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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.10.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-11
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071011020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907101102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907101102
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
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- Tag1907-10-11
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Abend-Ausgabe 8. Bezugs-Preis Kr Leipzig und Vororte durch Misere »rtger und Spediteure ine Haut gebracht: Aalgab« t (mir morgen«) vierteljLhriich 3 M. monaüich I M. Ausgabe lt (morgens und abend«) viertel jährlich 4.50 M. monatlich l.SV «. Durch di« Poft bezvne« (2 mal täglich) innerhalb Deutschland« und der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. ausschl. Post bestellgeld Nr Oesterreich v L 6S o, Ungarn 8 X vierteljährlich. Abonnement-Annahme. Auguftu-Platz 8. bei unseren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briesträgern. Die einzelne Nummer tostet K) Psg. Rrbaklioil und Lrpeditton: JohanniSgasje 8. Telephon Nr. I46S2. Nr. 14S9d. Nr. 146S4. Berliner Redaktion« Bureau: Berlin HI^V. / Prinz Louis Ferdinand- Straße 1. Telephon I, Nr. 9275. MipMerTagMaN Harrdelszeitung. ILmlsvlatt des Rates und des Nolizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis fttr Inserate an« Leipzig und Umgebung die 6gespaltene Petitzeile 25 Ps., finanzielle Anzeigen 30 Ps., Reklame- l M.; von auswärt« 30 Ps., Reklamen 1.20 M. vomAu«land5OPf., finanz. Anzeigen75Ps. Reklamen 1^-0 M. Inseraten. Behörden im amtlichen Teil 40 Ps. Beilagcgebübr 5 M. p. Tausend ex kl. Post gebühr. «eichästsanvigen an bc.'urzugier Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarii. Fefterteille Aufträge können nicht zurüik- aezogen werden. Für das Erscheinen an bestimmten Tage» und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen. Annahme: Augllftllsplatz 8 bei sämtlichcu Filialen u. allen Annonce»- Expeditionen des In- und Auslandes. Haupt Filiale Bcrliu Earl Dunck: Herzog!. Bahr. Hosbnch- hanbtnng. Lutzoivftrahe 10. (Telephon VI, Nr. 4603). Nr. W2. Freitag 11. Oktober 1907. W1. Zabrganq. Das wichtigste vom Tage. * Unter dem Vorsitz des Königs und der Teilnahme des Prinzen Georg fand heute vormittag eine Sitzung des Gesamt- ministeriums im Residenzschloß statt. * Der Franziskanerpater Nazarius vom Aachener Kloster lehnte die ihm vom Staat tatsächlich angebotene Kandi datur für den Posener E r z b i s ch o f s st u h l ab. * Die Wahlrechtsdemonstration der ungarischen Sozialdemokraten ist im ganzen Lande ruhig verlaufen. * Abermals hat der i t a l i e n i s ch e Ministerrat die Forderung des Marineministers von 200 Millionen Lire für den Bau von 4 gepanzerten Schlachtschiffen genehmigt. * Die spanischen Cortes sind gestern wieder eröffnet. sS. Ausl.) Tagesschau. Nationalliberale und preußisches Wahlrecht. Die „N. L. C." schreibt: „In einem Artikel des „Tag", in dem er für das alte Ideal der christlich-sozialen Politiker, das ständische Wahlrecht, wirbt, kommt Dietrich v. Oertzen auf die Erklärung zu sprechen, die auf der hinter uns liegenden Wiesbadener Tagung von verschiedenen Rednern über die preußische Wahlrechtsreform abgegeben wurden, und die in der Haupr- sache bekanntlich in einer Empfehlung des Pluralwahlrechts gipfelten. Herr o. Oertzen knüpft daran die Anmerkung: „Ob dies nationalliberale Wahlideal zugleich einen Plan des Reichskanzlers bedeutet, bleibt abzuwarten. Unwahrscheinlich ist es nicht, daß man solche Linie in Norderney festgelegt hat." Herr v. Oertzen ist für seine Person ein redlicher, nicht unsym pathischer Mann. Aber um unseren Freunden im Zentrum von vorn herein die Freude am Geschichtentragen und Legendenbilden zu ver gällen, sei doch gleich und mit allem Nachdruck hier sestgestellt: die Hvvo- these von einer Befruchtung der nationalliberalen Politiker in Sachen der preußischen Wahlreform durch den Fürsten Bülow ist genau so aus der Luft gegriffen, wie die Unterstellung der „Germania": Der Ab geordnete Bassermann hätte sich vorm Jahre feine bekannte Inter pellation vom Kanzler diktieren lassen." Lcichcnverbrenullug und Orthodoxie. Die Frage, ob in Preußen die Leichenverbrennung zulässig sein soll, wird bekanntlich einstweilen durch das Ober verwaltungsgericht auf Grund der Hagener Vorgänge ent schieden werden. Das Obcrverwaltunqsgericht gegen die der Leichenver brennung günstige Entscheidung des Hagener Bezirksausschusses cinzu- uehmen, ist der Zweck eines langen Leitartikels der „Kreuzzeitung". Das konservative Hauptorgan legt seltsamerweise Gewicht auf die An nahme, daß die Leichenverbrennung oestvegen in Preußen unzulässig sei, weil für sic zwar kein ausdrückliches, aber ein „stillschweigendes" Verbot besiehe. Selbst wenn die Annahme eines derartigen Verbotes zuträfe, konnte daraus unmöglich das Verbot der Leichcnverbrennung für ewige Zeiten gefolgert werden. „Stillschweigend" ist vermutlich die Leichen Verbrennung im nichtpreußischeu Deutschland ebenso „verboten" ge wesen, wie in Preußen; deswegen jedoch haben sich Kvburg - Gotha, Baden, Hamburg, Sachsen-Weimar, Hessen, Bremen, Württemberg, Meiningen und Anhalt, sowie das Königreich Sachsen von der Zulassung der Leichenverbrennung nicht abhalten lassen. Darin freilich hat die ^Kreuzztg." reckst, daß eine obligatorische Leichenschau zugleich mit der Zulassung der Feuerbestattung eingeführt tocrden muß. Die Hinder nisse, die der Einführung der obligatorischen Leichenschau im Wege sichen, sind sicherlich nicht unüberwindlich. Zum Teil besteht bereits eine reichsgesetzliche Leichenschau, nämlich nach tz 10 des Reichsgesetzes über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. Ter Gesichts punkt, daß die Durchführung der Leichenschau wegen der geringen Aerzte- zahl in den Landbezirken des östlichen Preußens untunlich sei, kann auf die Tauer nicht geltend gemacht werden: der führende Bundesstaat kann in dieser Beziehung nicht immer hinter Bayern, Württemberg, Sachsen. Baden und den meisten kleineren Bundesstaaten zurückstchcn. Neberdies ist auch für Preußen durch zwei Ministerialerlasse (vom 22. November 1902 und vom 19. August 1904) die allmähliche Einführung der obliga torischen Leichenschau durch ortspolizeiliche Bestimmung in Angriff ge nommen worden; weitere Schritte in dieser Richtung sind also durchaus möglich. Daß die Feuerbestattung keinem christlichen Glaubenssätze widerspricht, gibt die „Kreuzztg." ausdrücklich §u. Trotzdem fordert sie das Verbot jeder amtlichen Beteiligung von Geistlichen an einer Leichen verbrennung. Würde die Kirche in Preußen dieser Forderung nach kommen, so hätte sie ohne Zweifel ernsten Schaden davon; denn sie würde einen großen Teil denkender Menschen sich dadurch entfremden. Die Philippinenfrage. In den Vereinigten Staaten ist die Philippinenfrage wieder einmal akut geworden, freilich nicht im Weißen Hause, aber in der Presse und der öffentlichen Meinung. Viele Anzeichen sprechen dafür, daß die Philippinenfrage eine nicht unbedeutende Rolle bei der nächsten Präsi dentenwahl spielen wird. Die Kolonialpolitik, die die Amerikaner auf den Philippinen geführt haben, ist bekanntlich nichts weniger als erfolg reich gewesen. In der Meinung, daß sic die bestmögliche Verfassung der ganzen Welt besitzen, beeilten sie sich, den Filippinos ein Regierungs system in der Art des amerikanischen zu geben. Kaum fünf Jahre nach Erwerbung der Inseln richteten sie Munizipalitäten ein, die aus Wahlen hcrvorgehcn, und in denen Eingeborene sitzen. Es gibt zurzeit gegen 600 solcher Körperschaften. Selbst die Gouverneure der Provinzen sind Eingeborene; zwei amerikanische Beamte, darunter der Finanzrat, stehen :h!,cn zur Seite. Neber dem Ganzen steht die Philippinenkommission von 7 Mitgliedern sdarunter 3 Filippinos), die später das Oberbaus bilden soll. Im Laufe der Zeit soll die Kolonie natürlich auch ein Unterhaus erhalten. Die Provinz- und Gemcinderäte wechseln alle zwei Jahre, während bei allen Asiaten nur eine permanente Behörde Autori tät gewinnen kann. Die Gouverneure und ihre amerikanischen Adju tanten besitzen weder richterliche noch exekutive Gewalt, -rie Pbilippinenkommission ist in ihren Befugnissen höchst beschränkt, und sie untersteht nicht etwa den Ministern in Washington, sondern dem Kon greß, der notorisch von den Philippinen sv gut wie nichts weiß und ver steht. Das Ergebnis ist überall dasselbe. Untätigkeit aller Behörden, die nichts tun, oder Reden halten, was ziemlich dasselbe ist. Für die materielle Entwickelung der Inseln ist so gut wie nichts geschehen. Die Amerikaner haben in den 10 Jahren ihrer Herrschaft keine Bahnen, Kanäle oder Wege gebaut, Häsen ausgebaut lmit Ausnahme dessen von Manila), oder sonst die Erschließung der Kolonie vorbereitet. Die Ein wanderung der Chinesen, der einzigen Einwanderer, die arbeiten wollen und können, ist unterbunden; fremdes Kapital ausgeschlossen; fremder Handel und Schiffahrt durch die amerikanische Gesetzgebung gelähmt. Die Schulen, die gegründet sind, waren auf amerikanische und nicht auf philippinische Zustände Angeschnitten. Und die Filippinos hassen ihren neuen amerikanischen Herrn weit intensiver, als vordem die Spanier. So beginnen auch die Amerikaner, ihrer Kolonie überdrüssig zu werden. Die Kolonie kostet viel — die Philippinen haben die teuerste Kolonialverwaltung von der Welt — und sie bringt nichts ein. Die anfängliche Begeisterung für den Imperialismus und die Kolonialpolitik bat einen Rückschlag erfahren. Und in der öffentlichen Meinung ist eine starke Strömung vorhanden, die Kolonie wieder loszuwerden. Aber auf welche Weise? Man kann sie dock unmöglich Japan überlassen! So ist denn die Idee aufgekommen, daß die parisischen Mächte die Neu tralisierung der Philippinen erklären und anerkennen sollten. Der Gedanke ist leichter ausgesprochen als durchgeführt. Vor allem wird das Weiße Haus mit Roosevelt nimmermehr dafür zu haben sein. Eben deshalb wird die derzeitige Kolonialverdrossenheil der Amerikaner für die nächste Präsidentenwahl in Berechnung gezogen. Auch von diesem Gesichtspunkte versteht man die Entsendung der Flotte in den Pacific, um das Jntcreste der Wählerschaft für den Panamakanal und den Imperialismus neu zu beleben. Eine französische Bismarckbiographie. Daß eine groß angelegte Biographie Bismarcks aus französischer Feder den Stempel unbefangener wissenschaftlicher Forschung trägt, ist von nicht unerheblichem politischen Interesse. Schon an der Tatsache selbst wird der Politiker nicht gleichgültig vorübergeben, ganz zu fchwci- gen von den heilsamen Wirkungen, die ein derartiges Geschichtswerk auf die öffentliche Meinung Frankreichs ausüben kann. H. von Peters dorfs lenkt im neuesten Hefte der „Historischen Zeitschrift" die Aufmerk samkeit auf dieses Werk, welches den Substitut am Seinetribunal Dr. Paul Matter zum Verfasser hat und den Titel „Lisrnaevk st sorr tsinps" lParis, Alean) führt. Bisher in zwei die Zeit von 1815 bis 1870 darstellenden Bänden vorliegend, wird das genannte Werk von H. v. Petersdorfs u. a. folgendermaßen beurteilt: „Das Werk ist !e- gant, klar und anziehend geschrieben. Es steht durchaus auf wissenschaft licher Höhe und darf den Werken von Sybel und Friedjung wohl als ebenbürtig gegenübergestellt werden. Es verrät im allgemeinen eine vorzügliche Vertrautheit mit dem einschlägigen Quellenmaterial, wenn ja auch nicht zu erwarten war, daß der Verfasser als Franzose es voll kommen beherrschen würde. . . In seinem Urteil verfährt er relativ mit lobenswerter Unparteilichkeit. . . Die Schilderung der Persönlich keit des Helden atmet durchweg Frische und Lebendigkeit. Oft genug bricht Matters Bewunderung für den überlegenen Genius Bismarcks durch. Zuweilen sieht er sich sogar veranlaßt, Bismarck gegen seine deutschen Verkleineren zu verteidigen. . . Eine Anzahl sachlicher Irr tümer fällt bei der Trefflichkeit des Werkes im ganzen wenig ins Ge wicht." Daß auch Matters Auffassung von Irrtümern nicht frei ist. kann nicht wundcrnehmen. Dahin gehört z. B. die Ansicht, Bismarck habe seit 1866 ans den Krieg gegen Frankreich hingearbeitet. Matters Beweisführung ist in dieser Beziehung wegen falscher Zitate und infolge eines Mißverständnisses verfehlt. Als Ganzes aber darf seine Bismarck biographie, wenn sie hält, was die beiden ersten Bände versprechen, mit Freude begrüßt werden. Deutsches Reich. Lcipstg, 11. Oktober. * Ter ReichSctat. Die Verhandlungen der verschiedenen Neichs- stellen im Neichslchatzanit über ven ReickshausbaltSetat für 1908 09 nehmen einen derartigen Verlauf, daß auf die Einlieferung des ersten Einzeletats beim BundeSrat zu Beginn des nächsten Monats gerechnet Feuilleton. Die TLrrltur Japans. Tr. Taiji Jtchikawa, Lektor am Orientalischen Seminar und Ledrer des Japanischen an der Kgl. Kriegsakademie zu Berlin, hat verschiedene Vorträge, die er über die Kultur Japans gehalten hat, in Buchform herausgegeben. sVerlaa von Carl Curtius, Berlin, 1907.) Der Ver fasser betont selbst in feinem Vorwort, daß man eine umfassende und eingehende Behandlung der Dinge nicht erwarten dürfe. Und in der Tat bemüht er sich auch nicht, mehr zu geben, als eine Silhouette der Geschickte Japans und der materiellen und geistigen Kultur des Lan des. Wer die Bücher von Lascadio Hearn kennt: Kokoro, Lotos und Jzumo, dein wird die Art und Weise, wie Jtchikawa über die japanische Kultur schreibt, so trocken vorkommen, wie etwa die Beschreibung einer Naturfchönheit in einem Schulgeographiebuch. Gerade in dieser un berauschten, scheinbar so unpersönlichen und deswegen echt japanischen Art liegt der Wert des Buches. Wir hören einen äußerst gebildeten, äußerst fein empfindenden, äußerst selbständigen Menschen, der die europäische Kultur in sich ausgenommen hat, ohne die japanische verloren zu haben, zu uns reden: und wir hören ihm interessiert zu, auch wenn er Tinge sagt, die für uns nicht neu sind In dem geschichtlichen Teil seines Buches gibt Jtchikawa ein Bild der Entwicklung Japans zur Großmacht und zum Kulturland in europäischem Sinn. Systematisch begann die westliche Kultur in Japan einqcsübrt zu werden, nachdem im Jahre 1868 die Kaisermacht wieder hcrgestcllt worden war. Nicht als ob der Kaiser jemals entthront ge wesen wäre: seine in der heutigen Verfassung selbst noch betonte „gött liche" Abstammung schützte ihn vor jedem Angriff. Seit dem 16. Jahr hundert leitete aber nicht mehr der Kaiser die Regierung, sondern der Shogun: ein ursprünglich vom Kaiser ernannter Beamter, welcher die höchste Staats- und Militärmacht vereinte. Der Begründer der Shogunatsregierung war Tokugawa Jyeyasu, der aus den Kämpfen welcke die zahlreichen japanischen Fürsten gegeneinander führten, als Sieger hcrvorging. Tiefe Sbogunato- oder Tokugawaregierung hatte sich nun den Haß der Nation zugczogen, weil sie die Isolierung und Ab schließung Japans dem Ausland gegenüber aufgebcn wollte. Eine innere Revolution war die Folge, der Sturz der Tokugawaregierung und die Wiederherstellung der Kaisermacht. Ter Kaiser konnte aber nicht an ders handeln wie der Shogun: in einer Bekanntmachung vom 10. Ok tober 1868 teilte er dem Volke mit, daß es unmöglich geworden wäre, andere Verträge, als die des Friedens und der Freundschaft mit den auswärtigen Mächten abzuschließen. Zu gleicher Zeit begann nun auch die Periode der Volksautklärung. Tie Shogunatoregierung hatte alles daran gesetzt, das Volk von den Errungen>chaften der westlichen Kultur nichts wissen zu lassen. Die neue kaiserliche Regierung hat, wie Jtchikawa schreibt, die Auf klärung des Volkes an die Spitze aller Kulturprobleme gestellt. Das wichtigste politische Problem, das die neue Regierung loste, war die Abschaffung des Kasten- und Feudalsystems und die Einführung einer neuen Verfassung. Alle Stände und Berufe erhielten gleiche Rechte. 8-ie Verwaltung des Landes wurde nach europäischem Muster organi siert. Nichts itt für die schöpferische Anpassungsfähigkeit der Japaner charakteristischer als die Art, wie das Unterrichtswescn von ihnen neu- geitaltet wurde. Ohne durch sklavische Nachahmung europäischer Vor bilder das japanische Wesen zu verletzen, verwirklichten sie kulturell demokratische Forderungen, die heute in Europa, besonders in Deutsch land, leider nur Programmpunkte linksstehender Parteien sind. Vor allem fehlt in der japanischen Schule jedes religiöse Dogma; der Moral unterricht ist an die Stelle getreten. Die Elementarschulen in Japan sind keine Klassenschulen für die ärmeren Kinder mehr, sondern alle I Kinder gehen hinein. Die obersten Klassen sind io eingerichiet, daß i jeder sich für das entscheiden kann, was ihm von Nutzen ist. Will der Schüler weiterlernen, dann geht er in die Sekundärschule, deren Lehr zeit 5 Jahre umfaßt. Hat er diese Schule besucht, so erwirbt er dadurch den Einjährig-Freiwilligenschein. Von dort aus kann er zu jeder be liebigen Fachschule übergeben. Will er später die Universität besuchen, dann muß er noch drei Jahre in der Vorbercitungsschule bleiben. Diese Einrichtung ist spezifisch japanisch und Jtchikawa erklärt sie für not wendig, weil die Japaner sowohl auf der Universität, als auch in der Sckule nicht nur bezüglich der realen Lcbrgegenftände, sondern auch hinsichtlich der Sprachen mehr belastet seien, als die Schüler und Studenten im Westen. In der Tat finden wir, daß der japanische Lehr plan nicht nur europäische Kunst und Wissenschaft, sondern auch orien talische, besonders japanische und chinesische Lehrgegenstände umfaßt. Dazu kommt noch, daß die Japaner manche Dinge auf zweierlei Art ler nen müssen: z. Ä. das europäische und das lapanische Rechnen und Zeichnen. In der philosophischen Fakultät sind außer der europäischen auch die japanische, chinesische und indische Philosophie obligatorisch. In der juristischen Fakultät lernt man nicht nur das heimische Recht und das römische, wie in Deutschland, sondern auch das englische, fran zösische und deutsche Recht. Und als größtes Hindernis umgürten die sprachlichen Schwierigkeiten das Studium. Jtchikawa betont deshalb, daß die Reform der japanischen Sprache eine brennende Knlturaufgade bilde. Doch scheint er nicht zu glauben, daß man in der nächsten Zu kunft die Lösung dieser Ausgabe versuchen werde. So stolz Jtchikawa auf die Entwicklung der geistigen Kultur Japans ist, deren echt japanischen Ursprung er doppelt unterstreicht, so kritisch steht er der Entwicklung der materiellen Kultur Japans gegenüber, deren westliche Abstammung er zugibt. In seinen Augen mangelt es ben Japanern an wirtschaftlichen Tugenden und Kenntnissen: sic leiden an einer Uebcrichätzung der geistigen Kultur, an einer Unterschätzung der materiellen. Tic Aufrichtigkeit der Kaufleute, die Sparsamkeit des Volkes, die Idee des Rechts, der Freiheit und der Selbständigkeit, die Ausdauer und der Mut auf wirtschaftlichem Gebiet sollen noch viel zu wünschen übrig lassen. Dann läßt sie der Ahnenkultus nnd die Verehrung eines Gottes in der Person des Kaisers immer noch „zu übergroßem Pflichtgefühl und zur Unfreiheit" neigen, wie Jtchikawa wörtlich sagt. Non dem religiösen Jndifferentismus der Japaner, welcher die ganze japanische Kultur von der westlichen unterscheide, erhofft er den end gültigen Sieg der Ethik über alle Religionen und als Folge auch eine Steigerung der wirtschaftlichen, der materiellen Tugenden. Da er die Abschaffung des Krieges als etwas Utopisches betrachtet, fordert er einst weilen zur Hebung der materiellen Kultur eine noch viel stärkere Armee, eine noch viel gröbere Flotte. Als einzige gute Eigenschaft der heutigen japanischen Industrie erkennt er die niedrigen Löhne der Ar beiter an: aber ex siebt die Zeit kommen, wo die Arbeiter nach euro päischem Muster um ihre Menschenrechte kämpfen werden. Ucberhaupt scheint ihm die heutige gesellschaftliche Ordnung Japans in der Auf- lösung begriffen zu sein: vor allem das alte Haussystem, das Zusammen- leben der Eltern mit den Kindern. Und er hat auch erkannt, daß die Umwandlung nicht nur eine Folge des Eindringens individualistischer Ideen des Westens ist, sondern daß die Dirtschasts- und Bcvölkerungs- Politik als treibende Kraft wirkt. Trotz alledem spricht er das der westlichen nationalökonomischen Wissenschaft geläufige Wort nicht aus: Japan ist in den kapitalistischen Entwicklungsprozeß geraten. Und der Prozeß, der einerseits ganz neue, bis dahin unerhörte Werte schafft, wird auch in Japan anderseits eine zersetzende, alles Hergebrachte auf lösende Wirkung ausübcn Tas spricht Jtchikawa nickt aus: aber man kann und muß es aus dem schließen, was er über die neueste Entwicklung ber geistigen und materiellen Kultur Japans sagt. 8—s. * Berliner Musik. Einen ungewöhnlich starken Erfolg errang in der „Komischen Oper" am Mittwoch Abend Eugen d'Alberts Oper „Tiefland", die ihre hiesige Erstausführung erlebte nachdem fast alle Hoftheater mit Aus nahme des Berliner und die namhaften größeren und kleineren Stadttheater das Werk mit Erfolg gegeben haben. Ungezählte stürmische Hervorrufe des Komvonisten, der darstellenden Künstler, des Dirigenten Tango, des Direktors Gregor und deS Regisseurs Maris bezeugten sowohl nach dem ersten Akte, besonders aber am Schluß der Vorstellung, daß ebenso das Werk wie denen Vorführung die ungeteilte Zustimmung der Zuhörer gesunden haben. Ter Eriolg muß umso höher eingeschätzt werden, als es sich um das Werk eines deutschen Musikers bandelt, das die große Mehrzahl der bisher in der „Komischen Oper" fast ausschließlich gegebenen Over» französischen Ursprungs an Wirkung bedeutend übertroffen hat. Alan braucht d'Alberts Werk nach dem kolossalen Erfolge nicht zu überschätzen, man braucht vor allem nicht ru übersehen, daß es an einem Mangel an Ltilcinseitigkeir krankt, insofern es sich stellenweise zu der eminenten Ausdruckskraft des Muükdramas erhebt, anderseits aber auch in das Tiefland der überwundenen alten Oper herabsteigt, aber man wird anerkennen müssen, baß es sich um die wohltuende künstlerische Kund gebung eines erfindungsreichen, natürlich empfindenden nnd natürlich sich gebenden Künstlers ron gediegenem Können und feinem Klangsinn bandelt: der cbai attervolle melodische und motorische Gehalt, dle reiche sinsoui'che Arbeit im Orchester und die klangschöne, von aller lärmenden Ueberladung freie Instrumentation bezeugen es. Näher an dieser Stelle auf das Werk einzugehen, dürfte überflüssig sein, weit eS demnächst auch dem Leipziger Publikum bekannt werden wird, es aenüre alw die kurze Charakterisierung, um das Interesse für das Werk anzuregen. Die Aufführung war saft durchweg glänzend. In Frl. Labia hat der Komponist eine ganz ausgezeichnete Darstellerin der unglücklichen Maria gefunden, die, von einem einst reichen roken Bauern Sebastiano verführt, von diesem, als er ver^ armt und sich durch eine reiche Heirat wieder emporbringen will, einen armen einfältigen Hirten Pedro angetraut wird, und Herr Merkel ma lte ans die em Vedro, der den Verführer, seinen Herrn, als dieser sogar in der Brantnachl seine alten Rechte an Marta geltend machen will, erdrosselt, eine sehr wirsame Figur. Dem Sebastiano gab Herr Zevor wohl etwas zu rauh, rührend verkörperte Frl. Pickert die kindliche Nuri und Herr Wijiiat brachte di« lleine Rolle deS Mudlknechts Moruccio sehr charakterisliich zur Geltung. Die beiden Bühnenbilder, dir Alvenlandschast und das Innere der Mnble waren von auserlesener Schönheit; die Regie sollte aber der Ueberbeweglichk.it der klatschsüchtigen Weiber nnd der Statisterie energisch entgegentreten. Endlich sei des Orchesters mit Anerkennung gedacht, das für seine Verhältnisse das Menschenmögliche leistete. Voraussichtlich wird d'Alberts „Tiefland" eine lange Reihe von Vorstellungen erleben. Otto Uossnmnu. * Berliner Kunstialons. Ausstellung bei Fritz Gurlitt. Von der häßlichsten Straße Berlins, der Potsdamer Straße, worin die unendlichen Straßenbahnzüge mit Automobildroschken und Biersobren um di« Wette toben, tritt man in einen Hof, der von vier kleinen Villen eingerabmt ist, und wo in einem kleinen herbstlichen Vorgarten ein behelmter Grirchenkopf mit elegischer Heiterkeit niederblickt. Auf den klejnen Sandwegen krümmen sich die gelben Blätter, die schwarze Erde der Beete ist in Immergrün gerahmt, am Haus schaukelt müder Efeu — eine fröstelnde Erinnernng au Italien webt von irgendwo herüber. Drinnen in Len kleinen Räumen des Salons Gurlitt ist es sehr still, nur der Boden knarrt unter uniern Schritten, und manchmal hört man das Fräulein an der Kasse sich rühren. An den Wänden hänoen Bilder von I.TH. GSricault (179l—1824). Dieser geniale Jüngling gehört zu veo enthu siastischen Erben der napoleonischen Legende, er ist etwa mit Steudbal verwandt nnd den krältigeren Romantikern, die, gequälte Skeptiker, da- Furioso über alles liebten, zugleich trägt er schon einige Züqe des müdegeivordenen eoknut ciu «ioels, dessen Beichte Alfred de Muffet ablegte. Hier ist der „Karabinier', das wunder volle, seine Brustbild eines gepanzerten Reiters, »ine frische Erinnerung an das europäiich« Abenteuer des ersten Napoleons. Ihm gegenüber leuchtet der Kopf des Cchlachtrosses, das an die Malweise des Rubens erinnert, >wv dessen nervcheS Ungestüm doch ganz original ist. Auch di« „Manoeuore" ist vertrete«:
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