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Zwönitztaler Anzeiger : 14.12.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-12-14
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1859945678-190912146
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1859945678-19091214
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1859945678-19091214
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungZwönitztaler Anzeiger
- Jahr1909
- Monat1909-12
- Tag1909-12-14
- Monat1909-12
- Jahr1909
- Titel
- Zwönitztaler Anzeiger : 14.12.1909
- Autor
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Reichskanzler v. Vethmann- yollweg über auswärtige Politik. Am 10. b. wurde die Etatsdebatte im Reichs tage fortgesetzt. Dieser zweite Tag zeigte ein un gleich lebhafteres Bild als der erste. Einige Hrinq- lichkeitSanträge gegen sozialdemokratische Abgeordnete werden zunächst debattelos genehmigt. Dann naln» Abg. Wiemer (frs. Vp.) das Wort. Ein Programm haben wir von dem neuen Kanzler nicht erwartet. Würden wir aber die Kritik an der Ver gangenheit nur der äußersten Linken überlassen, so käme die» nur dieser zugute. Von vielen Mit gliedern deS Hauses wird es als sehr befremdlich empfunden, daß der Reichskanzler bei Verlesung der Thronrede in Uniform erscheint. Bei der Zurück haltung der Krone hat ihr Ansehen gewonnen. Wir fordern weiter Ministerverantwortlichkeit, fordern Ivie bisher eine preußische Wahlreform. Wir verlangen ein liberales Regiment und erstreben Zusammengehen mit den Nationalliberalen. Darauf erhob sich der inzwischen erschienene * Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Hier kann ich nicht die gewünschte Erklärung über das preußische Wahlrecht abgeben. ES ist dies ein Gegenstand, über den ich mich nur vor dem preußi schen Landtage aussprechen werbe. Auch darüber hoffe ich der Zustimmung der Mehrheit dieses hohen Hauses sicher zu sein, wenn ich in eine Erörterung über die Kleidung der Minister bei Eröffnung des Reichs tages nicht eingehe. Abg. Bassermann hat geglaubt, aus meinen gestrigen Worten eine Kritik an der Haltung seiner Partei »u den Steuervorlagen Heraushören zu müssen. Er hat insbesondere ge meint, daß ich seiner Partei den Borwurf gemacht hätte, bei jener Gelegenheit mit ihren Überlieferungen gebrochen zu haben. Ich hoffe, der Abg. Basser mann wird sich beim Lesen meiner Worte davon überzeugen, daß er sich im Irrtum befindet. Ich habe mich absichtlich von jeder Kritik der Vergangenheit kerngehalten. Wer, wie ich, die aus den Steuer debatten zurückgeöliebene Verbitterung für ein Übel hält, der wird keine Vorwürfe er heben, welche dieses Übel verstärken können. — Wenn ich zu Fragen der auswärtigen Politik über gehe, so sehe ich davon ab, allgemeine Betrachtungen über die Weltlage anzustellen. Ich halte eS auch nicht für erforderlich, von so festgegründeten Verhältnissen wie unsern Be ziehungen zur österreichischen Monarchie zu sprechen Mas das allgemeine Ziel unsrer Politik bildet, ist in der Thronrede ausgesprochen, dagegen geben mir einzelne Fragen, die im bisherigen Verlaufe der Debatte an mich gerichtet worben find, Anlaß zu folgenden Bemerkungen. Zunächst das Marokko-Abkommen mit Frankreich. Wie bereits des weiteren in der Thronrede an- gedeutet worden ist, hat seit seinem Abschluß ein fortgesetzter Meinungsaustausch zwischen uns und der französischen Regierung stattgefunden, und cs ist dem beiderseits gezeigten guten Willen gelungen, in Wichtigen Punkten Übereinstimmung zu erzielen. Auf Grund deS bisher erzielten Ergebnisses darf ich der Zuversicht Ausdruck geben, daß sich aus derselben Grundlage eine der Bedeutung der beteiligten deutschen wirtschaftlichen Interessen entsprechende Lösung, auch der noch ausstehenden Fragen, voll ziehen wird. — Den Stand der amtlichen englisch-deutschen Beziehungen glaube ich durch die folgende Erklärung zutreffend kennzeichnen zu können. Englische Staatsmänner, Asquith, vor allem der zurzeit leitende Pre mierminister, haben in Reden der letzten Zeit die Herstellung guter Beziehungen zwischen England und Deutschland alS eine wichtige Ausgabe ihrer weisen StaatSkunst bezeichnet. Ich kann die Bekundung dieser Absicht und Gesinnung auch von dieser Stelle aus nur aufrichtig und auS voller Überzeugung er widern. Gegenüber dem Vertraue», mit dem sich die Thronrede über den Bestand deS Dreibundes geäußert hat, ist die Aufmerksamkeit daraus gelenkt worden, daß in Italien im Anschluß an den Besuch deS Kaisers von Rußland in Racconigi Stimmen laut geworden sind, die dem Dreibund wenig frennb- lich waren. Ich habe indessen keine Wahrnehmungen zu machen gehabt, die irgendwie dahin gedeutet Werde» könnte», daß die verantwortliche Leitung der italienischen Politik den Werl der Dreibundvcrtrnge für Italien anders oder niedriger einschätze als bisher. Bei der Betrachtung unsres Verhältnisses zu Nustlnnd hat die seit Jahren, so auch jetzt wieder wenig freund- liche Sprache eine Rolle gespielt, dk ein Teil der russische» Presse gegen Deutschland führt. Es ist nicht zu bestreiten, daß eS dort ebenso wie anderwärts ge- wisse Kreise gibt, die es sich zur Aufgabe zu niachc» scheinen, Deulschland abcmcucrüche, de» Weltfrieden bedrohende Absichten anzudichten. Einen guten Dienst bei der Führung der politischen Geschäfte in Ruhe und Stetigkeit wird auch unsre Publizistik leisten, wenn sic dicse Forderung auch für sich gelten läßt, und in der Erwiderung auf deutschfeindliche Treibereien und in der Kritik an der Politik andrer Staaten und an deren Staatsmännern dasjenige Maß von kühler Reserve bewahrt, das dem eigenen Kraftgefiihl und der Achtung vor den Nachbarn entspricht. Durch ein solches Zusammen wirken der öffentlichen Volksstimmnng mit der Politik werden die Geschiffte des Landes am besten gefördert. Staatssekretär Frhr. v. Schön: Die Marokko- srage ist seit dem letzten Wimer in ein ruhigeres Fahrwasser getreten. Die wirtschaftliche Seite des Abkommens gibt jedenfalls zu Klagen keinen Anlaß. Uber die Grenzregulierung im Nordwesten von Deutsch-Ostafrika ist eine freundschaftliche Verständi gung erreicht. Das Reformprogramm der belgischen Regierung für den Kongostaat, die Erfüllung der vertraglichen Rechte und Pflichten erstrebt, findet unsre Unterstützung. Abg. Scheidemann (soz.): Der Reichstag hätte im Sommer nicht geschlossen werden sollen. Der Kanzler will eine Ara der Ruhe. Das deutsche Volk will aber keinen faulen Frieden mit der Rechten, sondern den Kampf. Die neuen Steuern führen viele zur Unterernährung. Welche Bundesgenossen hat der neue Reichskanzler? Hat man in der preußischen Wahlrechtsfrage den, König von Preußen nicht offen Wortbruch zugemutet? Warum erhebt der Kanzler gegen solche Schusterei nicht Protest? Freilich, der Äortbruch ist die erhabenste Überlieferung der preußischen Geschichte. Vizepräsident Erbprinz Hohenlohe: Das dürfen Sie nicht sagen, daS ist ungehörig. Ich rufe Sie zur Ordnung. Abg. Scheidemann: Das Volk mußte der preußischen Dynastie helfen. Aber das preußische Volk behielt das elende Dreiklassenwahlrecht. Das Verhalten der Konservativen war beispiellos brutal. Vizepräsident Erbprinz Hyhenlohe: Ich nehme an, Sie meinen damit nicht Mitglieder des Hauses. Abg. Scheidemann: Selhstvcrständlich. Die bürgerlichen Parteien sind krasse Klassenparteien. Wir sind im Bunde mit der Zukunft, im Bunde mit den besten VolkSkrästen. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Auch ich lege gegen die Abschweifung des Abg. Scheide mann in die preußische Geschichte Verwahrung ein. Ich lege gegen diese Verunglimpfung des preußischen Königtumcs Verwahrung ein. Das Bewußtsein, was die preußischen Könige geleistet haben, ist viel zu fest begründet, als daß Herr Scheidemann ge eignet wäre, an diesem Bewußtsein zu rütteln. Abg. Frhr. v. Gamp (Reform».): Nirgends Wird die persönliche Freiheit so beschränkt wie Inder Sozialdemokratie. Wir begrüßen die vorsichtige Ausstellung deS Etats. Wir müssen uns wieder zu gemeinsamer Arbeit zusammcnfinden. Nieder die Waffen! Abg. Fürst Radziwill (Pole): Unsre Haltung zur Reichssinanzrcsorm war diktiert vom Gesichts punkte des kleineren Übels. Von allen Seiten greift man uns jetzt an. Auch die Regierung schützt uns nicht. Wir verlangen aber das gleiche Recht wie alle andern Staatsbürger. Wir vertrauen auf die göttliche Vorsehung. Unsre Ansprüche gehen nicht über daS hinaus, was recht ist. Entschlossen ver langen wir aber das, was uns zusteht. Darauf vertagt sich das Haus. Politische Kuncllckau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm wird im Januar einen kurzcn Besuch in Kassel machen und Wilhelmshöhe besuchen. * Der Besuch deS Reichskanzler- in Rom wird, wie verlautet, nicht vor Ostern nächsten JahreS erfolgen, da sowohl die parla mentarische Lage in Deutschland wie der KabineltSwechsel in Italien einen früheren Zeit punkt alS wenig geeignet erscheinen lassen. Der Gegenbesuch deS österreichisch - ungarischen Ministers Grafen Slhrenthal in Berlin wird entgegen anders lantenden Meldungen im Laufe des WinterS erfolgen. * Der S e n i o r e n - K o n v e n t deS Reichstags beschloß, nach der ersten Lesung des Etats nur noch eine Anfrage über den Arbeit snachweis zu verhandeln und dann am 16. d. in die Weihnachtsfericn zu gehen, i * Die A u 8 s ch m ü ck u n g S ko m m is s i o n ! des Reichstags hat in ihrer Sitzung be- i schlossen, das Originalgemälde BiS-i marckS von Franz v. Henbach, da« dieser Tage bereits in der Wandelhalle zur Besichti gung der Reichstagsmitglieder aufgestellt war, anzukaufen. "Auf eine Anfrage wegen Entschädi gung der durch daS neue Tabaksteuer gesetz betroffenen Arbeiter hat die badische Regierung erklärt, daß bis Mitte Oktober 7700 Unterstützungsgesuche arbeitslos gewordener Tabakarbeiter eingereicht worden find, von denen 4951 als berechtigt anerkannt und 530 abgelehnt wurden, während bei 2219 Gesuchen zurzeit die Erhebungen noch nicht erledigt find. Bis Ende Oktober wurden 129 203 Mk. an Unter stützungen ausgezahlt. Wenn in den übrigen Bundesstaaten Unterstützungsgesuche in gleichem Umfang eingereicht werden, so wird der im neuen Tabaksteuergesetz aus Reichsmitteln vor gesehene Betrag von 4 Mill. Mk, die für einen Zeitraum von zwei Jahren bestimmt sind, bei weitem nicht ausreichen. * Nach halbamtlichen Erklärungen liegen zur Preuß. Wahlrechtsreform »och keine bindenden Beschlüsse vor. Dennoch sei es wahrscheinlich, daß die Regierung im April eine Neformvorlage dem Landtage zugehen lassen wird. — In welchem Rahmen sie sich bewegt, ist noch nicht bekannt. "Nach der jetzt in zweiter Lesung ange nommenen hessischen Wahlrechtsvor lage ist jeder, der die Staatsangehörigkeit be sitzt und ein Jahr im Grobherzogtum wohnt, wahlberechtigt. Die Wahl erfolgt geheim und direkt. Jeder 50 Jahre alte Wähler erhält, da auch die Einführung des Mehrheitswahirechts gleichzeitig beschlossen wurde, eine zweite Zusatz stimme. * Der oldenburgische Landtag hat das vielumstrittene Schulgesetz an genommen. Italien. *Nach langen Verhandlungen ist es dem früheren Ministerpräsidenten Sonnino ge lungen, ein konservatives Ministerium zu bilden, das der König bereits bestätigt hat. Bezeichnend für die Lage in Italien ist, daß das neue Ministerium nur mit Hilfe der Anhänger des eben gestürzten Ministerpräsidenten Giolitti zustande gekommen ist: eS wird also nur solange lebensfähig bleiben, als ihm Giolitti und seine Mannen Gefolgschaft leisten. Spanien. *Der Minister des Äußern in Madrid hat die scherifische Gesandtschaft emp fangen und ihr die Antwort der spanischen Regierung auf die letzte marokkanische Note mit geteilt. Der Minister erklärte den Gesandten, daß die Erfolge der Spanier im Rifgebiet, wo die scherifische Macht nur selten Anerkennung ge funden habe, für die marokkanische Regierung nur von Vorteil feien. Die Unterwerfung deS RifgebietS habe jede Möglichkeit einer Ver schlechterung der Beziehungen zwischen Spanien und Marokko beseitigt. Baltanftaate«. "Die Kretaschutzmächte haben der türkischen Regierung auf eine Note, die die Er ledigung der Kretafrage forderte, erneut mitge teilt, daß die endgültige Regelung dieser kritischen Frage in diesem Augenblick nicht wünschenswert erscheine. Man wolle vielmehr erst abwarten, bis sich die Gemüter in Griechen land, in der Türkei und auf der Insel Kreta völlig beruhigt hätten. * In Serbien ist eine Ministerkrise auSgebrochen, da die Skupschtina den Kredit von sieben Millionen für den Neubau von Kasernen abgelehm hat. Affe«. * Die Lage im fernen Osten wird immer yerworrener. Zu den beunruhigenden Nach- tichten über die Spannung zwischen dem Zaren reiche und Japan gesellt sich jetzt die Meldung von einer Verschärfung der Gegensätze zwischen China und Rußland. Danach Hat die chinesische Regierung in einer scharfen Note die Ansprüche Rußlands bezüglich der Verwal tung der Mandschurei zurückgewiesen und angekündigt, daß sie gewillt sei, den Schutz, aller mandschurischen Bahnen selber zu über-! nehmen. Diese Note ist ein Zeichen für die unter japanischem Ansporn vor sich gehende innere Erstarkung Chinas. Der „Zwang zum Schassen." Je nach der Stellung der Parteien wird deS neuen Kanzlers erste Rede verschiedenartig be urteilt. Und was der neue Herr vermeiden wollte, die Festlegung auf ein Programm, ist ihm unbedingt zum Segen ausgeschlagen; denn gerade ein Programm wird von den einzelnen Parteien vermißt. War's aber unter den gegen wärtigen Verhältnissen nötig, ein Programm mit festen Umrissen zu zeichnen, schien es klug und staatsmännisch, den Kampf der Parteien, den die Finanzresorm im Sommer heraufbeschworen, in der Arbeit des Winterreichstages zum Schaden des Landes und der sozialpolitischen Gesetzesarbeit fortzusetzen? Darum hielt es der neue Kanzler für ersprießlicher, kein Programm zu entwickeln, das sich in letzter Linie doch gegen diese oder jene Partei wenden müßte, sondern die ernste Mahnung an die Reichsboten und darüber hinaus an das ganze Volk zu richten, die Vergangenheit zu vergessen. Das ist der erste Teil der ersten Kanzlerrede. Nur wenn im neuen Tagungsabschnitt die trennenden Momente gegenüber der Betrachtung der staatlichen Notwendigkeit ausgeschaltet werden, können die gesetzgeberischen Arbeiten der vergangenen Tagung zu gutem Ende geführt werden. Herr v. Bethmann-Hollweg hätte sich übrigens ans gewisse Vorbilder stützen können, die die Presse Deutscklands immer an zuführen beliebt, wenn es sich um den Parla mentarismus handelt, er hätte beweisen können, daß weder Herr Clemenceau als Ministerpräsident von Frankreich, noch Herr Campbell-Banner- man und sein Nachfolger Asquith in England in der Lage waren, auch nur einen bescheidenen Teil ihres einst so begeistert aufgenommenen Programms zu verwirklichen. Der neue Kanzler begnügte sich mit dem Hinweis, daß eine deutsche Regierung keine Parteiregieruna sein könne, und vergaß wohl in dem festen Glauben an seine Nberzeugnng, daß Fürst Bülow bei der Begründung des Blocks ein Programm entwarf, das einzelne Parteien von der Mit arbeit an des Reiches Wohlfahrt geradezu auS- ffbaltete. Das verschlägt nichts, wenn Herr Bethmann-Hollweg daran festhält, daß alle Par teien seiner Regierung gleich angenehm sind, wenn sie sich über den engen Parteienstandpnnkt hinaus entschlossen zeigen, die Dinge nach dem Maßstabe ihrer Notwendigkeit zu werten. Damit schloß der zweite Teil der Rede, die Herr v. Bethmann, eine schlanke fast über große Erscheinung, mit ruhigem Ernst, ohne Höhepunkte und ohne Geste hielt. Er wirkt nicht wie BiSmarck durch die überragende Größe seiner Erfolge, ist nicht wie des Reiches zweiter Kanzler Caprivi der stramme Frontosfizier, der die Dinge unter dem Gesichtswinkel der Disziplin zu sehen gewöhnt war, macht keine Pausen in seiner Rede, um sich wie Hohenlohe auf die Worte zu besinnen, er wirkt auch nicht durch die Eleganz und blendende Beredtlamkeit, die den Fürsten Bülow auch bei seinen Gegnern zu einem interessanten Parlamentsredner machte, er wirkt durch eine gleichmäßige Ruhe, die sich offenbar den Zuhörern Mitteilen soll, im Bewußt- sein der Schwierigkeit seiner Aufgabe. Aber er glaubt sie lösen zu können, und diese Hoffnung findet ihren Ausdruck in dem Hinweis auf den „Zwang zum Schaffen" im dritten Teile seiner Ausführungen. Wenn dieses in der Stunde deS Anfangs geprägte Schlagwort Lebenskraft hat und befruchtend nachwirkt in den Herzen und Sinnen der Hörer, dann kann Bethmanns Kanzlerschaft vielleicht die zerstreuten nationalen Kräfte sammeln und dann wird auch das Gerücht sich selber widerlegen, das den neuen Mann zu einem „überaangSkanzler" stempelt, messen kurze Regierungszelt nur der Erledigung dringlicher Arbeiten gewidmet sein soll. zVäctusr. Karun ak Waschid. Els Jahrhunderte sind vergangen, seit der Ruhm des ersten deutschen Kaisers so machtvoll in alle Welt hinausdrang, daß selbst das fernste Morgenland ihm Gruß und Huldigung darbrachte. Damals geschah es, daß Harun al Raschids, des Kalifen, Name in Deutschland zuerst vernommen wurde. Der „Fürst der Gläubigen", der von Bagdad aus die mo hammedanische Welt regierte, sandte an Karl den Großen, den Herrn der abendländischen Christenheit, Boten als Bringer seiner Glückwünsche zur Kaiscrkrönnug. Herrliche Geschenke gab er ihnen mit. Da waren Kunstgcgenstände des Orients von kostbaren Edelstosfcn und wunderbarer Arbeit, wie man sic im Franken land noch nicht gesehen, und seltene indische Gewürze und ein vielbestaunter Elefant und andere fremdartige Gaben mehr. Doch am meisten ward ein kunstreiches Uhrwerk bewundert, eine Wasseruhr aus Metall, eine Mcisterschöpfnng arabischer Mechanik; sie verkündete die Stunden nicht bloß durch Zeiger, sondern auch durch Kügelchen, die mit angenehmem Klang auf eine Metallplattc fielen, und durch zierliche Reiter, die aus kleinen Türmen hervorsprengten. Karl rüstete eine Gcgengesandtschaft. Unter der Führung eines Juden mit Namen Isaak brachte sie edle Pferde, aus gezeichnete Jagdhunde, feines Linnen nebst anderen auserlesenen Webarbeiten der kunstfertigen Franken- und Friesenfranen ans Gestade des Tigris. Mit kaiserlicher Gastlichkeit nahm Harun al Raschid die Gesandten auf. Die Kunde solchen Empfangs gelangte bald nach Europa und gab dem Namen des Kalifen aufs neue guten Klang. Dieser feierliche Austausch von Freundlichkeiten zwischen den zwei jungen Weltreichen über eine Entfernung hinweg, die bei den Verkehrsmitteln der alten Zeit ganz gewaltig er scheinen mußte, hatte in zwiefachem Sinn eine hohe Bedeutung, die ihr einen wichtigen Platz in der Kulturgeschichte sicherte. Einmal legte die Begebenheit Zeugnis ab von der Aus strahlungskraft der genialen Persönlichkeit. (Nachmals haben cs namentlich Napoleon I. und Bismarck im Orient zu ähn licher Schätzung gebracht). Zweitens aber war sie die würdige Einleitung zum unendlichen Epos der unmittelbaren Be ziehungen zwischen Westeuropa und den Ländern des Islam. Die Kreuzzüge, die Blüte des Welthandels übers Mittel meer und über das cmporgehende Süddeutschland, die Türken kriege sind als Haupt-Epochen dieser tausendjährigen Bekannt schaft allen Gebildeten vor Augen. In unseren Tagen des Weltverkehrs ist uns der Orient näher gerückt. Für Erholungs reisende wurden die Türkei und Ägypten zu bequem erreich baren Modegegenden. Mit dem Stammland Harun al Ra schids sehen wir Deutschland heute durch 2 Dinge verbunden: Durch die „Deutsche Bagdadbahn" und durch unsere Alter tumsforschung, also einerseits durch Technik und Handel, anderseits durch die Wissenschaft. In politischer Hinsicht hegen wir nur die friedlichsten Absichten gegen den mohammedanischen Orient. Dafür weisen uns Bildungs- und HandelSintercssen umso nachdrücklicher darauf hin, uns inniger mit der vielgestaltigen Fremdkultur vertraut zu machen, da dies nun leichter als je zuvor durchführbar ist. Seltsamerweise nämlich sind unsere Kenntnisse alles orientalischen Wesens noch immer recht bescheiden. Nur ein winziger Bruchteil von dem, was die Gelehrten darüber wissen, ging in das allgemeinere Bildungsbewußtsein über. Für die allermeisten von nnü ist Morgenland noch heute: Märchenland. Wobei uns nicht die märchenhafte Feiuheit und Mannigfaltigkeit der östlichen Kultur gegenwärtig zu sein pflegt, sondern mehr eine unbestimmte Vorstellung von allerlei Schrecken und Wollust, Fanatismus und Willens- trügheit, Prunk lind Elend, alles in allem ein Farbenwirrwarr unter dörrender Sonne. Das Gute, Gesetzmäßige, das hinter dieser bunteu Fassade wohnt und vielsältige Zeugnisse seines Wirkens schuf, verdient in hohem Maße die nähere Be trachtung. Wenn wir zu diesem Behuf, wie sich's ziemt, tunlichst weit in die Vergangenheit zurückschauen, so bietet sich als natürlichster Anfangspunkt die Epoche Harun al Raschids. Wiewohl sic in dcr Geschichte des Islam keilten entscheidenden Wendepunkt bedeutet, hebt sie sich für uns doch, hauptsächlich durch die beherrschende Persönlichkeit, als wichtigste der kurzen Glanzzeiten aus den Anfängen der mohammedanischen Grvßstaatsherrlichkeit hervor. Harun al Raschid (richtiger: Harun er Raschid, der Recht geführte, Gerechte) hat freilich als Charakter und Staats mann nicht viel Glück bei dcr modernen geschichtlichen Forschung. Es gibt Gelehrte, die seinen besonderen Nnhm für unbegründet ansehen, ihm die Eigenschaften eines guten oder gar großen Regenten abzusprcchen suchen, ihu argwöhnisch, launenhaft, grausam nennen lind ihm die Schuld an einem Sinken der Kalifcngewalt in den cntlegcnercn Gebieten zn- schieben. Daran ist insofern etwas Wahres, als er tatsächlich feinen Wesier und Liebling Dschaafar uncrwartctcrwcise hin richten und dessen ganze Familie, die Barmakiden, die seinen Vorfahren und dem Reich die wertvollsten Dienste geleistet hatten, zu verderben strebte. j (Schluß folgt.)
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