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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-08
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031008024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903100802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903100802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-08
- Monat1903-10
- Jahr1903
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Tabellarischer und Ziffernsay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ./L 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Nr. 513. Donnerstag den 8. Oktober 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. Oktober. Sozialdemokratischer Reservisteufaug. Daß die Flutwelle der sozialdemokratischen Agitation nicht ganz wirkungslos an dem „roosior äs broueo" des deutschen Heeres abprallt, haben ein zelne Vorgänge der neuern Zeit bewiesen. Aber gerade daraus, daß diese Vorgänge ganz vereinzelt sind, geht her vor, Wiegering die Aussichten der Umstürzler sind, auf diesem Boden die vaterländischen Ideale erfolgreich zu unter wühlen. Um so beflissener sind daher die berufsmäßigen Hetzer, die Hände auf die jungen Leute zu legen, die den bunten Rock ausgezogen haben und in das bürgerliche Leben zurückkehren. Mit welchem Raffinement die Hetzer dabei vorgehen, zeigt der folgende, vom ,Hann. Kur." mit geteilte Artikel des „Lüneb. Bolksbl.": „Ich bin Soldat, doch bin ich's gar nicht gerne!" Wie viele Male hat dieses Wort auf Euren Lippen geschwebt während der Dienstjahre beim Militär. Ihr seid ausgehoben worden zumeist gegen Euren Willen; Ihr habt eine Schule des Sklavengehorsams durchmachen müssen, die Euch in tiefster Seele verhaßt sein mußte und die manch einen Fluch, manchen stillen Verzwciflungsschrei auf die zum stumpfen Schweigen verurteilten Lippen gedrängt haben. Nun ist die Zeit über wunden; Ihr kehrt heim, soweit der Proletarier von einer Heimat reden kann; Ihr müßt wieder durch ehrliche Arbeit Euer Brot zu verdienen suchen, soweit die verrückte Ordnung des Kapitalismus dem Arbeiter Beschäftigung gewährt; Ihr lebt wieder zusammen mit Euren früheren Kameraden und Kollegen, und Ihr müßt wieder mit ihnen leiden und dem Ziele der Erlösung zustrcbcn. Ihr seid wieder Arbeiter. Als Soldaten wäret Ihr Werkzeuge eines Systems, das bestimmt war und ist, unter Umständen gegen die eigenen Brüder und Eltern geführt zu wenden, sic niederzuknallen. In den Jnstruktionsstunden ist Euch von jungen Leutnants oder von älteren Offizieren zum Ueberdruß wiederholt worden, die höchste Aufgabe des Sol daten sei, Thron und Altar zu schützen vor den verdammten Sozialdemokraten. Ihr habt das gehört und schweigen müssen. Im Innersten habt Ihr Euch das Beste dabei gedacht. Fast alle von Euch haben seelische Mißhandlungen er dulden müssen, sind mit groben, rohen, niedrigen Schimpf- Worten belegt worden. Viele haben mit den Zähnen geknirscht und schweigen müssen. Gar viele von Euch sind sogar leichter oder schwerer körperlich mißhandelt worden, und sie haben schweigen müssen. Auf Schritt und Tritt ist Euch zum Bewußtsein gekommen, für wen und für was das Militär heute gebraucht wird, daß cs das Instrument ist, durch welches die große Masse des Volkes, das Proletariat, in seiner Rechtlosigkeit, in seinem wirtschaftlichen Elend erhalten wer den soll. Ein verteufelt klug erfundenes System! Hunderttausende junger Männer im kräftigsten Alter steckt man in das bunte Tuch, um mit ihrer Hülfe zu Gunsten der Kapitalherrschaft den anderen Teil des Volkes in Schach zu halten. Man nennt das „Verteidigung der höchsten Güter", „Schutz des Vater landes". Und weil das Werkzeug zur Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft sehr teuer ist und die Reichen sich zwar schützen lassen wollen, aber keine Lust haben, dafür zu zahlen, hat man das famose System der indirekten Steuern entdeckt, so daß das Volk auch noch die Kosten für Erhaltung des Militarismus aufbringen muß. Die Herrschenden verstehen sich auf ihren Vorteil. Ihr habt als Soldaten vieles tun müssen, was Euch zuwider war, und Ihr habt manches unterlassen müssen, wozu das Herz, Eure heiligste Ueberzeugung Euch drängte. Jetzt seid Ihr wieder freie Männer; Ihr -dürft denken und sprechen, wie es Euch ums Herz ist, und Ihr dürst handeln, wie Ihr wollt. Da gibt es nur eine Aufgabe, der Ihr hinfort alle Eure Kräfte zu widmen habt: den Kampf aufnehmen gegen die Bedrückung, gegen die Entrechtung, gegen die Verdummung des Volkes." Von den neuen Kämpfern gegen Bedrückung, Ent rechtung und Verdummung wird darum als erste Tat ge fordert, sich sofort gewerkschaftlich und politisch zu orga nisieren und den „Gesinnungszwang der Krieger vereine, die den Kasernendrill und den Kadavergehorsam auf das gesamte Eivilleben übertragen wollen", sorgfältig zu meiden. — Jedenfalls wird man dem ,^Hann. Kur." darin beipflichten muffen, daß der Artikel des „Lüneb. Volksbl." nicht nur lehrreich sei für die Art der sozial demokratischen Hetze, sondern auch zur Klarstellung der Aufgaben diene, die Staat und Gesellschaft gegenüber dem jungen Nachwuchs«: unserer Volkskraft obliegen, der aus der militärischen Erziehung ins bürgerliche, ins Erwerbs- leben zurücktritt, vielfach jetzt erst eintritt. Die Ver pflichtung des Staates und -der IGesellschaft, den jungen Leuten, die zwei oder drei Jahre bester Jugendkraft -der Allgemeinheit zum Opfer bringen mutzten, diesen Eintritt zu erleichtern, wird vielfach noch zu leicht genommen. Auf der andern Seite aber ist es die Aufgabe der Heeres- leitung, dafür Sorge zu tragen, daß keiner der Ent lassenen mit jener Erbitterung aus bekannten und oft bc- klagten Ursachen das Heer verlasse, auf welche die sozial demokratische Hetze, wie der mitgcteilte Artikel lehrt, so vortrefflich zu spekulieren versteht. Nur wenn die durch die Schule der Armee gegangenen jungen Leute mit Freude und Befriedigung an diese ihre nationale Schulzeit zurück- zudenkcn in der Lage sind, werden sie für die sozialdemo kratischen Lockmclodien taube Ohren haben können und sich die Freude und Genugtuung über die Eröffnung des ungeheuren Feldes, auf dem sie ihre Tätigkeit entwickeln können, von professionellen Hetzern nicht rauben lassen. Chamberlai« als Wanderredner. Chamberlain hielt gestern in Greenock (Schott land) eine Rede, in der er ausführte, er würde vielleicht Reziprozitätsvorteile von anderen Ländern an nehmen, die bereit sein würden, auf jedes derartige Aner bieten mit Freuden einzugehen. Er wolle heute über Vergeltung der Reziprozität sprechen. Cobden habe seiner zeit bestimmt behauptet, wenn England zum Freihandel überginge, würde jede Nation ihm folgen oder zu gründe I gerichtet werden und England würde dann aus der Not- I läge der anderen Nntzen ziehen. Er, Redner, habe nie I geglaubt, daß alle Weisheit der Welt nur in England zu Hanse wäre. Er habe beträchtliche Achtung vor dem deutschen Volke als der wissenschaft lichsten Nation der Welt und empfinde große Achtung und große Freundschaft ffir die Franzosen. Er glaube nicht, daß alle jene Völker Toren seien. Die Ausfuhr bestimmter Fabrikate nach jenen Ländern habe abgenommen, während deren Ausfuhr nach England ge stiegen sei. Er habe sich nie gern schlagen lassen, ohne da gegen zu schlagen. Das gegenwärtige System, führte Chamberlain im Anschluß an diese Darlegungen aus, treffe sowohl die Fabrikanten als die Arbeiter. Wenn den Ar beitern keine Arbeitsgelegenheit geboten sei, so hätten sie keinen Ausweg außer vielleicht den, französisch oder deutsch zu lernen. Alle Völker, die zum Schutzzoll übergingen, seien mehr als England voran geschritten. Die auslän dischen Kaufleute kämen nach England mit Prämien aller Art und vielen anderen Vorteilen gerüstet. England habe Gesetze erlassen, die die Lebenshaltung der Arbeiter hoben und ihnen Lohnsteigerung und Sicherheit in den Betrieben gewährleisteten, alles Dinge, die die Produktionskosten steigerten, gleichwohl gestatte es fremden Ländern, die diese Erhöhung der Kosten nicht zu tragen hätten, mit eng lischen Waren in England selbst in freien Wettbewerb zu treten. Wenn der gegenwärtige Zustand fortdauere, müßten die englischen Arbeiter niedrig! ere Löhne annehmen oder sie würden ihre Arbeit verlieren. Chamberlain sprach sodann davon, daß die Konkur renz Amerikas auf dem Eiseumarkte in großem Maß stabe bevorstehe, und bemerkte danach, keine soziale Gesetz gebung sei soviel wert, als eine Gesetzgebung, die den Ar beitern ununterbrochene Arbeit und angemessenen Lohn sichere. In Greenock sei eine große Anzahl Zucker raffinerien geschlossen, die Eisenindustrie sei bedroht und die Baumwollindustrie werde auch an die Reihe kommen. Man sage, wenn England Abmachungen mit seinen Kolo nien treffe, so werde das Ausland sich gegen England er bosen. Er frage, ob England so tief herabzusteigen brauche, ob es Befehle des Auslandes mit winselnder Demut ent- gegenzunehmcn habe. England habe vom Aus lande nichts zu fürchten. Er glaube nicht an einen Tarifkrieg; aber wenn ein solcher Krieg eintrete, so sei es nicht England, das am meisten verliere. England sei der größte Markt der Welt und der beste Kunde des Auslades und viele strebten danach, in England ein Absatzgebiet zu finden. Was die Kolonien betreffe, so gebe es keine Grenze für ihre Entwickelungsfähigkit; es gebe nichts, was England brauche, das sie nicht liefern könnten, und nichts, was England verkaufe, daß sie nicht kaufen könnten. Wenn sich aus den zu treffenden Matz regeln eine Isolierung ergeben sollte, so würde dies für England eine glänzende Isolierung sein, wenn es dabei von der Zuneigung und Liebe seiner Verwandten jenseits der Meere unterstützt würde. Es handele sich um Englands Zukunft; die Sache des Landes sei es, die Ent scheidung zu treffen. Die Orientwirre« und die Londoner Geistlichkeit. Aus allen Stadtteilen Londons wird berichtet, daß die Predigten in sämtlichen staatskirchlichen, wie freikirchlichen Gotteshäusern am Sonntag der Orientpolitik, den armen Bulgaren und den türkischen Greueln gewidmet waren. Teilweise trugen diese Ausflüge der geistlichen Herren in das Gebiet der hohen Politik ein fast komisches Gepräge. Kanonikus MacCollin der St. Markuskirche predigte über den Berliner Vertrag und griff unter an Feuilleton. Das neue Modell. 7j Roman von Paul Oskar Höcker. etacdvruck verboten. Plötzlich, ziemlich unvermittelt, brach Liselotte in Tränen aus. Er sprang auf und kam auf sie zu. „Ich wollte Ihnen nicht wehe tun. Bitte, bitte, zanken Sie mich tüchtig aus. Es war ja so unverständig von mir. Ach, Sie sollen nicht glauben, daß ich Ihnen nicht alles nachfühlen könnte." „Nein, nein, Sie können es nicht!" sagte sie voller Trauer. Er hatte ihre Hand erfaßt. „Vielleicht war es — un- verantwortlicher Egoismus von mir, Fräulein Liselotte." „O still, bitte, sprechen Sie nicht." „Sie ahnen, Liselotte?" „Nein, ich . . . ach, machen Sie mir's doch nicht so grenzenlos schwer." „Sagen Sie einmal aufrichtig, Fräulein Liselotte: bin ich Ihnen ein klein wenig wert? Oder habe ich mir Ihre Zuneigung jetzt endgültig verscherzt?" „Fragen Sic mich nicht", bat sie ihn schluchzend, „ich bin mir über mich selbst glar nicht mehr klar. Es ist so vieles auf mich eingestürmt, ich mich mich erst wieder sammeln. . . ." Sie wischte sich mit dem Taschentuch die Tränen auS den Augen und ging auf die Tür zu. „Liselotte!" rief er. Er stürmte ihr nach, versperrte ihr den Ausgang. „Sv dürfen Sie nicht gehen. Sie müssen mir zuerst sagen " „Bitte, bitte, lassen Sie mich!" flehte sie. „Noch ein Wort, Liselotte. Ja, wollen Sie mich an- hören? Ich verspreche Ihnen, daß es nichts ist, was — was Sie nicht gern hören werden." Sie ließ mutlos die Hand sinken. Ihr Gesicht war bleich, in ihren Augen flackerte cs unruhig. „Ich habe eingesehen, liebstes Fräulein Liselotte, daß es Torheit wäre, ja mehr als das, daß es ein Verbrechen wäre, Tie an dem, was Sic Ihr Glück nennen, zu hindern; und ich werde mit keinem Wort mehr versuchen, Sie von Ihrem Plan abzubringen." „Mit unsicherem Lächeln, noch unter Tränen, sah sie ihn fragend an. „Aber — vielleicht lockt Sie's später einmal, Fräulein Liselotte, wenn Sie die ersten Leidenschaften des Ehr geizes überwunden haben, in einem stillen Erdenwinkel allein zu sein mit Ihrer Kunst — und danu sehen Sie sich vielleicht nach einem treuen Freund um, der Sie versteht." Sic hatte den Blick wieder gesenkt. Sie wußte ihm nichts zu erwidern. „Liselotte", fuhr er weich und innig fort, „wenn Sie ihn suchen — so wird er nicht weit von Ihnen sein." Er hatte ihre Hand wieder erfaßt, neigte sich nun darauf nieder und küßte sie. Sie ließ es geschehen. Seine Worte rührten sie. Es ergriff sie etwas in keinem zärtlich werbenden Ton. Aber sie konnte nicht sprechen, konnte ihm kein Wort sagen. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. So nickte sie ihm denn nur stumm zu und ging hastig. * * * Mit derselben Post, mit der Hans Donat an Mitt wald geschrieben hatte, war auch von Marion das schon angekündigte Briefchen aus Paris eingetroffen. ES lautete: „Mein liebes kleines Schwesterchen! Seitdem Herr Leutnant Donat seinen Antrittsbesuch bei uns gemacht hat, habe ich dem Kalender und der Stutz uhr den Krieg erklärt. Ich will nicht mehr wissen, was für ein Datum, welche Jahreszeit wir haben. Ich will nicht einmal wissen, welchen Wochentag wir haben und wie spät es am Tage ist. Mädel, was für eine ungeheuerliche Entdeckung habe ich machen müssen«! Die entsetzlichste, die einer jungen Frau passieren kann: daß ich alt geworden bin! Liselotte, Du kurzröcktger Backfisch mit den baumelnden Zöpfen, Du Kiekindiewelt mit den lieben, grauen, verwunderten Kinderaugen, Du bist also wirk lich und wahrhaftig eine junge Dame geworden? Du spielst nicht mehr mit Puppen, Deine Lektüre ist nicht mehr Herzblättchens Zeitvertreib", und wenn Jahr markt bei Euch ist, schmeichelst Du wohl gar der guten Mama keine Groschen für Zuckerstengel mehr ab?! Ach, liebster, kleiner Herzensschatz, wie leid mir das tut, wie mich die plötzliche Kunde, daß ich mir Dich in langen Kleidern nach der ncncsten Mode und mit einer koketten Frisur vorstellcn muß, erschreckt hat. Ja, erschreckt: denn wenn Du kein Kind mehr bist, bann bin ich doch alt geworden. Siebenundzwanzig Jahre. Ach, ich fasse es nicht. Nur noch drei Winter und ich bin . . . Entsetzlich! Aber habe keine Angst, mein Liebchen, ich will es Dich nicht entgelten lassen. Im Gegenteil, ich möchte Dir irgend etwas recht, recht Liebes antun. Wenn Du mir feierlich versprichst, hier keiner Menschenseele zu ver raten, daß Deine große Schwester schon so knapp vor der gefürchteten Jahreszahl angelangt ist, die man so ungern ausspricht, so mußt Du schleunigst zu mir kommen. Es hat mich eine wirkliche Sehnsucht nach Euch allen erfaßt. Besonders aber nach Dir. Papas Mißgeschick hat mir bitter leid getan. Ich hoffe aber, daß Mama, die ja noch nie den Mut ver loren, die immer das Talent gehabt hat, gesunkene Hoff nungen wieder aufzurichten, neu zu beleben, daß sie auch diesmal unsern armen, alten Papa in seiner Verzagtheit nicht ohne Trost lassen wird. Mein Vorschlag geht also dahin, kleine Liselotte: Du möchtest möglichst bald die Koffer packen und hierher kommen. Paris ist himmlisch! Ich kenne jetzt London, New Aork, Kopenhagen, Spaa, Brüssel, Edinburg und Bordeaux — aber ich möchte nirgend, nirgend anderswo leben, als hier in dem entzückenden, lästerlichen, teueren, nichtsnutzigen, lieben, schauderhaften Paris. Als mir Dein kleiner Leutnant, der übrigens ein ganz reizendes Kerlchen ist, erzählte, wie sich das Leben so bet Euch an der Grenze abspielt, da überkam mich ein ganz unsagbares Erbarmen mit Dir, meine arme, kleine Maus. Keine Toiletten, kein Theater, keine Gesellschaften, keine Fahrten ins Bois, keine Feste, keine Empfänge . . . Brrr! Ich glaube, ich hielte es in Euerem unglückseligen Chateau-Lanney keine drei Tage mehr ans. Und das ist auch wirklich für ein hübsches, frisches, junges Ding, wie Du's nach Dottats begeisterter Schilderung sein mußt, entschieden kein geeigneter Aufenhalt. Also nochmals, mein Herzblatt, packe Deine Koffer und komme schleunigst. Du wirst Augen machen, wenn Du Paris siehst. Aber wirst Dich schnell hier zurechtfinden und es lieben gleich mir. Ich kann mir heute kaum vorstellen, daß eS eine Zeit gegeben hat, in der ich Paris noch nickst kannte. Und Du armer, kleiner Staarmatz bist also über haupt noch nie, nie, niemals aus Deinem kleinen Nestchen deren. Deutschland und Oesterreich heftig an; er er zählte. der neue Zolltarif Deutschlands habe den Zweck, Oesterreich in einen Zollverein mit Deutschland zu zwingen, wofür Kaiser Wilhelm den Oesterreichcrn Salo niki versprochen habe. Deshalb begünstige Deutschland die Niedermetzelung der bulgarischen Makedonier, damit schließlich Oesterreich einschreiten und Saloniki besetzen könne. (!) Das weitere Ziel Deutschlands aber sei, den englischen Handel im Orient völlig zu zerstören. (!) — Der Bischof von Stepney, vr. Lang, hielt im Nach- mittagSgottesdienste in der St. Pauls - Kathedrale eine leidenschaftliche Philippika gegen die Untätigkeit der Grob mächte und erklärte, die englische Regierung werde, w«nn sie noch länger den Bluttaten in Makedonien mit ver- fchränkten Armen zuichauen würden, „an Herzlosigkeit und nackter Selbstsucht auf die Stufe der deutschen Regierung herabsinken." (!) — Benjamin Gib bons, der Pastor der Bloomsburgkirche, forderte seine Gläubigen auf, den Ministerpräsidenten Balfour „so lange mit Briefen zu bombardieren und darin das Einschreiten Englands zu fordern, bis der Philosoph Balfour wieder Christ würde und sich seiner Pflichten gegenüber den Mit christen in Makedonien erinnerte." — Nn Prediger bev Heilsarmee verglich Balfour mit Lebaudy, dem „Kaiser der Sahara". Der Letztere glaube sich mit seinem Geld beutel und dem Blute erkaufter Sklaven in Afrika ein eigenes Reich schaffen zu können. Eiin derartiges frevel» Haftes Beginnen sei eine echte Blüte der gewissenlosen Geldpolitik, welche alle sogenannten christlichen Groß mächte betrieben. So werde auch Balfour den Boden Makedoniens mit dem Blute der unschuldigen Christen tränken lassen, um daun denselben an den Meistbietenden! zu überlassen. Serbisches Parlament. Die Skupschtina wurde gestern mit einer Thron» rede eröffnet, in der der König dem Kabinett Avakumo- witfch seine Anerkennung dafür ausspricht, daß es in schweren Augenblicken die Regierung übernommen und damit jegliche Störung der Ordnung verhindert, sowie daß es das Gleichgewicht des Staatshaushalts und die Revision des Preßgesetzes und des Gesetzes, betreffend die Autonomie der Distrikte und Departements, durch geführt habe. Die Thronrede drückt die Hoffnung aus, daß die Skupschtina in jeder Beziehung die Vervollkomm nung der Streitkräfte des Landes unterstiitzen werde. Die Regierung werde ihr möglichstes tun, um Serbiens Volkswirtschaft eine neue Grundlage zu geben. Die Be ziehungen Serbiens zu den fremden Ländern seien nor mal. Der König wünsche weiterhin die Pflege der über lieferten brüderlichen Bande, die Serbien mit Ruß land verknüpfen, wünsche ferner die bestehenden guten Beziehungen Serbiens zu Oesterreich-Ungarn zu befestigen und innigere Verbindung zwischen Serbien und den Balkanländern herzustellcn, die mit ihm durch Stammesgemeinschaft verwandt seien. Die betrübenden Ereignisse in der Türkei müßten die serbische Regie rung notgedrungen beschäftigen, und wenn Serbien eine neutrale Haltung bewahrt habe, so sei dies der Fall, weil es hoffe, daß der Sultan sein Möglichstes tue, damit die Zustände in den betreffenden Gegenden sich bessern. Die Thronrede erwähnt sodann , daß der Sultan ein Jrade unterzeichnet habe, welches die serbisch« Nation anerkennt, un- erklärt die Sitzungen der herausgekommen? Ja, Herzenskind, wie hast Du da nur überstanden? Weißt Du, ich mache mir jetzt schwere Borwürfe, daß ich mich noch nicht früher um Dich gekümmert habe. Aber die Zeit ist mir so im Fluge vergangen. Und ich habe tatsächlich, wenn ich an Dich dachte, Dich mir noch immer als eine kleine Krabbe vorgestellt, die eben noch als Nesthäkchen unter Mutters Fittiche gehörte. Jetzt komm', komm', komm', mein Schatz, damit ich Dich endlich einmal von Angesicht zu Angesicht sehe. Dein letztes Bild ist drei Jahre alt. Darauf habe ich Dich überhaupt nicht wieder erkannt. Es schien mir gar nicht verwandt mit dem Bilde, das ich von Dir in der Vorstellung hatte. Darum hat es auch keinerlei Ein druck auf mich ausgeübt. Ach, was werden wir einander zu erzählen haben! Denk' nur, ich soll nun auch endlich meinen eigenen Wagen bekonrmen. Natürlich Automobil. Eine ent zückende Charrette: das erste Modell eines Luxuswagens aus unserer Fabrik. In Edinburg war es zu scheußlich. Dort gibt es nur ganz Reiche und ganz Arme. Da wir leider Gottes zu den ersteren nicht zählten, Gottlob auch nicht zu den letzteren, nahmen wir eine ziemlich unglück liche Mittelstellung ein. Ich kann Dir kaum schildern, wie mich das immer gepeinigt hat, wenn ich an den Sommernachmittagen zu Fuße mit den Kindern zum Arthurssitzc emporklettern oder im elenden Fiaker -um Ealton Hill oder an den Firthstrand trotten mußte, während die anderen Fabrikantenfrauen cS der aller- ersten Aristokratie gleichtun konnten, Wagen und Pferde besaßen, oder doch jederzeit ihren Chauffeur mit dem Automobil hcrkommandieren durften. Das hat sich nun endlich alles gewendet. Wir haben eine entzückende Wohnung in der Avenue Viktor Hugo, kaum zehn Minuten vom Bois, wo an den Nachmittagen immer der weltberühmte Korso stattfindet. Das ist ein Leben und ein Reichtum, ach, Liebste, Du machst Dir keinen Begriff davon. Vor allem diese wunderbaren Toiletten. Es gibt auf der ganzen Welt keine Frau wieder, die sich so meisterlich zu kleiden ver stünde, ivie die Pariserin. Wer Blick dafür hat, weiß die echte Pariserin sofort von der Fremden zu unterscheiden. Es ist mein ganzer Stolz, daß mich jedermann für eine geborene Pariserin hält. Komm' nur recht, reckst bald, Liebchen, damit Du an meinem Glücke Anteil nimmst. Es geht mir ausgezeichnet. Ich habe meinen „jours!
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