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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.04.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-20
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030420028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903042002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903042002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-20
- Monat1903-04
- Jahr1903
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Anzeigen PreiS die 6 gespaltene Petitzeile SS Reklame« «nter dem Nedaktionsstrich («gespalten) 78 vor de« Familien nach richten («gespalten) 80 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend hSher. — Lebübren ftr Nachweisungen und Offertenaunayme L8 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbesSrderuug 60.—, mit Postbeförderuug ^l 70.—^. Rnuahmeschluß fir Ilyeize«: Abend-Ausgab«: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeige« find stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags nuunterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck nab Verlag von L. Volz in Leipzig. Nr. 188. Montag den 20. April 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * tzetpztg, 20. April. Der letzte Tagungsabschuitt des gegenwärtigen Reichstages. Morgen tritt derReichstag zum letzten Mal in der gegenwärtigen Legislaturperiode zusammen. Auf der Tagesordnung der Dienstagssitzung stehen die Vorlagen über Abänderung des Wahlreglements und über da« Verbot der Verwendung von Phosphor zur Fabrikation von Zündhölzern. Die „Konservative Kor- respond." bezweifelt, daß es möglich sein werde, die ganze Tagesordnung in einer Sitzung zu erledigen. Es dürfte, meint sie, doch kaum zu umgehen sein, daß bet der Erörte rung des sogenannten Klosettgesetzes allgemeine Wahl fragen mit in Betracht gezogen und namentlich von den verbündeten Regierungen gewisse Aufklärungen verlangt würden. Davon, datz die Konservativen irgendwie die Absicht hätten, die angeblich bessere Sicherung des Wahl geheimnisses durch irgend welche Mttel zu verschleppen, könne natürlich nicht die Rede sein. Aber eS werde -och wohl anderseits erwartet werden dürfen, datz man der artige Bestimmungen, die einem höchst überraschenden und vollständigen Wandel in den Anschauungen der Reichs leitung über diesen Gedanken die Entstehung verdanken, nicht durchpeitsche. Jedenfalls werde sich die nächste Reichs tagssitzung nicht uninteressant gestalten. Für ein beschluß fähiges Haus werde die „klosettbcgeistcrtc Abwehrmehr- heit" schon sorgen. — Wir wissen allerdings von einer „klosettbegeistcrten Abwehrmchrheit" nichts, hossen aber trotzdem auf ein beschlußfähiges Haus, das bereit ist, die Vorlage über Abänderung des Wahlreglcments nicht durchzupeitschen. Wenn von konservativer Seite nicht nur Abänderungsanträgc gestellt, sondern auch von den ver bündeten Regierungen „gewisse Aufklärungen" verlangt werden, um so besser. Kaum jemals ist eine Legislatur periode zu Ende gegangen, die so viele Fragezeichen übrig gelassen hätte, wie die jetzige. Kaum jemals hat man weniger als heute gewußt, wie das Reichsschiff gesteuert werden soll oder — um mit dem Herrn Reichskanzler zu sprechen — wie der Hase läuft. Und darüber etwas zu er fahren, bietet keine der noch der Erledigung harrenden Vorlagen bessere Gelegenheit, als gerade die, welche der Sicherung des Wahlgeheimnisses dienen soll. Allerdings ist es sehr fraglich, ob man vom Tische deS Bundesrates viel mehr erfährt, als man setzt schon weiß. Aber wenn man nur auf allen Seiten klar darüber wird, daß die ver bündeten Regierungen auch ihrerseits erst wissen wollen, wie der Hase läuft, d. h. wie bei den Rcichstagswahlen die Würfel fallen, bevor sie sich über den Kurs der inneren Politik entscheiden, so ist auch das ein Gewinn. Roch immer wartet man hier und dort auf eine von oben auszu gebende „Wahlvarole". Erkennt man, datz diese Er wartung nicht erfüllt wird und datz die Reichsregicrung ihrerseits für diesen Kurs eine Parole von den Wählern erwartet, so ist auch das eine erwünschte Klärung der Lage. Nichts kann die Wähler so eindring lich an ihre Pflicht erinnern und ihnen so deutlich die Wich tigkeit der bevorstehenden Wahlen vor Augen führen, als wenn sie am Schlüsse der Legislaturperiode erfahren, datz die Regierung von ihnen Antwort auf die Frage ver langt: „Wohin steuern wir?" Der Fall Hüffener und die sozialdemokratischen Bienen. Wie die durch ihren Fleiß berühmten kleinen Insekten aus jeder Blume Honig saugen, so verstehen es die sozia listischen Bienen, aus jedem Vorgänge, auch dem be- trübcndsten und erschütterndsten, Gift zu gewinnen. Man muß anerkennen, daß der „Vorwärts" aus dem Falle Hüssencr mit großer Geschicklichkeit das Gift heraus geschlürft hat. Er hat nicht etwa Hüssencr mit Fuß tritten bedacht — was ja das Naheliegendste gewesen wäre —, nein, er hat ihn in gewisser Weise noch in Schutz genommen. Nicht Hüssencr sei der eigentlich Schuldige, sondern der barbarische Militarismus, der die Tötung deS unglücklichen Hartmann zur „harten, harten Soldatenpflicht" gemacht habe. Der von dem leitenden Zentralorgan der Sozialdemokratie angeschlagene Akkord ist von der sozialistischen Kapelle geschickt ausgenommen und weitergegeben worden. In zwei sozialistischen Wahlversammlungen in Essen — wo bekanntlich der un glückselige Vorfall stattgefunden hat — ist eine Resolution angenommen worden, in der gesagt wird, das Berufs militär müsse beseitigt werden, denn nur das Miliz- System könne Barbareien L la Hüffener ein Ende machen. Da aber die Sozialdemokratie die einzige Partei sei, die nachdrücklich für das Miliz-System eintrete, so erheische es das Interesse des gesamten Volkes, nur Sozialdemokraten in den Reichstag zu wählen. Angesichts der zweifellosen Erregung über den schrecklichen Vorgang ist die Taktik, auf diese Weise für die sozialdemokratischen Kandidaten Reklame zu machen, gar nicht so übel. Sie hat nur den einen Haken, daß das Miliz-System durchaus nicht gegen derartige Vor kommnisse schützt. Wir glauben uns zu erinnern, daß mich in der Schweiz mit ihrem Miliz-System sehr häßliche Fälle von „Soldatenschinderei" vorgckommcn sind. Und wir wissen, daß im südafrikanischen Kriege nicht die regulären englischen Soldaten — die freilich auch keine Engel waren — am schlimmsten gehaust haben, sondern die kanadischen und die australischen Milizen und deren Offiziere. Haben doch zwei australische Miliz- Offiziere erschossen werden müssen, weil sic nachweislich über ein Dutzend wehrlose gefangene Boercn mit ihren Revolvern niedcrgeknallt haben. So entschieden also die Handlungsweise vüssencrs, die jedenfalls ihre strenge Sühne finden wird, zu verurteilen ist, so besagt sie doch in keiner Weise etwas zu Gunsten des Miliz-Systems und gegen die stehenden Heere: sie scheint uns nur die Mahnung an die verantwortlichen Stellen zu enthalten, die moralischen Qualitäten der jungen Leute, die zum Ofsizicrsstande zugelassen werden wollen, auf das sorg fältigste zu prüfen. Eine englische Unfreundlichkeit. In Sansibar, welches bis zu dem vor einem Dutzend Jahren abgeschlossenen, für uns so ungünstigen deutsch, englischen Vertrage zur deutschen kolonialen Interessen- sphäre gehörte, aber leider abgetreten wurde, ist eng- lischcrseits verfügt worden, daß fortan die Behörden, d. h. Post und Zoll, die de utsch-o st afrika nische Rupie nicht mehr in Zahlung nehmen dürfen. Die in Dar-cs-Salaam erscheinende „Dcmschostafrikanische Ztg." läßt sich sehr bitter über diese „versuchte Mihkrediticrung deutsch-ostafrikanischer Münzen" aus. Sie sagt, daß das eng lische Manöver vollkommen verfehlt sei, denn die deutsche Re gierung könne jederzeit Gcgenmaßrcgeln treffen; auch nähmen bereits wieder alle Kaufleute und Hotels in Sansibar die deutsche Rupie gern in Zahlung, nachdem von der deutsch-ost afrikanischen Gesellschaft die Gegenerklärung erfolgte, daß dis Gesellschaft jederzeit bereit sei, die deutschen Münzen zu ihrem vollen Wert einzulösen. Das Betrübende für uns Deutsche sei, daß man englischerseits wieder einmal die Keckheit besessen hat, zu versuchen, deutsche Münze mit dem Bildnis des Deutschen Kaisers schlecht zu machen, und außerdem, daß tatsächlich, wenn auch nur wenige Tage, so mancher Deutsche in Sansibar sich es habe gefallen lassen müssen, wenn man ihm beim Herreichen einer deutschen Rupie mit dem Kaiserbildnis gesagt hat: „nc> goocl" oder ssns". Zu dieser Angelegenheit schreibt man der „Schlef. Ztg." aus Berlin: Die Meldung aus Sansibar, daß von den dortigen englischen Behörden die -cutsch-ost- afrikanische Rupie nicht mehr in Zahlung genommen werden solle, hat hier an amtlicher Stelle sehr Uvcrrafcht. Man kann sich die Maßregel nicht erklären, da garnichts vorltegt, was die bisherige Sachlage geändert hat. Ge wissermaßen sind die deutschen Rupien besser fundiert, nachdem seit dem 1. April das dortige Münzwesen auf das Reich übergegangcn ist, während bisher die deutsch- ostafrikanische Gesellschaft die Münzen ausprägte. Ob die Weisung zum Verbote der deutschen Münzen von London ausgcgangen ist, wie die „Deutsch-ostafrikanischc Zeitung" behauptet, muß erst festgestellt werden. Die deutsche Rupie hat genau denselben Mctallwert, wie die indische: ihr Kurswert bewegte sich seit einigen Jahren zwischen 1,36 und 1,40 .F, überstieg aber den Metallpreis um mehr als 00 Prozent. Von den indischen Rupien laufen im deutschen Schutzgebiete etwa sechs Millionen um. Das Reich wird wohl oder übel die von der Gesell schaft durch ihre Prägungen begründete schwebende Schuld übernehmen müssen, spätestens beim Ablaufe des Ver trages im Jahre 1985. Wie sich die Sache nach dem eng lischen Schritte in Sansibar weiter entwickeln wird, läßt sich vorläufig noch nicht erkennen. Die Frage der Ein führung der Neichswährung im Schutz gebiete tritt dadurch wieder mehr in den Vordergrund. Die Vcrkehrsbcziehungen Ostafrikas zu Indien sprechen allerdings dafür, daß die Rupienwährnng noch auf eine Reihe von Jahren aufrecht erhalten wird: doch könnten abweichende Maßregeln von englischer Seite wohl zu einem anderen Entschlüsse führen. Zur Lage in Marokko. Aus Madrid, 18. April, wird der Internat. Korresp." geschrieben: Die über Melilla und Ceuta, die beiden spanischen Küstenpläye in Marokko, eingetroffenen Meldungen über die dortigen jüngsten Kämpfe bieten keineswegs das aufregende Bild, das man sich in der europäischen Presse von der „großen Revolution" in dem Reiche Seiner Scheriffianischcn Majestät macht. Im Gegenteil könnte man eher von einem kindischen Krieg- spielen reden, bei dem jeder Teilnehmer bemüht ist, großes Geschrei zu vollführen, aber sich selbst jeder persönlichen Gefahr zu entziehen. Um die Lage zu verstehen, muß man sich erinnern, daß der Oheim des Sultans, Muley Arafa, von Tanger aus an Bord des einzigen marokka nischen Staatsdampfcrs „El Turquie", der mit fünf un- brauchbaren kleinen Kanonen „armiert" ist, nach der Rif küste fuhr, um dort die Riskabylen zu beruhigen und von ihnen ein großes Hülfsheer für den Sultan zu erlangen. Arafa hatte damit keinen Erfolg, weil seine Begleitung von knapp 250 schlecht bewaffneten Leuten gegenüber den stets widersetzlichen Riskabylen zu schwach war; außerdem hatte Arafa kein Geld, um die Häuptlinge zu „beschenken". Er blieb also untätig an der Küste zwischen Ceuta und Melilla und verlangte von den beiden „Paschas" der ein zigen, aber ganz schwachen kaiserlichen Festungen, der Forts Krajana und Kasba Kebdana, die Mittel an Geld und Mannschaften, um im Rifgebiet als Untersultan Hof halten zu können. Beide Paschas waren in Verzweiflung und wünschten nichts sehnlicher, als daß Arafa so schnell als uiöglich wieder abziehen möchte. Das aber tat dieser nicht, und so plante der Pascha von Fra- jana, entweder zu den Spaniern nach Melilla zu flüchten oder sich als Anhänger Bu HamaraS zu erklären und dem kaiserlichen Oheim die Tore zu verschließen. Dies ging aber nicht so schnell, besonder- da Bu Hamara gar nicht in jener Gegend war. Inzwischen sammelten sich Hun- derte, vielleicht auch einige Tausend Riskabylen in der Nähe von Frajana, wo der Pascha höchstens 150 Be waffnete unter seinem Befehle hatte. Dies war jedoch nur das übliche planlose Herumziehen der von Weibern und Kindern begleiteten Gebirgsleute, die stets dorthin eilen, wo Raub und Plünderung in Aussicht stehen. Die „Be- lagerer" dachten auch gar nicht daran, das Fort zu stürmen, zumal fast niemand von ihnen brauchbare Waffen hatte. Spanische Händler aus Melilla verkauften an die „Belagerer" abgelegte spanische Gewehre für 50 bis 60 Franken das Stück! Da erschien bei den Rifleuten ein Mohammedaner auS Algier, welcher mehrere Lasttiere mit Pulver und Sprengstoffen bei sich führte, und erbot sich, einen Teil der Mauer des Forts Frajana derart in die Luft zu sprengen, daß die Rifleute ein dringen und das ganze Fort ausrauben könnten. Man brachte auch einige Hundert Duros bareS Geld als Beloh nung zusammen und der Mann aus Algier arbeitete mit seinen Gehülfen eine ganze Woche lang, um die Mine unter die Mauer zu legen. Belagerer und Belagerte ver folgten mit Neugier di« Arbeit des Wundermannes: nur einmal schickte der Pascha 6 Mann aus, damit diese die Pulvermiue etwas genauer beobachten möchten. Die Leute beabsichtigten durchaus nichts Böses: gleichwohl wurden vier Mann von ihnen getötet. Das war aber der ganze Verlust der Sultanstruppen: denn als die Mine nach vorheriger Benachrichtigung losging, hatten sich Be lagerer, wie Belagerte sehr wohl in Sicherheit gebracht. Vorher aber hatte der Pascha bereits Boten nach Melilla entsandt nnd mit dem dortigen spanischen Gouverneur über seinen Uebertritt auf das spanische Gebiet ver- handelt. Nachdem dann durch die Mine eine große Bresche in die Festungsmauer gelegt war, hatte der Pascha den gewünschten Anlaß zur Flucht nach Melilla erhalten, wo- hin ihm aus Krajana und der Umgegend etwa 400 Per sonen folgten. Die Rifleute rückten somit ohne Kampf in das Kort ein, welches erst völlig ausgeraubt und dann nach afrikanischer Art zerstört wurde. Ebenso afrikanisch aber war es, daß die „Sieger" sich sofort nach getaner Arbeit wieder in alle Winde zerstreuten. — Nachdem dies geschehen, ging der Pascha des Forts Kasba Kebdana, welches südlich von Ceuta auf dem Wege nach Tasa, dem Hauptquartier Bu Hamaras liegt, zu dem Prätendenten über, da er allein doch noch viel weniger in der Lage war, die Hofhaltung Arafas zu bestreiten. Irgend ein Kampf hat auch hierbei nicht stattgefunden. Gleichwohl ist die Lage Muley Arafas unhaltbar geworden; wenn er des halb nicht bald das Rifgebiet verläßt, so wird er wohl auch entweder zu den Spaniern oder zu Bu Hamara über gehen müssen. — Was den Vetter des Sultans Muley Amrani betrifft, so hatte sich dieser vor mehreren Feuilleton. isj Das Gold vom Mdwatersrand. Roman von F. Klinck-Lütet-burg. Nachdruck verbot«». Krau van Senden nahm die ihr dargercichten Zei tungen und las die bezeichneten Stellen. Sie seufzte auS tiefster Brust. ,Milm, ich möchte dieses Leben voll Unruhe in der Tat nicht mehr fortsetzen", sagte sic nach einigen Augenblicken deS Nachdenkens. „Ich bin flügellahm." Sie lächelte zwar bet den letzten Worten, aber dem Neffen entging nicht -er Ernst, der in ihnen lag, und in ihrer ganzen äußeren Erscheinung drückte die Mut losigkeit sich auS, von welcher sie sich ergriffen fühlte. Die Seelenkämpse, denen sie in letzter Zeit ausgesetzt gewesen, und di« noch immer nicht von ihr weichen wollten, waren nicht ohne Einfluß auf ihr physisches Befinden geblieben. Indem Wilm sich ihr Bildnis aus einer vergangenen Zeit vergegenwärtigte, mutzte er sich gestehen, datz diese Frau, die, mit blassem Gesicht, in einem Zustand sichtlicher Er schöpfung ihm gegenübersaß, kaum noch an die von vielen Menschen hochmütig genannte, stets kaltblütig und ent- schloffen handelnde Frau van Senden erinnerte. „Die Ungewissheit quält dich, Tante Grietje", versuchte WUm sie zu trösten. „Wenn erst alles entschieden ist und wir wissen, wie wir uns einzurichtcn haben, welchen Weg wir gehen müssen, dann wirst du auch deinen Ptut wieder- finden." „Nicht die Ungewißheit lastet so schwer auf mir. Ich glaub«, sie kommt bei mir nicht einmal ernstlich in Betracht. So wett ist unsere Lage übersichtlich: Wir werden auch schlimmsten Fall« unseren Verpflichtungen nachkommen können, ohne befürchten zu müssen, all«S zu verlieren. Aber da- versteckte Wühlen der alten Gegner meines Gatten regt mich auf, und ich leugne nicht, daß ich es sstrchte. Oder habe ich etwa keinen Grund dazu? Onkel Peters Schicksal war ihr Werk, und du gehst denselben Weg — auch du bist ihren Plänen hinderlich. Ich würde es mir aber nie verzeihen, wenn du für die Großmut, mit welcher bu dich unserer angenommen, zu Schaden kommen solltest. Die Sorge um deine Person ist e- jedenfalls nicht zum wenigsten, die mich dieses versteckte Treiben mit wachsender Angst anschcn läßt. Ich kann' nicht glauben, daß du, der Einzelne, über so viele den Sieg davontragcn wirst. Sie werden es nicht zugebcn." Wilm lächelte, obwohl Frau van Senden nur eigene Gedanken, die sich ihm bisweilen aufgcdrängt, in Worte kleidete. „Du willst sagen, es zu hindern versuchen, Tante Grietje", versetzte Wilm ernst. „Damit würde aber auch ihre Macht erschöpft sein. Was macht dich nur so klein mütig? Wo ist dein unbegrenztes Vertrauen auf eine höhere Macht geblieben, die dem Recht zum Stege ver hilft, trotz aller scheinbaren Gegenströmungen? Wir aber stehen auf dem Boden des Rechtes, und dürfen auf einen Beistand rechnen, der mehr wert ist, als alle Menschen- hülfe. Wenn Gott di« Anschläge unserer Gegner zu Nichte werben lassen will, dann brauchen wir auch ihre Menge nicht zu fürchten. Ein Wort und all« ihre List ist zu Schanden geworden. Sagtest du nicht vor kurzer Zeit selbst so?" Frau van Sendens blasse Wangen hatten sich leicht gerötet, sie schämte sich der eigenen Schwäche, welche die Worte -e- Neffen ihr deutlich vor die Seele geführt, aber sie vermochte nicht, sie zu überwinden. „Ja, Wilm", entgegnete sie mit einem Seufzer. „Es hat sich nur inzwischen so viel für mich Schmerzliches zuge tragen, daß ich mich der Krage nicht «rwehren kann, ob e- sein mußte. Damals! Ach Gott, ich habe immer daS Beste gewollt, und unter welchen falschen Voraussetzungen doch die Dinge angesehen! Ich leugne nicht, daß ich ent- mutigt bin, daß mich Verhältnisse anwtdern, di« uns auf Schritt und Tritt mit Gefahren umgeben. Nur hinweg aus dieser Umgebung! Weißt du, Wilm, was ich noch möchte? Alles — alles aufgeben und uns nur die Farm „Elise" erhalten, um dort im Frieden die reinsten Freuden der Welt, welche nur die Natur gibt, zu ge nießen." Der jung« Mann konnte sich des Mitleids mit der in diesem Augenblick scheinbar vollständig gebrochenen Frau nicht erwehren. Er fand nicht den Mut, sie weiter zu be unruhigen, und ihr Mitteilungen zu machen, die er nicht aufzuschieven gewünscht. Bester, er wartete einen günstigeren Zeitpunkt ab, sie von dem Inhalt seiner Unter redung mit dem Vater In Kenntnis zu fetzen. So sagte er nur: „Die Erfüllung dieses Wunsches, Tante Grietje, liegt gewiß in dem Bereich der Möglichkeit, und wir können ihn uns in Ruhe überlegen, wenn auch vorläufig nicht daran gedacht werden kann, eine Absicht auszuführen, die nur aus einem, ich möchte sagen krankhaften, Zustand her- vorgegangcn sein kann. Wir dürfen nicht den Gegnern deines verstorbenen Gatten das Recht einräumen, ihn so vollkommen besiegt zu haben, wie cs der Fall sein würde, wenn wir das Feld räumen wollten. Nein — das nicht. Du hast mir freies Handeln zugcsichert, und ich gab dir bis zur Stunde keine Veranlassung, mir zu mißtrauen. Laß mich das Schiff in meiner Weise in den Hafen bringen. Du aber solltest gehen und dich von den Anstrengungen der Reise zu erholen versuchen, die scheinbar nicht gut auf dich gewirkt hat." Frau van Senden erhob sich sogleich von ihrem Sitz, um sich zu entfernen. Sie selbst hatte ein dringendes Be dürfnis nach einem Ausruhen, und gleichzeitig den Wunsch, Cato, di« gewiß des Trostes bedürftig war, eine Erklärung für den kühlen Empfang zu geben, den si< bei dem Verlobten gefunden. In dem Augenblick, als Frau van Senden Cato- Zimmer betrat, wurde anhaltend durch die elektrische Klingel Einlaß in die Villa begehrt. Mutter und Tochter traten gleichzeitig an das Fenster. Ein Wagen hielt vor der Tür und eine elegant ge- kleidete Dame hatte gerade den Garten betreten, um eilen den Schrittes dem Hause sich zu nähern. Sie war offenbar eine Fremde, denn ihre Augen sucht«« nach dem Ein- gange zu -er Billa. Ihre perlgraue Geidentoilette, die mit einem modernen Rot außerordentlich wirkungsvoll garniert war, deutete auf ihre Absicht hin, einen Besuch zu machen, obwohl der Wagen unmittelbar, nachdem die Dame auSgestiegen war, in der Richtung der Stadt zu wieder davonfuhr. Jetzt hörten Frau van Senden und Tato eine aufgeregte, aber wunderbar weiche und ein- schmeichelnde Stimme: ,Llft Herr van Senden zu Hause? — Oh, bitte, dann führen Sie mich zu ihm!" Catos Her- schlug stürmisch in der Brust, es wurde ihr dunkel vor den Augen. Mit einem jäh aufflammenden eifersüchtigen Gefühl vergcgenwärtigte sie sich die an mutige Erscheinung der Fremden. „Ich muß — ich muß zu ihm — gleich! Halten Sie mich doch nicht auf. Dann suche ich ihn selbst." Die Stimme klang jetzt beinahe zornig, und Frau van Senden trat von dem Fenster zurück, sich auf den Corridor zu begeben. Aber schon wurde drüben die Tür zu dem Arbeitszimmer Wilms geöffnet. „Gnädige Frau!" In den zwei Worten lag der Ausdruck höchster lieber- raschung. Es wurde auch noch etwas hinzugefügt, das die Frauen nicht verstanden. Nun wieder die Stimme der Dame: „Ach, wenn Sie doch nicht von Kapstadt fortgegangen wären! Wie habe ich mich nach einer Aussprache mit Ihnen gesehnt! Und dann hieß es " Di« Tür wurde geschloffen. Auf dem Korridor herrschte Stille. „Sie seien nach Johannesburg", fuhr Lisa Brandt, nachdem sie das Zimmer betreten, fort. „Ach, und ich be durfte Ihrer so sehr! Sie sind ja mein leiblicher Bettes und werden sich meiner auch annehmen, wenn Onkel Egnatius mich als eine unzurechnungsfähig« Person ein sperren lassen will, wie sie mir gedroht haben. Ich kann das schreckliche Leben nicht mehr aushalten. Sie haben mich so furchtbar belogen, und der arme Papa ist gar nicht tot gewesen, erst vor kurzem hat er sich umgebracbL, und wenn er mich bei sich gehabt hätte Oh! ES ist zu jammervoll!" Ausschluchzcnd sank sie in den Teste! zurück, an welchen Wilm sic geführt hatte. Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und brach in ein krampfhaftes Schluchzen auS. Wilm stand sprachlos, auf sie herabblickend. Nicht ein leiser Zweifel hatte mehr in seiner Seele Raum, aber die Gewißheit, daß hier ein furchtbare- Un recht, an welchem sein Vater sich beteiligt, verübt worden war, wirkte so niederschmetternd und gleichzeitig ver wirrend auf ihn, daß er sich außer stände sah, eine Frage laut werden zu lasten. Er starrte förmlich verwirrt auf die in Schmerz aufgelöste Frauengestalt. Minuten vergingen, ehe er sich zu der Frage aufraffte: „Ist da- wahr?" ,Fönnen Sie so fragen, Wilm? Ach, mein Gott, wie ich Sie zuerst in Kimberley sah, noch ehe man mir Ihre« Namen genannt hatte, da ließ mich da- Gefühl nicht mehr los, daß Sie z» mir gehörten. Und mir war es immer, al- müßte eine innere Stimme Ihnen sagen, daß ich das Kind de- Manne- sei, der Sie so herzlich lieb gehabt, daß es »ich eifersüchtig machte. Aber nichts — nichts a» Ihnen
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