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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-20
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981220017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898122001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898122001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-20
- Monat1898-12
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Vsz«g-Pre^ kl der Havptexprbition »der d«i stn Etatzt. »«jtrt «ad drn Vororten errichteten AuS- aavestrllen ab geholt: vierteljährlich ^4.L0, »et zweimaliger tügltcher gustellnn» in» L«» ^l KEO. Durch die Post bezöge» für Deutschland «ud Oesterreich: »ierlenahtlich 6.—. Direkte täglich« KrenzbandsrnduNO tu- Au-land: monatlich 7.ÜO. Die Morgen.-luSgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abrnd-Ausgab« Wochentag» um b Uhr. Ledactiou und Lrpe-iiio«: JahauneSgaff« 8. Di« Expedition ist Wochentag» uuuuterbroche» geöffnet vsa früh 8 di» Abend« 7 Uhr. Filialen: Dtt« klemm'« Eortt». (Alfred HatzuX UnivrrsitStSstrabe 3 (PauliniU'), - «oui» Lösche. Datbarinenstr. 14. Port, »ud KSvigSplatz D Morgen-Ausgabe. MpMer TMkaü Anzeiger. AmtsVkatt -es Hönigüchen Land- und Ämtsgetichtes Leipzig, -es Mathes nn- VEzei-Ämles -er Sta-t Leipzig. Anlzeiaen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile SO Psg. 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So lange die deutsche Frage nicht entschieden war, mußte Preußen die Anlehnung an Rußland suchen, weil die russische Freundschaft ihm bei dem Kampfe um die Vorherrschaft in Deutschland förderlich em konnte. Die Hilfeleistung zur Zeit des polnischen Aufstander, wenn sie sich euch mehr auf dem Gebiete der Theorie als dem der Praxis hielt, verschaffte Preußen einen Anspruch auf das russische Wohlwollen und trug, bei der aufrichtig freundschaftlichen Gesinnung Alexander'S II. für seinen Oheim Wilhelm I., gute Früchte bei der Neuordnung der deutschen Verhältnisse im Anschluß an die Kriege von 1866 und 1870/71. Nach dem französischen Kriege war Bismarck ehrlich bestrebt, den Bund der drei Ostmächte, der Europa fast 50 Jahre den Frieden verbürgt hatte, auf neuer Grundlage wieder herzustellen, und da allen drei Staaten das wichtigste Interesse — die Aufrechterhaltung des Monarchismus gegenüber den starken republikanischen Unterströmungen — ge meinsam war, so überwand Oesterreich die seit 1866 vorhandene Verstimmung und trat mit dem deutschen und dem russischenReiche in freundchastliche Beziehungen ein, die durch die Zusammenkunft der drei Kaiser in Berlin (September 1872) vor aller Welt be siegelt wurden. Deutschland fiel in diesem Bunde der drei Ostmächte die Aufgabe zu, zwischen Oesterreich und Rußland in ihren mancherlei collidirenden Interessen zu vermitteln, und Bismarck widmete sich ihr mit dem Eifer des „ehrlichen Maklers". Allein er konnte nicht verhüten, daß sich im Laufe deS Jahres 1876 doch wieder die Dinge zwischen Oesterreich und Rußland zuspitzten bis zur Drohung mit offenem Kriege. In dieser Lage erwies sich die Macht des deutschen Reiches zum ersten Male als ein Hemmniß für die russischen Groberungspläne. Wollte Ruß land Oesterreich angreifen, so mußte es der deutschen Neutralität sicher sein; fiel Deutschlands Gewicht zu Gunsten Oesterreichs in die Waagschale, so schnellte Rußlands Schale leicht empor. Um Klarheit zu erhalten, wendete sich der Zar auf Antrieb Gortscha- kow's durch den deutschen Militairbevollmächtigten, General v. Werder, im Herbste 1876 telegraphisch an Bismarck mit der Frage, ob Deutschland bei einem russisch-österreichischen Kriege neutral bleiben würde. Die gewählte Form war durchaus un gewöhnlich. Der deutsche Militairbevollmächtigtc war nicht dazu da, diplomatische Anfragen der russischen Regierung, deren Organ er nicht war, nach Berlin weiterzugeben, noch dazu in Angelegen heiten von solcher Bedeutung. Bismarck, der in Varzin weilte, lehnte zunächst ab, sich ohne höhere Ermächtigung zu äußern, und empfahl auf wiederholtes Drängen, Vie Frage aufamtlichem Wege durch den russischen Botschafter in Berlin im Auswärtigen Amte zu stellen. Neue Interpellationen durch Werder'sche Tele gramme schnitten indrtz diesen ausweichenden Weg ab, und da die Frage schließlich auch noch direkt durch den Zaren selbst unter Betheiligung der russischen Botschaft in Berlin wiederholt und Ihre vertrauliche Beantwortung auf Grund der bestehenden persönlichen Beziehungen erbeten wurde, so blieb Bismarck keine weitere Ausflucht. Er beschied den deutschen Botschafter, General v. Schweinitz, zu sich und hieß ihn die Antwort persönlich nach Livadia bringen. Sie war ein Meisterstück diplomatischer Fein heit und entsprach ganz der vermittelnden Haltung, die sich Deutschland zur Richtlinie seiner Politik genommen hatte. Bis marck betonte, daß Deutschlands erste» Bedllrsniß sei, die Freund schaft zwischen den großen Monarchien zu erhalten, die der Revo lution gegenüber mehr zu verlieren als im Kampfe unter einander zu gewinnen hätten. Ser der Friede zwischen Rußland und Oesterreich nicht aufrecht zu erhalten, so könnte Deutschland zwar ertragen, daß seine Freunde gegen einander Schlachten verlören oder gewönnen, aber nicht, daß einer von beiden so schwer ver wundet und geschädigt werde, daß seine Stellung als unab hängige und in Europa mitredende Großmacht gefährdet würde. So wohlwollend diese Antwort auch für drn Fall russischer Niederlagen lautete, di« man freilich in Petersburg kaum für möglich gehalten haben dürfte, so gab sie doch Gortschakow will kommene Gelegenheit, dem Zaren die deutsche Freundschaft als zu „platonisch" zu verdächtigen und ihn zu einer friedlichen Aus einandersetzung mit Oesterreich zu bewegen, die nicht ohne Spitze gegen Deutschland war. Die Verhandlungen zwischen Rußland und Oesterreich, die schon bei einer Zusammenkunft der Kaiser beider Reiche am 8. Juli 1876 in Reichstadt eingeleitet worden waren, wurden jetzt wieder ausgenommen und zu Ende geführt. Sie gewährten Rußland die Erlaubniß zu einem Kriege gegen die Türkei für die „Befreiung" Bulgariens und verschafften Oester reich als Preis der Neutralität den Besitz von Bosnien und Herzegowina. Daß Rußlano die Geheimhaltung der ^n^eui on von Reichstädt vor Deutschlano zur Bedingung machte, beweist das Mißtrauen gegen den bisherigen Freund. Gleichwohl ließ sich Bismarck nicht verstimmen; Deutschland bewahrte während des Krieges durchaus die wohlwollende Neutralität, die es Ruß land zugesagt hatte, und als der Friede von San Stefano die Mögkichkeit eines Krieges von England und Oesterreich gegen Rußland nahe rückte, ließ Bismarck auf Ersuchen Rußlands und unter Zustimmung Englands und Oesterreichs die Einladung zu einem Congreß in Berlin ergehen zu friedlichem Ausgleich der auf der Balkanhalbinsel zusammenstoßenden Interessen der euro päischen Großsiaaten. Gortschakow spielte auf dem Congreß eine eigenthümkiche Rolle; er hatte seine Entsendung nach Berlin dem Zaren förmlich abgedrungen, während der eigentliche Träger des russischen Votums der Graf Peter Schuwalow war, und war nun eifrig bemüht, nach außen hin seine Unzufriedenheit mit dem Gange der Congreßverhandlungen und selbst der definitiven Be schlüsse zu documenkiren, denen Schuwalow im Auftrage des Zaren seine Stimme und Unterschrift lieh. „Er suchte", sagt Bismarck (23. Capitel), „seine russisch« Popularität im Sinne der „Moskauer Zeitung" frei zu halten von den Rückwirkungen russischer Concefsionen, und bei Congresitzungen, wo solche in Aussicht standen, blieb er aus, unter dem Vorwande deS Un wohlseins, trug aber Sorge, sich am Parterrefenster seiner Wohnung unter den Linden als gesund sehen zu lassen. Er wollte sich die Möglichkeit wahren, vor der russischen „Gesellschaft" in Zukunft zu behaupten, daß er an den russischen Concefsionen unschuldig wäre: ein unwürdiger Egoismus aus Kosten seines Landes." Dabei war es eine unehrliche Fiction, wenn Gort schakow behauptete, daß Rußland auf dem Kongresse schlecht ab geschnitten habe, und ein« offene Lüge, wenn die russischen Zeitungen, ohne von der die Presse sonst so sehr zügelnden russischen Regierung berichtigt zu werden, Deutschland beschuldig ten, di« Sache der Feinde Rußlands gefördert zu haben. Von Beidem ist das Gegentheil wahr: „Der russische Abschluß blieb auch nach dem Kongresse immer noch einer der günstigsten, wenn nicht der günstigste, den Rußland jemals nach türkischen Kriegen gemacht hat", und „kein russischer Wunsch ist auf dem Berliner Congresse ausgesprochen worden, den Deutschland nicht zur Annahme gebracht hätte, unter Umständen durch energisches Auftreten bei dem englischen Premierminister, obwohl letzterer krank und bettlägerig war." Die von Gortschakow geförderte Preßhetze führte zu einer Entfremdung zwischen Rußland und Deutschland, für die weder im Interesse des Einen noch des Anderen dieser großen Nachbarreiche das mindeste Bedürfniß vor lag. Sie äußerte sich in der Anmaßung, mit der man in Petersburg bei den diplomatischen Verhandlungen über die Aus führung der Congreßbeschlüsse die unbedingte Förderung jedes russischen Interesses durch Deutschland erwartete, in der „nör gelnden Mißbilligung", der man auch dann Ausdruck gab, wenn di« deutsche Diplomat» der russischen Politik freiwillig einen Be weis ihrer Freundschaft gegeben zu haben glaubte. Die An maßung steigerte sich b's- zu dem unbilligen Verlangen, Deutsch- lano soll« seine Commissare anweisen, bei allen Divergenzen über di« Auffassung der Congreßbestimmungen generell der russischen Auffassung beizutreten, d. h. die Macht des deutschen Reiches unbedingt in den Dienst der russischen Interessen zu stellen, während es Deutschland doch nur darauf ankommen mußte, „die Stipulationen deS Kongresses ehrlich auszulegen und seine Be ziehungen zu den übrigen Großmächten nicht durch parteiisches Verhalten in Localfragen zu stören, Vi« ein deutsches Interesse nicht berührten." Als Deutschland ein solches Ansinnen zurück wies, bestimmte Gortschakow den Zaren zu einem eigenhändigen Schreiben an Kaiser Wilhelm, das an zwei Stellen unzweideutige Drohungen enthielt, etwa des Inhalts: „Wenn die Weigerung, das deutsche Votum dem russischen anzupassen, festgehalten wird, so kann der Friede zwischen uns nicht dauern." Gleichzeitig gab Rußland durch Anhäufung von Truppen an seiner Westgrenze zu verstehen, daß seine Drohungen ernst gemeint seien, und aus Paris kam Bismarck die sichere Kunde, daß Rußland Frankreich einen gemeinschaftlichen Krieg gegen Deutschland vorgeschlagen habe und dort nur wegen mangelnder Kriegsbereitschaft ab schlägig beschicken worden sei. Die von Rußland jetzt geforderte Option Deutschlands zwischen der österreichischen und der russischen Freundschaft war schon zur Zeit des Balkankrieges einmal nahe gelegt worden durch Graf Peter Schuwalow, der im privaten Gespräche Bismarck den Vorschlag eines festen Bundes zwischen Deutschland unv Rußland gemacht hatte. Bismarck hatte ein Bündniß mit Ruß land zu Schutz und Trutz abgclehnt, da es „bei acuten Vor kommnissen von französischer und österreichischer Revanchelust" Deutschland bei seiner exponirten Lage in eine gefährliche Ab hängigkeit von Rußland bringen würde; er hatte den Bund dec drei Kaiser empfohlen, oder doch die Pflege des Friedens zwischen ihnen (29. Capitel: Der Dreibund). Der Brief des Zaren und andere Symptome lehrten, daß die Zeit des Ein vernehmens der drei Ostmächte, das schon durch die Gortscha- kow'sche Jntrigue von 1875 getrübt worden war, vorüber sei, und nöthigten Bismarck, auf neue Kombinationen zu sinnen, durch die das Ziel der deutschen Politik, die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens, auf anderem Wege erreicht werden konnte. Der Gedanke an eine Koalition der Deutschland feindlich oder doch mißgünstig gesinnten Mächte verursachte ihm Alp drücken, le cnucdewnr cle8 coalitions, wie P. Schuwalow gesagt hatte. Deutschland hatte gegen zwei der europäischen Großmächte siegreiche Kriege geführt; es kam darauf an, wenigstens einen der beiden Gegner der Versuchung zu entziehen, im Bunde mit anderen Mächten Revanche zu nehmen. Selbst verständlich konnte Frankreich hierbei nicht in Frage kommen, wohl aber Oesterreich, das mit Deutschlano große geschichtliche Erinnerungen und wichtige Interessen gemeinsam hat und gegen «inen eventuellen Angriff Rußlands bei Deutschland die natür liche Anlehnung suchen muß. Bismarck, in der Sorge vor Er neuerung der alten Kaunitz'schen Koalition von Frankreich, Oesterreich und Rußland, auf die mancherlei hinzudeuten schien, beschloß, die Stimmung des Grafen Andrassy zu erkunven, und traf mit ihm am 27. August 1879 in Gastein zusammen, zur selben Zeit, da Kaiser Wilhelm — gegen den Wunsch seines Reichskanzlers — sich zur Fahrt nach Alexandrowa rüstete, um seinen kaiserlichen Neffen von Rußland zu begütigen. Er ent wickelte ihm die politische Situation, die bedrohliche Annäherung Rußlands an Frankreich, und ließ ihn die Konsequenz selbst ziehen: gegen ein russisch-französisches Biind- niß war der natürliche Gegenzug ein öfter - r e i ch i s ch - d eu t s ch e s. Beide Staatsmänner einigten sich leicht über ein rein defensives Bündniß gegen einen russischen An griff auf einen von beiden Theilen, dagegen lehnte Andrassy die von Bismarck vorgeschlagen« Ausdehnung des Bundes auch auf andere als russische Angriffe ab. In Oesterreich wie in Deutschland wurde das Bündniß, das sich den Augen des Volkes als die Wiederherstellung einer alten völkerrechtlichen Verbindung darstellte und das Siebzigmillionen reich der großdeutschen Schwärmer von 1848 in einer anderen Form zu schaffen schien, mit lautem Jubel begrüßt: auf allen Feuilleton. „Sei wieder gut, Papa!" WeihnachtSgeschichtr von Els« Hofmann. Nachdruck »erboten. . und Fried«, aus Erden" Die kleine Lisi schlägt die großen, blauen Augen auf, blickt erstaunt an die Decke und vergißt ganz, ihr Morgengebet zu sprechen. Das von hellblondem Haar bedeckte Köpfchen hebt sich ein wenig, und die dicken Händchen umklammern die Gitter stäbe des Bettes. „Wo bin ich denn?" denkt List, „doch nicht zu Hause!" Und wo ist Maria, ihre „große" Schwester? Ihr Bett ist weg, Papas auch, blos das der Mama steht dort. Mama ist aber schon aufgestanden, List sieht, daß ihr rother Schlafrock nicht mehr dort hängt. Plötzlich erkennt Lisi, wo sie ist, und freut sich so sehr darüber, daß sie laut jubilirt, sie ist ja bei Groß papa, oben auf dem Schloß! Dort hängt das Bild, da» List kennt, sie hat sich stet» davor gefürchtet; e» ist d«r Himmel und die Hölle drauf gemalt! Der Himmel ist ja sehr schön, so voll von Engelein mit großen Flügeln. Aber die Hölle, oh, die ist schrecklich, lauter Teufel sind da zu sehen und viel rothes Feuer. Lisi wendet sich weg. Horch, da spricht Mama mit dem Großväterchen. Jetzt spricht e r immer zu und nun — nein weint Mama, weint richtig! Ein großer Schrecken malt sich auf dem süßen Gesicht der Vierjährigen. Sie ist mit Eile über da» Gitter geklettert und läuft mit nackten Füßchen zur Thür. Dort bleibt sie stehen und wagt nicht, aufzuklinken. Da, ein neue» Schluchzen —, und in der offenen Thür steht die kleine List und ruft jammernd: „Mama!" Im Nu springt die junge Frau auf, wirft ihr Taschentuch weg und kniet neben der Kindergrstakt hin, sie fest an sich pressend. „Mein Herzenskind!" Es ist, al» wolle Frau Annemarie jede Frage des Kindes mit Küssen ersticken, al» wolle sie e» um Alle» in der Welt verhllten,«daß die Kleine fritge nach, nach . . . Ein banger Seufzer kommt von ihren Lippen. Annemarie hebt ihr Kind auf den Arm, ruft dem Vater zu: „Wir sagen Dir Guten Morgen, wenn wir frisch gewaschen sind, gelt, kleines Leben." „Mama", sagt Lisi beruhigt und läßt den Seifenschaum über sich ergehen, „Mama, wo ist denn . . . ." „Horch, die Kuckucksuhr, Lisi, kennst Du sie noch? Kuckuck, Kuckuck!" ' Die Kleine lauscht, dann will sie wieder fragen, sagt aber blos: „Mama, Du rumpelst aber!" Um die blassen Lippen, um die ein Zug lange getragenen Leides liegt, fliegt ein mattes Lächeln. E» ist ja auch thöricht, was sie da thut. Mein Gott, die Frage mußja immer wieder kehren: wo ist Papa? wo ist Maria? Und die Antwort muß dem Kinde werden: sie sind daheim, und wir sind fort! Frau Annemarie kämmt die kurzen Haare Lisi's, zieht ihr da» Kleidchen an, legt die weiße Schürze darüber und geht mit der Kleinen an der Hand in das Wohnzimmer. „Guten Morgen, Großpapa!" Da klettert die lebendige, immer vergnügte Lisi auf das Sofa und umhalst den alten Herrn mit dem weißen Haar. Er küßt den rosigen Kindermund zärtlich und tauscht einen innigen Blick mit seiner Tochter. „Bleiben wir lange bei Dir, Großpapa?" fragt Lisi. Statt aller Antwort fragt er: „Möchtest Du immer hier bleiben, mit Mama?" Die Kleine besinnt sich nicht, ruft sogleich: „Ach ja! Aber —" setzt sie nachdenklich hinzu, „nur, wenn Papa und Maria auch Herkommen!" Plötzlich legt sie die angrbissene Semmel hin und weint bitterlich, dabei rufend: „Wo ist denn- mein Papa?" Furchtbare Anklage au» Kindermund! „Er ist mit Maria zu Hause, mein Liselchen, und — und er kommt später und holt Dich und di« Mama!" sagt der alte Herr und sieht seine Tochter nicht an. Die Kleine beruhigt sich bei dieser Aussicht, sagt noch: „Aber bald!" und trinkt ihre Milch. Wie oft seit ihrer Verheiratung, seit sieben Jahren also, ist Annemarie hier bei ihrem Vater gewesen, eine glückliche junge Frau. Die Mutter, die wenige Wochen nach ihre» einzigen Kinde» Geburt starb, konnte sich am Glück der Tochter nicht mehr freuen. Um so inniger gestaltete sich da» Verhältnis zwischen dem verwittweten Mann und seiner Tochter. Annemarie'» Vater bewohnte al» Amtsrichter einen Theil de» Schlosse», dessen herrschaftlich« Räume nur selten auf einige Lage benutzt worden. In dem stillen Schloßgarten hatte die kleine Annemarie ihre Sommer verlebt, später tunmeltrn sich ihre eigenen Kinder da. ES war für die junge Frau stets eine glückliche Zeit, die sie in den trauten Räumen de» alters grauen Schlosse» -ubrachte, in innigem Zusammenleben mit dem Vater. Ihr Mann hielt e» vor Sehnsucht nach Weib und Kind selten lange au», er überließ seine Fabrik bewährten Händen und kam. Nun erst war Annemarie'» Glück voll. Sie wanderte am Arm ihre» Manne» durch dir Berge, di« Kinder spielten daheim unter sicherem Schutz oder sie liefen jubelnd neben den Eltern her. Warrn da» herrliche Stunden gewesen! E» hatte keine glücklichere Menschen gegeben als Annemarie, Fritz und den alten Vater. Dieser hatte, als sein Kind sich vermählte, der Zukunft bange entgegengesehen, seine Annemarie war verwöhnt, verwöhnt als kleine Schloßherrin, als einziges Kind, als selbstständige» Mädchen, dem man zu Liebe gethan hatte, was man ihm an den Augen absehen konnte. Wird sie den Täuschungen, die in jeder Ehe kommen, gewachsen sein? Wird sie so glücklich bleiben, wie sie war, als man ihr den Brautkranz in das blonde Haar legte? Sie ist als Beamtentochter aufgewachsen, wird sie sich in den kaufmännischen Kreisen wohlfühlen? Da hatte das Vaterherz sich gesorgt; jeden Brief, der die zierliche Schrift Anne marie'» zeigte, hatte er mit Bangen geöffnet. Gottlob, sie hatten alle von Glück geathmet, diese Briefe au» dem schönen Heim der großen Stadt, in der sein Kind lebte. „Ich habe den besten Mann und drn besten Vater!" so schrieb die junge Frau. Al» Maria ihre dunklen Kinderaugen öffnete, gewann das Glück noch eine neue Seite. „Wenn Mama da» erlebt hätte!" war da oft in ihren Briefen zu lesen. Dann — al» der Frühling seine Dlüthen über die Welt schüttete — war Annemarie plötzlich mit ihren Kindern bei dem überraschten Vater angekommen. Ihr Gesicht zeigte eine nervöse Unruhe, ihre Augen sahen verweint au». Sie habe schreckliche Sehnsucht nach dem Vater, der Heimath gehabt, hatte sie am Hal» de» alten Mannes diesem leise zugefküstert. Ihm war unsäglich Weh um» Herz. Es rüttelte etwas am Glück der Tochter, das er fest gewähnt hotte bi» an da» End« ihrer Tage! „Weiß Fritz, daß Du . . ." fragte er halblaut zurück. Annemarie nickte und sagte: „Er hat mich auf zwei Wochen freigegeben, damit ich gesund« in der H«imath»luft, wie er meinte!" Annemarie hatte bitter aufgelacht. Und später, am Abend, al» die zwei kleinen Mädchen schliefen, war die Stunde gekommen, wo die junge Frau dem Vater ihr Herz ausschüttete. „Kein Licht!" hatte sie gebeten, al» der Vater die Lampe an zünden wollte. Er streichelt« im Vorbeigehen zärtlich ihr Haupt. Da haschte sie nach seiner Hand und legte ihr thränen- feuchteS Gesicht darauf. Sein arme» Kind! Durch da» große hohe Gemach mit den alterthümlichen Möbeln, den vergilbten Bildern an der Wand, waren die Schatten breiter und breiter gehuscht, während draußen di« Frühlings nacht über die Welt sank. „Fritz ist mir nicht treu!" Wie ein Aufschrei klang e». Unfaßbar waren diese Worte dem alten Mann. Sein arme» Kind betrogen? „Wie bist Du zu so furchtbarem Verdacht gekommen, Anne marie?" Sic erzählte Alles, wie Fritz des Abends zu einer bestimmten Stunde auszugehen angefangen habe, was ihr am Anfang ganz unverdächtig erschienen war. Er steckte den ganzen Tag über in den Räumen der Fabrik, trug die Last der Verantwortung auf seinen Schultern, so mochte er sich im Kreis gleichgesinnter Freunde beim Schoppen Bier erholen. Annemarie gehörte nicht zu den Frauen, die es ihren Männern verübeln, wenn sie ihre „Freuden im Wirthshaus suchen". Sie fand es sehr richtig, daß sie seinem geistigen Bedürfniß nicht immer genügen könne, daß er Unterhaltung mit Männern brauche. Aber dann war ihr aufgefallen, daß er es mehrmals sichtlich erschrocken ablehnte, wenn sie ihn ein Stück des Weges begleiten wollte, daß er ernst und nichts weniger als angeregt hrimkam. Und einmal hatte er nach „armen Leuten" gerochen, so nach Moder. Annemarie hatte geschaudert; sie hatte einen wahren Hunger nach Schönheit. Nur nichts Häßliches sehen. Wo mochte Fritz hingehen, wo diese Abendstunden verbringen? Annemarie war ihm einmal heimlich nachgeschlichen. Aber er mußte ihre Nähe gefühlt haben, Plötzlich war er in einen der an jenem Platz haltenden Wagen gestiegen und davongefahren. Und da hatte sie es ihm endlich ins Gesicht geschleudert: „Du hintergehst mich!" Er war wie von einem Schlag getroffen worden, dann hatte er mit einer Milde und mit einer Stimme, die Annemarie ins Innerste ge drungen war, gesagt: „Geh ein paar Wochen in die Heimath, zum Vater, mein Kind, und werde mir dort gesund!" „Dahinter steckt ein Geheimniß!" hatte der Vater gesagt, und die junge Frau hatte diesen Ausspruch zu ihren Gunsten ge deutet und gerufen: „Nicht wahr? Ein niederes Geheimniß! Aber ich werde dahinterkommen! Oh, er wird jetzt vorsichtig sein!" „Soll ich ihm schreiben oder zu ihm fahren?" fragte der Vater. „Nein, nein!" hatte Annemarie abgewehrt, „ich werde das allein durchkämpfen!" Der Sommer war vorübergegangen, Annemarie schrieb be ruhigter, ihr Mann umgab sie mit der größten Liebe. Schon oft hatte sie sich geschämt über die häßlichen Worte, die sie ihm gesagt hatte. Der Herbst kam, und jetzt war Weihnachten vor der Thür. Es schneite. Der Marktplatz vor dem alten Schloß war weiß, die Dächer weiß und in den Bergen wehte der Wind den Schnee fußhoch. Da, gestern Abend, war Annemarie wieder angekommen, mit dem schlafenden Kind auf dem Arm.
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