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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-08
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980308029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898030802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898030802
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-08
- Monat1898-03
- Jahr1898
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Li» Morgne-Ansgabe erscheint nm '/,? Uhr. di« Abeich»An-gab« Wochentag» am b Uhr. Ledartion und ErveLittoo: A»hannr«gaffe 8. DK Expedition ist Wochentag» nnanterkrvche» geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filiale«: Dtt» Klemm'« Eorttm. tMfeed Hah»^ Uaiversität-strabe 3 iPauliniun), Laut« Lösch«. lkethariuenstr. 14, pari, and K«nia«pl»H 1. VezugS'PreiS M hm Hauptexpeditioo oder de« t» Gtadt- b«irk und den Vororten errichtete» An«, oabestellrn ab geholt: viertel jährlich ^iil.öO. vei »weimaliakr täglicher Zustellung m« Han« ^l K.S0. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertrliädrlich ^i 8.—. Direcie tägliche Kreuzbandiendung in« Ausland: monatlich 7.Ü0. Mend-Ausgabe. KiMer JaMatt Anzeiger. Asttlobsalt des H'ömgtichen Land- und Ämksgerichtes Leipzig, des Rathes und Nokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. UuzergeuPrei- 6 gespaltene Petitzeile ry Pfjl. Mrclamen »ater demRedactiomtstrich («G» Malten) öv^h. vor den ^amiliennachritttW («gespalten) 40ch. Größere Schriften laut unserem Preis» mrzeichniß. Tabellarischer und Aifferasatz »ach höhere« Tarif. Extra »veila,en (gesalzt), nur mit dm Morgen - Ausgabe, ohne PoftLefördern«? ^l 60.—, mit Poslbesürderung 70.—» Rnnahmeschlvk für Änzeize«: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. «rorge n-Au-gabe: Nachmittag« »lltzn. Bei den Filialen und Annabmestrlleu je rin« halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expediti«» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 121. Dienstag den 8. März 1898. 82. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. März. In einer vielbesprochenen Antwort aus die Beschwerde des Evangelischen Bundes über daS Verhalten deS preußischen Gesanvlen beim Balican anläßlich der Feier des letzten Geburtstags des Kaisers in Rom hat der Slaats- secretair des Auswärtigen v. Bülow bekanntlich dir Ansicht ausgesprochen, in allen entscheidenden Kreisen RomS sei die Ueberzeugung von der unerschütterlichen BundeStrcue Deutschland« viel zu tief gewurzelt, als baß sie durch irrige Auffassungen in Rom wohlbekannter und wohlverstandener Verhältnisse erschüttert werden könnte. Bei der Abfassung dieser ganz zweifellos von einer Rücksicht auf die für das Zustandekommen des Flottengesetzes unerläßliche gute Laune des deutschen KlerikalismuS dictirlen Antwort hat der Herr Staatssecretair schwerlich geglaubt, daß sie die alte Neigung der „Germania" zu gehässigen Angriffen gegen den König Humbert reizen werde. Daß sie es wirklich gethan hat, davon kann Herr v. Bülow sich durch einen Blick auf die Besprechung überzeugen, die der ultramontane Moniteur der Rede des Königs von Italien beim Bersassungs- subiläum widmet. Daß die „ Germania" von einer Kundgebung, in der von der Unverletzlichkeit deS italienischen Roms gesprochen wurde, nicht erbaut sein würde, war vorauSzusehen; ja man konnte erwarten, daß das Blatt mit einigen absälligen Bemerkungen über die Rede nicht zurückhalten würde. Aber man kann auch überzeugt sein, daß ohne die kürzlich ausgesprochene Ansicht des Staatssecretairs über die Unerschütterlichkeit deS italienischen Glaubens an die deutsche Bundestreue die „Germania" cS nicht gewagt haben würbe, dem treuen Bundesgenossen Deutschlands gegenüber die Formen des Anstandes so gröblich zu verletzen, wie sie es thut, indem sie seine Rede eine Rede nennt, „die nicht nur von leeren Phrasen strotzl, sondern auch an Ber drehung derThatsachen, an Verwirrung der Begriffe von Recht und Gerechtigkeit das Menschenmöglichste leistet, ja sogar sich zu der Blasphemie versteigt, daß für das Verbrechen, dessen sich das moderne Italien schuldig gemacht hat, Golt selbst verantwortlich zu machen sei". ES fehlt ja auch in Italien nicht an Blättern, die gegen Deutschland und wohl auch gegen den deutschen Kaiser nicht freundlich gesinnt sind; daß aber einmal eins von ihnen und noch dazu ein Blatt, daS einen gewissen Anspruch auf Beachtung machen könnte, den deutschen Kaiser in ber Art angeflegelt hätte, wie das „Organ für das deutsche Volk" gegenüber dem italienischen Könige es thut, davon Hal man noch nichts gehört. Auch die „Germania" würde es, wie gesagt, nicht gewagt haben, wenn sie wüßte, daß der deutsche Staatssecretair des Auswärtigen optimistisch genug ist, den Glauben aller maßgebenden italienischen Kreise an die deutsche BundeStrcue jür unerschütterlich zu halten. Läßt er in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" die Flegelei des klerikalen Moniteurs gebührend zurückweisen, so kann dieser mit Recht für seine An nahme, er werde das deutsch-italienische Einvernehmen nicht im Geringsten stören, auf die Autorität des Herrn v. Bülow sick berufen. Dieser aber wird sich denn doch fragen, ob eS in Italien einen günstigen und unser Bundcsverhällniß festigenden Ein druck machen kann, wenn daS Organ der in Deutschland den Ausschlag gebenden und deshalb von der Regierung mit größter Rücksicht behandelten Partei so gröbliche Angriffe gegen den vom italienischen Volke so hoch verehrten König Humbert zu richten wagen darf. Durch eigene Kraft. LOs Roman von Alexander Römer. Nachdruck vtrdoien. Unter aufreibender, athemloser Geschäftigkeit verging der Tag. Sie mußte kramen, packen — tausend Erinnerungen an die alte Zeit, an die tbeure Mutter stiegen herauf und trübten ihre Augen. Die Mutter würde doch auch gewiß diese Wendung in ihrem Leben segnen und billigen, dachte sie bei sich. „Laß Dich nicht herunterziehen", war ihr letztes mahnendes Wort gewesen — würde sie nicht heruntergestiegen sein, wenn sie Ludwig Heide manns Weib geworden wäre? Sie fuhr empor bei diesen stillen Herumirrenden Gedanken, und es war ihr, als ob eine fremde Stimme außer ihr rief: „Nein, nein!" Sie hielt inne in ihrer Beschäftigung. Sie mutzte doch Ab schied von ihnen nehmen und sie zitterte bei dem Gedanken. Uebte sie Berrath? Lud sie schwere Schuld auf sich? Aber was sollte sie thun? Es war ja doch kein bindend Wort gesprochen zwischen ihnen. Es blieb keine Zeit zum Grübeln, man hetzte sie hin und her. Tante Liesa schwatzte, jammerte und pries die Ereignisse in wirrem Durcheinander ihrer Empfindungen. — Tante Marianne half ihr beim Packen, in steifer mürrischer Weise, sie erinnerte an nothwendige Dinge, holte Vergessenes herbei, aber sic sprach sich nicht aus. Datz sie nicht froh war, merkte man wohl. Am schrecklichsten war der Papa, der ihr immer ricth, ja nicht blöde zu sein, dreist aufzutreten in den neuen Verhältnissen. Die Frau Prinzessin sei eine der reichsten Fürstinnen, und wenn sie einmal für sic sorgen wolle, müsse sie es auch anständig thun. Dazwischen kamen Botschaften aus dem Herrenhause, allerlei wechselnde Befehle, und völlig erschöpft ritz sich Ottilie in der Abenddämmerstunde loS, um im Pfarrhause und im Kruge Ab schied zu nehmen. Sie hatte Tante Liesa gebeten, sie zu be gleiten, und diese trottet« jetzt schwer athmend neben ihr, kaum Schritt haltend mit der aufgeregt dorwärt» Eilenden. Sie gingen zuerst nach dem Pfarrhaus, da« link» vom Herren haus« hinter den Kastanien neben der Kirche lag. Es dämmerte schon stark, und drinnen in dem zu ebener Erde gelegenen Studir- zimmer de« tungen Pfarrer« brannte kein Licht. Ottilie ging langsamer, al« sie sich dem Hause näherten, und lqte zögernd di« Hand aus den Thürgriff. Ihr Herz schlug AuS Karlsruhe wird der „N. L. C " vom 6. d. M. be schrieben: „Einen glänzenden Verlaus nahm die beute hier stattgefundene Landesversaminlung der nattonalltberalen Partei Badens. Aus allen Theilen des Großherzogthums hatten sich Delcgirte eingefunden. Bon den badischen ReichS- tagSabgeordnelen waren die Herren Bassermann und vr. Blankenborn erschienen. Den Vorsitz führte Geheimer Hosralh Professor vr. Meyer-Heidelberg. Eingehend wurde zunächst die badiscbe Wahlrech tSsragc besprochen. Da bei theilte der Führer der Landtagsfraction, LandaerichtS- dircctor Fieser-Karlsruhe, mit, daß die nationalliberalc badischeLanvtagsfraction in den nächsten Tagen derVerfassungs- commisston neue, genau formulirte Anträge aus Abänderung des LandtagSwahlrechlS unterbreiten wird. Die Versammlung erklärte sich mit diesen neuen Vorschlägen, die zu gegebener Zeil auch der Oeffentlichkeit übergeben werden sollen, einverstanden und gab der Hoffnung Ausdruck, daß sich auf ihrer Basis eine Einigung zwischen der Zweiten und der Ersten Kammer, so wie der Regierung erzielen und dadurch endlich ein positives Resultat in der Wahlrechtsfrage herbeiführen lasse. In der Discussion nahm der ReichstagSabgeordneie Bassermann Veranlassung, zu constatiren, daß Vie ReichStagsfraclion der naNonalliberalen Partei es absolut ablehne, an dem jetzt bestehenden Reichstagswahlrecht irgend etwas zu ändern, da sie von einer solchen Aenderung die schwersten politischen Folgen für Deutschland befürchten würde. Im Namen der nationalliberalen Landtags fraction erklärte Oberbürgermeister Or. Wilckens von Heidel berg, daß diese ebenfalls nicht daran denke, eine Aenderung deS jetzigen Reichstagswahlrechts anzustreben, und schließlich sprach sich auch der gejammte Landesausschuß in gleichem Sinne aus. Nun werden wohl endlich die gegnerischen Unter stellungen aufhören! Nachdem sodann die Berathung des neuen Organlsationsstatuts erfolgt war, welches an Stelle der Gliederung nach Reichstagswahlkreisen eine solche nach Amtsbezirken setzt, also eine größere Decentralisation herbei führt, sprach der ReichstagSabgeordnete Bassermann über die Politik der Sammlung. Er erklärte sich für diese Sammlungspolitik, wenn sie sich auf einer mittleren Linie bewege unter Zurückbrängung aller extremen Forderungen. Insbesondere betonte er, daß die langfristigen Tarifverträge für die deutsche Industrie eine unbedingte Nothwendigkeit seien. Ob die heute vielfach verbreitete Ansicht zutreffe, daß es möglich sei, Handelsverträge mit einem autonomen Getreidezolltarif unter Zulassung der Meistbegünstigung abzuschließen, könne heute nicht entschieden werden. Jeden falls werde die nationalliberale Partei bei dem Abschluß neuer Handelsverträge keinen Anstand nehmen, einen höheren Getreivezoll zu bewilligen, falls die Lage der Landwirthschaft noch so ungünstig wie gegen wärtig sein sollte. Diese Darlegungen wurden mit stürmischem Beifall ausgenommen. Herr Fischer gab dann dem allgemeinen Wunsche der Partei Ausdruck, Alles auf zubieten, um den Abg. Bassermann bei den Neuwahlen als Vertreter eines badischen Wahlkreises zu erhalten. Es würde bedauerlich sein, wenn eine so hervorragende Kraft, wie es Herr Bassermann sei, in Baden nicht mehr in den Reichstag gelangen könne, sondern von auswärts gewählt werden müsse. (Lauter Beifall folgte als Zustimmung.) Den Schluß der Versammlung bildete die Neuwahl des engeren Ausschusses, die durch die Wiederwahl der seitherigen Herren: LanbgerichtS- director Fieser-Karlsruhe, Geh. Hofrath Meyer-Heidelberg, Fabrikant Wlttum-Pforzheim, Bankvirector Eckhard-Mann so hörbar, datz ihr der Athem versagte. Der Pastor war sein Freund Liesa drängte. „Ist die Thür verschlossen, Tilly? So geh doch vorwärts." Ottilie öffnete und überschritt die Schwelle. Sie klopft« schüchtern an die nächste Thür, die wohlbekannte Stimme des Pastors rief: Herein! Sie und Tante Liesa traten ein. Am westlichen Himmel, dem die Fenster zugewendet lagen, flammte noch ein Heller Schein, der auf Ottiliens Gestalt fiel. Der Pastor fuhr erschreckt zusammen. „Ah! Fräulein Röpke, Sie — Sie kommen —" „Um Abschied zu nehmen und Ihnen zu danken für all Ihre Güte und Freundlichkeit", sagte Ottilie leise und beklommen. Im Innern des Zimmers war es fast dunkel, auch war die Luft von Tabakrauch verdichtet. „Bitte, bitte entschuldigen Sie, ich will Licht anzllnden — wo habe ich denn mein« Schwefelhölzer." Pastor Bolten fuhr verlegen hin und her, seine langen Rock schößen flatterten, er schien völlig verwirrt zu sein. Ottilie athmete schwer. Stand da nicht im Hintergrund noch Jemand? Das endlich gefunden« Zündholz flammte auf, in den zittern den Händen des Pastors klirrte die Lampenkuppel, das Zimmer wurde hell — und Ottilien« Augen gewahrten die markige, un beweglich dastehende Gestalt neben dem Schreibtisch. Sie stand da wie aus Bronze gegossen. Das scharf geschnittene Gesicht mit diesem Ausdruck prägte sich ihr so ein, daß sie es nie vergaß. Sie hatte früher nie so voll den Eindruck gehabt, daß Ludwig Heidemann ein schöner Mann sei, wie in diesem Augenblick, wo ihre Gefühle in einer Weise aufgewühlt waren, daß si« wahrlich nicht an Äußerlichkeiten dachte. Sie senkte die Augen in peinlichster Verlegenheit und sank wie vernichtet auf den Stuhl, den der Pastor eben von Büchern und Schriften befreit und für sie hingeschoben hatte. E» sah nicht allzu ordentlich aus in dem Studirzimmer des Junggesellen, es kam Vieles zusammen, um ihn bei diesem Ueber- fall kopflos zu machen. Ottilie rang nach der nöthigen Fassung. „Es freut mich, daß ich auch Sie hier treffe, Herr Heidemann, Ich wollte auch zu Ihnen und Ihrer Mutter, um Lebewohl zu sagen —" sie sah scheu auf und streckte ihm ihre Hand hinüber. Er schien sie nicht «u sehen, er stand da, noch immer in steifer Haltung, die geballte Faust auf den Tisch gestützt. „Sir zürnen mir —" Ottilie sagte es tonlo« und fühlte, daß «» «in unpassende« Wort, ein ungeschickter Versuch war, diese« schwüle Schweigen zu brechen. heim und Oberbürgermeister Gönner-Baden-Baden, sowie durch die Neuwahl des Herrn Bassermann erledigt wurde." — So schließt sich dieser Parteitag an vir vorangegangenen Parteitage an als neuer Beweis dafür, daß auch wirth- schaftlich die Partei geschlossen und wie sehr sie berechtigt ist, den nächsten Wahlen mit vollem Vertrauen entgegen zugehen. Das neue österreichische Ministerium ist der „N. Fr Pr." zufolge nunmehr cndgillig zusammengesetzt wie folgt: Vorsitz und Inneres Graf Thun (Feudaler), LandesvertbeidigungGraf WelserSheimb, Eisenbahn Ritter v. Witt ek, Unterricht Graf Bylandr - Rheydt, Justiz Edler v. Ruber, Finanzen Kaizl (Tscheche), Handel Bärnreitber (liberaler deutscher Großgrundbesitz), Ackerbau Baron Käst (Klerikaler), Minister für Galizien, der Diceobmann des Polenclubs Ritter von Iendrzejovicz. Vier Minister: WelserSheimb, Wittes, Ruber und Byland gehör ten bereits dem Cabinet Gautsch an. Die Ministerliste ist vom Kaiser genehmigt worden. Heute wird die Ver eidigung der neuen Minister und die Bekanntgabe des Cabinets durch die „Wiener Zeitung" erfolgen. Wie man sieht, ist das Tbun'sche Cabinet ein solches der „Corporation" der hervorragendsten ParlamentSparteicn und seine Zu sammensetzung bekundet die Absicht des Ministerpräsidenten, allen Tbeilen gerecht zu werden. DaS ist schon ein Fort schritt gegen die Ministerien Badeni und Gautsch, die entschieden in slawisch-klerikaler Strömung schwammen. Wie weit er den Willen bat, den Deutschen entgegen zu kommen, muß freilich abgewartet werden, und es ist daher sehr begreiflich, daß diese ihm noch mit aller Reserve, ja waS die deutsch - radikalen Parteien betrifft, mit Mißtrauen gegenüberstehen. Bestimmte Hoffnungen setzt man weder auf tschechischer noch auf deutscher Seite auf den Grafen Thun, denn man weiß, daß er die Farbe wiederholt gewechselt bat. Erst war er Befürworter der extremsten tschechischen Forderungen und stand den Deutschen unfreundlich gegenüber, dann als Stattbalte- von Böhmen knebelte er die radikalen Iungtschechen als der „Alba Böhmens" und trat für die deutsch alttschechischen Ausgleichs - Punctationen ein. Noch im letzten Sommer, während ber Sprachenverordnungs agitation, hat Graf Thun eine Gelegenheit gefunden, seine Sympathie für die Deutschen zu einer Art von öffentlichem Ausdruck zu bringen, im Herbst aber schon konnte man ihn auf einer neuen Wendung beobachten. Als Präsident der letzten österreichischen Delegation versöhnte er sich mit seinen ehemaligen Gegnern, den Iungtschechen, und von diesen wurde er seither als ihr kommender Mann betrachtet. Mit den bürgerlichen deutschen Abgeordneten hat er anscheinend noch keine Anknüpfung gesucht. Aber möglich, nicht unwahrscheinlich ist es, daß er den sogenannten ver fassungstreuen Großgrundbesitz, der unter Badeni mit der deutschen Opposition ging, für sich gewinnen wird. Eines weiß man sicher: daß Graf Thun ein Gegner aller ex tremen Richtungen ist, daß er stets auf einen billigen Aus gleich hingearbeitet und daß er stets das Wohl des ganzen Landes im Auge gehabt hat. Seine allernächste Aufgabe dürfte darin bestehen, den tschechischen Ausschreitungen gegen die Deutschen, deren Fortsetzung eben mit seinem Amts antritt in Prag beginnt, ein Ende zu bereiten. Daß halbe Maßregeln nichts nützen, hat er ja an dem lauen Einschreiten der beiden vorhergehenden Regierungen gesehen, er weiß es ohnehin aus Erfahrung und so steht wenigstens zu hoffen, daß äußerlich Ruhe im Lande der Wenzelskrone wird. Für Aber es wurde noch immer nicht gebrochen, sie hörte nur ein kurzes schweres Athmen. Der ungewandte Pastor räumte und stäubte, er hatte Tante Liesa endlich auf dem Sopha installirt, aber auch er verstand es nicht, über diese peinliche Situation hin wegzuhelfen. „Lassen Sie uns einander nicht in dieser Minute, wo wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach zum letzten Mal im Leben sehen, mit losen, gar nicht aus dem Herzen kommenden Reden plagen", ertönte jetzt die tiefe, grollend herauftlingende Stimm« Ludwig's. „Sie wissen genau, wi« ich empfinde. Ob ich ein Recht dazu habe oder nicht, das brauchen wir ja nicht zu unter suchen. Sie gehen — Sie verlassen uns — und ich glaubte noch vor Kurzem, Sie gehörten uns. Sie seien hier glücklich. Nun fragt es sich einzig nur, werden Sie es in den neuen Verhält nissen, für die Sie so rasch sich entschieden, sein? Was bietet man Ihnen dort? Eine gesicherte Stellung? Einen Beruf? Pflichten? Oder sollen Sie nur ein Spielzeug sein, den Launen einer hochgestellten Dame dienen, deren Leben Vielerlei ausfüllt, und die nicht immer Zeit haben wird, an momentanen Gelüsten festzuhalten?" Seine Rede, die in gewaltsam unterdrückter Bewegung ruhig begonnen hatte, wurde schärfer, leidenschaftlicher. Man sah es, wie sein starker Körper bebte, wie die Beherrschung, zu der er sich zwang, ihn zu verlassen drohte. Ottilie durchschauerte cs, wie das Frösteln der Furcht. Und dann lehnte sich ihr Stolz auf — war sie denn zu nichts Anderem nütze al» zu einem Spielzeug? Achtete er sie so gering? „Die Prinzessin liebt mich", sagte sie in einem Ton«, der stolz klingen sollte, aber nur zitterte. „Sie hat es mir gesagt, daß sie ein Herz haben will, das an ihr hängt. Sie darbt in ihrer Umgebung, inmitten all ihre» Glanzes." Die Worte klangen ihrem eigenen Ohr« hohl, ja albern. Wer sollte an dieses plötzlich geknüpfte Liebesband glauben zwischen ihr und der so hoch über ihr stehenden älteren Frau — und, wenn sie ehrlich sein wollte, wo war denn in ihrem Herzen eine Spur von dieser Liebcswärme, die zu verausgaben sie selbst jetzt als eine Pflicht, al» ihren einzigen Beruf hinstellte? Die Prinzessin war ihr «ine völlig Fremde. Mit fliegender Röth« auf den Wangen s«hte sie hastig hinzu: „Und bin ich denn nicht Hinringetrieben worden in diesen jähen Wechsel? Habe ich etwa» g«ihan, um ihn herboizuführen? Ich habe widerstrebt, so lange ich konnte, mein Vater hat für mich gehandelt." „Ihr Vater?" Es klang wie dumpfer Donner in Ludwig'« Stimme, er hielt den Fall, daß es ihm nicht gelingen sollte, seine Politik im gegenwärtigen Rcichsrathe durchzuführen, schreibt man dem Grasen die Absicht zu, das Abgeordnetenhaus auszulösen und Neuwahlen einzuleiten. Ucberhaupt soll eS sich um den letzten Versuch handeln, auf Grund der bestellenden Verfassung zu regieren und die Geschäfte zu leiten. Würde dieser Ver such mißlingen, dann müßte ein AuskunstSmittel im Ber- ordnungsrechte des tz 14 gefunden werden, und der Aus bruch der Versassungskrise wäre unvermeidlich. Das Cabinet Thun werde aber auf dem Boden der Verfassung bleiben. Daß der TrchfuS-Handel auch nach dem Prvceß Zola nicht zur Ruhe kommen würde, war vorauszusehen. Infolge des angeblichen Selbstmordes eines gewissen Roberly Turieu ist er seit einigen Tagen wieder daS Tagesgespräch in Paris. ES steht nämlich jetzt fest, daß Robertv Durieu identisch ist mit dem Polizeispitzel Lemercier-Picard. Der „Figaro"-Rcdacteur Emile Berr, dein Lemercier-Picard im Beginn der Esterhazy-Affaire einen gefälschten, mit „Otto" unterzeichneten Brief auszuschwindeln versuchte, um durch den selben die echten Dokumente der DreyfuS-Vertheidiger über Esterhazy als gefälscht zu verdächtigen, wurde, der „Franks. Ztg." zufolge, bereits zu dem Untersuchungsrichter BertuluS berufen, der ihn in die Morgue führte und die Vor zeigung dcS Leichnams anordnete. Berr erkannte Lemercier- Picard mit absoluter Bestimmtheit. Er lieferte hierauf die Beschreibung der Kleider, die Lemercier-Picard trug, als er wegen des Otto-Briefes mit Berr verhandelte. Die Beschreibung entspricht auf das Genaueste den Kleiber», die der Leichnam trug, als man ihn in dem Hotelzimmer der Rue SövreS fand. Diese angebliche Selbstmord - Affaire scheint eine sensationelle Wendung nehmen zu sollen, da der Verdacht immer dringender wird, daß ein Mord vorliegt. ES scheint sestgestellt zu sein, daß Lemercier-Picard, der niemals Besuche erhielt, am Tage seines Todes von einem unbekannten, hochgewachsenen, gutgekleideteu Manne aus gesucht wurde, mit dem er eine erregte Unterhaltung batte. Mau sah den Unbekannten fortgehen. Wenige Stunden später fand man Lemercier erhängt. Der „Siöcle" wirft die Fraß« auf, ob nicht Lemercier-Picard vielleicht für Jemand störend gewesen sei, der ein Interesse an seiner Beseitigung gehabt habe. Ganz besonders seltsam aber wird die Angelegenheit durch Briefe Lemercier- Picard's, die Frau Severine in der „Fronde" veröffentlicht. Während des Zola-Processes erhielt Frau Severine, die energisch für Zola und Drcyfus eingetrcten war, von Lemercier-Picard mehrere Briefe, in welchen dieser sie um eine Unterredung bat. Er theilte mit, er sei in die Affaire Dreyfus-Esterhazy ver wickelt gewesen und habe ihr wichtige Enthüllungen zu machen. Frau <severine gab ihm ein Rendezvous in der Redactiou der „Fronde", erhielt aber am nächsten Tage einen Brief von Lemercier-Picard, in welchem dieser mittheilte, er habe nicht kommen können, da jeder seiner Schritte überwacht werbe. Er habe, da er fürchten müsse, daß vie Drohungen ausgeführt würden, mit denen man ihn unablässig verfolge, die Papiere, die er über die Affaire DreyfuS-Esterhazy besitze, an einem sicheren Orte untergebracht. Er habe aber einige Mit- t Heilungen in einem Briefe niedergelegt, den Frau Severine einseben und dann dem Adressaten übermitteln möge. Frau Severine schreibt, der Inhalt de« Briefes ist recht interessant. Der Adressat des Briefes sei Rochefort. Frau Severine sagt, sie halte den Brief zur Verfügung Rochrfort'S und werbe ihn nicht eher veröffentlichen, als bis dieser einen Moment inne, dann trat er «inen Schritt vor und redete leidenschaftlich weiter. „Niemand braucht einen Andern für sich handeln, über sich bestimmen zu lassen, auch einen Vater nicht; denn Jeder trägt doch selbst die Folgen und die Verantwortung für die Richtung, die «r seinem Leben giebt. In Gehorsam ausharren, dulden, ein Joch tragen, das kann Pflicht sein, wenn man die Ansichten der Eltern zu schonen hat, aber zu einem Ucbertritt in «ine andere Sphäre vermag Niemand uns zu zwingen. Dazu treibt nur eigenes Gelüsten, und hier treibt Sie auch Ihr eigener Wille. Warum wollen Sie mich täuschen? Vielleicht kenne ich die Welt draußen nicht so, wie sie ist, Ihre Seel« ab«r kenn« ich, und darum kocht es in mir und bäumt sich auf. Hi«r umgaben Sie Einfach heit, schlicht« Verhältnisse, ehrliche Menschen, di« Sie liebten, die Liebe war echt, uneigennützig, uneingeschränkt —", seine Stimme dämpfte sich in bedenklicher Weichheit — „dort zverden Sie Alles unklar finden, Menschen, die nicht ihr wahres Gesicht zeigen, Zustände, die Sie nicht durchschauen, Schmeicheleien, die Ihren Sinn verwirren und Ihnen die Wahrheit trüben, und Ihre Seele wird verwandelt werden. Sie strh«n hier heute Abend zuletzt als die Ottilie, die ich kannte. So müssen wir scheiden." Pastor Bolten hatte sich gesammelt, «r trat heran, als die Beiden so, durch die Breite des Tische« getrennt, einander gegen überstanden. „Gott wird Sie behüten", sagte er -warm und reichte Ottilien di« Hand. Sie legte die ihre mechanisch hinein, ihre Augen waren ver schleiert, sie war sehr blaß. „Der Zufall führt« uns noch einmal zusammen", sagte Ludwig dumpf und traurig, „ich wollte Sie nicht mehr sehen, und vielleicht wäre das besser gewesen. Ich will Ihnen Ihr Herz nicht schwer mach«», jetzt, wo Alles entschied«» ist. Sie haben gewählt, und daß ich Ihnen nur Gutes wünsche, daS wissen Sie. Leben Si« wohl." Er wandte sich zum Gehen und nahm seine Mütze vom Tisch. Ihre Lippen bebten, aus ihrem ungeschulten Herzen brach es hervor: „Sic leiden — ich habe Ihnen Schmerz gemacht —" Er trat brüsk zurück und machte eine Bewegung, welche sie stocken ließ. „Reden wir nicht von mir", sagte er hart, „ich taugte nie »u einem Spielzeug, das müßige Stunden au»füllen Hilst. Ich bin ein Mann, habe meine Arbeit, meinen Beruf, meine Pflichten, und ein solcher geht nicht zu Grunde." Er drückte Liesa, die mit offenem Munde der Scene zu-
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