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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.09.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040928024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904092802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904092802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-09
- Tag1904-09-28
- Monat1904-09
- Jahr1904
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Bezugs-Preis tri -er Hauptexveditton oder deren Ausgabe stellen abgrholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung i»S Hau» 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut ZritunqSpreisliste. Diese Nummer kostet auf allen Bahnhöfen und 111 I bei den ZeitungS-Berkäusern Nevaktion und Expedttton: 153 Fernsprecher 222 JohanniSgasse 8. Ftltalexpeditionen: NIfredHahn, Buchhandlg., UniverfitätSstr. 8 (Fernspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen- itraße 14 (Fernsprecher Nr. 2935) u. König-- platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). Haupt-Filiale Dresden. Marirnstrabe34(FernsprecherAmt INr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzgl.Bayr.Hofbuchbandlg., Lützowstraße 10(FernsprecherAmtVI Nr.4603). Nr. M. Abend-Ausgabe. lrWMr.TWMM Anzeiger. Amtsblatt Ses Aönigtiche« Land- und des Äöniglichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Nokizeiamtes der Ltadt Leipzig. Mittwoch den 28. September 1904. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktion-sirich (-gespalten) 75 nach den Familiennach richten l6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zissernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 «unahmeschluj, für An,r,gen. Abead-AuSgabe: vorniittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, m' t Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind steis an dir Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Pols in Leipzig (Inh. Or. B„ R. Sc W. Klinkhardt). 98. Jahrgang. Var Wchtigrte vom Lage. * Das heute vormittag über das Befinde» des Königs ausgegebene Bulletin lautet: Die Nahrungsaufnahme und der Kräftezustand des Königs lassen viel zu wünschen übrig. (S. a. Sachsen.) * In Gnesen ist der Verbandstag der polnischen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften zu sammengetreten. (S. Dtsch. Reich.) * Der Zar ist heute Mittag nach Odessa und Tiras pol abgereist. * Präsident Roosevelt hat sich überzeugt, daß seine Anregung zu einer zweiten Haager Konferenz nicht durchfürbar ist. (S. Ausld.). * Im australischen Parlament agitieren Arbeiter partei und Schutzzöllner für Vorzugstarife für England. (S. Ausld.) Ueber «len Umgang mit veriin. Aus Berlin wird uns geschrieben: Zwischen Magistrat und Regierung bereitet sich ein Konfliktchen vor. Ich sage: ein Konfliktchen, denn ich bezweifele, daß der Herr Bürgermeister den alten Bllrgertrotz, den der Kaiser einmal ge rühmt hat, wieder aufleben lassen wird. Die Staats- regierung hat, wie ich Ihnen schon mitteilte, gegen die Benutzung der Gemeindeschulgrundstücke zu anderen als Elementarschulzwecken Einspruch erhoben. Dagegen hat der Magistrat sich auf den Standpunkt gestellt, daß ihm die freie Verfügung über das städtische Eigentum in keiner Weise beeinträchtigt werden dürfe, und über dieser Kontroverse hat sich nun ein Briefwechsel entspannen, der bis zum Jahre 1898 zurückreicht und von Seiten des Magistrates in außerordentlich gemäßigten Formen ge- führt wurde, bei der Regierungsbehörde aber recht eigen artige Aeußerungen des preußischen Beamtcnhochmutes auslöste. Das Provinzialschulkollegium ersuchte den Magistrat, der freireligiösen Gemeinde zu Berlin die beantragte Uebcrlassung einer Aula zur Abhaltung einer Versammlung zu versagen. Ter Magistrat lehnte es ab, sich dieser Anordnung zu fügen, und nun ging ihm die folgende lapidare Epistel zu: „Ter Magistrat wird unserem Ersuchen von: 14. Juni d. I. zu entsprechen haben. Einem Bericht darüber, datz dies geschehen, sehen wir binnen vierzehn Tagen entgegen." Auf einen groben Klotz gehört bekanntlich ein grober Keil; aber der Magistrat dachte darüber anders. Er ant- wartete mit erstaunlicher Selbstbeherrschung, in der Sache indessen blieb er fest. Die Aufsichtsbehörde, die nun cinsah, datz sie durch Vernachlässigung der üblichen Verkehrsformen dem Magistrat nicht zu imponieren ver mochte, ordnete darauf an, datz die Verwendung von Elementarschulräumen zu anderen Zwecken als denen des öffentlichen Elementarunterrichts der vorgängigen Ge nehmigung der Schulaufsichtsbehörde bedürfe. Tie Be fugnis zu dieser Genehmigung wurde auf die städtische Schuldeputation übertragen, die ihrerseits verpflichtet wurde, vor der jedesmaligen Entscheidung den zustän digen Krcisschulinspcktor zu befragen. Diese Anordnung setzt sich niit der ganzen Struktur der städtischen Behörden in Widerspruch, denn die Schuldeputation ist in der Ge schäftsführung der Aufsicht des Plenums des Magistrates unterstellt, so datz ihr unmöglich eine Oberaufsicht über Magistratsanordnungen zugesprochen werden kann. Außerdem aber protestiert der Magistrat mit Fug gegen den völlig ungerechtfertigten Eingriff in seinVerfügungs- recht. So stehen die Sachen zur Zeit und man wird nun die weitere Entwickelung abwarten müssen. Es ist aber interessant, zu sehen, in welchen! Tone die Regierung mit dem Magistrat einer Zweimillioncnstadt zu sprechen für gut hält, und wie bescheiden diese Behörde auf das un- erhörte Schreiben des Provinzialschulkollcgiums gcant- wartet hat. Herr Lueger in Wien würde den hoben Herren eine Antwort gegeben baben, die cs an Derbheit mit den Gepflogenheiten des Ritters Götz von Berli- chingcn sicher ausgenommen hätte. Ganz abgesehen von dieser sehr unerfreulichen Seite der Angelegenheit, bleibt auch noch die Frage übrig, warum der freireligiösen Ge meinde eine Aula versagt werden soll. Tie Ansckiauungs. weise, die einer derartigen Verweigerung zu Grunds liegt, scheint uns über die Matzen kleinlich. Wir be- zweifeln, datz die Bestrebungen dieser Gemeinde geeignet sind, den Bestand oes preutzischen Staates zu erschüttern, indessen gibt uns wohl die „Kreuzzeitung" darüber Auf klärung, die selbstverständlich wieder die Partei der Negie rung ergriffen hat. politische Lagerschau. Leipzig, 28. September. Thronziinkcreien. Ter Graf-Regent Ernst zur Lippe-Biesterseld ist ge- starben und es ist schon angekündigt, datz nun die Fehde darüber wieder einjetzen wird, ob die Nachkommen des Graf-Regenten succcssionsfähig sind oder nicht. Uns interessiert es an sich nicht im mindesten, ob Sck-aumburg oder Biefterfeld in dem Ländchen regiert. Das Volk von Lippe hat doch aber wohl den Anspruch darauf, datz seine Stimme vor allen Dingen gehört werde. Es ist eben un endlich betrübend, datz die Erbfolgefragen noch immer im Sinne des Privatfürstenrechtes geregelt werden und datz ein ganzes Volk —, denn davon mutz man doch schließlich wohl oder übel sprechen —, vererbt wird, wie eine Meierei. Es müßte entschieden der Versuch gemacht wer den, diese Fragen für das ganze Deutsche Reich einheitlich zu regeln, sonst werden wir aus den Zänkereien zwischen den verschiedenen Linien überhaupt nicht mehr heraus kommen. Gewiß ist das nicht leicht, da die Rechte der fürstlichen Häuser nicht vergewaligt werden dürfen, in- essen sollte man doch meinen, datz die Fürsten selbst die Notwendigkeit einer derartigen Regelung anerkennen würden. Schon jetzt haben sich die wunderbarsten Wider- spräche erhoben. Schaumburg-Lippe behauptet z. B., datz die Söhne des Graf-Regenten nicht erbfolgefähig seien, die älteste Tochter des Graf-Regenten aber hat der Meininger Landtag samt ihrer Nachkommenschaft für erb- fähig erklärt. Wie in Lippe-T-etmold, so steht die Thron folgefrage in Oldenburg auf der Tagesordnung, und auch hier hat ein Agnat Protest erhoben gegen die Beschlüsse des Landtages. Unter solchen Umständen erscheint es wünschenswert, datz eine generelle Regelung gefunden werde, die nicht allein das Prinzip der Legitimität be rücksichtigt, sondern die moderne Anschauung zur Gel- tung bringt, datz man einem Volke nicht einen beliebigen, vielleicht gar erst aus dem Auslande zu importierenden Landesvater aufzwingen darf. Das MilitärpensionSgeseh. Tie „Augsburger Abendzeitung" behauptet, daß der Entwurf eines neuen Militärpensionsgesetzes den Reichs tag noch nicht so bald bescl-äftigeu werde. Für die Durch führung dieses so dringend notwendigen Gesetzes sind nämlich nach Berechnung des Reichssck-atzamtes 24 Millio nen Mark nötig, und das Reichsscl-atzamt soll sich außer stande erklärt haben, diese Mehrausgabe angesichts der Finanzlage des Reiches aufzubringen. Selbstverständlich wissen wir solche Bedenken voll zu würdigen, und er kennen es an, daß nicht blindlings ^bewilligt werden kann, ohne datz für die ausgeworfenen Summen in rationeller Weise Teckung geschaffen worden ist. Immerhin aber be rührt cs sonderbar, datz die Summe von 24 Millionen unerschwinglich sein soll, während das deutsche Heer im Jahre 1903 575 253 000 in fortdauernden und 43 388 000 in einmaligen Ausgaben kostete. Ganz sicher wird außerdem dem Reichstage eine neue Militär- Vorlage zugcheu und gewiß dürfte diese den Bedarf des Pensionsgcsetzes ganz erheblich überschreiten. Wir glauben, daß die Bedenken der „Augsburger Abend zeitung" sich nicht bestätigen werden, denn die Heeresvor- lagc bat schwerlich Aussicht auf Annahme, wenn nicht das Militärpensionsgesetz gleichzeitig vorgelegt wird, und auf die Militärvorlage dürfte die Regierung unter keinen Umständen verzichten wollen. Apothekenreform und Ostmarkenpolitik. Das Polentum hat sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts bekanntlich im preutzischen Anteil einen Mittelstand gesct>affen, um das fehlende Bindeglied zwischen Adel und Geistlichkeit einerseits und Bauernsck^st anderseits herzustellen. Mil diesen! Mittelstände wurde die Verdrängung der Deutschen aus Handel und Gewerbe, so wie aus den freien gelehrten Berufsarten in Angriff ge nommen. Diese Taktik hat sich wohl am meisten im Apo- thokenwesen fühlbar gemacht. Während früher die Apo theken fast ausnahmslos in deutschen bezw. öeutsch-jüdi- scheu Händen waren, ist im Laufe der letzten Jahrzehnte eine nach der andern an Polen übergegangen. Polnisches Apothekermaterial war durch die Fürsorge des Marrin- kowski-Vereins ja reichlich vorhanden, der von jeher unter seinen Stipendiaten viele Pharmazeuten zählte. Da fctp-rnt sich jetzt durch die viel erörterte Apothekenreforni eine Möglichkeit zu bieten, aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen. Aber die bisherigen Vorschläge er- scheinen mit Rücksicht auf die Polenpolitik bedenklich. Vor- geschlagen wurde von einer Seite eine Kommunali sier u n g dec Apotheken, von der anderen eine Verstaat lichung. Mag man über die Kommunalisierung für den Bereich der übrigen Monarchie denken wie man will, für die Ostmark erscheint sie ausgeschlossen, da sie in Wider spruch mit der gesamten Polenpolitrk stände. In den meisten Städten der Provinz haben nämlich die Polen in der Stadtvcrtretung das Uebergewicht; die Apotheken würden also nach wie vor an Polen vergeben werden, ja sogar dort, wo sie heute noch in deutschen Händen sind, verloren gehen. Aber auch gegen die Verstaut- lichung erheben sich ernstliche Bedenken. Durch sie würden die Apotheker Beamte werden, und damit würde wiederum eine Klasse aus dom Stande unseres freien Bürgertums verschwinden. Uns scheint, als ob man am besten das Verfahren einschlüge, das man auch anderwärts im Staatsbetriebe mit Erfolg angewandt hat, nämlich die Verpachtung. Der Staat, der ja im Osten auch ausgedehnten Domänenbesitz erwirbt, müßte die Apo- thcken ablösen, am besten vielleicht nach dem Muster des Stein-Hardenbergschen Ablösungsverfahrens. Die so in Staatsbesitz übergeführten Apotheken würden dann gleich den Domänen verpachtet werden. Dabei hätte der Staat es in der Hand, Angebote, die ihm im inneren Wert der Apotheke nicht begründet zu sein scheinen, abzulehnen. Dem sozialen Moment wäre also Rechnung getragen, in dem kein Besitzer mehr da wäre, der aus seinem Betriebe das Höchstmögliche herausschlagen müßte und daher fort während nach Erhöhung der Arzneitaxe verlangte. Fer ner wäre auch dem hochbegabten, aber minder bemittelten Apotheker die Möglichkeit zum Selbständigwerden gc geben, denn der Staat hat an dec Tüchtigkeit des Be werbers ein ebenso großes Interesse, wie am baren Gelöe. Und für unsere Ostmark endlich wäre das doppelt er strebenswerte Ziel erreicht: die Ausschaltung der Natio nalpolen und die Erhaltung einer wichtigen Klasse des freien deutschen Bürgerstandes. Mecklenburgische Träume? In Mecklenburg studiert man anscheinend jetzt hastig der Hofkalender 4. Abt. Nachdem Herzogin Eecilie die Braut des einstigen Trägers der deuochen Kaiserkrone geworden, geht in mecklenburgischen Hof kreisen das Gerücht, daß eine mecklenburgische Prinzessin die Braut des jungen Königs von Spanien werden würde. Als die zukünftige spanische Königin wird die Herzogin Marie Antoinette, die einzige Tochter des Herzogs Paul Friedrich, bezeichnet. Herzog Paul, dec bekanntlich mit der Prinzessin Marie zu Windisch-Graetz vermählt ist, hat, lvas in Mecklenburg seinerzeit viel Auf sehen machte, den katholisck>en Glauben seiner Gattin an genommen: die drei Kinder (Herzog Paul Friedrich jun., der junge Leutnant zur See, starb vor mehreren Monaten in Kiel) sind katholisch. Herzogin Marie An toinette ist zu Venedig am 28. Mai 1884, König Alfons am 17. Mai 1886 geboren: ist also fast zwei Jahre jünger. Tas wäre ja ein zu großer Unterschied im Alter zwar nicht, aber etwas spricht er doch bei einer solchen Verlobung mit. Wir geben, wie gesagt, das Gerücht wieder, ohne uns nach irgend einer Richtung für die Wahrheit der Nachricht zu verbürgen. König Alfons, dessen Besuch schon für dieses Jahr in Deutschland er- wartet wurde, wird im nächsten Jahre in Deutschland erwartet. Sozialdemokratischer Terrorismus in Italien. Von einem Augenzeugen der letzten Streiks in Vene dig und Verona wird uns geschrieben: „Der Bürger meister von Venedig, Graf Grimane, hat ein scharfes Schreiben an den italienischen Ministerpräsiden ten gerichtet: in diesem Schreiben führt er aus, wie es in Venedig zur Zeit des Streiks ausgesehen hat, und er pro testiert dagegen, daß die Regierung dem terroristischen Treiben der Sozialdemokratie mit verschränkten Armen zugeschaut habe. Graf Grimane übertreibt nicht etwa, sondern wir, die wir das zweifelhafte Vergnügen hatten, den Terrorismus in Venedig zwei Tage und in Verona einen Tag zu beobachten, können versichern, daß in dein Schreiben des Bürgermeisters die Zustände noch in zu mildem Lichte erscheinen. Wenn es in Venedig niemand gab, der arbeitete, so lag dies nicht etwa daran, datz nie mand arbeiten wollte. Die armen Teufel von Gon delführern, Gepäckträgern und sonstigen Leuten, die vor- nehmlich von den Fremden leben, hätten sehr gern ihr Brot verdient, aber jeder Arbeitswillige konnte gewiß sein, niedergeschlagen zu werden. Deshalb war es für Fremde, die am Sonntag oder Montag abreisen wollten, nicht möglich, ihren Plan auszuführen, weil auch für schweres Geld ein Gepäckträger nicht zu haben war. Aus manchen Hotels wurde das gesamte Dienstpersonal, das natürlich sehr gern seine Trinkgelder verdient hätte, von den Streikenden herausgeholt, in anderen Hotels kam eine Einigung zustande, derzufolge die Hälfte der Hotel bediensteten das Haus verlassen mutzte. In einem Restaurant zu essen, war den Fremden an diesen beiden Tagen verwehrt, denn sämtliche Restaurants mutzten schließen. In Verona sahen wir, wie Omnibuskutscher vom Wagen heruntergezerrt und die Insassen des Omni bus herausgezogen wurden: hier waren noch einen Tag länger als in Venedig sämtliche Restaurants geschlossen. Man sieht aus dieser Schilderung, daß es denn doch nicht angebracht ist, wenn der Staat sich bei Streiks vollständig auf den Standpunkt des laisser aller stellt, und wenn Feuilleton. 241 „Durchgerungen." Roman von JosephineSiebe. Nachdruck Verbote«. „Mutter!" Elisabeth kniete vor dieser nieder und er griff flehend ihre Hand. „Mutter, du bist eine Frau, du kennst die Liebe, kannst du nicht verstehen, datz ich gehen mutz, datz die Liebe mächtiger ist als die Vor- urteile der Welt? Ich mutz gehen, Mutter, die Stimme, die mich jetzt in der Not ruft, würde mir zum Fluch werden, wollte ich sie überhören!" „Es ist gegen Sitte und Reputation", murmelte die Frau und sah bittend auf ihren Mann, würde dieser ihr wirklich nicht beistimmen? „Latz das Kind gehen, Marie!" sagte dieser mild, seinen Arm um ihre Schultern legend, „nicht sündige Leidenschaft ist es, die sie in die Arme eines Mannes treibt, der nicht frei ist, es ist »vahre Liebe und ein großes menschliches Erbarmen. Solch' erbarmende Liebe ist immer heilig, es ist ctrvas Göttliches um sie, und wo wir sic finden, müssen wir sie bewundern. Gehe mit Gott, mein Kind, und kehre wieder, wie du gingst!" Tic Frau sah fast scheu zu ihrem Mann auf. „Ja, wenn du meinst, Christian, mir will das ja nicht in den Sinn, daß das recht ist, wenn ein Mädchen zu einein Manne geht, der frei ist, ist cs schon schlimm, aber zu einem, dem die Frau fortgelaufen ist, und das soll recht sein? Ich habe dich doch gewiß lieb, aber das hätte ich doch nicht tun können, Gott sei Dank, Christian, du hast ja auch solche Sachen nicht gemacht, man sagt ja, die Künstler denken darin anders, und du warst ja nur ein einfacher Mann. — Liska, mein Kind!" Die Frau brach wieder in ein hülfloses Weinen aus, „mir ist so angst um dich!" „Mutter, sei ruhig!" Elisabeth strich sanft über die Wangen der weinenden Frau, aber sie sah zu ihrem Vater auf, und sie sah erschüttert das schmerzliche, entsagungs- tolle Lächeln um seinen Mund — sie verstand in dieser Stunde, wie dieser stille Mann, mit der feinen Künstler seele, in seiner Ehe nach Verständnis gehungert haben mußte. „Aber die weite Reise nach Rußland, und morgen schon, erbarm dich, Liska, morgen sind wir ja zu Land rats eingeladen, nein, da ist doch gar nicht an eine Absage zu denken, sag' doch, Christian?" „Liebe Marie, es geht nun nicht anders, ich werde morgen mit unserer Tochter nach Königsberg fahren und alles ordnen, die Gesellsck-aft ist doch wohl Nebensache!" „Absagen, und bei Landrats?" Und du willst auch mit? Ja, bester Mann, da mutz ich auch nach deinem Zeug sehen." Die Frau sprang eilig auf, faßte mit beiden Händen nach ihrer schiefgerutschten Haube und eilte hinaus, doch nach wenigen Minuten stand sie schon wieder im Zimmer, nahm Elisabeths Hand und sagte halbverschämt: „Mein Mariell, meine kleine, gute Mariell, wenn — nun, wenn es dir am Herzen liegt, datz das Kind ein Unterkommen findet, ich meine, es könnte doch der Fall eintreten, so, wie unser Herrgott will, dann — ja bei uns ist Platz genug, so ein Kleines, das kriecht schon noch unter, wie gesagt, mach dir man keine Sorge!" „Mutter!" Tief ergriffen umschlang Elisabeth die Frau und die Tränen stürzten ihr in die Augen, nun konnte sie, wie sie es sich so ost ersehnt, am Herzen der Mutter ihr Leid ausweinen, denn sie wußte nun, daß, wenn diese sie auch nicht ganz verstand, sie doch teilnahm, wie es nur eine Mutter tut. Neunzehntes Kapitel. Eine weite, weite Fahrt, über flaches Land, durch einsame .Haide, vorbei an Städten und Dörfern, lag hinter Elisabeth Ekkardt, als sie, körperlich und geistig ermüdet, in Petersburg anlangte. Da stand sie nun auf dem Bahnhof, und um sie herum sprachen, schrieen und hasteten Hunderte von Menschen, deren Sprache sie nicht verstand, und hülflos hielt sie nach allen Seiten Umschau, ob sie nicht Vera Strogonow erblickte, sie batte noch von Königsberg aus an diese tele graphiert, die seit einigen Jahren in Petersburg wohnte. Endlich erblickte Elisabeth das bekannte Gesicht, da war sie, einen grauen Filzhut auf das kurz geschorene Haar gestülpt, gerade noch mit so lässiger Einfachheit gekleidet, wie damals in Leipzig, aber es »var auch noch immer dec alte, treue Ausdruck in den grauen Augen, als sie jetzt Elisabeth sab und auf sie zueilte. „Na, das ist schön, datz du mal herkommst", rief sie, und als Elisabeth sie stürmisch umarmte, lachte sie, „noch immer so hitzig!" Wenn diese nicht gewußt hätte, welch' warmes Herz in dieser unscheinbaren Hülle steckte, der Empfang hätte sie verletzt, denn Vera tat gerade so, als hätten sie sich am vergangenen Tage an irgend einer Straßenecke ge trennt. Mit keinem Worte fragte sie nach der Ver anlassung zu dieser Reise, als wäre es ganz selbstverständ- lich, ordnete sie alles an, und Elisabeth kam erst wieder etwas zum Bewußtsein, als sie im Wagen saß, der sie durch die Straßen Petersburgs fuhr. Da erzählte sie auch rasch, ohne viel Zögern, warum sie gekommen, denn sie kannte die Aerztin gut genug, um nicht zu wissen datz dieser nichts unangenehmer N>ar, wie Unklarheit. Als sie geendet, sah Vera sie mit ihren klaren, klugen Augen ernst an, dann reichte sie ihr die Hand und drückte sie fest. „Brav, meine Liska, nun freue ich mich, datz ich dich einmal vor einem törichten Streich bewahrt, denn du bist ein starker Mensch geworden!" Weiter sagte sie nichts über die Sache, aber Elisabeth wußte, datz sie nun, nxis auch kommen möge, eine Stütze an ihr hatte und -atz sie nicht verlassen in der fremden Stadt war. Zwei Stunden später stand Elisabeth in Veras Be gleitung an dem Hause in dem Wolfgang Stritt wohnt? und nun schlug ihr Herz in wilder Angst vor dem, was die nächste Minute briugen würde, Leben oder Tod. Ein Schwindel erfaßte sie und sie klammerte sich an der Ge fährtin Arm. „Wenn er tot ist", stöhnte sie. Aber in»
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