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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-19
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990619025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899061902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899061902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-19
- Monat1899-06
- Jahr1899
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Abend-Ausgabe M. Montag den 19. Juni 1899. Die Morgen-AuSgabe erscheint um Uhr. di« Abend-AuSgabe Wochentag» um L Uhr. Nrdactiou und ErpedMo«: Anhanni-gaffe 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend- 7 Uhr. Filialen: Otto Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum-. Laut» Lösche. Katharineustr. 14, Part, und König-Platz 7. riMM TaMatt Anzeiger. Amtsblatt -es Königliche» Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Ruthes und Volizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. BezugS-PreiS t» der HauptexpedUiou oder den tm Stadt» be»irk und den Vororten errichteten Au»- aaoestellen ab geholt: vierteljährlich ^»4.50. vei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ü.50. Durch die Post bezogen für Deutfchland und Oesterreich' vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendnng in» Ausland: monatlich 7.Ü0. Nnzeigerr-PreiS die sigespaltme Petitzeile L0 Pfg. Reklame» unter demRedaction»strich l4ae« spalte») bO^, vor de» Familienuachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriste» laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Ziffernsatz uach höherem Tarif. Extra »Vellage« (gefalzt), »ur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderuvg ^4 60.—, mrt Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß fir Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morge »-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei de» Filiale» und Annahmestelle» je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richte». Druck und Verlag vo» E. Volz i» Leipzig 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. Juni. Inmitten der verworrenen innerpolttifchcn Lage, die soeben durch das vorläufige Schicksal der preußischen Canal vorlage gekennzeichnet wurde und sich heute im Reichstag bei der ersten Lesung des Arbeitsschutzgesetzes bemerkbar machen wird, bilden die handelspolitischen Erörterungen, die sich im Reichstag an die Berathung deS provisorischen Ab kommens mit England anknüpften, einen festen, klaren Punkt. Da die Verhandlungen heute fortgesetzt und einen neuen An trag zum Hauptgegenslande haben werden, so empfiehlt es sich, die Würdigung dieser sehr wichtigen Debatte zu verschieben. Den Eindruck, daß der Reichstag in seiner großen Mehrheit die handelspolitische Weltsituation erkennt und ihr gemäß zu handeln entschlossen ist, wird aber auch die heutige Er örterung nicht abschwächen, sondern eher vertiefen. Wenn die Regierung daS Lob diplomatischer Größe, das ihr aus Anlaß dieser Verhandlungen die „Nationalztg." spendet, wirk lich verdient, dann wird sie diese in der Hauptsache an Einmüthigkeit grenzende Stellungnahme des Reichstages namentlich auch gegenüber Amerika verwerthen. Der heutige Tag wird dieses parlamentarische Bild noch in sein Gcgen- thcil verkehrt sehen. Nach dem Handelsprovisorium kommt daS Arbeitsschutzgesetz an die Reihe, ein Gegenstand, der den Reichstag noch zwei Tage beisammen halten wird. Das Organ der Socialdemokratie erklärt, daß an eine kürzere Berathung nicht zu denken sei. Ganz natürlich. Die principielle und auf Agitation berechnete Behandlung erblickt in einer ersten Lesung, der viele Monate lang die zweite nicht folgen kann, ein AuSfallsthor, von dem aus sie den Boden wirksam zu überfluthen vermag. Der Sache schädlich wie das erste Signal zu dieser Action ist auch dieser erste parlamen tarische Schritt. Auch die unbedingten Freunde der Vorlage bezweifeln nicht, daß die Vornahme der ersten Lesung in diesem Augenblick ein Fehler sei. Man hat aber, weil e» einen außerparlamentarischen Wunsch zu erfüllen gilt, nicht den Muth gehabt, seiner besseren Einsicht den gehörigen Nachdruck zu verleihen. DaS ist em böseS Omen. Denn, wenn aus dem kräftigeren Schutze der Arbeitswilligen etwas werden soll, müßten alle positiv gerichteten Fractionen ausschließlich diese» Zweck im Auge behalten und es vermeiden, aus Gründen, die der Sache fern liegen, nach anderer Richtung zu schielen. Wenn man die Regierungsvorlage für nicht viel mehr als einen Anlaß zur Erhöhung deS Arbeitsschutzes ansieht, so ist die Sache keineswegs aussichtslos, und der gute Wille, dem TerroriSmuS der Socialdemokraten einen Riegel vorzuschieben, fehlt bei einer großen Mehrheit nicht. Es ist sehr bezeichnend, daß auch eine sehr zahlreich besuchte Versammlung des Berliner Evangelischen Arbeiter vereins dieser Tage eine Resolution angenommen hat, die zwar den vorliegenden Entwurf entschieden abweist, aber voy dem Gedanken auSgeht, daß eine Ergänzung der Gesetzgebung zum Schutze LeS gewerblichen Arbeitsverhältnisses erwünscht sei. Wie die nationalliberal« Fraction, sieht dieser Arbeiter verein die Gewerbeordnung als den Ort an, wo dieser Zweck leichter zu erreichen sei, als durch ein Specialgesctz. Die Haupt schwierigkeit liegt in dem im Reichstage weitverbreiteten Wunsche, „Compensationen", socialpolitische Neuerungen, als Gegen leistung für Strafbestimmungen zu erlangen. Daß daS Centrum von diesem Standpunct abgeht, glauben wir nicht, obwohl die Absichten dieser Partei ebenso mißdeutet zu werden scheinen, als eS denen der nationalliberalen widerfahren ist. ES ist noch nicht einmal sicher, daß sich daS Centrum nicht zur Verweisung einiger Paragraphen der Regierungsvorlage — eS würden dies die 1 und 2 sein — an eine Commission entschließt, ein Verfahren, dem sich die nationalliberale Fraction ungeachtet ihres Beschlusses unseres Erachtens anschließen könnte. Aber daS bleibt richtig, eine Erweiterung deS § 153 der Gewerbeordnung ist auch ohne CommissionSberathung möglich — wenn daS Centrum wirklich etwas schaffen helfen will. Vorläufig liegen dieser Partei die aus der Canalvorlage herauSzuschlagenden Vortheile jedenfalls mehr am Herzen als die Sacke des Arbeitsschutzes. Hier stehen ihre Chancen, wie schon erörtert, ausgezeichnet und eS sollte unS gar nicht wundern, wenn sich die Meldung der „Berl. N. N." be stätigte, daß die C h a r s r e i t a g S v o r l a g e in der gegenwärtigen Session nicht mehr erledigt, mit anderen Worten dem Mittellandkanal geopfert werden solle. An unserer Ansicht, daß der Canal, wenn nicht jetzt, so doch spätestens im künftigen Frühjahr bewilligt wird, halten wir fest,obwohldurch die Erklärung deS CentrumS und daS Schweigen der Negierung auf dieselbe eine Fluth von CompensationS- forderungen entfesselt worden ist. Dieses Allzuviel dürfte die Stärke der abweisenden Regierung bilden. Wenn für die Bewilligung eines ProjectS, das Alles in Allem 260 Millionen kostet, „Entschädigung" in der Höhe von einer halben Milliarde — so hoch belaufen sich etwa die Kosten der ange meldeten „Forderungen" — verlangt werden, so ist das ein geradezu komisches Bild. So viel hungrige Mäuler, das er kennt Jeder, können nicht gestopft werden, und dies erleichtert eS, Niemand etwas zu gewähren — außer den schon vorher in Aussicht genommenen Compensationen für das Centrum bilden die auf dem VerkehrSgebiete liegenden Forderungen ohnehin nur einen Vorwand. Auf die Stellungnahme der Polen zu der Mittclland- caualfrnge fällt ein interessantes Streiflicht durch den in Pose» erscheinenden „Goniec". Wie man unS nämlich von dort schreibt, erklärt sich dieses Blatt in einem drei Spalten langen Artikel gegen die Vorlage. Der „Goniec" behauptet, daß eS eine große Unkluqbeit sein würde, wenn die polnische Fraction des preußischen Abgeordnetenhauses für die Canal vorlage stimmte. Zu gewinnen habe daS Polenthum durch die Annahme der Vorlage gar nichts, auch dann nicht, wenn die Warthe berücksichtigt werde. Nur auf die eigene Kraft könne daS Polenthum bauen. Sollte es aber bei der Abstimmung dazu kommen, daß die polnischen Stimmen den Ausschlag gäben, wie seiner Zeit bei der Militärvorlage, so sollte die polnische Fraction sich an den deutschen Parteien ein Beispiel nehmen. Diese gäben ihre Stimmen nicht umsonst, warum sollten in dieser Hinsicht die Polen deutscher als die Deutschen sein? Man müsse sich die Stimmen entsprechend bezahlen lassen; aber baar, nicht in schleierhaften Versprechungen. „Immer dreist und gottesfürchtig!" schließt daS Blatt. Die polnischen Landtagsabgeordneten werden diese Mahnung wohl be herzigen. Das „Mümorial Diplomatique" berichtet über einen das Verhältnis; zwischen Franzosen nnd Deutsche» im Auslande kennzeichnenden Zwischenfall, der sich in Peking ereignete, ehr die internationalen Truppendetachements die chinesische Haupt stadt verließen. Die französische -Abtheilung begab sich nach dem 15 Kilometer von der Gesandtschaft entfernten französischen Kirchhof, wo eine religiöse Feierlichkeit abgehalten wurde. Als .die Truppen staubbedeckt von dort zurückkehrten, kamen sie bei der deutschen Gesandtschaft vorbei, vor der sich die deutschen Matrosen in Parade aufgestellt hatten. Die Deutschen präsentirten das Gewehr, und die deutschen Officiere nahmen dann Anlaß, die französischen zu der vortrefflichen Haltung ihrer Truppen zu beglückwünschen. Als dann die Franzosen Peking verließen, wurden ihnen von allen Detachements militärisch« Ehren er wiesen, „wobei abermals die ganz be sonders freundliche Haltung der deutschen Truppen besonders bemerkt wurde." Dieser kleine Vorgang bestätigt die schon oft in letzter Zeit ge machte Erfahrung, daß Deutsche und Franzosen sich im Auslande meist ausgezeichnet ver trag e n und dies auch gern offen an den Tag legen. Ganz Aehnliches zeigte sich, wie die „Köln. Ztg." mittheilt, auch vor «Kurzem auf dem Regattatage des mittel rheinischen «Seglerverbandes in Wiesbaden, wo Vice admiral Mensing einen Trinkspruch auf „unfern" 5kaiser ausbrachte. «Als das Kaiserhoch verklungen war, trat ein F r a n z o s e an den Admiral heran mit den in gebrochenem Deutsch vorgebrachten Worten: „Mein Herr Admiral! Sie haben vorhin „unseres Kaisers" gedacht in dem Glauben, da ß Sie Deutsche ganz unter sich seien. Ich habe aus vollem Herzen mit eingestimmt auf Ihren liebenswürdigen, gnädigenHerrscher." Admiral Mensing ergriff nun noch einmal das Wort und bat die Anwesenden, diese ritterliche Kundgebung des Franzosen zu begrüßen „als ein Zeichen vergüten,ehrlichenGesinnung.diewirleider nicht oft in französischen Blättern finden, aber regelmäßig, so oft wir einen Franzosen bei uns begrüßen. «Ich constatire das auch als alter deutscher «Seeofficier, der die Franzosen von der gleichen an genehmen Seite in allen ihren Colonien kennen zu lernen «Gelegen heit hatte. Wenn sich einmal unsere gemeinsamen Interessen voll ousleben könnten, so könnten wir die mächtigsten Verbündeten der Welt werden." Diese Worte wurden mit lebhaftem Beifall ausgenommen. DaS Bedenkliche der Lage in Frankreich wird deutlich durch die großen Schwierigkeiten beleuchtet, welche sich der Bildung des neuen CabinetS entgegenstellen. Poincarü hat ein solches nicht zu Stande gebracht, weil entsprechend dem Kammervotum, welches das Cabinet Dupuy stürzte, zu heterogene Elemente anü Ruder verlangt wurden: gemäßigte, nach rechts sich concentrirende Republikaner, welche mit der zu erwartenden Freisprechung Dreyfus', den Dreyfushandel im Interesse des Staates be graben lassen sein wollen und Radicale und Socialisten, welche darauf bestehen, daß allen compromittirten Generälen der Proceß gemacht wird, womit dem Prestige der Armee eine furchtbare Wunde geschlagen würde. Nach Poincarü, der der Mann der ersteren Kategorie war, ist der Senator Waldeck-Rousseau in die Bresche getreten, der der radi kalen Richtung zuneigt, aber die Bedingung stellte, daß Casimir Pürier zur Beschwichtigung der Mißstimmung des Heeres als Kriegsminister ihn unterstütze. Ueber Waldeck- Nouffeau'S Bemühungen berichtet man unS: * Paris, 18. Juni. Trotz der großen Schwierigkeiten, welche sich Waldeck-Rousseau entgegenstellen — von drei früheren Ministern hat nur ein einziger, Rouvier, daS Anerbieten, in das! Cabinet einzutreten, angenommen — ist Waldeck-Rousseau fest! entschlossen, seine Mission zu erfüllen. Müline erblickt in der I Wahl Waldeck's keine Lösung der Krisis. Brisson hat! seinen Beistand zugesagt. Waldeck - Rousseau hat alle Mühe aufgewendet, Casimir Pürier zu gewinnen, dessen Freunde glaubten, daß die Uebernahme des Kriegsministeriums durch ihn di« Schwierigkeit der Lage vereinfachen könne. Casimir Pürier suchte auf Drängt» seiner Freunde den Präsidenten Loubet auf, welcher ihm auseinandersetzte, daß er die größte Auto rität gegenüber den Generalen besitze, um die Keime eine» sich unter denselben geltend machenden gereizten Gefühls zu ersticken. Casimir Pürier wandte dagegen ein, daß er sich vom politischen Leben zurückgezogen habe, um nicht mehr in dasselbe zurückzukehren, versprach indessen, sich die Sache noch einmal zu überlegen. Im Laufe des Abends erhielt aber Waldeck-Rousseau die Nachricht, daß Casimir Pürier definitiv ablehne. Da diese Ablehnung Waldeck-Rousseau vollkommene Freiheit giebt, wird er ein Cabinet der republikanischen Vereinigung bilden. Man fragt sich, ob er bis zu den Soci allsten gehen wird. Waldeck-Rousseau neigt zu einer Verneinung dieser Frage und dürfte damit zweifellos durchdringen. Der Präsident deS Senats Falliüre» stattete heute Nachmittag dem Präsidenten Loubet 'eine» Besuch ab. Man ver- sichert, er habe ihm mitgetheilt, daß der Senat einem Eintritte Millerand's in das Cabinet ungünstig gegenüber zu stehen scheine. Eine neuere uns telegraphisch zugebende Meldung besagt, dem Vernehmen nach werde Präsident Loubet, wenn Waldeck- Rousseau auf die Cabinetsbildung verzichten sollte, neuer dings Poincarü berufen, der versprach, zur Verfügung deS Präsidenten zu bleiben. Also auch der zweite Versuch scheint zu scheitern, und der Auswege und der brauchbaren Per sonen sind so wenige, daß man sich genöthigt sieht, auf den ersten Versuch zurückzukommen! Wie -er Zar entwaffnet, darüber bringt die schwedische „Göteborgs Handels-Tidning" folgende instructive Zusammen stellung: 17. August 1898. Der Zar veröffentlicht sein Friedensmanifest. — 20. September 1898. Es wird Ordre ge geben, zwei neue Panzerschiffe L 12724 Tonnen zu bauen. — 20. December 1898. Der Marineminister fordert 801 Millionen Mark zu Schiffen, welche zur Dertheidigung Petersburgs, des finnischen Meerbusens und Port Arthurs ge braucht werden sollen; denselben Tag wünscht er noch das Pacific- Geschwader mit 4 Panzerschiffen, 6 Kreuzern und mit einer Torpedo-Flottille zu verstärken. — 12. Januar 1899. Das Kriegs- und Marinebudget werden um 266,5 resp. 143 Mill. Mark erhöht. — 18. Januar 1899. Die russischen Truppen bei der afghanischen Grenze werden um 20 000 Mann verstärkt. — 19. Januar 1899. Der Marineminister ordnet den Bau von drei Panzerschiffen, jedes zu 11700 Tonnen, und von zwei Kreuzern von 6000 und 3000 Tonnen an und schlägt ferner den Bau eines Kreuzers von 6500 Tonnen und zweier Torpedo schiffe vor. — 16. Februar 1899. «Der Zar erläßt ein Manifest, durch welches er Finland seiner Autonomie beraubt und das Großfllrstenthum in das russische Kaiserreich vollständig ein- vcrleibt. — 18. Februar 1899. Das Manifest wird ungeachtet der Proteste und der großen Erregung der Bevölkerung procla- mirt, wodurch der «Staatsstreich als vollbracht erscheint. — 5. Mai 1899. Der Zar läßt dem finländischen Landtag einen Gcsetzvorschlag zugehen, durch welchen Finlands Armee von 5600 Mann auf 36 000 Mann erhöht werden, außerdem Finland zur russischen Kriegscasse jährlich 8 «Millionen Mark beisteuern soll. — Das sind in Kürze die Handlungen des „FriedeSfürsien" während der letzten Monate. Feuilleton. Die Schwiegertochter. 4j Novelle von Hedda v. Schmid. Nachdruck verboten. Benita zitterte stets innerlich, wenn ihr Sohn vor ver sammeltem Verwandten- und Freundeskreise «in — wie Eugenie sich spöttisch ausdrückte — „freier Dressur" vorgeführt wurde. Das Kind — sonst zutraulich und leicht lenksam, kehrte, unter dem strengen Blick der -Großmutter, wirklich einigen Eigensinn heraus und ward gewöhnlich alsbald mit einer scharfen Rüge, welche, ihm erthe»ilt, doch eigentlich seiner Mutter galt, auf sein Zimmer zurückgeschickt. Benita wäre es lieb gewesen, wenn -diese Schaustellungen ihres Kinde» unterblieben wären, aber es war nun einmal Frau Jutta's Art, ihren Enkel nach dem Dessert zu präsentiren, und die Schwiegertochter fügt« sich wie immer, um des lieben Friedens willen; ja sie klagt« nicht einmal ihrem Manne, daß ihr diese Anordnung seiner Mutter nicht recht sei. Sie empfand es als ein großes «Glück, daß sich letztere im Ganzen sehr wenig um Friedel kümmerte, sockst hätte sie sich doch schließlich bei mancher Veranlassung gegen den peremptorischen Willen Frau Jutta'» aufgelehnt. Als Friedel heute nach aufgehobener Tafel im Wohnzimmer seiner 'Großmutter, wo der Kaffee servirt war, erschien, merkte Benita sofort, daß ihr Junge nicht so lustig und guter Dinge war wie sonst. „Fehlt ihm etwas? Ist etwas geschehen?" fragte sie flüsternd schnell die Wärterin. ,/Ach, du mein «Heiland, nein, gnädige Frau", gab diese ebenso leis« zurück, „nur ein bischen hat er sich an der Sopha- kant« gestoßen." Benita forschte ängstlich nach einer Beule an der StirnhihreS Kinde», entdeckte aberguihreiDeruhigung nur einen klein«» blauen Flecken. , Frau «Jutta verlangte nun von ihrem Großsohn, daß er den beiden «Damen, ihren Gästen, ein Händchen geben solle, erreichte jedoch nichts weiter, als daß Friedel den linken Daumen in den Mund steckte und sich mit trotziger Miene an die Rockfalten seiner Wärterin klammerte. „Nun, Friedel", sagte die Großmama streng, „komm' her und sage -der Tante Guten Tag." Der sonst so aufgeweckte, für sein Alter ungemein entwickelte Knabe rührte sich nicht vom Fleck. .Fassen Sie das Kind, beste Frau Grooßfeld", begütigte Frau Herimer. .Friedel ist am Ende nicht wohl", wagte «Benita ängstlich zu bemerken. Frau Jutta wandte sich mit einem Blick voll vernichtender Hoheit ihrer Schwiegertochter zu: „Eigensinnig ist er", sagte sie mit Nachdruck. «Benita schwieg betreten, und Friedel, als habe er es heute recht darauf abgesehen, seine Großmutter zu erzürnen, brach in ein lautes Schluchzen aus. „Bringen Sie das Kind fort", herrschte Frau Jutta die Wär terin, welche vergeblich den Kleinen zu beruhigen suchte, an, „dieser Eigensinn ist nicht zum Aushalten." Frau Eugenie hatte sich mit koketter Geberde bei den ersten durchdringenden Lauten der weinenden Kinderstimme beide Ohren zugehalten. „Schreiende Rinder sind entsetzlich", klagte sie; ,-Gott sei Dank, ich bin kinderlos." Benita hatte sich rasch erhoben. Ohne auf das „natürlich, Du bist gleich bereit, den eigenwilligen Jungen zu trösten", ihrer Schwiegermutter zu achten, war sie auf ihren Sohn zugeeilt und hatte ihn auf ihren Arm gehoben. „Komm, mein Herzblatt", sagte sie leise, „komm', sei artig." Und, gefolgt von der Wärterin, verließ sie mit dem plötzlich still gewordenen Kinde das Zimmer. „Lena", sagte sie auf dem Corridor zu der gutmüthigen dicken Person, „bringen Sie Friedel zu Bett; er ist schläfrig und des halb eigensinnig. Aber seine Händchen sind heißer wie gewöhn lich; rufen Sie mich sofort, sobald Sie merken, daß das Kind im Schlafe unruhig wird; eS könnte sich bei ihm am Ende Fieber einstellen." „Ach, du mein Heiland, Friedelchen hat sich bloS erschrocken, die alte gnädige Frau —" ,-Schon gut", schnitt ihr Benita daS Wort ab, einer Be merkung der Person über ihre Schwiegermutter vorcoupirend. „Geh' jetzt mit Lena, Friedel, Mama kommt dann an Dein Bett, Dir Gute Nacht sagen." Der Knabe löste gehorsam seine Aermchcn vom Nacken seiner Mutter und ließ sich ruhig von der Wärterin forttragen. Wie es sich traf, waren die Herren bei dem unerquicklichen kleinen Auftritt, welchen Friedel veranlaßt, nicht zugegen ge wesen; sie hatten sich mit ihren Mokkatassen und Cigarren in das Cabinet des Hausherrn zurückgezogen. Als Benita mit den Worten: „Verzeih, liebe Mama, daß Friedel Dir durch sein Betragen Aerger bereitet", zu den drei Damen zurückkehrte, trat ihr Günther schnell und erregt ent gegen. „Wir haben eben «in Telegramm erhalten, Benita, welches mich schleunigst auf unsere Fabrik hinausruft. Ich muß den in einer Viertelstunde abgehenden Siebenuhrzug benutzen. Es hat eine Explosion auf der Fabrik stattgefunden und ein Arbeiter ist schwer verletzt. Ich nehme den ersten besten Arzt, dessen ich habhaft werden kann, und fahre mit ihm hinaus. Vor morgen früh kann ich jedoch nicht zurück sein, und Du wirst das heutige Concert ohne mich besuchen müssen. Vielleicht", fügte er hinzu, „ist Eugenie so liebenswürdig, Dir in ihrer Loge einen Platz anzubieten." „Bedauere unendlich", versetzte Frau Eugenie mit verbind lichstem Lächeln, „bei uns sind leider alle Plätze vergeben. Wenn Dir jedoch daran liegt, Günther, so werde ich in den Pausen Deine Frau gern chaperonniren." „Besten Dank, Benita bedarf keines Schutzes", erwiderte Günther ruhig. „Gewiß, ich bin ganz Deiner Ansicht; B«nita hat ja genug sam ihre Selbstständigkeit bewiesen. Nun, sie wird sich schon darüber trösten, einige Stunden ohne Dich in ihrer Loge zu ver bringen." Das junge Ehepaar überhörte den versteckten Spott in den Worten der schönen Frau, deren Augen unter den schwarzen krausen Stirnlöckchen so feindselig funkelten, als Benita, sich an Günther's Arm hängend, mit ihm das Zimmer verließ. Verstohlen ballte Eugenie die Hand zur Faust. Wenn es ihr doch gelänge, Günther's unbedingtes Vertrauen zu seiner Frau zu erschüttern. Wenn sich doch irgend etwas in Benita's Ver gangenheit fände, waS auf einen M-ikel an der jungen Frau hindeut«te. Anscheinend harmlos hatte sie sich heute bei letzterer nach Wolfgang erkundigt und die gleichmiithige Antwort erhalten, daß er zu seinem alten Vater nach W. gereist sei. Benita hatte den «Brief ihres Jugendgespielen ihrem Manne gezeigt und Wermuthungen über Wolfgang's plötzliche Abreise ausgesprochen. „Vielleicht steckt eine Herzensangelegenheit dahinter?" hatte sie zum Schlüsse gemeint, sich dann lachend an den Flügel ge setzt, um das reizende Liedchen von Meier-Hellmund: Ich hab' mein' Hut verloren, Fort trug ihn mir -der Wind; zu intonir«n. SechsteS Eaprtel. Wenn es sich um einen Act der Wohlthätigkeit handelte, war Frau Jutta, in pecuniärer Beziehung, ausnahmslos sehr freigebig. So hatte sie ihren Sohn beauftragt, «ine ganze Loge zum heutigen Concert zu nehmen, obzwar weder sie, noch ihr Gatte die Absicht hatten, letzteres zu besuchen. Ein Vetter des Hauses, «in ältlicher Hagestolz, ein Erbonkel, feierte seinen Geburtstag durch ein solennes Souper, zu dem die ganze Verwandtschaft der Grooßfelds geladen war. B«nkcns, sowie Günther und Benita hatten versprechen müssen, nach Schluß des Eoncerts das gastliche Haus des als Gastronomen bekannten -Geburtstagskindes zu besuchen; Herr und Frau Grooßfeld, voll verwandtschaftlicher Rücksichtnahme, wollten sich bereits früher dort einfinden. Ehe Benita zum Concert aufbrach, hatte sie sich noch mehrere Mal prüfend von dem Befinden ihres Knaben überzeugt, — er schlummerte anscheinend ganz ruhig, nur zuweilen zuckten seine Glieder, und die kleine Brust hob «sich wie von unterdrücktem Schluchzen. „Lena", schärfte Benita der Wärterin «in, „sollten Sie be merken, daß Friedel etwas fehle, daß sein Köpfchen zu glühen beginnt, dann schicken Sic sofort Jette ins Theater nach meiner Loge Nr. 5, vergessen Sie es nicht." „Ach, du mein Heiland, wo werde ich Venn, ich setze mir jetzt mit mein Strickstrumpf vor Friedrichen sein Bett und rühre mir nicht von Fleck." Als Benita ihre Loge betrat, hatte die erste Nummer der Vorstellung bereits begonnen. Benita, eine so leidenschaftliche Musikfreundin sie war, hörte heute eigentlich doch nur mit halber Aufmerksamkeit zu. Ihre 'Gedanken weilten bei Mann und Kind. O Gott, wenn ihr Liebling am Ende krank würde! Nach und nach legte sich die Wallung ihres GemütheS und sie gab sich ganz dem musikalischen Genüsse hin. Ein leises Be dauern beschlich sie bei dem Gedanken, daß sie darauf hatte ver zichten müssen, sich heute unter die ausübenden Kräfte zu zählen; aber nur «inen Moment dachte sie daran, dann wandte sie wieder ihre volle Aufmerksamkeit den Vorträgen zu. Unter Anderem gelangte ein kleines Singspiel, das sehrcküel Beifall fand, zur Aufführung. Die musikalisch-dramatische Vorstellung neigte sich bereits ihrem End« entgegen, als rin Theaterbesucher, ein später Nachzügler, einen Parquetplatz in einer der Hinteren Reihen einnahm. Sein Auge schweift« suchend über die Logen dahin, dann nahm er seinen Operngucker zu Hilfe und legte ihn mit be«
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