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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-20
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940620022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894062002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894062002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-20
- Monat1894-06
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VezrrgS'Preis tztz« H«ptq»»ditioa oder de» im Stadt. t-Nk i»d de» Vororten errichtete» Su». Meftelr» «bgedoll: vierteljährlich 1.50. Ü ztveimaliger räglichrr Zustellung in-: bat 5L0. Dwech die Post bezoqen für lbmtfchlmrd ,»d Oesterreich. vieriei>ädrtick I.—. Dirrcte täglich« Kreuzbandiendung in- tztnsland: mooallich 7.50. r»Norge».L»-gabe erscheint täglich '/,7llhr. die Ibend-An-gab« Woche» tag- b Uhr. ikioctis» Lrpe^itt»» : Aatzm,neS,aß« 8. Velyediti»» ist Woch««tog1 »»»»terbroch«» ,e»ff»«t »«» früh 8 bi» «de»d« 7 Uhr. Filiale». ca, «em« - Lartt». «Alfred llniversitSt-straße 1. L»li- LSsche, A4arinevstr. II, pari, uod K-»ig«»latz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzeigender»» dir 6 gespaltene Petitzeile 2C Mg. Sleclamea »ater dem Rrdactionsstrick i«gn» Kalten» SO^z. vor den Familieaaachnchlea «6 gespalten) 10-^. Gröbere Schriften laut uuferem Preit- «erjeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen «gesalzt», nur mit der Morgen. Ausgabe. ohne PoftdefSrderunz >l 60.—, mit Postbesörderuag ul 7V.—. Aunahmrschluß für Anzeige»: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Marge n»Ausgabe: Nachmittag- «Uhr. Sonn- »nd Festtag- früh '/,S Uhr. Lei den Filialen und Annadmestelle» je eia« halbe Stund« früher. U«zei>ea find stet« a» dir Gz»edttia»' zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig- Mittwoch den 20. Juni 1894. politische Tagesfchau. * Leipzig, 20. Juni. In Nr. 260 der „Kreuzzeitung" veröffentlichte Gras kckbreckt v. Dürckheim, dem wir schon manchen werth- eollen Aussatz über unsere Kriegsmarine verdanke», über tir Nothwcndigkeit eines -crmancute» deutsche» Kreuzer- GeschmaderS einen Artikel, der uns Berbreitung über die Kreise der Leser der „Neuen Preußischen Zeitung" biuauS zu verdienen scheint. Nach dem Flottcnbau- xrogramm vcn l88S sollten bis rum Jahre l8S5 sieben Lreuzer-Corvctlen gebaut werden, so daß unsere Marine am «ante dieses Jahres über zehn derartige große, schnelle, reichützte, gut bewaffnete Kreuzer verfügt hätte. Obschon der Aeichelag jene Programm-Forderung, nachdem die Be- irulunz der betreffenden SchiffSgattnng, insbesondere auch für den Fall eines continentale» Krieges, durch die Marine- rettraltung, sowie durch den damalige» Berichterstatter der Lulzelcoimnission, Abg. Kalle, und andere RcichStagSmit- zlieter darzelcgt worden war, im Princip genehmigte, hat er inzwischen die an ihn herantretenden Emzelsorderungen teinabe sämmllich abgelehnt, so daß wir Ende 1805 statt der in Aussicht genommenen sieben nur eine neue Äreuzer- Eorrclle haben werken. Graf Türckbeim weist nun unter Kezugnabmc auf die vor Kurzem von der Deutschen Colonial- zcsellsckast bei dem Reichstag eingcbrachtc Petition die ikringlichkeit raschen Baues der noch fehlenden sechs Llbifie, vorzüglich wegen des nothwentigen Schutzes unserer überseeischen Interessen, überzeugend nach. Entsprach nach dieser Richtung unser Krcuzerbestand schon im Jahre IM kaum der Stellung deS Reiches, so hat sich das Ver- kältniß jetzt derart verschlimmert, daß daraus die übelsten «folgen für unser Ansehen, unfern auswärtigen Handel, unsere Landsleute in überseeischen Gebieten und unsere coloniale Zulunst erwachsen können. Während die andern Großmächte und selbst kleinere Staaten, deren überseeische Interessen mit hinter denen DeutschjandS zurückstehen, bedeutende yerlschritte machten, sind wir geradezu zurückgegangen, und mußte voriges Jahr wegen Mangels an geeigneten wissen sogar das bis dabin noch bestandene schwache permanente Kreuzer-Geschwader aufgelöst werden. Frankreich ist erwiesener maßen mit seinen Rüstungen über das Maß nickt der finanziellen, wohl aber der persönlichen Leistungsfähigkeit inner Bevölkerung hinauSgegangen, während andererseit- unser Derhältniß zu Rußland sich gebessert hat. Tamil ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges für uns eine weit ge ringere geworden, cS ist daher die Möglichkeit, ini HeereSetat Ersparnisse cintreten zu lasten, gegeben. Möchten dafür bald tii Mittel zur Schaffung eines den beutigen Bedürfnissen inisxrechenden permanenten Kreuzer-Geschwaders gewährt «»den! Wenn im Reichstagswahlkreise Pinneberg die nichtsocial- ttniokralischen Wähler nicht patriotischer und nicht erheblich minder verbissen sind, als ein Thcil ihrer Führer, so geht da- Äandat des Wahlkreises am 25. d. in socialdemokratischen besitz über. Tie „Kreuzzeitung" fährt fort, die conser- rativen Wähler davon zu überzeugen, daß sie von kein führenden Parteiorgane tciuen Borwurs zu be sorgen baden, wenn sie dem nationalliberalen Candi- katen, der so schändlich ist, eine Maraarincsabrik zu be sitzen, eine Niederlage bereiten. Das Central-Counts der sreisinnigen Volkspartei hat beschlossen, den Partei genossen keine Wahlparole zu geben, sondern ihnen zu über lassen, „nach freiem Ermessen" bei der Stichwahl ihr Stimm recht auszuüben. Also auch denjenigen freisinnigen Wählern, die dem socialdemokratisckcn Eandidaten zum Siege verhelfen, wird von vornherein Generalpardon erlheilt. Und waS die Antisemiten betrifft, so fällt auf ihre Führer ein bezeich nendes Licht durch folgende Notiz im „Hamburger Echo": In einem an verschiedene Wähler versandten Circular, unter- zeichnet von dem Bezirkscoinitö des nationalen Wahlvercins in Ottensen, sowie in verschiedenen Zeitungen wurde mngelheilt, daß unter andere» die meisten Führer der Antisemiten sich sreiwitlig angeboten hätten, Herrn Mohr in der Stichwahl zu unterstützen. Diese Angabe ist unrichtig: ein solches Anerbieten ist bis heute von keiner dem Unterzeichneten Wahlausschuß bekannten Person gemacht worden. Der Wahlausschuß der deutsch.soc. «aiitisem.» Partei. Ter Vorsitzende: vr. Peters en. Natürlich schwelgt der „Vorwärts" bereits im Vorgefühle deS Sieges. Warum auch nicht? Treibt der blöde Partei- sanatiSmuS der „Ordnungsparteien" noch ferner so köstliche Blüthen, so wird der „Vorwärts" sammt seinen Hinter männern bald noch andere Früchte als RcichStagSmandate vom Baume schütteln können. Zur Congafrage wird dem „Hamburg. Corr." aus Berlin von anscheinend ossiciöser Seite geschrieben: „In den Ver handlungen Deutschlands mit England ist in den letzten Tagen eine erfreuliche Wendung cingctreten. Von den, Augenblick an, wo man in London die Gewiß- beit erlangt hatte, daß die ReichSregicrung auf ihrer Forderung der vollständigen Aufhebung deS Art. 5 deS Vertrages vom l2. Mai zu bestehen entschlossen sei, bat man freundlichere Saiten ausgezogen, wobei freilich die Be fürchtung, daß cS schließlich doch zu einer Eonseren;, auf der auch die egyptischc Frage in den Kreis der Er örterungen gezogen würde, kommen könne, auch eine Rolle gespielt haben dürste. Deutscherseits ist bisher ein Conferenz- vorschlag nicht gemacht worden. Sobald England und der Eongostaat Deutschland benachrichtigen, daß sic auf die Stipulation deS Artikels 3 dcS Vertrags, wonach der Eongo staat Großbritannien einen 25 üw breiten Landstrich, der sich vom nördlichen Hafen am Tanganyika, ausschließlich dieses Hafens bis zum südlichsten Puncte des Albert Ekward-SceS erstreckt, zur Verwaltung in Pacht giebt, verzichten, tritt für Deutschland auch die Eoiiferenzidee völlig in den Hinter grund. Gegen die weitere Abmachung über den Bau einer Telegrapheniinie zur Verbindung der englischen Besitzungen in Südafrika mit der englischen Einfluß sphäre am Nil ist deutscherseits ein Einspruch nicht erhoben worden. Ob die Anerkennung LeS deutschen Ein spruchs die Verhandlungen Englands mit Frankreich cr- jeichtern oder den Gegensatz zwischen diesen beiden Mächten verschärfen wird, ist schwer zu sagen." — Bestätigt sich diese Meldung, so ist die „erfreuliche Wendung" zu einem nicht geringen Theile aus eine Schwenkung „Deutschlands" zurück- zusühren, daS ursprünglich den ganzen Vertrag vom l2. Mai als principiell unzulässig bezeichnet« und nun seinen Einspruch auf Artikel 3 deS Vertrags beschränkt zu haben scheint. Ob daS wirklich wahr ist und ob wirklich wieder einmal ein Pflock gegen England zurückgestcckt worden ist, wollen wir abwarten. AuS Luxemburg, l6. Juni, wird der „Franks. Ztg." ge schrieben: Zu Schloß Berg wurde heute in Gegenwart nur weniger Personen die am 14. geborene Tochter deS Erb- großherzogS von Luxemburg durch den Torfgeistlichen ohne jeden Pomp katholisch getauft. Die Großeltern des Täuflings sind dem Acte fern geblieben. Wenn man schon bei der vorjährigen Vermählung des protestantischen Erbgroß- herzogS mit einer katholischen Prinzessin in gewissen Kreisen die Befürchtung aussprach, daß das altprotestantischc Fürsten haus Nassau auf solche Weise zur katholischen Religion zurückgesührt werden könne, so wird durch die jetzige Taufe zene Besorgniß fast zur Gewißheit. Ausfallen muß immerhin die demonstrative Art, wie der Großberzog und die Groß- herzogin durch ihr Fernbleiben gegen jene Taufe protestirc» und so eeullich ihre Mißbilligung vor dem ganzen Land kundgeben. Die Ehe deS ErbgroßherzogS ist eine Neigungsheirath. Nachdem daS nassauische Fürstenhaus durch die Ereignisse von 1866 dem Boden seiner alten Heimath entrückt war, suchte eS sein Glück in einem stillen Familien- lcben, im fernen bayerischen GebirgSland. Dort begegnete der einzige Sohn und Erbe im benachbarten Schlosse deS volkSthümlickcn Herzogs Karl von Bayern jener Prinzessin, die unsere Erbgroßkcrzogin werden sollte. Man sagt, daß seit Iakren schon eine gegenseitige Neigung bestand, die endlich alle Schwierigkeiten dcS religiösen Zwiespaltes zu überwinden wußte. Unter welchen Bedingungen, da- hüllt sich noch heute in ein Gehcimniß, und die letzten Vorgänge erscheinen um so räthselbaster, als der Erbgroß herzog seinen Glauben al» eifriger Besucher der protestantischen Kirche jetzt mehr als je bekennt. Wohl hat die katholische Kirche durch die jüngste Taufe in Berg einen neuen Sieg errungen. Aber diese verstoblcne Art deS Siege- und dieser deutliche Protest deS GroßherzogS lassen dock Zweifel übrig, die Len protestantischen Gefühlen einige Hoffnung für ihre Sache geben müssen. Bekanntlich hat der spanische Ministerpräsident Sagasta vor einigen Tagen im Senat die Erklärung ab gegeben, daß er aus der Annahme dcS Handelsvertrages mit Deutschland eine CabinetSfrage mache. Er wolle entweder mit seinem Eabinct zurücktretcn oder die EorteS auslöscn, falls der Handelsvertrag abgelcbnt würde. Daraufhin bat am Montag, wie mitgetbcilt wurde, der Senat dem Cabinel Sagasta — man erinnert sich, daß auch der Minister dcS Aus wärtigen Morct sich mit großem Nachdruck für die Handels verträge. speciell den mit Deutschland ausgesprochen bat — mit 127 gegen 72 Stimmen sein Bertrauen votirt. Wollte man aber annehmen, daß der Senat damit aus seine bis herige Opposition gegen die Handelsverträge verzichtet habe, so dürfte man sich täuschen. Obwohl die Handelsvertrags politik in den gewerblichen und kaufmännischen Kreijen Spaniens viele Anhänger bat, sind noch durchaus keine An zeichen vorhanden, daß der Senat gewillt sei, darauf Rücksicht zu nehmen. Die liberale Regierung soll einer conservativen Platz machen, und die Handels verträge sind das Hindcrniß, über welches sie stürzen soll — daher die conseqncnle conservative Obstruction. Was jene Kundgebung für die Regierung veranlaßt hat, war lediglich die Rücksicht auf die gegenwärtige Lage, die mit Rücksicht auf die Budgetfraze und die Marokko-Angelegenheit nicht besonder« ünstig ist für den Antritt der Erbschaft Sagasta'S. Zudem at in der conservativen Partei kürzlich eine Secession unter Führung Silvela'S stattgesunden, und so ist die Offcnsivkraft der Opposition nicht gerade schlagbereit. DaS allein sind die beiden Gründe für die Kammer, Sagasta augenblicklich höflich zu behandeln und eine Ministcrkrisc zu vermeiden. Aber auch, wenn eS zu einer solchen kommen, und der ProtectioniSniuS siegen sollte, wird man sich in Deutschland nicht sonderlich erregen, da man den Handelsvertrag mit Spanien bereits seit Wochen zu den abgethancn Dingen gelegt hat. AuS Marokko liege» Nachrichten vor, die, wenn man ihnen trauen kann, auf einen friedlichen Verlauf der Erb- solgeanzclegenheit schließen lassen. Danach sei in Tanger nicht nur, sondern auch in Fez die Proclamirung Abt-ul- Aziz' zum Sultan verlesen und günstig ausgenommen worden, die Brüder seines BaterS, wie sein eigener, der derzeitige Ehalifa von Fez, hätten denselben aner kannt und auch die Gesandten England-, Frankreichs u»d Spaniens seien von ihren Regierungen angewiesen worden, mit der Anerkennung deS neuen Sultans nicht mehr zurück- zubalten und demselben in Rabat ihre Auswartung zu mache». Ob die Nachrichten auS dem Innern Marokko« sich bestätigen, muß zunächst abgewartcr werden, verdächtig sind sie dadurch, daß sie alle über Tanger kommen, wo der dem jungen Herrscher ergebene Minister des jAeußern, cl TorcS, seinen Sitz hat und zwciselloS alle ungünstigen Meldungen unterdrückt. ES darf daher nicht über raschen, wenn nach Verlauf einer Ruhepause, während welcher die einzelnen Thronprätendcntcn ihre Anhänger gesammelt haben können, wieder kriegerische Nach richten auS Marokko kommen Wenn eS sich bestätigt, daß England, Frankreich und Spanien Abd nl-Aziz bereits anerkannt haben, so stimmt daS schlecht mit dem anfangs von allen Seiten empfohlenen gemeinsamen Vorgehen der euro päischen Mächte. Italic» bat noch ernste Bedenken gegen eine eilfertige Stellungnahme zur Thronfolge- fragc, und die anderen Mächte, darunter Deutschland, beobachten noch völlige Zurückhaltung. Abd-nl-Aziz hat inzwischen eine Tbat der Klugbcit vollführt, indem er seinen Oben» Mulci ISmael, den von Mulei Hassan abgesetzten Ehalisa von Fez, wieder in sein Amt eingesetzt und sich dadurch seiner Unterstützung versichert bat. Allerdings hat der Sultan damit seinen Bruder Mulci Omar, der auS dem Amte weiche» mußte, zum Feinde ge macht, aber Mulci ISmacl'S Ansehen und Anhang ist ungleich größer als der Mulci Omar'S, er ist der Liebling der fanatischen Fezaner und der zahlreichen religiösen Brüder schaften und somit eine Hauptstütze deS neuen Herrscher-. Vielleicht wird dieser sich auch Spanien gegenüber klug und dankbar erweisen, indem er die AiiSfvlgung der ersten Ent- schädiguiigSratc von 5 Millionen Peseta- anordnet, die nach einer Madrider Meldung Ibatsächlich in Mazagan bereit liege» solle», aber nicht vor Eingang der erforderlichen Befehle des neue» Sultans cmSgcliesert werden dürfen. — Wenn gemeldet wird, Abdul-Aziz befände sich bereits in Fe; oder dock in der Näbe, so ist daS falsch. Der junge Sultan beabsichtigte, daS „Große Fest" «Aid-el-Kcbir) now in Rabat zu begebe». Dieses Fest aber bat erst am l l.Iuni begonnen, Abd-nl-Aziz lann also kaum vor dem 18. Juni nach Fez ausgcbrochcn sein, und der Marsch des Heeres von Rabat über MekineS nach Fez dürste günstigstenfalls 8 biö 10 Tage, wahrscheinlich aber noch längere Zeit erfordern. Meldungen russischer Blätter zufolge bat der Justiz- minister Murawjcw bei der Eröffnung der Gc- schwornengerichte in PetrosawodSk eine politische Rede gehalten, in der er die Wohlthalen der 1864 er Justiz- reformcn Kaiser Alexander s II. pries und die Beibehaltung derselben für die Zukunft empfahl. DaS ganze Olonctz Gebiet, sowie die Gouvernements Usiin und Orenburg waren seltsamer Weise bis jetzt von den Segnungen der Sudcbnyjc Ustawy von 1861 ausgenommen. In diesen Ortschaften herrschten bis jetzt die alten Iustizzustände mit allen ikrc» Gebrechen. Iuslizminister Murawjcw war cs bcschiebcn, diesen Zuständen ein Ende zu machen, indem er nun die Einführung deS öffentlichen Gerichtsverfahren- und der Sudebimje Ustawy von 1864 durchsetzte. Diese Tbat- sache allein hätte genügt, um jede Besorgniß der russischen Faiiilletsii. Die alle gute Heil. Eine Erzählung auS Niedersachsen von Greg. Sam arow. 1j Nachdruck »erboten. «Fortsetzung.» Ein alter Diener mit grauem Haar und in grauer HauSlioree kam bei dem Schall der Tbürglocke au- seinem Leiienzinimer, ebenso würdig und selbstbewußt wie der AmtSrogt. Als er den Namen deS jungen Mannes hörte, verbeugte er sich »nd schritt die Treppe herauf voran, um, nachdem Hilmar nur einen Augenblick auf dem breiten bolzgetäfclten, mit Geweihen und Rebkronen geschmückten Flur gewartet batte, die Tbür zu den Wohnzimmern zu öffnen. Alle- war bier mit altfränkischer Gediegenheit auSge- sirttet, Bilder von alten Damen und Herren dingen an den Wäntc», schneeweiße Vorbänge verhüllten wenig die spiegel- bellen Fenster, schwere Tische mit messingnen Löwcnsützen und Eichenslüble mit Koben Lebnen, Spiegel in schweren iliabmcn von dunklem Holz bildeten da- Mobiliar. Der Oberamtmann trat seinem Besuch in dem ersten Zimmen entgegen. Tie Erscheinung deS sechzigjärigen ManneS paßte voll- lemmen zu der ganzen Umgebung; seine Gestalt war hoch mit kräftig, seine Haltung und seine Bewegung noch jugend lich elastisch, sein graue- kurzgelockteS Haar umfloß voll und tickt die breite Stirn. Die vorspringende Nase und daS relle kräftige, au« der schneeweißen Halsbinde bervorspringende Kinn ließen aus energische Willenskraft schließen; dir grauen klaren Augen blickten frei, sicher und selbstbewußt, sie schienen zuvölmt, «ich nicht leicht nicberzuschlagen und für den Wink ibre- Blicks Gcborsam zu fordern, Labei aber blitzte auS dnen muntere fröhliche Lebenslust und eine gelvisse Schalkbcit derror, und die vollen Lippen schienen ebenso gemacht für deitere Scherzworte wie für kurze und scharfe Befehle, rein Gesicht war bi- aus einen schmalen grauen Backenbart zlatt rasirt und batte frische, fast jugendlich zarte Farben. Er trug einen beqi emen Hau-rock und bis über die Knie biiaofreichende Stiesel, wie cS zu jener Zeit bei älteren Herren ncch Sitte war, und trat dem jungen Mann mit »sie»« »nd herzlicher Freundlichkeit e»t>egen. Während er ihm die Hand drückte, musterte er ihn mit dem scharfen Blick seine« klaren AugeS und schien mit der Er scheinung seine« neuen Untergebenen zufrieden zu sein. Mit dem Ausdruck aufrichtigen Wohlwollens sagte er: „ES freut mich aufrichtig, Herr Auditor von Bergholz, daß Sie meinem Amt zugetheilt sind — ich werbe Alles tbun, um Ihnen den Aufenthalt hier angenehm zu machen. Viele Zer streuungen werden Sie hier zwar nicht finden — Sie sind weit gereist und an daS Leben der großen Welt gewöhnt, dafür kann Ihnen unsere stille Einsamkeit wenig Ersatz bieten, aber Gelegenheit, etwas Tüchtiges zu lernen, daS Ihnen auf Ihrem LebenSwetzc von großem Nutzen sein kann, sinder sich hier genug, und ich bis gewiß, daß Sic dieselbe eifrig benutzen werben." „Gewiß, Herr Oberamtmann", sagte Hilmar, der von der Persönlichkeit seine- neuen EbesS sich außerordentlich angenehm berührt süblte, „eS wird mein ernste- Bestreben sein, mir Ihre Zufriedenheit zu erwerben." „Dies wird Ihnen leicht werden, lieber Herr von Berg holz, wenn Sie die Arbeit nicht scheuen und sich Mühe geben, die Bedürfnisse deS BolkeS, da- wir zu regieren haben, zu verstehen und neben dem juristischen Formkram dem gesunden Menschenverstände sein Recht lassen — wir sind keine Duck mäuser und Trübsalsbläser und neben den Geschäften deS Dienstes amüsiren wir unS so gut wir können — mein HauS, da- freilich nur eine Iunggesellenwirthschast ist, steht Ibnen offen, und Sie werden hier immer eine muntere Gesellschaft finden." Hilmar erzählte, daß er bereit- die Bekanntschaft LeS Dechantrn von Landcrsen gemacht und denselben mit seiner Nichte dorthin gebracht habe. „Ein braver Mann", sagte der Obcramtmann. „und mein lieber Freund. — Also hat er doch die arme Waise, von der er mir gesagt, zu sich genommen — er ist eine Perle von emem Mann, aufrichtig, fromm und ein guter Seelenhirt für seine Gemeinte und dabei kein Kopfhänger, der fröhlichen Lebensgenuß für eine Sünde hält, so recht ein Mann de« Evangeliums, der dir Strauchelnden lieber aufrichtet als ver dammt. ES freut mich, daß Sie ihn schon kennen gelernt haben, und Sie sehen mir ganz so auS, als ob Sie gut Freund mit ihm werden sollten. Doch nun kommen <sie, damit ich Sie mit zwei anderen Herren unsere- Kreise- be kannt mache, die gerade meine Gäste hier sind." Er führte Hilmar in sein mit einfacher Behaglichkeit ein gerichtete- Wohnzimmer, in welchem er ihm zwei Herren verstellte. „Herr Doctor Mendel, unser Gesundheil-wächter", sagte er. auf einen behäbigen alten Herrn mit gutem freundlichen Gesicht, einer großen goldenen Brille und einem fast kahlen Kopf deutend — „und hier", fuhr er fort, Hilmar zu cinein jungen blonden Mann von eleganter Erscheinung mit offenem, frischen Gesicht führend, „Ihr College, der Auditor Röbbcken, der sich ein Vergnügen daran- macken wird. Sie in die Formalitäten der Geschäfte einzuführcn." Die beiden Herren begrüßten den Neuangekommenen. Tie Conversation, welche sich in jenen bei einer ersten solchen Be gegnung gewöhnlichen allgemeinen Fragen und Bcmerknngen bewegte, wurde von dem Oberamtmann schnell und fast un geduldig unterbrochen. „Kommen Sie, Herr von Bergbolz", rief er, „Sie können sogleich eine Probe Ihrer Kunst in dem edlen Wbist- spiel ablegen — wir haben unS bi- jetzt mit einem Stroh mann begnügen muffen, aber da- ist doch eigentlich nicht da» Wabre — ich liebe die Strohmänner weder im Leben noch im Kartenspiel." Ein Spieltisch stand in der Mitte de- Zimmer-, die Karten lagen darauf, man sah, daß die Herren eben in dem Spiel unterbrochen waren. „Nehmen Sie nur gleich den Strohmann", sagte der Oberamtmann, „der mir dort gegenüber liegt,— die anderen Herren werden wohl damit zufrieden sein, und wir können ohne Weitere- unseren Robber zu Ende bringen." Hilmar setzte sich dem Oberamtmann gegenüber. Dieser und der Doctor zündeten sich >bre Pfeife wieder an, die sie beim Empfang de» Gaste- batten auSgehen lassen, und da» Spiel wurde fortgesetzt. E» war ein alte» regelrechte- Wbist. Kein unnütze-Wort wurde gesprochen, nur der Doctorwieder- bolte zuweilen einige bald schadenfrohe, bald grimmige Bemer kungen bei gewissen Gcle«zcnbeiten. wenn etwa ein Schnitt einer Dame mißlang, wenn ein blanker König deS Gegner- einen Stich gewann oder ein au-gespielteS Äß mit einen, steinen Atout gewonnen wurde. Der Oberamtmann begleitete solche Bemerkungeo ent weder mit einem zufriedenen Schmunzeln oder mit einem halblauten Fluch. Dann wurden nach dem Spiel einige flüchtige Kritiken gewechselt und wenn, wie die- häufig vor- kam, der Oberamtmana dem Doctor einen Fehler nachwic«, durch den ein König verloren gegangen sei, so wurde dieser duukelrotb vor Zorn, schob seine Brille auf die Stirn und begann in scharf gereiztem Ton die Unübertrefflichkeit und Nichtigkeit seine- Spiels zu vertheidigcn, bi« die Karten von Neuem gegeben waren. Dann wurden alle weiteren Be merkungen und Erörterungen abgebrochen, und der Doctor murrte nur noch halblaut weiter, bis er entweder einen srdr unckristlicben Fluch über die nichtSwürkigen Karten und daS schlechte Mische» auSsließ oder mit einem zufriedenen Lächeln sein Spiel in der Hand sorgfältig zu einer kleinen und regel rechte» Fäckersorm ordnete. Der Obcramtmann war mit Hilmar zufrieden, er hielt ein correcteS Wbistspiel nicht nur für ein Zeichen klaren und richtigen Denkens, sondern auch für ein nothwendigr« Er fordcrniß einer guten Erziehung, und war scbr angenehm berührt, bei seinem neuen Auditor diese von ibm doch ge schätzte Eigensckast zu finden, so daß er mekrmalS freundlich nickend, zuweilen sogar durch ein leise- „sebr gut" und „vor trefflich" seinen Beifall kundgab, wenn durch Hilmar'» ge schickte Combination ein König de« Doctor- abgesangen oder durch richtiges Abwcrscn ei» Atoutstick gewonnen war. Nachdem man einige Robber gespielt batte, erschien der Diener, welcher nun einen blauen Rock mit silbernen Knöpfen trug, und meldete, daß daS Souper angcrichtet sei. Man begab sich in ei» Speisezimmer mit gedunkelten Holzwände». Der Tisch war einfach, aber mit einladender Sauberkeit gedeckt und durch die Kerze» zweier silbernen Armleuchter er^ jeucbtet. DaS Souper war vortrefflich und die Klicke deS Obrr- amtniannS bewies, daß der alte Herr die edle culinarische Kunst in, vollsten Maße zu würdige» und zu pflegen verstand. Man trank an- großen Römern einen edlen Rbeinwrin, wie er nock in jener guten alten Zeit in den Kellern vrr- ständnißvollcr Kenner zu finden war. da man weder die naturalistische Verwässerung, nock die chemische Vergiftung de- reinen Rebensaftes so allgemein und »ngesckeut au-zuüben verstand und wagen durste, wie die« beute geschickt, und bei dem saftigen Rehrncken a»S de« OberamtmannS Jagd ließ dieser zu Ebrc» dcS -w»en Gaste« einen alten Burgunder aufsetzen, den er selbst einschcnkte und seinen Gästen mit dem altniedersäcksiscben Trinkspruck ans die Damen zutrank, der stet- auSgcbracht wird, sobald die Gabel im Braten steckt, und nur dann unterbleibt, wenn »ach der MartinSzeit eine knusprig gebratene Gau« aus der Tafel steht. Auch diesem edlen Getränk wurde eifrig zugesprochen,' der
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