttausenden zählende Menschenmenge nicht verlaufen. Als Kaiser Wilhelm gegen 10 Uhr abends durch die Straße „Unter den Linden* nach dem Schlosse fuhr, rief er, sich weit auS dem Wagenschlag beuyend: „Morgen kommt er!" Und Graf Zeppelm hat daS kaiserliche Ver sprechen erfüllt. Gegen 8 Uhr in der Sonntags- srühe war der Ballon bei dichtem Nebel in Bitter feld zu neuer Fahrt wieder aufgestiegen. Und als die Kirchenglocken der Reichshauptstadt den Mittag läuteten, da kam der stolze gigantische Luft kreuzer für Berlin in Sicht. Eine unbeschreib liche Erregung bemächtigte sich der Menge, die gerade des Sonntags wegen noch unvergleichlich größer war, als am Tage vorher. Bis in die entferntesten Stadtteile drang wie ein Lauffeuer die Kunde: „Zeppelin ist in Berlin I* Mit militärischer Pünktlichkeit ist der Graf erschienen. Um 12 Vr Uhr wie vorher bestimmt, ward der Ballon auf dem Tempel hofer Felde sichtbar. Die kaiserliche Familie hatte ihn schon vorher von den oberen Fenstern der Königin-Augusta-Kaserne begrüßt. Dort spielte eine Musikkapelle abwechselnd fröhliche Weisen und patriotische Lieder. Nach einigen großartig gelungenen Manövern, bei denen die Zuschauer die Äebrauchstüchtigkeit der Höhen- nnd Seitensteuer des Luftkolosses zu bewundern Gelegenheit hatte, machte das Luftschiff seine angeküudigte Schleifenfahrt, die es über den größten Teil der Reichshauptstadt (bis zum Rathaus) brachte. Hunderttausende hatten das Tempelhofer Feld belagert, ebensoviele wogten in den Straßen. Den imposantesten Anblick aber bot das bunte Menschengewimmel auf den Dächern. Von den entferntesten Stadtteilen konnte, wer so einen Platz in lustiger Höhe er langt hatte, alle Bewegungen, Drehungen, sowie das Auf- und Niedersteigen des Luftriesen be wundern. Unter dem nicht endenwollenden Jubel der Menge vollendete Graf Zeppelin seine Schleifen- fahrt, wobei er sich dem Häusermeer oft soweit räherte, daß man die Personen in den Gondeln deutlich unterscheiden konnte. Auf dem Tegeler Schießplatz war inzwischen >er Kaiser eingetroffen, wohin auf des Monarchen Wunsch sich auch der amerikanische Flugtechntker Wright, der mit seinem Drachenflieger bereits in Amerika und Frankreich bedeutsame Erfolge erzielt hat, begeben hatte. Als die Kaiserin eintraf, über reichte der Bürgermeister von Berlin Dr. Neicke der hohen Frau ein Bukett. Um 1 Uhr 45 Min. wurde aus der vorderen Gondel des Ballons das erste Tau auf den Ankerplatz geworfen. Hierauf senkte sich die Spitze des Luftschiffes, da in der vorderen Gondel mit Ausnahme eines Fahrtteilnehmers alle andern Platz genommen hatten, so tark, daß das Luftschiff in steilem Winkel ur Erde stand. Als der vordere Teil des ftlftschiffes von den Soldaten an den Ankcr- tauen festgehalten war, gingen die Fahrtteil nehmer nacheinander durch den Vcrbindungs- zang nach der zweiten Gondel und brachten rurch diese Gewichtsveränderung auch den sinteren Luftschiffteil der Erde näher. Auch hier ergriffen Soldaten die Ankertaue und führten das Luftschiff zu dem zum Ankern vor gesehenen Platz. Um 1 Uhr 51 Min. berührte die vordere Gondel den Erdboden, eine Minute später erfolgte die Verankerung des „Z. III", und während der Kaiser den Grafen Zeppelin begrüßte, intonierte die Militärkapelle um 1 Uhr 52 Minuten „Deutschland, Deutschland über alles", in das Soldaten, Schutzmannschaft und die den Landungsplatz belagernde Menge be geistert einstimmten. Nach der Begrüßung durch den Kaiser hießen die Kaiserin und die andern Mitglieder der kaiserlichen Familie den Grafen Zeppelin herzlich willkommen. Darauf wurde Orville Wright dem Kaiser und von diesem dem Grafen Zeppelin vorgestellt. An der Spitze der Stadtvertretung von Berlin hielt sodann Bürgermeister Dr. Reicke folgende Ansprache an den Grafen: „Hochverehrter Herr Graf! Durch Nacht zum Licht i So hat Berlin Ihnen zugerufen, alS auch Sie vor Jahresfrist das alte Erfinderschicksal ereilte, durch den Neid der Elemente noch einmal Ihr ganzes Werk in Frage gestellt zu sehen. Mit einer beispiellosen Einmütigkeit, die unS Deutsche — Gott sei Dank! — wieder ein mal fühlen ließ, daß wir ein Volk sind, hat Deutschland Ihnen damals beigestanden, und wir Berliner sind dabei wahrlich nicht die Letzten gewesen. Daß Sie heute nach Überwindung mancher Widrigkeiten der langen Fahrt als der schon gestern sehnsüchtig erhoffte Stern am Himmel der Retchshauptstadt aufgestiegen find, ist der schönste Lohn für unsre Liebe, die nach Lohn nie für uns, sondern nur für Sie gefragt hat. Wenn auch aus der Höhe, die Sie sich er obert haben, Ihnen eine Stadt wie die andre erscheinen muß, so wird doch die Begeisterung von drei Millionen, die in diesen Stunden mit Rufen und Fahnenwehen zu Ihnen empor gelodert ist, Ihnen gesagt haben, daß hier, im Herzen des Landes, unter den Augen unsres allverehrten geliebten Kaisers auch das Herz des Volkes am lautesten schlägt jedem großen Manne und jeder groben Tat! Daß Sie, der Sie uns beides bringen, der Menschheit wieder einmal das langersehnte Schauspiel gewähren, wie dem Verdienste das Glück sich gesellt, und wie Überzeugung und Mut endlich zum Siege führen, macht Sie zum Helden und Führer, zum Liebling des Volkes. Als solchen heißt durch meinen Mund heute auch die Stadt Berlin Sie willkommen und ruft Ihnen mit doppelter Herzlichkeit den gestern in ihren Kehlen steckengebliebenen Glückwunsch zu: Weiter — zu den Sternen!" Nachdem der Bürgermeister seine Rede be endet hatte, brachte der Kaiser ein Hoch auf Zeppelin aus; mit weithin hallender Stimme sagte der Monarch: „Seine Exzellenz Graf Zeppelin Hurra, Huna, Hurra!" Nunmehr begaben sich die Majestäten, die den Grafen Zeppelin in ihre Mitte genommen satten, zum Automobil. Dort ließ der Kaiser einen Gast zuerst einsteigen und setzte sich darauf links neben ihn. Die Kaiserin und die Prinzessin Viktoria Luise folgten im nächsten Automobil und hierauf die andern hohen Herr schaften. Der Kaiser und Graf Zeppelin wurden von dem Publikum mit stürmischen Hurrarufen begrüßt. Mau drängte an den Wagen heran, in dem der Kaiser und der Bezwinger der Lüfte saßen, und brachte dem letzteren stürmische Hochrufe. Kaiser Wilhelm saß kerzengerade, freund lich lächelnd, und wies oit mit einer leichten Handbewegung auf seinen Gast, um anzudeuten, daß Zeppelin der rechtmäßige Empfänger der heutigen Huldigungen sei. Der Graf hielt die ganze Zeit über die Mütze in der Hand. Die gewaltige, gewölbte Stirn und der mächtige Schädel, der nur noch spärliches Haar zeigt, waren sichtbar. Aus den scharf blickenden Augen blitzte es feurig; die Gesichtsfarbe ist gesund und frisch. Oft zuckte es um den weißen Schnurrbart verräterisch wie von Bewegung und Rührung. Die Huldigungen setzten sich bis in das Portal des Königlichen Schlosses fort, wo Frühstückstafel stattfand. Die Heimfahrt Zeppelin-. Um 9 Uhr 45 Min. abends kehrte der nie ermüdende Graf Zeppelin nach Friedrichshafen zurück, um die Vorführung seines Luftkreuzers vor dem Kaiser von Österreich vorzubereiten. Auf dem Anhalter Bahnhof hatten sich trotz der Geheimhaltung der Abfahrt Tausende einge funden, um dem so bald Scheidenden Abschieds grüße zu bringen. Etwa zwanzig Minuten vor der Abfahrtszeit öffnete sich die Tür deS Fürstenzimmers und der Graf erschien, um in den Zug zu steigen. Dann beugte sich der alte Herr aus der Waggontür und winkte mehrmals mit dem Hute in der Hand, ein liebenswürdiges, beglücktes Lächeln auf den Lippen. Wieder brausen ihm Hoch- und Hurra rufe entgegen. Wieder und wieder muß der alte Herr freundlich für die enthusiastischen Ehrenbezeigungen der ihm zujubelnden Menge ranken. Endlich erhebt er die Arme. Er will prechen. Aber lange, sehr lange dauert es, bis ich die erregten Menschen beruhigen und er für eine Abschiedsworte die nötige Ruhe findet. Mit bewegten Worten und mit vor freudiger Rührung bebender Stimme dankt Graf Zeppelin für die Huldigungen und für den ihm in Berlin bereiteten begeisterten Empfang. „Sehen Sie, ich habe versprochen, zu Ihnen zu kommen, und ich bin gekommen. Ich kann wohl sagen, ich bin gern, sehr gern gekommen, und ich freue mich herzlich über den schönen, warmen Empfang, den Sie mir bereitet haben. Sagen Sie es allen, daß ich ihnen danke, viel mals herzlich danke!" Abermals bricht der Jubel los. „Hoch I* „Hurra!" „Auf Wiedersehen!" „Bald wieder kommen !" So tönte es aus der Menge. Jetzt stimmen einige das alte deutsche Lied an: „Deutschland, Deutschland über alles". Brausend klingt es in die hohe Bahnhofshalle. Die Schutzmannskette hat längst nachgegeben. Bis d'cht vor das Fenster des Salonwagens drängt sich die Menge. Unter unendlichen Hurra-Rufen verschwindet der Zug aus der Halle. Um V-12 Uhr nachts stieg auch der „Zeppelin III" zur Heimfahrt auf. In wenigen Minuten waren die Anker gelöst und unter dem tausendstimmigen Hurraruf nahm das Luftschiff, das vorher durch Scheinwerfer abgeleuchtet wurde, den Kurs über Spandau nach Bitterfeld. — Berlins großer Zeppelintag, der etwa 2 V- Millionen Menschen auf die Beine gebracht hatte, war zu Ende, jeder aber fühlte, Graf Zeppelin hatte ein Stück Zukunft nach der Reichshauptstadt ge bracht, hatte gezeigt, daß er zwischen der Mutter Erde und dem bisher unbezwungenen Luftreich Brücken zu schlagen verstanden hat. Der Luftkreuzer bei Wittenberg durch Propellerbruch zum Landen gezwungen. Leider ist dem Luftschiff auf der Rückkehr von seiner Berliner Triumphfahrt bei Wittenberg ein Unfall zugestoßen. „Z. III" mußte bei Bülzig landen, weil er einen abermaligen Pro pellerbruch und Maschinenschaden erlitten hatte. Auch die Ballonhülle ist an zwei Stellen durch löchert. Von Berlin aus trafen auf telegraphi sches Ersuchen schnellstens Hilfsmannschaften ein, die'sich den Ballonführern zurjVerfügung stellten. politilcbe Kunäsckau. Deutschland. "Der Prinz-Regent von Bayern hat Kaiser Wilhelm eingeladen, während seines bevorstehenden Aufenthaltes in München aus Anlaß der Eröffnung der Schack-Galerie in der königlichen Residenz Wohnung zu neh men. Der Kaiser hat in einem an den Regenten gerichteten Telegramm die Einladung ange nommen. Die Stunde der Ankunft des Kaisers wird erst im Manövergelände, wenige Tage vor dem 18. September, bestimmt werden und ent weder im Hofsonderzug oder Automobil erfolgen. * Dem Hinterbliebenen-Versiche- rungsfonds wird aus den Einnahmen des Reiches für 1908 eine Verstärkung nicht zu teil werden, obschon für diesen Zweck in den Etat des letztverflossenen Finanzjahres nicht weniger als 53 Mill. Nik. eingesetzt waren. Die land wirtschaftlichen Zölle, aus denen der Fonds aufgefüllt werden soll, haben nicht die erwartete Mehr-Einnahme gebracht. Die Finanzierung der Arbeiter-, W it w e n - und W a i s e n- Versicherung wird sich auf andre Grund lagen als auf diesen durch das Zolltarifgesetz von 1909 geschaffenen Fonds und die auch nach dem etwaigen Erlaß eines Hinterbliebenen versicherungsgesetzes weiter für den Zweck fließenden Mehreinnahmen aus landwirtschaft lichen Zöllen stützen müssen. Frankreich. * Die Regierung läßt ihrem Versprechen, für den von Clemenceau arg gefährdeten sozialen Frieden wirken zu wollen, ernste Taten folgen. Nachdem schon kürzlich Postbeamte, die am Streik teilgenommen hatten, wiederange stellt worden sind, hat Arbeitsminister Millerand die Wiederanstellung von 146 Beamten a - geordnet. O Der Zfrikareilcnäe. 14 j Roman von Reinhold Ortmann. fforiletzun».» Dr. Burkhardt sah Nelly so vorwurfsvoll an, daß sie sich der raschen, unwilligen Äußerung schämte, noch ehe sie ganz ausgesprochen war. „Der Neger, wie Sie ihn beharrlich nennen, obwohl er von arabischem Stamme ist, steht meinem Herzen in der Tat sehr nahe," sagte er langsam. „Sein Gemüt ist treu und ehrlich wie lauteres Gold, und ich danke dem Himmel, der mich die Freundschaft dieses Mannes finden ließ. Seine dunkle Hautfarbe sollte Sie wahr- lich nicht bestimmen, von seinen geisten Fähig keiten gering zu denken. Er hat vielmehr die scharfe Beobachtungsgabe eines Weltweisen, und ich glaube nicht, daß es unter den sogenannten gebildeten, das heißt mit allerlei nichtigem Wissen, mit den Früchten fremder Erfahrungen aufgefütterten Leuten unsrer Rasse auch nur einen einzigen gäbe, der so wirksam zu trösten verstände wie er." „Vielleicht find Sie zu diesem Schluffe, der für uns wenig schmeichhaft ist, nur gekommen, weil Sie noch nicht den Versuch gemacht haben, bei einem von uns Teilnahme und Trost »u finden. ES steht mir gewiß schlecht an, das so offen auszusprechen: aber ich muß diese wenigen Minuten unsres Alleinseins benützen, um Ihnen zu sagen, daß Sie mir mit dieser stolzen Zu rückhaltung sehr wehe tun!" Durch das tiefe Braun seiner Gesichtsfarbe schimmerte das Feuer der Erregung. Außerstande, sich noch länger zu beherrschen, sprang er empor. „So haben Sie doch Mitleid mit mir, Nelly!" rief er aus. „Zwingen Sie mich nicht, schon vor der Zeit auch diesen Ort zu verlassen, den einzigen, an welchem ich noch einmal einen flüchtigen Sonnenschein des Glückes auf meinen Lebensweg fallen sah! Gönnen Sie mir diese wenigen Stunden einer Selbsttäuschung, deren jähes Ende ich bereits in greifbarer Nähe vor mir sehe!" Sie begriff den Sinn seiner Worte nicht vollkommen, aber sie glaubte doch, aus ihnen eine Bestätigung dessen hi rauszuhören, waS als geheimstes, sehnsuchtsvollstes Verlangen in der Tiefe ihrer jungen Seele erwacht war, während fie die flüchtigen, rasch hingeworfenen Tagebuch aufzeichnungen Burkhardts gelesen. So auf richtig, ja, fast verzweiflungsvoll der Schmerz gewesen war, der in seiner Stimme gezittert hatte, so hoch beglückend war die wonnige Ahnung, welche Nelly jetzt durchbebte. Und fie wollte dieS Glück nicht entfliehen lassen, jetzt, da eS sich ihr so nahe zeigte, sie wollte es festhalten, und mußte fie darum auch alles von sich werfen, was ihr die strengen Gesetze der guten Sitte an Zwang und Fesseln auferlegten. „Warum aber müssen Sie fliehen, und warum muß eS eine Täuschung sein, die Sie glücklich macht? Haben Sie denn bereits ver sucht, sich darüber Gewißheit zu verschaffen? Muß das, waS Sie vor sich sehen, ein Trug bild sein, nur weil Ihnen auS irgend einem unbegreiflichen Grunde der Mut fehlt, sich von seiner lebendigen Wirklichkeit zu überzeugen?" Er stand kaum drei Schritte von ihr ent fernt, und er machte eine Bewegung, wie wenn er auf sie zustürzen und sie mit wahnsinniger Leidenschaft in seine Arme schließen wollte. Aber die erhobene Hand krampfte sich plötzlich zur Faust zusammen, ein Laut, gleich dem Stöhnen eines zum Tode Verwundeten kam aus seiner heftig atmenden Brust, und statt sich ihr zu nähern, wich er so weit zurück, als die Enge des umgebenden Gesträuches es ihm erlaubte. „Sie haben meiner Bitte nicht Gehör ge schenkt, Fräulein Hertling," sagte er beinahe tonlos, „und Sie haben mich damit für immer aus Ihrer Nähe verbannt. Halten Sie mich fortan für den erbärmlichsten Menschen unter allen, die Sie kennen, und Sie werden damit die Wahrheit vielleicht noch nicht einmal er reichen. Sie zeigen mir einen Himmel, und ich kann die vand nicht auSstrecken, die mir seine Tore erschlösse!" Nelly hörte kaum noch, was er sprach. Seine Miene, seine Bewegung, der Klang seiner Worte, fie alle hatten ihr ja mit entsetz licher Deutlichkeit verraten, daß ihr Freimut eine beispiellose Erniedrigung gewesen war — daß Burkhardt ihre Liebe verschmäht, daß er fie, die sich ihm angetragen, verworfen hatte. Mit einem verzweifelten Aufschrei schlug fie beide Hände vor das Gesicht. Als sie die erste, zermalmende Beschämung überwunden hatte, erkannte sie, daß sie allein sei. Wie ein wirrer, schrecklicher Traum lastete die Erinnerung an das eben Geschehene auf ihrer Seele, und sie würde vielleicht in der Tat alles für einen Traum gehalten haben, wenn nicht daS nieder getretene und zerrissene Gebüsch rings um sie her Zeugnis abgelegt hätte von der Wirklichkeit der kurzen und doch so verhängnisvoll in ihr Leben einschneidenden Szene. Mit raschen, unhörbaren Schritten über den KieSboden dahineilend, kehrte Nelly in das Landhaus zurück. Zum Glück war sie nie mand aus der Gesellschaft begegnet. In ihrem Toilettezimmer beseitigte sie mit bebenden Händen die Unordnung ihres Kleides und badete das Gesicht in kühlem Wasser. Dann ging fie hinab, fest entschlossen, die Fröhlichste unter allen zu sein, wie auch ihr Herz dabei zucken und bluten mochte. Der jüngere Teil der Gesellschaft unterhielt sich mit Reifenspielen und Krockett, und die Offiziere hatten sich zumeist dem letzteren Zeit vertreib zugewendet. Als Nelly auf dem Krockettplatz ankam, beendete eben Gral Günde- rode mit einigen geschickten Schlägen eine sieg reich geführte Partie. DaS Erscheinen der jungen Dame vom Hause rief eine kleine Aufregung hervor, denn man bestürmte sie von allen Seiten mit Fragen nach ihrem Verbleib. Nelly schützte lachend ein unbedeutendes Unwohlsein vor, das rasch vorübergegangen sei, und indem sie Felicias Arm in den ihrigen zog, wandte sie sich an Günderode, der sich mit unverkennbarer Absicht lichkeit zurückgezogen hatte, mit den heraus fordernden Worten: „In der nächsten Partie müssen Sie auch , mich unter Ihre Gegner zählen, Herr Graf, ! und ich verspreche Ihnen vorweg, daß ich Ihnen das Leben herzlich sauer machen werde." Er verbeugte sich stumm; die Farben wur-
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