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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.08.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-14
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030814019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903081401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903081401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-14
- Monat1903-08
- Jahr1903
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Anzrigen-PreiS die 6 gespaltene Petttzeile LS Reklamen unter de« Redaktionsstrich sL gespalten) 7S vor den Fannltennach- richten (S gespalten) SO Dabellarischer und Ziffrrnsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuanaahm, 25 L, (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt^ an» mit ser Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürdernu, SO.—» «it Postdefärderung 70.—^ Anuahmeschluß für Auzrigeu: Adend-Au-gab«: Vormittags 10 Uhr. Morge,»Ausgabe: Nachmittag» L Uhr, Anzeige« sind stet» an di« Expedition zu richten. Di» Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Ude. Druck und Verlag voa L Bolz in Leipzig. Nr. 41V. Freitag den 14. August 1903. 97. Jahrgang. Ausländer in Deutschland und Deutsche im Ausland. ES wurde vor einiger Zett in der Presse mitgeteilt, im reichsstatistischen Amte werde «ine Statistik über die im Auslande leben den Deutschen, sowie über die im Deut schen Reiche lebenden Ausländer vor bereitet. Diese Meldung kann nicht ganz zutreffend fein, denn die Zahl der im Deutschen Reiche lebenden Aus- länber ist bet der Bolkszählung vom 1. Dezember 1900 genau fcstgestellt worden. Danach lebten im Deutschen Reiche insgesamt rund 779 000 Ausländer, und zwar 871 000 Ocsterreicher, 88 000 Holländer, 70 000 Italiener, 55 000 Schweizer, 47 000 Russen, 26 000 Dänen, 20 000 Franzosen, 20 000 Ungarn, 18 000 Nordamerikaner, 16 000 Engländer, 13 000 Luxemburger, 12 000 Belgier, 10 000 Schweden, 8000 Norweger, 1600 Rumänen, 1500 Türken, 800 Spanier, 400 Serben, 400 Griechen, 200 Bulgaren, 200 Portugiesen, 200 Mexikaner usw. Dagegen fehlte es bisher an zuverlässigen Angaben über die im AuSlanbe lebenden deutschen Reichs angehörigen. Statistische Erhebungen darüber wären von großem Werte und erscheinen geradezu geboten als unentbehrliche Vorarbeit für die bereits seit längerer Zeit angekündigte Novelle zu dem deutschen Reichsgesetze über Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870. Allseitig ist dieses Gesetz als reform bedürftig anerkannt worden. Insbesondere handelt es sich um die Beseitigung der Bestimmung, wonach der deutsche Neichsangehörigc nach zehnjährigem ununter brochenem Aufenthalte im AuSlande seine Reichs angehörigkeit ohne weiteres verliert, wenn er sich nicht bet dem zuständigen deutschen Konsul eintragen läßt. Im AuSlande leben mehr Reichsdeutsche als Aus länder im Reiche. Beschränkt man sich bei den statistischen Ermittelungen auf die deutschen Reichsangehörigen, so wird das Ergebnis voraussichtlich hinter -en bisherigen Annahmen Zurückbleiben. Es empfiehlt sich jedenfalls, nicht nur die Reichsangehörigen, sondern auch die Reichs gebürtigen zu berücksichtigen und außerdem in exotischen Ländern auch diejenigen Deutschen, die nicht ReichS- gcbürtige und nicht NcichSangehörige sind, wohl aber als Nachkommen dieser Gruppen den deutschen Ansiedelungen und Kreisen angehören und eine andere Staats angehörigkeit entweder überhaupt nicht oder nur zwangs weise angenommen haben. Nach verschiedenen Ermittelungen und Schätzungen, zu meist in den betreffenden fremden Staaten selbst, dürften im Auslande 3f/s—4 Millionen deutsche NcichSangehörige und Reichögebürttge leben, und zwar etwa 2,8 Millionen in der nordamerikanischen Union. 150 000 in Großbritan nien und seinen Kolonien. 120 000 in Oesterreich.Ungarn, 112 000 in der Schweiz, 100 000 in Rußland und Polen, SO 000 in Frankreich, 40 000 in Belgien, 30 000 in Holland und 50 000 in Brasilien. Mehr oder minder erheblich ist die Zahl der Reichsdeutschen in den übrigen europäischen Staaten, ferner in Argentinien, in den anderen mittel- und südamerikanischen Republiken und in den nichtbriti schen Teilen Afrikas und Asiens. Im Auslände sollte Reichsgebürtigkeit mit Reichs angehörigkeit gleichbedeutend sein. Das haben die größe ren Kulturstaaten durch ihre Gesetzgebung erreicht und dieses Verhältnis muß auch das Deutsche Reich durch ent- sprechende Abänderung seines Gesetzes über Erwerb oder Verlust der Staatsangehörigkeit Herstellen. Eine Ausnahmestellung wird freilich die nordamerikanische Union einnehmen. Dort ist die Zahl der Reichsgebürti gen am größten) aber auch dort gilt das Gesagte von der Zahl derjenigen Deutschen, die noch nicht zehn Jahre in der Union leben, also die deutsche Reichsangehörigkeit noch nicht verloren haben. Allein die Deutschen in der nord amerikanischen Union sind als Angehörige des Deutschen Reiches nur noch formell anzusehen. Tatsächlich sind sie ihm verloren gegangen, und wenn die Auswanderung nach der Union sich fernerhin in engeren Grenzen hält, dann wird es in der Union zwar noch viele Reichsgebürtige, aber nur verhältnismäßig wenige Reichsangehörige geben und auch diese wenigen ReichSangehörigen betrachten sich selbst nicht mehr als solche. Die Zahl der deutschen Reichs gebürtigen und Reichsangehörigen im Auslande, die im Reichsverband geblieben sind oder bleiben wollen, dürfte sich vermutlich, wenn man die Deutschamerikaner in Ab zug bringt, auf über 1 Million Köpfe belaufen. Deutsches Reich. 6. H. Berlin, 13. August. (Die Aerzte und Apo theken in Preußen.) Nach der soeben von der Medizinal abteilung ve- Kultusministeriums beendigten Zusammen stellung waren im Jahre 1901 in Preußen 17 097 Aeizie, 1099 Zahvärrte, 3209 Apotheken und 20 000 Hebammen voihanden. Cbarlottenburg ist am gesegnetsten nm Aerzten; dort kommt auf 483 Einwohner 1 Arzt, oder auf 10 000 Einwohner 20,71 Aerzte; hinter Charlotten- burg rangiert Schöneberg mit 1 Arzi auf 658 Einwobner oder mit 15,19 Aerzten auf 10 000 Einwobner. An dritter Stelle befindet sit> Berlin mit 1 Arrt auf 790 Einwohner oder mit 12,67 Aeriten auf 10 000 Einwohner. Bon den Stadtkreisen um Berlin ist Rixvvrf mit Aerzten recht schlecht versorgt; dort kommt erst 1 Arzt auf 2588 Seelen oder 3,86 Arrue aus 10 000. Hinter Berlin kommt der Regierungsbezirk Wiesbaden, wir treffen dort auf 1157 Seelen 1 Arzt oder auf 10 000 8,65; die Reg erungSbezirke Aurich mit 1 Arzt auf 1272 Seelen und Köln mit 1 Arzt auf 1381 Seelen sind die nächsten. Am schlechtesten mit Aerzten ist der Regierung«' bezirk Gumbinnen bestellt (1 Arzt auf 4301 Seelen); es folgt Cöelin (1 Arzt aus 3924 Seelen), dann Oppeln (1 Arzt auf 3843 Seelen) und Marienwerder (1 Arzt au, 3761 Seelen). Auf 10 763 Seelen kommt in Preußen im Durchschnitte eine Apotoeke, in Berlin auf 11 387. Am reichlichsten mit Apotheken ist Sigmaringen versehen, auf 6076 Seelen kommt dort schon eine Apotheke; e» folgt Aurich mit 6162 Seelen, O-nabrtick mit 6855 Seelen, Kassel mu 7130. Stralsund mu 7734. Am schlimmsten steht e« nut den Apotheken im Regie, ung-bezirke Oppeln, dort kommt auf 17 102 Seelen eine Apotheke, eS folgt Rixvorf auf 15 096 Seelen eine Apotheke; alSbann kommt der Regierungsbezirk Gumbinnen (14 830 Seelen), Bromberg (14 084), Köslin (14 010). Im großen und ganzen zeigt die Statistik, daß ur armen Gegenden die Aerzte und dir Apotheken viel seltener als in reichen sind; die reichste Stadt Deutschlands, Charlottenburg, hat auch die meisten Aerzte. * Berlin, 13. August. Die Besetzung unserer aus wärtigen Stationen hält die „Nat.-Ztg." für unzu reichend; sie schreibt: Die ostafrikanische Station ist schon seit einer Reihe von Jahren unbesetzt; die für Liese Station bestimmten kleinen Kreuzer „Bussard" und „Sperber" sind seit den chinesischen Wirren dem Kreuzergeschwader in Ostasien beigegeben. Es heißt, daß nunmehr für den Herbst die ostafrikanische Station wieder besetzt werden wird. Auf der Mittelmeerstation zeig! das kleine Spezialschiff „Loreley" ganz allein die deutsche Kriegeflagge. Bei der wachsen- een Bedeutung, welche u. a. angesichts der Wirren in Makedonien u. s. w. dieser Station zukommt, ist diese maritime deutsche Vertretung doch auch unzulänglich. Die ostameritanische Station ist ja jetzt nut 4 Schiffen („Bineta", „Gazelle", „Falke" und „Panther") versehen, und ter klägliche Zustand, daß Deutschland, wie zur Zeil des spanisch-amerikanischen Krieges, nur durch em Schiff, den kleinen Kreuzer „Geier", vertreten war, ist rum Glück bejeitigt; trotzdem ist angesichts der so langgestreckten amerikaniichen Küsten und der großen wirtschaftlichen Inte, essen, die für Deutschland in Amerika auf tem Spiel stehen, diese maritime Ver tretung ungenügend. Der „Panther" ist zudem nur ein lchwacheS, 13 Seemeilen laufendes Kanonenboot von 900 To. und für ernstere Aktionen und giößere Repräsentationen wenig geeignet. Es dürfte im Herbst noch rin >chnrllfabrru- der Kreuzer nach Amerika gehen. An eine Verringerung drS Kreuzergeschwaders in Oliasien ist voiläusig nicht zu denken. Unter Kreuzermaierlat im Inland kann natürlich auch nicht chne weitere« verringert werden, soll die Manövrierfähigkeit der Flotte nicht illusorisch gemacht werten. * Berlin, 18. August. (Die Franzosen und der Abrüstungsgedanke.) Einen eigentümlichen und kaum ernst zu nehmenden Vorschlag hat bekanntlich der französische Abgeordnete und Be richterstatter über -en Mtlttäretat Messimy in Beziehung auf Verminderung der Heeres- kosten gemacht. Der Abgeordnete geht davon aus, daß Frankreich nunmehr die Grenzen seiner Leistungs fähigkeit an Geld und Menschen überschritten habe, und daß die Ausgaben für das Heer in hergebrachter Weise nicht fortschreiten dürften. Mit einem Fedcrzug ver mindert er die Friedensstärke um 100 000 Mann und macht hierdurch eine Ersparnis von gegen 64 Millionen im Jahre. Es ist kein Zweifel, daß die Vorschläge des Abgeordneten, welcher sich als Reorganisator von Krank- reich fühlt, von der Kammer verworfen werden; trotzdem bleibt es wichtig, zu sehen, in welcher Weise das dem französischen Kriegsministerium nahestehende Fachblatt „La France militaire" zu den Vorschlägen des Abgeord neten Stellung nimmt. Hier heißt eS in der Nummer vom 25. v. M.: „Wenn dereinst ein Krieg auSbricht, so handelt es sich nicht darum, mehr oder weniger die Ehre des Landes zu retten, son dern darum, dem Feinde unseren Willen aufzuzwingen und nicht dem Willen des Feindes zu unterliegen, und deshalb müssen wir so stark wie möglich an Zahl sein. Wir haben einem ernsthaften Kampfe mit Deutschland entgegenzusehen, nicht aus Chauvinismus, sondern weil alle unsere Interessen auf dem Kontinent wie in den Kolonien denen Deutschlands cntgegenstehen. Auch mit England steht unS ein Zusammenstoß bevor, weil unsere ökonomischen Interessen denen Englands entgegenstehen. Wir können nicht neutral bleiben, und des halb muß unsere Heeresorganisation unS in den Stand setzen, einen glücklichen Krieg gegen Deutschland wie gegen England führen zu können. Wenn unsere Mittel ein starkes Heer nicht erlauben, dann kommen wir den Ereignissen zuvor, anstatt uns durch dieselben überraschen zu lassen. Das Beispiel Deutsch lands 1870 hat bewiesen, daß man immer einen Grund zum Kriege finden kann. Wie Bonaparte im Jahre 1796 zu seinen Soldaten sagte: „Ihr seid schlecht genährt und schlecht gekleidet, die Regierung schuldet euch viel und kann euch nichts geben, ich führe euch in fruchtbare Länder mit reichen Städten, wo ihr Ehre, Ruhm und Reichtümer finden werdet", so werden einst die Abgeordneten den Franzosen von heute sagen: „Ihr seid von Steuern erdrückt und tragt schwerer als andere Völker an der Blutsteuer. All dies nur, weil eure Väter vor 30 Jahren sich haben besiegen lassen. Seither sind unsere Gegner im vollen Reichtum, und dies muß anders werden. Wir sind so stark wie die Gegner, unsere Generale sind so gut wie die der Gegner, nehmen wir, was sie unS genommen haben, und lassen wir durch sie unsere Schulden bezahlen. Nach dem Siege wird man die Steuern vermindern, vor allem die Blut steuer, unser Handel wird blühen, und wir werden reich werden durch fremdes Geld. Die Franzosen von heute, so heißt es dann weiter, sind so viels wert wie die von früher; wenn sie schlafen, so haben wir Tamboure, um sie zu wecken, und dies wird besser sein, als die einschläfernden Schriften der Friedens freunde, welche. Wenn es zu spät sein wird, durch den Donner der Kanonen aus ihren Träumen geweckt werden. Die Opfer, welche ein Volk seiner Heeresorganisation bringen muß, stehen im Verhältnis zur Stellung, welche das Volk seinen Nachbarn gegenüber einnehmen will, wenn aber nach Ansicht des Abge ordneten Messimy unser Land nicht mehr im stände ist, diese Mittel zu erschwingen, dann gibt es nur einen siegreichen Krieg, welcher unS von diesen Lasten befreien kann." Woraus die Bedeulung der ja sowie so uur leisen FriedeuSschalmeien klar hervorgeht. (-) Berlin, 13. August. (Telegramm.) Der Kaiser hörte heute vormittag im Neuen Palais bei PotSvam den Borirag d«S Ebes« LeS Miluärkabmett». Zur Mittagstafel waren geladen Reichskanzler Graf v. Bülow und der Chef des C>vilkabinettS v. LucanuS. Vor der Tafel hielt der Reichskanzler dem Kaiser Jmmebiatvortrag. (-) Berlin, 13. August. (Telegramm.) Wie die „Nat.-Zta." hört, hatte der ReichSkaujler Graf v. Bülow beute Morgen eine Besprechung mit ven Ministern v. Rheindaben, v. PodbielSki, v. Hammerstein und Budde. (-) Berlin, 13. August. (Telegramm.) Die „Berl. Korresp." meldet: Der Minister der öffentlichen Arbeiten ordnete anläßlich deS Unglücks auf der Pariser Stadtbahn eine sofortige genaue Untersuchung der Ein richtungen der Berliner Hoch-- und Untergrundbahn darauf- F«rr»lletsn. Ein jährorniger Mann. Skizze von Anton Tschechow. Deutsch von Käthe Treller. tt.'.wruck verboten Ich bin ein ernster Mensch, mein Verstand nimmt oft eine philosophische Richtung an. Von Beruf bin ich Finanzier, studiere das Finanzrecht und schreibe eine Dissertation über: „Die Steuer in der Vergangenheit und Zukunft". Sie werden mir also zugeben, daß ich mit jungen Mädchen, Romanzen und ähnlichem Unsinn nichts zu tun habe. Es ist am Morgen. Die Uhr ist zehn. Meine Mutter schenkt mir eine Tasse Kaffee ein. Nachdem ich getrunken, gehe ich auf den Balkon hinaus und beginne an meiner Dissertation zu arbeiten. Ich nehme einen reinen Bogen, tauche die Feder in die Tinte und schreibe den Titel hin: „Die Steuer in der Vergangenheit und Zukunft". Nun denke ich ein wenig nach und schreibe weiter: „Historische Uebersicht. Nach einigen Andeutungen, die sich bei Hero- dot und Lenophon vorfindcn, stammt die Steuer aus der Zeit... Da höre ich plötzlich höchst verdächtige Schritte. Ich blicke herunter und sehe ein junges Mädchen mit langem Gesicht und langer Taille. Sie heißt, glaub' ich, Nadenjka oder Warcnjka. was übrigens einerlei ist. Sie scheint jemand zu suchen, tut, als bemerke sie mich nicht und singt vor sich bin. Ich lese den Anfang meiner Dissertation durch und will weiterschreibcn, da tut das Mädchen plötzlich, als bemerke sie mich, und ruft mir mit trauriger Stimme zu: ,,Guten Morgen, Nikolai Andrejewitsch! Denken Sie sich, welch ein Unglück ich hatte. Ich verlor beim Spaziergang ein Anhängsel von meinem Armband!" Ich lese zum zweiten Male den Anfang meiner Schrift durch, verbessere die Buchstaben und will weiterfchreiben, da fährt das Mädchen fort: „Nikolai Andrejewitsch! Haben Sie doch die Liebenswürdigkeit und bringen Sie mich nach Haufe. Bet Karelins ist ein Ungetüm von einem Hund, ich fürcht« «ich allein. Was bleibt mir zu tun übrig? Ich lege die Feder bei-. sette und steige hinunter. Nadenjka oder Warenjka hängte I sich an meinen Arm, und wir schlagen die Richtung ihres I Landhauses ein. Wenn ick eine Dame am Arm führen! muß, habe ich stets das Gefühl, als wäre ich ein Haken, an den man einen Pelz gehängt hat. Nadenjka oder Warcnjka hat die Gewohnheit, sich mit der ganzen Schwere ihres Körpers an den Arm zu hängen und sich dabet wie ein Blutegel in die Sette ihres Herrn zu bohren. Wir gehen also. Als wir bei Karelin vorbeigehen, sehe ich einen großen Hund. Ich denke wehmütig an meine angcfangene Arbeit und seufze. „Warum seufzen Sie?" fragte Nadewika oder Warenjka. Ich bin hier meinem Leser eine Aufklärung schuldig. Nadenjka oder Warenjka «jetzt fällt mir ein, daß sie, wenn ich nicht irre, Maschenjka heißt), bildet sich nämlich ein, ich wäre un- glücklich in sie verliebt, und hält es für ihre Menschen pflicht, mich zu bemitleiden und mein krankes Herz zu heilen. „Hören Sie mich an", sagt sie stehen bleibend, „im Namen unserer Freundschaft sag ich Ihnen, daß das Mäd chen, das Sie lieben, Sie hochschätzt, aber Ihre Liebe nicht erwidern kann. Ihr Herz gehört schon lange einem An dern." Und Maschcnjkas Nase rötet sich und schwillt an, ihre Augen füllen sich mit Tränen, sie scheint auf eine Ant- wort zu warten, doch zu meinem Glück sind wir am Ziel. Auf der Veranda des Hauses sitzt Maschcnjkas Mutter, eine gute, aber unbedeutende Frau. Das erregte Gesicht ihrer Tochter streifend, heftet sie einen langen Blick auf mich und seufzt, als wollte sie sagen: „«Ach die Jugend, nicht einmal beherrschen können sie sich!" Außerdem be- finden sich auf der Veranda einige -ellgekleidete Mädchen und mitten unter ihnen mein Nachbar, ein verabschiedeter Offizier, der im letzten Kriege an der linken Schläfe und an der rechten Hüfte verwundet wurde. Dieser Unglück liche hatte, wie ich, die Absicht, diesen Sommer seinen lite rarischen Arbeiten zu widmen; er arbeitet an seinen Memoiren eines Kriegers. Wie ich, geht er jeden Morgen an die Arbeit, kaum hat er jedoch die Worte: „Ich erblickte das Licht der Welt in . . ." zu Papier gebracht, da er- scheint unter seinem Fenster irgend eine Nadenjka ober Warenjka und der verwundete Knecht Gottes wird ent führt. Alle Anwesenden sind mit dem AuSkernen von l Beeren beschäftigt, die zum Stnkochen bestimmt sind. Ich I verbeuge mich und will geben, allein die buntgekleideten I Mädchen umringrn «ich lärmen» und ergreifen meinen Hut, so daß ich mich genötigt sehe, zu bleiben. Ich setze mich. Die Mädchen reden von den Herren ihrer Bekanntschaft: der eine sieht gut aus. der andere ist hübsch aber unsym pathisch, der dritte häßlich aber sympathisch, der vierte wäre nicht übel, wenn seine Nase anders wäre usw. „Die, Monsieur Nikolas", wendet sich die Hausfrau zu mir, „Sic sind nicht hübsch, aber sehr sympathisch. Auf Ihrem Gesicht liegt etwas wie . . . Uebrigens", setzte sie hinzu, „ist beim Manne nicht Schönheit die Hauptsache, sondern Verstand." Die jungen Mädchen senken die Blicke und seufzen. Sie scheinen einverstanden zu sein, daß beim Manne nicht Schönheit, sondern Verstand die Hauptsache sei. Ich schiele zum Spiegel hinüber, um mich zu über zeugen, ob ich wirklich sympathisch bin. „Uebrigens, Nikolas, haben Sie andere moralische Vorzüge." Maschcnjkas Mama seufzte wieder, als ver folge sie einen geheimen Gedattkengang. Maschenjka leidet mit mir und doch scheint eS ihr ein großes Ver gnügen zu bereiten, daß ihr gegenüber ein Mensch sitzk, der unglücklich in sie verliebt ist. Nachdem das Thema über die Männer erschöpft ist, gehen die Mädchen zur Liebe über. Auch über diesen Gegenstand wird lange gesprochen. Da kommt, Gott sei Dank, das Stubenmädchen meiner Mutter und ruft mich zum Mittag. Endlich kann ich die unangenehme Gesellschaft verlassen und meine Arbeit wieder vornehmen. Ich stehe auf und verabschiede mich. Da umringen mich Hausfrau, Warenjka und die hellgekleideten Mädchen und erklären, ich hätte kein Recht fortzugehen, denn ich hätte ja gestern versprochen, mit ihnen zu speisen und nachher mit in den Wald zu kommen, um Pilze zu suchen. Ich verbeuge mich und nehme meinen Platz wieder ein. In meinem Innern kocht es vor Zorn; ich fühle eS, noch eine Minute und ich stehe für nichts, es kommt zum Ausbruch. Allein Höflich, keit und die Furcht, den guten Ton zu verletzen, zwingen mich, den Damen zu gehorchen. Wir gehen zu Tisch. Ich forme Kügelchen aus Brot, denke an meine Schrift Uber die Steuer und meinen jähzornigen Charakter kennend, bemühe ich mich zu schweigen. Warenjka sieht mich mit- leidig an. TS gibt Suppe, Zunge mit Erbsen, gebratenes Huhn mit Kornpot. Ich habe keinen Appetit, esse jedoch auS Höflichkeit. Nach dem Essen, ich stehe äusser Veranda und rauch«, kommt Maschenjka- Mama auf mich -u, drückt mir di« Hand und sagt mit «rstickt«r Stimmer verzweifeln Sie nicht, Nikolas, das ist ein Herz — solch ein Herz!" Wir gehen in den Wald. Warenjka hängt sich an meinen Arm, bohrt sich in meine Seite. Ich leide unsäg lich, ertrage es aber mit Geduld. Endlich sind wir angelangt. „Warum sind Sie so still, so schweigsam ?" fragt Nadenjka seufzend. Welch' eine Frage. Was soll ich denn mit ihr reden? Was gab es gemeinsames zwischen uns? „Nun, so sagen Sie es mir doch", drängte sie. Ich denke nach, um etwas leicht Verständliches zu sagen. Nach einer Pause fang ich an: „Das Lichten der Wälder ist ein großer Nachteil für Rußland . . ." „NikolaS!" hauchte Warenjka, und ihre Nase rötet sich, „ich sehe, Sie suchen eine Aussprache zu vermeiden, Sie wollen sich durch Schweigen rächen. Sie finden keine Gegenliebe und wollen nun einsam und allein ihr Leid tragen — das ist fürchterlich. Nikolas!" ruft sie, indem sie heftig meine Hand ergreift und ihre Nase noch röter wird. „WaS würden Sie sagen, wenn das Mädchen, das Die lieben, Ihnen statt Gegenliebe, ewige Freundschaft ver spricht?" Ich weiß absolut nicht, was ich ihr darauf er widern soll. Erstens, liebe ich überhaupt keine; zweitens, was soll mir ihre ewige Freundschaft? Maschenjka bedeckt das Gesicht mit den Händen und spricht leise vor sich bin: „Er sckstwcigt - er erwartet, daß ich mich aufopfere, ich kann ihn aber nicht lieben — mein Herz hängt doch an dem andern! Allein — ich werde überlegen — ich will mich sammeln — vielleicht bin ich im stände, mein Glück zu opfern, um diesen vor Verzweiflung zu retten." Ich begreife einfach nichts — ich stehe vor einem Ge heimnis. Wir gehen weiter und suchen Pilze. Niemand spricht. Nadenjkas Gesicht brückt einen Deelenkamps aus. Da erinnere ich mich meiner Dissertation und seufze laut. Zwischen den Bäumen erblicke ich den verwundeten Offi zier. Der Arme hinkt nach beiden Setten, rechts auf dem kranken Bein, links hängt eine« der buntgekleideten Mäd. chen an feinem Arm. Sein Gesicht drückt Ergebenheit auS. Wir gehen nach Hause und trinken Tee; nachher spielen wir Croquct und dann singt eins der buntgckleideten Mädchen eine Romanze: „Nein, du liebst mich nicht!" v«im Worts „nicht" verzieht ff« den Mund von «t»«»
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