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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-21
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020721021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-21
- Monat1902-07
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Nur in vereinzelten Fällen blieb die Mäßigung siegreich, so beim Fleischbeschaugesetz, wo aber der mutdige Gras Klinkowström die Führung gegen die BundeSleitunz übernommen hatte. Dieser ostpreußische Abgeordnete ist todt, sein Landsmann Graf Dohna hat vergebliche Anstrengungen gemacht, einen erledigten Wahlkreis der Provinz mit einer gemäßigten Persönlichkeit besetzen zu lassen. Dennoch scheinen wieder Versuche im Gange zu sein, sich von dem ruinösen Einfluß der NichtSalsagitatoren zu befreien, und sie sind nicht aussichtslos. Frhr. von Wangenheini wird nicht mehr für die beiden Parlamenten, denen er angehört, candidircn. Auf die Geleitsworte, die ihm schon zugerufen worden sind und die in unserem Sonnabend- Abendblatt wiedergegeben wurden, müssen wir zurückkommen. Sie stammen nicht aus der „Freisinn. Ztg.-, wir finden sie vielmehr jetzt als Auslassungen der conservativen „Elbinger Ztg." Mit einigen Abweichungen allerdings, die eS aber zur Gewißheit machen, daß daS Berliner Blatt ab schriftlich bedient worden ist und dabei einige Schreibversehen untergelaufen sind. Der Urtext ist aber im Wesentlichen genau der mitgetheilte und in einigen Ausdrucken sogar noch schärfer als die Reproduktion. Natürlich verleiht dieser Ur sprung der Schilderung conservativer Stimmungen gegenüber dem Frbrn. v. Wangenheim und seinen taktischen Freunden er höhte Bedeutung. Das erwähnte konservative Organ, daS freilich schon öfter seine Freunde vergebens vor dem Weiterschreiten auf der betretenen Bahn gewarnt hat, ist inzwischen einen Schritt Weiler gegangen, indem es auösprach, die Haupt aufgabe des Generalsekretärs, den die Conservativen zu bestellen im Begriffe stehen, werde sein, das Ver- hältniß der conservativen Partei zum Bunde der Land- wirthe zu klären. Klärung heißt in diesem Falle aller mindestens „gänzlich umbilden", und wenn die „Elbiuger Zeitung" hinjusügt, ihm sei eine Aufgabe gestellt, um die den Generalsekretär „wahrlich Niemand beneiden wird", so deutet es mit der Schwierigkeit zugleich die UnabweiSbarkeit der Lösung an — falls die konservative Partei überhaupt als staatlich leistungsfähiges Gebilde fortbestehcn will. Denn die Schwierigkeit liegt eben darin, daß das Censer- vative in der Partei von dem Agitatorischen unwirksam gemacht ist und die wahren Conservativen in ihr nahezu zur Ohnmacht herabzedrückl worden sind. DaS haben selbst so vorgeschrittene und energische Agrarier wie Graf Schwerin- Löwitz nie einsehen gelernt, und wenn die „Kreuzztg.", wir haben es mitgetbeilt, den bevorstehenden Rücktritt des Frei herrn v. Wangenheim aus den Parlamenten — wie er es mit dem Präsidium des Bundes der Landwirthe zu halten gedenkt, weiß man noch keineswegs gewiß — mit dem Bedürfniß erklärt, die bisherige „maßvolle Politik" durch die schärfere Tonart abgelöst zu sehen, so ist dies nicht nur vom Standpunkt der conservativen Partei, sonder» auch von dem speciellen der „Kreuzzeitung" Larifari. ES war dem Blatte, schon mit Rücksicht auf seine Leser aus dem OfficierS« und Beamtenstande, eine drückende Pflicht, von den grundauswühlenden rednerischen Ausschreitungen deS Freiherrn v. Wangenbein» Notiz zu nehmen und daß die Schärfe der Tonart der BundeSbäupter — vielleicht von der Aneignung von Wendungen, wie Herr v. Diest-Daber im CircuS Busch sie zu gebrauchen beliebte, abgesehen — in einem monarchischen Staat gar nickt zu überbieten ist, kann der „Kreuzzeitung" auch nickt entgangen sein. Sie wird überdies auf diese Mög lichkeit sehr zur reckten Zeit aus dem eignen Lager heraus aufmerksam gemacht. Das Wehlauer „Kreisblatt", natürlich stark konservativ und bei der letzten Nachwahl im ost preußischen Kreise Friedland-Gerdauen ein selbst vor Excessen nicht zurückschreckender Partisan deS conservativen Candidaten, dieses Organ „so reinlich und so zweifelsohne" bemerkt in einer „Dcmagogenthum" überschriebenen Betrachtung nach einer Kennzeichnung der socialdemokrasischen Verhetzung. „Er (der socialdemokratische Agitator) weiß, daß seine Ber- sprechungen wie seine ausgesprochenen Ziele Humbug sind, weil sie unerfüllbar und unerreichbar sind; aber er braucht solche Mittel um seiner selbst willen. In nichts unterscheidet sich davon der agrarische Agitator, der unter der Parole „Schutz der heimischen Landwirthschafl" Forderungen aufslellt und verteidigt, welche auf die Vernichtung von Industrie, Handel und auch Handwerk hinauslaufen und schließlich die Landwirthschast selbst ver nichten müßten, die keinen kaufkräftigen Abnehmer für ihre Produkte haben würde." Weiterhin heißt eS: „Derselbe Agitator, dem kein Getreide- und Viehzoll hoch genug sein kann, thut sich mit den Socialüemokraten zusammen, um die deutsche Textilindustrie mit ihren Hunderttausenken von Ar- britern der Vernichtung durch die Auslandskonkurrenz preiszugeben." Die „Kreuzzeitung" wird die sprechende Aehnlichkeit deS hier entworfenen Bildnisses nicht leugnen können und sie wird auch nicht finden, daß die Tonart eines Bebel, Singer, Stadthagen noch zu übertreffen sei. Der Artikel des conservativen Blattes hat in Ostpreußen ein Aufsehen erregt, daS sich auf das andere Reichsgebiet verpflanzen wird. Seine Be deutung wird keineswegs abgeschwächt durch den Umstand, daß das Organ einen conservativen und auck — natürlich — amtlichen Charakter hat. Man könnte nur wünschen, daß man in der großen halbamtlichen Presse die Kinder eben so deutlich bei ihrem rechten Namen nenne, und dies um so mehr, als Graf Posadowsky bei seiner letzten „großen" Expektoration iu der Tarifcommission deS Reichstages durck eine isolirke Anklage gegen die Socialdemokratie, als das angeblich einzige Hinderniß der Tarifreform, der auf einen Kampf nach zwei Fronten angewiesenen Industrie, wie übrigens nicht minder der in gleicher Lage befindlichen maß voll denkenden Landwirthschast einen zweifel haften Dienst erwies, indem er die Augen von dem einen Gegner abzog. So wie es in der angeführten ostpreußischen Auslastung geschieht: die gleiche Schuld scrupellofer, ja nur angeblich landwirthschastSfreundlicher Agitation und der Socialdemokratie muß gleichmäßig auf gewiesen und verurtheilt werden. Und wenn die Conservativen nicht mitschuldig werden wollen, so wüsten sie sich alsbald gänzlich von den als Verderber entlarvten Zeitgenossen loSsagen. Noch spielen sie ein zweideutige- Spiel mit der Industrie und nicht nur mit dieser, sondern in noch sträf licherem Grade mit der Landwirthschast, der sie eine außer ordentliche Verstärkung des Zollschutzes zu sichern, sich bisher nicht ernstlich angeschickt haben. Die Berufsdemagogen in der Bundesleitung werden sich ja wohl auch durch die nächsten Wahlen hindurch zu — retten wissen, die Con- servativen aber, bei denen man noch Pflichtbewußtsein und VerantwortlichkeitSgefübl voraussetzt, würden eine Ent täuschung der Industrie (wobei in erster Linie mit an die sächsische zu denken ist) und der Landwirthschast mit einem Debacle zu sühnen haben. Zu Aachc» ist eine neue merkwürdige Redewendung ge fallen. In einer großen Versammlung, welcher eine Anzahl zur Heiligthumsfabrt gekommener Cenlrumsabgeordneter bei wohnte, bemerkte Prälat Be llesheim, „daß etwas von dem Geiste Karl's des Großen auf die CentrumS-Abge- ordneten übcrgegangen sei." Bekanntlich Hal derselbe hohe geistliche Würdenträger kürzlich ebenso Kaiser Wilhelm damit apostrophirt, daß etwas vom Geiste Karl's deS Großen auf ihn, den Kaiser, übergegangen sei. Diese gemeinsame Geistcsbrzugsguelle dürfte durch so häufige An zapfungen bald ihren Werth verlieren. Indessen bezeugen die bei Vieser letzten Gelegenheit gehaltenen weiteren Reden, daß man nicht Alles sehr ernst zu nehmen braucht. Des Abg. Justizrath Trimborn's Ausführungen waren, wie berichtet wird, „von echt kölnischem Humor" durchtränkt und riefen fast bei jedem Satz laute Heiterkeit hervor. Herr Trimborn stellte Aachen und Köln als Zwillings schwestern hin und fuhr dann fort: „Wir sind nicht so philister haft, Laß wir dieselben Kleider und dieselben Hüte tragen, das würde zu langweilig jein, dafür sind wir viel zu genial. (Große Heiterkeit.) Wir haben uns, Jeder in seiner Art entwickelt. Aachen ist frommer wie wir. (Heiterkeit.) Viel frommer, das ist der Ruhm und Preis von Aachen unter allen deutschen Städten, Laß sie die frömmste ist. Und das ist gut für Köln, Laß es eine Schwester Hai, die fromm ist. Während Aachen seine Heiligthümer feiert, feiern wir Carneval. (Stürmische Heiterkeit.) Damit ist der Unterschied zwischen uns gegeben, und daraus folgt eins, und das wollen Sie sich wohl merken, daß wir einen Bischof nothig haben, Sie aber keinen. (Große Heiterkeit.) Man scheint also sehr sidcl gewesen zu sein. Aber nun kommt der Jammer. Die katholische „Rheinische Volks stimme" liest bereits Herrn Trimborn die Leviten, indem sie u. A. schreibt: „Wenn wir auch dem Herrn Justizrath nicht imputiren wollen, er habe Heiligthumssahrt und Carneval aus eine Stufe stellen wollen, was frivol wäre, so finden wir doch die Zusammenstellung im höchsten Grade unklug und tactlos und das doppelt in dem Munde eines Mannes, der die katholische Sache im Parlament zu ver- treten hat. . . . Wir möchten dem verehrten Herrn Reichs- und Landtagsabgeordneten den wohlgemeinten Rath geben, in Zukunft o ernste und heilige Dinge wie die Heiligthumssahrt nicht in einem Tone zu behandeln, wie es bei Behandlung von Materien, die der Präsident einer Carnevalsgejelljchast zu erledigen hat, angebracht ist." Erst erklärt ein Bischof, die Echtheit der Heiligthümer sei kein Glaubensartikel, und nun ulkt eine anerkannte Centrumsgröße in Aachen im Carnevalsstil. Die diesjährige Heilizthumsfahrt scheint nicht unter einem günstigen Sterne zu stehen. Bei einem den colonialen Premierministern von Seiten deS kanadischen Clubs gegebenen Essen in London warb der Premierminister Sir Wilfrid Lauri er um Auswanderer. ES sei sicher, daß Canada die Kornkammer Englands werde. Heute schon bringe Canada genügend Korn hervor, um ganz Europa einschließlich England damit zu ver sorgen. Aber cinS fehle Canada, daS sei eine genügend große Bevölkerung. Canadas Bevölkerung zähle heute fünf Millionen Köpfe. Das Land biete aber Unterkunft und Beschäftigung für mindestens 100 Millionen. Als er die Noth gesehen habe, in der viele Leute in England lebten, habe er nicht umhin gekonnt, seinem Staunen darüber Ausdruck zu geben, daß nickt mehr gethan werde, um den Bevölkerungs überschuß in die gewaltigen Distrikte von Westcanada abzuschieben. Die canadische Regierung thue Alles, um die Einwanderung zu fördern. Sie habe jedem Einwanderer im Alter von über 16 Jahren 160 Morgen Land angeboten und ber Ein wanderer könne weitere 160 Morgen für den geringen Preis von 5 Schilling für den Morgen kaufen. Körperlich gesunde Leute, die nach Canada gingen, könnten in wenigen Jahren in guten Vcrmögensverhältnissen leben und glückliche Heim stätten für sich selbst und ihre Familien besitzen. Wenn Eng land in Zeiten der Noth, wie beispielsweise im Jahre 1899, auf CanadaS Hilfe rechnen wolle, so liege es in seinem Interesse, dafür Sorge zu tragen, daß die hilfsbereite cana dische Bevölkerung wachse. Der Emir des Pufferstaates Afghanistan will seine Armee vergrößern, so meldet Reuter aus Peschawar. Der Emir bat nicht nur neue Uniformen bestellt, sondern auck für Waffen und Munition gesorgt. Er beabsichtigt, das Heer auf 80 000 Mann zu bringen, ohne Einrechnung der Grenztruppen. Nach einer Besichtigung der Artillerie ließ er die Leute wegen ihrer Leistungen belohnen. Er hat es ferner verstanden, den Soldaten dadurck zu gefallen, daß er öffentlich erklärte, in Zukunft Officierstellen nur noch nach Verdienst und nicht mehr auf Empfehlungen hin verleihen zu wollen. Er sagte, der gemeine Soldat müsse durch barte Arbeit und gute Dienste seinen Weg zu den höheren Stufen erkämpfen. Nur Leute, die danack bandelten, bätten in Zukunft Aussicht auf Erfolg. Der Emir hat die Stärke der Infanterie-Regimenter auf je 1000 Mann und die der Cavalleric-Regimenler auf je 600 Mann fest gesetzt. In England scheint man der Ansicht zu sein, daß sich diese Maßnahmen deS EmirS nicht gegen einen äußeren Feind richten. Deutsches Reich. P- Berlin, 20. Juli. Die Brenn st euer wird im nächstjährigen Rcichshaushaltsetat unter den Branntwein steuern wieder zur Aufführung gelangen. Sic figu- rirte neben Maischbottichsteuer und Branntwein- vcrbrauchsabgabe im Etat bis zum Jahre 1901. Damals war sie, da sie nach der Branntmeinsteuergesetznovelle vom Jahre 1887 am 30. September 1901 außer Kraft treten sollte, im Etat nur mit den Erträgen für ein halbes Jahr zum Ansatz gebracht. Im Etat für 1902 war sie nicht mehr er schienen, da die Versuche, die Geltungsdauer der Vor schriften betreffs Erhebung dieser Steuer über den 30. Sep tember 1901 zu verlängern, vorerst gescheitert waren. Diese Versuche sind dann später ausgenommen und nach der Vranntmeinstcuergesctznvvcllc, wie sie in der letzten Zeit des vorigen Tagungöabschnittcs des Reichstages zur An nähme gelangt ist, würde die Brennstcucr wieder vom 1. October d. I. zur Erhebung gelangen müssen. Dem entsprechend wird sie natürlich auch wieder im Etat zur Ausführung kommen. Eine faktische Bedeutung für die Etatsgcstaltnng hat die Brennstcucr im Allgemeinen nicht. Diese Steuer wird erhoben, um bestimmte Vergütungen zahlen zu können, und so befand sich denn auch in den Etats der letzten Jahre stets neben der betreffenden Position in Feuilleton. 2) Zwei Welten. Roman von Arthur Sewett. Nachdruck verboten. Das wird Dir Vieles verständlich machen. Denn das ganze Bestreben dieser Krau geht dahin, ihrer Tochter eine ähnliche Erziehung angedcthcn zu lassen, soweit es die Verhältnisse des Circus erlauben. Damit komme ich denn endlich zum Zweck dieses Schreibens. Vor einigen Tagen besuchte mich auf der Durchreise in Eurer Stadt Fräulein Ellida. Das Kind war in zwei Jahren zur Dame geworden. Aber durch die Allüren der Dame blitzte überall der Wiidfang hindurch, die Zigeunerin mit Circusblut in jeder Ader. Ucberhaupt die Atmosphäre des Circus war mit einem Male unverkennbar. Die Mutter hatte cs längst bemerkt und war unglücklich, trotz aller Erfolge ihres Kindes. Sie besteht nun darauf, ihrer Tochter in Eurer Stadt, wo die Gesellschaft längere Zeit bleiben wird, noch einmal einigen Unterricht in „all gemeiner Bildung", wie Herr Koralli sagt, erthcilcn zu lassen. Man könnte cs vielleicht versuchen, wenigstens habe ich ihr versprochen, ihr behilflich zu sein. Mir natürlich käme es auf das nicht an, was diese Kunstreiterin noch an be stimmtem Wissen hinzulcrnt, sondern vielmehr auf den günstigen Einfluß, den solch' ein Unterricht auf ihre geistige Entwickelung üben könnte. Der Mann, der sie unterrichtet, müßte nicht ihr Lehrer, ihr Erzieher müßte er sein. Es müßte ihm gelingen, durch den Eindruck seiner Persönlichkeit die Gefahren des Circus wett zu machen — ein strenger Mann, der dem verhätschelten Kinde imponirt und ein Mann zugleich, ber es durch seine geistigen Gaben zu fesseln und zu erwärmen vermag. Niemand wäre dazu geeignet, wie Du. Ich würde Dich bitten, diese schwere, aber gewiß nicht undankbare Aufgabe zu übernehmen, wenn ich nicht wüßte, daß Deine Zeit zu sehr in Anspruch genommen ist. Vielleicht aber gelingt cs Dir, unter den Lehrern Deiner Anstalt eine solche Persönlichkeit zu finden!" Ein strenger Mann, der dem verhätschelten Kinde im- ponirt, und ein Mann zugleich, der es durch seine geistigey Gaben zu fesseln und zu erwärmen vermag. In der That, diese Art von Lehrern ist nicht dicht gesät. Und Director Wöhrmann ließ seine Collegen Revue passircn. Mit einem Male warf er den Kopf mit einer raschen Be wegung zurück. „Ich Hab s! Er ist gefunden! Herr vr. Mollinar! Du bist der Mann dazu! Ja, Du, Herr Mollinar, der Du die Kinder au!s dem Schlafe aufschrcckst, wenn Tu mit Deinem strengen Antlitz ihnen im Traume der Ferien nächte erscheinst. Du, der Du mich in meiner ersten Classe spielend aus dem Sattel hobst, Du und kein Anderer!" Und er setzte sich an den Schreibtisch, packte den Brief seines Freundes in eine Umhüllung und schrieb selbst einige Zeilen dazu. Dann klingelte er dem Pedell. „Diesen Brief an Herrn Or. Mollinar, aber sogleich, er hat Eile!" Am nächsten Tage trat Doctor Mollinar in das Zimmer seines DirectorS. Einö gedrungene, vierschrötige Gestalt mit herabhängcndcn Schultern. Auf dem kurzen Hals ein eckiger Kopf mit platter Nase. Die Lippen bartlos, die Mundwinkel tief gestellt und scharf geprägt, wie man sie bei Predigern oder Schauspielern findet, das Kinn hervor stehend und mit einem dünnen Flaum schwarzer Haare bedeckt. Aber dann die ganze Erscheinung beherrschend: zwei dunkelgraue Augen unter mächtigen, Brillengläsern. Sie gaben den unregelmäßigen Zügen die eigcnthümliche Strenge und zugleich die anziehende Männlichkeit. „Sie haben meinen Brief erhalten, Herr College..." „Ich komme deswegen." „Und Ihre Entscheidung?" Doctor Mollinar zuckte die Achseln: „Lächerlich!" sagte er nach einer Pause. „Was ist lächerlich?" „Die ganze Geschichte. Eine Kunstreiterin und höhere Bildung! Sie soll zufrieden sein, wenn sie ihre Sprünge machen kann! Ich habe nichts übrig für diese Sorte von Menschen. DaS Ganze ist Farce." „Im Allgemeinen mögen Sic Recht haben. Es kann hier aber eine Ausnahme sein, eS kann den Leuten wirklich Ernst sein, da sollten wir sie unterstützen." „Ich habe wenig Lust dazu, bin dafür auch nicht der ge eignete Mann. Der Unterricht schon an der Töchter schule wird mir sauer genug." „Sic unterschätzen Ihre Fähigkeiten, College Mollinar. Sie sind der gefürchtetsle Lehrer an unserer Schule." „Ist das ein Ruhm „Wenn man zugleich der gcliebtestc ist, gewiß." Dem Doctor schien das Kompliment nicht zu behagen. „Mit Speck fängt man Mäuse, mich nicht! Ich sage nein." „Ich würde an Ihrer Stelle nicht so entschieden ab lehnen, grade ein Mann, der dem Idealismus huldigt..." „Dem Idealismus, pah, man verlernt ihn bald." „Man darf aber nicht so stolz von der Höhe seiner Bildung aus andere herabschcn. Wenn man in solch ein Mädchcnhcrz, das die Verhältnisse auf allen Tand, wenn nicht auf Schlimmeres hinlenken, auch nur einen Funken des Großen und Guten hineintrügt, da dient man der Sache mehr, als wenn man eine ganze Classe unserer höhern Töchter begeistert." „Freilich ein billiger Ruhm, nach dem ich nie gegeizt habe. Sie wissen es am besten, Herr Direktor, wie wenig mir das ganze System unserer heutigen Mädchencrziehung behagt." „Hier aber zeigt sich eine Aufgabe, nach der zu geizen lohnte." „Ich habe Wichtigeres zu thun." „Und vollends vom christlichen Standpuncte aus!" „Der gebietet auch: Du sollst die Perlen nicht vor die Säue werfen." „Verzeihung, Herr Director, aber die Thür mar offen." Eine Dame sagte cs. Sie war ins Zimmer getreten, und die beiden hatten in ihrem eifrigen Gespräche niusts davon gemerkt. Es war auch kein Wunder, denn die Fremde hatte einen schwebenden Gang. Sie schien die letzten Worte des Gesprächs, die Doctor Mollinar gegen seine Gewohnheit mit lauter Stimme gesprochen, wohl gehört zu haben. Ihr Antlitz deckte ein dichter Schleier bis an die feingeschwungenen Lippen, aber in dem leisen Tone, in dem sie sprach, lag etwas Scheues, Eingc- schüchtertes. „Mein Mann hatte mir gesagt, ich sollte mir heute bei Ihnen Bescheid holen wegen meiner Tochter." „Ah, Frau Koralli, ich bitte sehr", und Director Wöhr, mann wies ans das Sopha, auf das er nicht alle Mütter Platz nehmen ließ. „Nein, Herr Mollinar, Sic stören nicht, ich bitte Sie sehr, zu bleiben; die Angelegenheit geht ja auch Sie an. Ja, Ihr Herr Gemahl war gestern bei mir/: „Unsere Bitte wird Ihnen wunderbar erscheinen. Sic mag cs auch sein, bei Kunstreitern! Aber ich habe außer einem ganz kleinen nur dies eine Kind, und ich selber habe einmal andere Tage gesehen." Ohne die geringste Künstelei hatte sie es gesagt, nur der Ton, den sic auf das Wort Kunstreiter legte, klang so un gewollt bitter. „Ich habe Ihrem Herrn Gemahl versprochen, daß ich mich der Sache annehmen will. Zudem auch mein Freund der Pastor Bernstorfs . . ." „Ja, er hat uns nie verlassen, wie viel haben mir ihm zu danken, dem einzigen, dem prächtigen Manne!" Und als Frau Koralli das sagte, da sprach aus der ver- schlcicrten Stimme eine seltsame Wärme, nnd die Augen leuchteten durch den dichten Schleier hindurch. „Ja, Sie wissen nicht, HerrDirector, wie wohl solch ein ernstes gutgemeintes Wort unsereinem thut, der nur den Circusklatsch hört und das leere Geschwätz derer, die dort ans- und eingchcn. Pastor Bernstorfs ist uns viel gewesen, und besonders meiner Tochter." „Er hat sic längere Zeit unterrichtet?" „Acht Wochen, HerrDirector, fast jeden Tag, denn unser Circus rüstete sich schon damals zur Abreise. Und nie in Elli ein solch folgsames Kind gewesen als während dieser Zeit. Sie ist gnt, glauben Sie es mir. Sic bedarf nur des richtigen Einflusses, und der fehlt natürlich." „Aber sie hat ihre Eltern." „Ja, Herr Director, aber wenn Vater nnd Mutter jeden Vormittag znr Probe gehen und Abend für Abend seiber arbeiten müssen!" „Doch Ihr Gatte sagte mir —" „Ach, er ist so stolz auf seine Tochter, und ich gönne ihm dies Glück nnd nehme cs ihm nicht. Aber eine Mutter sicht so etwas doch anders an, und ich habe ja nichts weiter auf der Welt als die Ellt." „So macht Ihnen Ihre Kunst keine Freude?" „Freude, Herr Director, Freude?" Sie sah ihn mit Er staunen an. „Unsere Arbeit ist sehr nüchtern, sie ist uns Brvdcrmerb wie dem Handwerker sein Tagewerk, und wenn man, wie ich seit zwanzig Jahren jeden Abend arbeiten muß, immer dasselbe und immer dasselbe Lächeln, und dann so mit einer erwachsenen Tochter rivalisircn und sich mit ihr in einer Garderobe umlleidcn und schmücken und bemalen und so Vieles hören und sehen muß, wovor jede Mütter ihr Kind gern bewahrt, sei eS auch nur
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