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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-20
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031020015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903102001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903102001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-20
- Monat1903-10
- Jahr1903
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Bezug-Preis der Hauptexpedition oder deren Ausgabe, pellen adgeholt: vierteliithrlich S.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« 8.7k. Durch die Post bezogen für Deutsch» land a. Oesterreich vierteljährlich ^l « KO, sür dis übrige» Länder laut ZrituagSpreiSUst«. Redaktion und Erpeditio«: Jobannisgaffe 8. Fernsprecher ikÄ und SSL Ftlialsrpsbitivnsnr Alfred Hahn, Vuchhaadlg., IlniversitütSstr.ch L. Lösche, Lathariaenstr. Ich ». KöaigSpl. 7. Havpt-/iliale Vresdea: Marieustraße 84. Fernsprecher Amt 1 Nr. 171». -auvt /iliale Serlin: A«rl vnncker, Herzgl Bayr. Hosbuchhandlg^ Lapowstroße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 400S. Morgen-Ansgabe. ripMer TaStlilait - Anzeiger. Ällltslikatt -es Hönigltchen Land- «nd des Königkichen Ämtsgenchles Leipzig, -es Rates «nd des Noüzeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen.PretS die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4gespalten) 7S vor den Familieonach' richten («gespalten) KO H. 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Ver- lichingen läßt den Borwurf der lügenhaften Entstellung auf sich sitzen, ja er scheut sich nicht, in dem vor wenigen Tagen erst an die Öffentlichkeit getretenen neuesten Hefte seiner Borträge die als unwahr erwiesene Behauptung zu wiederholen und vor der gesamten protestantischen Veit BiSmarck zu verdächtigen, daß er in öffentlicher Reichstagssitzung die protestantische Geschichtschreibung und die Reformation der Verlogenheit und tendenziösen Fälschung geziehen habe. In dem erwähnten letzten Hefte kleidet Berlichtngen seine Behauptung in die Worte: „Die ganze Handlungsweise Luthers durch all die langen Jahre seiner Neligionsstifterei ist eine fortgesetzte ununterbrochene Kette von Lügen, Intrigen, Winkel zügen und Heucheleien. Nun begreifen wir auch, warum der Historiker Wolfgang Menzel und der Staats mann Fürst Bismarck die ganze liberale protestantische Geschichtsbaumei st eret seit hundertJahren und darüber eine durch unddurchverlogenenennenkonnten. Diese protestantisch - liberalen Ges chichtsba ti met st er mußten eben auch beständig lügen, um ihre» teuren Gotteömann Luther reinzuwaschen und seine Gegner dafür anzuschwärzen. Hat alles seine Ursach, l>at alles seinen Zweck." Ich wiederhole dem gegenüber noch einmal, daß cS Bismarck niemals in den Sinn gekommen ist, von der pro testantischen Geschichtschreibung zu behaupten, was er nur mit Bezug auf gefälschte geschichtliche Tradi tionen der Fortschrittspartei — und in so schroffer Form vielleicht auch nur im Eifer des Kampfes und nicht als Niederschlag ruhiger und unparteiischer Er wägung — ausgesprochen hat. Ich setze — vielleicht mit Unrecht — voraus, daß Freiherr v. Bcrlichingen Leo pold v. Rankes epochemachendes Werk über das Zeit alter der Reformation wenigstens dem Titel nach kennt; daß er es studiert haben sollte, muß ich nach dem ganzen Tenor seiner Borträge und seiner allen geschichtlichen Ur- teils baren Auffassung der großen durch Luthers refor matorische Tat hervorgerufenen Bewegung bezweifeln; aber eS wird ihm doch vielleicht einiges Bedenken hinsicht lich der Wahrheit seiner mit kühner Stirn wiederholten Behauptung erwecken, wenn er erfährt, daß Rankes ge schichtliche Werke, «nd in erster Linie seine klassische Dar stellung der Reformation nach ihrer religiösen, politischen und nationalen Bedeutung, von BiSmarck aufs einge hendste gelesen und alS unerreichbare Meisterleistungen einer nur auf dem Boden des Protestantismus möglichen objektiven Geschichtschreibung bewundert worden sind. Und er hat cs nicht bei kalter Bewunderung bewenden lasten, er hat es auch dem großen Meister am 19. Februar 1877 in warmen Worten ausgesprochen, daß er immer und immer wieder „zu Rankes historischen Büchern greife, um sich vergangene Lagen zu vergegenwärtigen" und also aus der genauen Kenntnis der geschichtlichen Vergangen- heit das rechte Verständnis für die politischen Kämpfe der Gegenwart zu gewinnen. Sollte Freiherr v. Berlichtngen auch jetzt noch auf seiner Behauptung beharren, ohne auch nur den Versuch eines Beweises zu unternehmen, so würde er sich selbst das Ur teil gesprochen haben und jeden Protestanten berechtigen, sein rohes über Luther ausgesprochenes Wort (S. 272 seiner Borträge auf ihn selbst anzuwenden: „NenndieFrechheitdteses Komödianten nicht so bodenlos wäre, könnte man über seinen Größenwahn sinn lachen. So aber i st'»ekelhaft. Dennerist stchseinerFalsch. heit und Anmaßung wohl bewußt." Zum Schluß ein kurze» Wort an die Abreste de» „unab- hängigen Tageblatts für Wahrheit, Recht und Freiheit", genannt „Sächsische Volkszeitung". Die ganze Art und Weise, wie die Redaktion -eS ultramontanen Blättlein» sich die Sache zurechtlegt, um schließlich mich wegen meiner Polemik gegen Berlichingen als einen Ttvrer des konfessionellen Friedens zu denunzieren, ist charakteristisch sür die jesuitische Beweisführung, die aus schwarz weiß und au» weiß schwarz zu machen versteht. Obwohl ich die Aeußerung BiSmarck» wortgetreu nach dem stenographischen, amtlich approbierten Texte gegeben habe, stellt sich die Redaktion doch, als könnte hier noch ein Irrtum obwalten. „Wir haben nicht zu untersuchen, ob Berlichingen nur leichtfertig mit dem Zitat umgegangen ist, oder oh er e» absichtlich verdreht habe. Im ersteren Falle wird er bet keinem ultramvntancn Blatte Billi gung finden, tm »wetten Falle würde er rückhaltlos ver urteilt werben. Möglich ist freilich auch, daß dieQuelle.ausderBcrlichingensetnZitat entnommen, anundfürstch al sgutgilt, aber die betreffenden Worte Bismarcks anders anführt, als diejenige des Professors Kohl". Mit Verlaub: diese Möglichkeit besteht nicht. Freiherr v. Berlichingen hat in seinem Briefe vom 1V September die bewußte „Verdrehung" des Zitats zugegeben und damit den wider ihn erhobenen Vor wurf als begründet anerkannt. Aber selbst, wenn er irgend welches Zentrumsblatt als Quelle seines Zitats ge. nannt hätte, würde ihm der Vorwurf einer geradezu ver brecherischen Leichtfertigkeit zu machen' sein, da er in einer so wichtigen Frage den Wert seiner Quelle zu prüfen unterlasten hätte. Mit dieser Wendung aber hat die Re daktion der „S. B.-Ztg." sich die Möglichkeit geschaffen, die ihr unbequeme Persönlichkeit des Jreiherrn v. Ber lichingen zu eliminieren, um sich in einer längeren Be trachtung über den Schlußsatz meiner gegen Berlichimgen erlassenen Erklärung mit Worten der Kränkung und sitt- lichen Entrüstung — sogar in der Form der persönlichen Anrede zu ergeben. Nur schade, daß ihr dabei eine Verdrehung unterläuft, die sicherlich nicht ohne Absicht er folgt ist. Ich hatte gesagt: „Bcrlichingens Motto: „Die Wahrheit über alles" enthält bei solcher Art der Beweis führung die schärfste Anklage wider ihn selbst und die ultramontane Partei, in deren Interesse er die Geschichte fälscht". Die „S. V.-Ztg." führt zwar diese Worte an, aber im Verlaufe ihrer Betrachtung ersetzt sie das Wort I n - ter esse durch Auftrag, und fragt mich, ob ich auch nur den dürftigsten Beweis dafür beibringen könnte, „daß Herr v. Berlichingen im Auftrage der ultramontanen Partei geredet, geschrieben oder gar die Geschichte gefälscht hat." Warum soll ich etwas beweisen, was ich nicht be hauptet habe? Die „S. V-Ztg." wird selbst nicht leugnen wollen, daß Berlichingen seine Borträge im Interesse der ultramontanen Partei gehalten hat und drucken läßt — nicht des Katholizismus; denn ich kenne gute und treue Katholiken, die BerlichingcnS rohe und jeden anständigen Menschen anwidcrndc Polemik aufs schärfste verurteilen. Berlichingen hofft durch seine Bor träge die Protestanten an Luther und der Reformation irr.e zu machen und sie in Masten der römischen Kirche wieder zuzuführcn. DaS -wird ihm, fo Gott will, nicht gelingen. Denn „Lügen haben kurze Beine", und wie in Würzburg der wackere Lehrer Beyhl in seinen „Ultra montanen Geschichtslügcn" die groben Fälschungen und Verdrehungen Bcrlichingens über Luthers Auftreten in WormS auigedcckt hat, so werden andere berufne Männer als Kämpen auf den Plan treten und das Lügengewebe zerreißen, durch welches Janssen, Bcrlichingen und andere Geschichtschreiber des JesuitiSmuS und UltranhontaniS- mus die herrlichste Tat des deutschen Geistes zu ver schleiern sich bemühen. Leipzig, 19. Oktober 1903. Professor vr. H o r st Koh l. Deutsches Reich. -f- Berlin, IS. Oktober. (Korpsstudent und Ver waltungsdienst.) Der Breslauer Professor Fischer batte das Ueberwieaen des Korpsstudententums in den höheren^ preußischen Verwaltungsstellen bemängelt, wie dies bekanntlich auch im preußischen Abgeordnetenhaus« im letzten Frühjahre geschehen ist. Ein offiziöser Artikel der „Berliner Polit. Nachr." liest deshalb nicht nur Herrn Fischer, sondern auch den liberalen Zeitungen den Text. Die liberalen Zeitungen sollten endlich aufkören, au« der Art der Er gänzung des preußischen Verwaltungsdienstes Kapital gegen die Regierung schlagen zu wollen. Die liberalen Zeitungen werden da«, was sie tun oder lasten, sich wohl kaum von den „Berl. Politischen Nachrichten", deren Befähigungsnachweis zur Verteidigung de« Korpsstudententums beiläufig noch zu erbringen Ware, vorschreiben lasten. Sie wollen auch gar nicht aus den Betrachtungen über diesen Zustand „Kapital schlagen", sondern sie wollen, was ihr gutes Recht ist, di« einseitige Bevorzugung des Korpsstudententums für einen Mißstand erklären. Sic werden dies um so mehr zu tun Veranlassung haben, wenn die Verteidigung deS Ncgierungsstandpunkteö eine so lahme und haltlose ist, wie feiten» der „Berl. Politischen Nachrichten". Das Blatt verlangt, man solle aus der Besetzung der hohen Verwaltungsstellen mit Korpsstudenten den Schluß ziehen, daß das Korpsstudententum auf die Eigenschaften, deren ein hoher Beamter bedarf, günstig einwirke. Wir möchten dazu zunächst bemerken, daß äerade d er hohe Verwaltungsbeamte, dessen ausgezeichnete Eignung der Kaiser vor kurzem be geistert pr»e« und der auch unS als einer der hervor ragendsten gegenwärtigen preußischen Verwaltungsbeamten erscheint, Graf Zedlitz, nicht Korpsstudent gewesen ist; eS muß doch also auch so gehen. Eine der wesentlichsten Eigenschaften, die den hohen Beamten ,u zieren hat, ist der Fleiß, und ob das Korps studententum gerade dazu erziehe, scheint uns doch recht fraglich; ein preußischer Minister, und zwar ein Minister streng konservativer Gesinnung, hat eS bekanntlich direkt bestritten. Eine zweite sehr wesentliche Eigenschaft ist die Unvoreingenommenheit gegenüber jeder Schickt der Bevölkerung; ob da« heutige Korpsstudententum dazu er ziehe, scheint un» «benso sehr zweifelhaft. So weit man von einer Erziehung durch das Korpsstudententum reden kann, ist es die zu guten äußeren Manieren, die ein junger Mann aus gutem Hause sich auch aber wohl außerhalb des Korps in genügendem Maße aneignen kann. Die „Berliner Poüt. Nachr." würden uns aber sehr verbinden, wenn ie an Stelle der allgemeinen Behauptung, daß das Korpsstudententum die beste Vorbereitung für die Eignung als hoher Verwaltungsbeamter sei, einmal den Beweis dafür erbrächten, was denn die korpsstudentlichen hohen Verwaltungsbeamten der neuesten Zeit eigentlich ge leistet haben, denn der beste Beweis für die Eig nung ist dock wohl die Leistung. Wir sehen, daß die sogenannte „Simplicissiinusstimmuna" in Preußen immer mehr wächst, obwohl oder vielleicht weil der „Sim- plicissimus" geradezu dasjenige, was am Korpsstudententum besonders hervortritt, zum Zielpunkte seiner Satire macht; wir sehen, wie bisher wenigstens die Ver waltungsorgane in der Ostmark trotz aller Sub ventionen und Gesetze zur Bekämpfung des Polen- tumS tatsächlich vollkommen versagt haben, wenn man nicht etwa den „Fall Löhning" als eine positive Glanzleistung, hervorgegangen aus gewissen korpsstudentischen Anschauungen, betrachten will; wir sehen, wie zwischen dem deutschey Bürgertum und dem Beamtentum die zur erfolgreichen Be kämpfung des Polentums unabweiSliche Annäherung auf sich warten läßt, und wir geben vielleicht in der Annahme nicht fehl, daß auch dabei korpsstudentische Auffassung eine nicht segensreiche Rolle spielt; wir sehen endlich, daß die Sozialdemokratie in Preußen zahllose „Mitläufer" gewinnt, und wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß die torPSstudentische Exklusivität gewisser Beamtenschichten so manchen früher gut bürgerlich gesinnten Mann vor den Kopf gestoßen hat. DaS alles sehen wir — wo aber sehen wir eine positive Tat, ein geniales Vorwärtsschieben der preußi schen Zustände durch die vorzügliche „Eignung" unseres Korps- studenlentums zum Verwaltungsdienste? Das heutige Korps studententum darf nicht einmal auf die Vergangenheit sich be rufen und Ottov. Bismarck für sich reklainieren, denn zwi schen den Korps zu Bismarcks Zeit (1832) und der Erziehung in den heutigen Korps besteht ein himmelweiter Unterschied. Damals wurde der genialische Geist eines Bismarck durch frisches, jugendfrohes Leben gefördert, nicht durch Aeußerlich- keiten erstickt. Zm Gegenteil: Bismarcks Mutter soll, als er zum ersten Male in den Ferien nach Hause kam, entsetzt über seine Manieren gewesen sein. Heute brauchte sie das nickt zu besorgen: heute würde er nickt die Stube mit dem O.ualm der langen Pfeife erfüllen und in genialliederlicher Kleidung Herumlaufen; heute würde er nur die Cigarette rauchen, weil das mehr chic ist, und die Kragen des jungen Otto v. Bis marck würden eine ungeahnte Höhe erreichen; vielleicht würde zum Ausgleiche er selbst keine ungeahnte Höhe erklimmen. Jedenfalls ist eS eine pädagogische Muster leistung allerersten Ranges, den Korpsstudenten als solchen eine besondere Eignung zu höheren Verwaltungsbeamten zuzusprechen. Selbst wenn sie diese jetzt besäßen, würden sic infolge solchen Dispenses vom Streben nach Eignung diese bald genug einbüßcn. * Berlin, 19. Oktober. (Entschädigung unschuldig Verhafteter.) Ein Gesetzentwurf über die Entschädigung unschuldig Verhafteter ist bekanntlich von der hessischen Regierung kürzlich dem Bundesrate vorgelegt worden. Die Zweite Kammer der hessischen Landstände hatte in ihrer Sitzung am 22. Mai 1901 den Beschluß gefaßt, „Groß- herzoguche Regierung zu ersuchen, baldmöglichst eine Ge setzesvorlage zu bringen, welche eine feste Entschädigung von zu Unrecht verhafteten Personen vorsieht." Diesem Ansinnen stand die großherzogliche Regierung in dem ersten Entwicklungsstadium der Frage ablehnend gegen über, sie war der Ansicht, es bandele sich um ein Gebiet, das die Reichögesetzgcbung in Anspruch nehme, das auch mit reichSgcsetzlichen Vorschriften derart zusammenhänge, daß die LandeSgesctzgebung Wohl nicht eingreifen könne. Die Regierung begründete diese Stellungnahme mit dem Hinweis auf ein Urteil des Reichsgerichts, betreffend Entschädigung der Personen, welche im Wiederaufnahmeverfahren freiaesprochen worden sind, vom 20. Mai 1898 und auf die Verhandlungen, die am 18. Januar 1900 im Reichstage stattgefunden hatten. Der GesetzgcbungSauSschuß der Zweiten Kammer war hingegen in Uebereinstimmung mit den betreffenden Ausführungen in dem Reichstage der Ansicht, daß es viel notwendiger und praktischer sei, eine Entschädigungspflicht gegenüber denjenigen anzuerkennen, die unschuldig verhaftet worden, als gegenüber denjenigen, die unschuldig verurteilt waren und mittels des Wiederauf nahmeverfahrens freigesprochen wurden. Die Zahl der letztern würde überhaupt nur eine sehr beschränkte sein, da es nur selten vorkomme, daß ein tatsächlich Unschuldiger zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werde. Anderseits aber liege die Gefahr einer zu Unrecht erfolgten Verhaftung außer ordentlich nahe. Der Reichstag hat deshalo bereits 1898 einhellig beschlossen, an di« Regierung das Ersuchen zu stellen, baldmöglichst einen Gesetzentwurf, betreffend Entschädigung von solchen Personen, die mit Unrecht Untersuchungshaft erlitten, vorzulegen. Er hat diesen Beschluß 1899 unter all- seitiger Anerkennung des Bedürfnisses wiederholt. Die Reichs regierung hat seitdem diesem Ersuchen nicht entsprochen, eS handelt sich aber nach Ansicht der Kammer nicht um eine Frage, die ausschließlich der Reichs-gesetzgebung unterliegt; e« sei daS Recht eines jeden deutschen Staates, in dieser Richtung gesetzliche Vorschriften zu erlassen, jedenfalls so lange, al« nicht die RcickSgesetzgebung dieses Gebiet betreten habe. Die Kammer hielt das Bedürfnis gesetzlichen Einschreitens als vorliegend, insbesondere auch von der Erwägung ausgebend, daß die be treffenden Behörden und Organe vorsichtiger bei Verhaftungen sein werten, wenn eine zu Unrecht ungeordnete Verhaftung für den Staat materielle Nachteile erwarten läßt. Es war insbesondere das Verdienst des Abgeordneten der Stadt Gießen, Justizrats Vr. Gutflei sch. der in ausführlicher Erörterung den Standpunkt der Regierung bekämpft«, sodaß die Vorschläge des GesetzeSauSschustes die Zustimmung des Hauses sanden. Allerdings trat di« Erst« Hessische Kammer dem obenerwähnten Beschluß nicht bei, sie richtete vielmehr an die Regierung daS Ersuchen, im BundeSrat für tunlichst baldige Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs an den Reichstag zu wirken wegen Entschädigung unschuldig Verhafteter. Diesem Beschlüsse gegenüber verharrte die Zweite Kammer in ihrer früheren Stellung, und die Regierung sah sich ver anlaßt, aus Grund des in den Verhandlungen beigebrachten Materials und im Sinne der vorstehend in Kürze nntgeteilten Ansichten, durch das Justizministerium einen Gesetzentwurf ausarbeiten zu lassen, in dem die Wünsche der Landesver tretung unter gewissen Vorbehalten gesetzlich festgelegt worden sind. Der Entwurf liegt dem Bundesrat nun vor und wird hoffentlich von demselben demnächst im Druck veröffentlicht werden. Die hessische Regierung glaubt nunmehr das Recht einer Veröffentlichung für sich nicht beanspruchen zu dürfen, da ihre Vorlage Bestandteil der BundesratSakten geworden ist, und hält die Angelegenheit geheim. * Berlin, 19. Oktober. Bon den Freuden deS geistigen Arbeiters in der sozialdemo kratisch en Zukunftsgesellschaft gab einen an genehmen Vorgeschmack eine Versammlung, die am Don nerstag im 6. Berliner Neichstagswahlkreise stattfand. „Genosse" Arendsee tadelte — nach dem „Vorwärts" —, daß der Reichstagsabgeordnete Redakteur PeuS im vorigen Jahre auf einem Rcdakteurtag gefordert habe, daß die Re dakteure aller Parteien einen gemeinsamen Verband bilden sollten, um die Würde und Sachlichkeit in der Preßpolemik zu fördern. Solche Ansichten habe PeuS vertreten, obgleich da mals schon der Verein Arbeiterpresse, eine Vereinigung der sozialdemokratischen Redakteure, bestand, die doch gegründet sei, weil die sozialdemokratischen Redakteure andere Interessen zu vertreten haben als die bürgerlichen Redakteure. Ferner tadelte Arendsee, daß der „BorwärtS"-Redakteur Schröder Mitglied des Vereins Berliner Presse ist. Das vertrage sich nicht mit den sozialdemokratischen Bestrebungen, die ein „Vor wärts"-Redakteur zu vertreten habe. „Genosse" Halfter be antragte eine Resolution, welche den Revisionismus dadurch be kämpfen will, daß diemehralS 2500 <F betragenden Gehälter von Parteiangestellten gekürzt und von der Partei keine Versicherungsbeiträge für die Angestellten bezahlt werden. „Genosse" Wiese ner bemerkte dazu, er halte Gehälter von 5—6000 </( für zu hoch und könne es auch nicht billigen, daß die Partei Beiträge für Mitglieder des Vereins Arbeiter presse zahle, der doch eine gewerkschaftliche Organisation sei. „Gegosse" Guttmann meinte, es habe sich eine Zunfr von Referenten, Redakteuren und Litera ten herausgcbildct, die ihre Arbeit für die Partei als Geschäftssache auffaßten. Früher sei es anders ge wesen. Da sei die freie unbezahlte Arbeit der Parteigenossen die Hauptsache gewesen. Jeder habe nach seinen Kräften der Partei gedient. Wenn heute ein einfacher Genosse seine An sichten zu Papier bringe und seine Arbeit der Redaktion ein sende, da werde er unter irgend einem Vorwande abgewicsen. Wenn aber jemand komme, der ein bißchen Bildung hab«, eine sogenannte gewandte Feder führe und Bezahlung verlange, dann fänden seine Arbeiten ohne weiteres Auf nahme. Die Zunft, die in Versammlungen und in der Presse ihr Wesen treibe, müsse von der Partei-Organisation und vom Parteivorstande bekämpft werden. Die Literatenzunft sehe nicht, daß der Sozialdemokratie die bürgerlichen Parteien auch heute noch als eine reaktionäre Masse gcgenüberstehen. Wer glauben könne,daßmanmitHülfederSozial- demokratie eine groß» bürgerliche Mehrheit bilden könne, der sei verrückt. Halfter begrün dete seine Resolution damit: Hohe Gehälter ließen sich vom sozialdemokratischen Standpunkte nicht rechtfertigen. Wer soviel nehme, wie er kriegen kann, der diene nicht dem Ideal, der sei zu vergleichen mit einem L der auch nur auf seinen Vorteil sehe und kein Ideal kenne. Der Partei haben die Ge nossen umsonst zu dienen. Entschädigt brauche die Partei arbeit nur soweit zu werden, daß die „Genossen", welche diese Arbeit leisten, nicht Not leiden. 2000—8000 seien genug. Mit«, inem Einkommen von 5000 habe man kein Interesse der Bekämpfung und Aufhe bung der bürgerlichen Gesellschaft, denn die sozialistische Gesellschaft könne auch nicht jedem 8000 ge währen. Der „Vorwärts"-Redakteur Leid trat dem Vor redner entgegen. ReichStagSabgeodrnetcr Ledebour stimmte dem Genossen Leid in dem zu, was er gegen Halfter sagte, und erinnerte daran, daß seinerzeit gegen die Höbe von Liebknecht» Gehalt dieselben Gründe geltend gemacht wurden, die Halfter anführte. Hierauf wurde die Resolution „fast einstimmig" ab gelehnt. „Genosse" Guttmann bat recht: wer da glaubt, daß mit Hülfe der Sozialdemokratie ein« große bürgerliche Mehr heit, die „große Linke der Zukunft" im Sinne der National sozialen, gebildet werden könnte, ist verrückt. (-) Berlin, 19. Oktober. (Telegramm.) Gestern nach- mittag besuchte da« Kaiserpaar in Berlin mit seinen fürst lichen Gästen das Atelier des Prof. R. Bega«, um den für da« Mausoleum an der Friedenskirche bestimmten Sarkophag der Kaiserin Friedrich zu besichtigen. — Heute vormittag bürte der Kaiser den Vortrag des Chefs des Civilkabinett» I>r. v. LucanuS. G Berlin, 19. Oktober. (Telearamm.» DerReich». taasabgeordnete für den Wahlkreis Goldav-Dar- kehmen-Stallupönen, Rittergutsbesitzer ». Tperber- »lcschvwca (kons.) ist am Sonnabend Nachmittag gestorben. — Der preußische Minister de» Innern bat angeordnet daß noch weitrre Erfahrungen über die Zweckmäßigkeit de« ,»gelassenen Aufschub,» torrektioneller Nachhaft
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