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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.09.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-09-18
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950918026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895091802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895091802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-09
- Tag1895-09-18
- Monat1895-09
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Gleichzeitig empfangen wir aus Berlin folgende Zuschrift: „Hier und da taucht die Nachricht auf, die Stellung des Reichs kanzlers Fürsten Hohenlohe sei erschüttert; stellenweis wird auch lein Rücktritt als nahe bevorstehend angekündigt und als sein Nachfolger Gras Waldersee genannt. Alle diese Gerüchte sind, wie mir aus bester Quelle erfahren, durchaus erfunden; Fürst Hohenlohe erfreut sich nach wie vor im höchsten Maße der lästerlichen Gunst; eine herzlichere und wärmere Begrüßung, als sie ihm, da er in den kaiserlichen Extrazug in Danzig einstieg, vom Kaiser zu Theil wurde, läßt sich kaum denken. Bei allen in diesen Tagen erfolgten mehr oder minder versteckten Angriffen gegen den Reichskanzler wird man immer, wenn man genauer nachforjcht, auf eine englische Quelle stoße». Den Engländer» war die Reise des deutschen Reichskanzlers nach St. Petersburg höchst unbequem; in London wußte man sehr gut, daß die Beziehungen zwischen Petersburg und Berlin an Intimität gewonnen haben, seitdem Deutschland in der ostasiatischen Action auf Seiten seines östlichen Nachbars gestanden hat. Kaiser Nikolaus ist davon über zeugt, daß der Dreibund in erster Linie nur der Sicherung des Friedens gelten soll und jeder provocatorischen Tendenz gegen Ruß land entbehrt. Weil die Engländer nun sahen, daß die Beziehungen zwischen Berlin und St. Petersburg so gute waren und noch bessere wurde», so machte man den deutschen Reichskanzler zum Zielpunct des Angriffes und setzte allerlei Märchen über erbitterte Stimmung in Deutschland gegen Rußland in die Welt. In alle» diesen Märchen kommt aber »ur der Aerger der Engländer über die Reise des Reichskanzlers nach Rußland zum Ausdruck; in einem Artikel in den „Hamburger Nachrichten", der unzweifelhaft auf den Fürsten Bismarck zurückzuführen ist, ist klipp und klar gesagt, daß die angeblich übelen Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland »ur in der Phantasie Londoner Organe bestehen." Es ist unzweifelhaft richtig, daß die englische Presse den Rücktritt des Fürsten Hohenlohe wünscht; jene Behauptungen aber, daß der Reichskanzler sich weigere, ein neues Aus nahmegesetz einzubringen, und deshalb vor seinem Rück tritt stehe, sind jedenfalls auf d e u t s ch e Quellen zurück zuführen. Wo diese fließen und zu welchem Zweck?, iss xio.ch unklar, -jedenfalls aber ist eS thöricktt, zu glauben, daß wegen der etwaigen neuen Maßnahmen gegen die Umsturzbestrebungen eine Differenz zwischen dem Kaiser und dem Reichskanzler sich herausgestellt habe. Als der Kaiser seine bekannte Rede am Sedantage hielt, hat er lediglich seiner Empörung über das vaterlandsverrätherische Treiben der socialdemokratischen Führer, seinem Unmuthe Uber das Scheitern der Umsturz Vorlage, das laxe Borgehen mancher Staatsanwälte und die Uneinigkeit der bürgerlichen Parteien Ausdruck geben und diesen zeigen wollen, wohin cs kommen müsse, wenn sie sorlfübren, selbstmörderisch die socialdemokratischen Bäume noch höher wachsen zu lassen. An bestimmte neue gesetzliche Maßregeln zur Bekämpfung des Umsturzes bat er nicht gedacht, sonst hätte er nicht an die Garden appellirt. Und seitdem hat sich noch gar keine Zeit und Ge legenheit geboten, dieser Frage näher zu treten. Sie wird aufgeworfen werden, daS ist zweifellos. Vielleicht ergiebt sich dann eine Differenz; schon jetzt aber von einer solchen zu reden, ist handgreiflicher Unsinn. In der soeben erschienenen Nummer der „Deutschen cvangel. Kirchenzeitung" beginnt Herr Stöcker die ver sprochene Darlegung. Der Haupttheil derselben muß erst noch folgen, aber schon der Anfang läßt mit Deutlichkeit den Schluß erkennen. Bezeichnend ist schon die Ueberschrift „D i e falsche Cartelpvlitik. Deutschlands Berbängniß" und der Anfang: „Der falsche Cartelgedankc, im Jahre 1888 aus In« triguen und Schwachheit geboren, aber durchaus lebensunfähig, hat seitdem die innere Reichspolitik von Niederlage zu Niederlage geführt, den Reichstag verwüstet, das (Zentrum demokratisirt, den Umsturz gestärkt, die Regierung geschwächt. Trotzdem scheint es. daß jetzt ei» neuer Anlauf genommen werden soll, dies Cartel lebensfähig und activnsfähig zu machen." Schon hieraus geht hervor, daß Herr Stöcker sich berufen gefühlt hat, die vom Kaiser gebilligte Cartelpolitik des da maligen verantwortliche» Leiters der deutschen und preußischen Angelegenheiten zu bekämpfen. Trotzdem stellt er in Folgendem die Sache so dar, als ob er und seine christliche Liebes- lhätigkeit bekämpft worden sei. Er erzählt: „Nie hat die Stadtmission von sich aus einen Schritt qethan, um sich an die Güte des prinzlichen Paares heranzuLrängen. Alle Anregungen und Aufforderungen ohne Ausnahme ginge» vom Hofe aus. Mit der Walbersec-Vcrjaminlung war es anders. Zuerst war nur an einen Vorstand aus einigen hervorragenden Persönlichkeiten gedacht. Graf Waldersee, die Minister von Putt- kamer und von Goßler, Graf Hochberg, zuletzt noch Graf von Stol- berg-Wernigerode; das waren die Männer, die dein Prinzen zur Seile stehen sollte». Jeder Kundige weiß, daß diese Namen gerade in ihrer Zusammensetzung ein irgendwie politisches Zusammenwirken ausschlossen; von ihnen gar ein hochconjervatives, hochkirchliches rcactionäres Camarillatrciben zu fürchten, wäre eine völlige Thor- heit gewesen. Später erweiterte sich der Gedanke zu dem Plan einer ersten zahlreicheren Versammlung. Ich darf versichern, daß ich es war, der in aller Bescheidenheit den Rath gab, man möge in dem größere» Kreise, der aus den, ganzen Lande zusammen- berufen war, nicht bloS die Berliner Stadlmission, sondern auch die Noth der Provinzen bedenken. Ich war es auch, der nach einer Besprechung mit einem der angesehensten konservativen Reichstags- abgcordnete» die Bitte aussprach, es möchte» Männer nicht nur der politischen und kirchlichen Rechten, sondern auch anderer Richtungen eingeladen werden. Ties geschah sofort. Angesehene Persönlichkeiten der Mittelparteien sagten ihr Erscheinen zu." Herr Stöcker kommt dann auf die Artikel der Presse, zuerst der „Nordd. Allg. Ztg." zu sprechen, die sich gegen die christlich-sociale Partei und die Waldersee - Bersammlung richteten, bezeichnet den Argwohn des Fürsten Bismarck, daß sich eine Clique an den Thronfolger drängen wollte, als Jrrthnm und fährt fort: . „Fürst Bismarck hat bsfeubak gedacht, wir Pastoren wollten eine Art evangelisches Centruin begründen, eine neue Schwierigkeit für das Reich und die Reichspolitik. Und deshalb hat er auch wohl die Waldersceversammlung i» ihrer Bedeutung nicht begriffen, soiidern dabei an eine ehrgeizige, hierarchisch-politische Clique gedacht. — Aber nicht deshalb habe ich anno (888 ihn zu be kämpfen versucht, sondern aus anderem Grunde. Im Anschluß an seinen Brief (der den Prinzen davor warnte, sich vorzeitig in Beziehungen zu einer Partei oder Clique einzulassen) und seine Stellung fing nun die inittelparteiliche Presse ihr wüstes Treiben an; und er duldete es. Ein Wort von ihm, und die Hetze unter blieb. Aber dies Wort kain nicht, oder zu spät. Und ei» größeres politisches Unheil kann ich nicht ausdenken, als wen» eine Presse, die monarchisch sein will, durch den Terrorismus der öffentlichen Einschüchterung einen Fürsten von seiner Ueberzeugung, zumal einen christlichen, abzudrängen und ihn unter eine fremde Ueberzeugung, noch dazu eine widerchristliche, zu bringen sich vermißt. Dieser Frevel aber ist damals ver sucht. Von allen politischen Systemen ist die Pöbelherrschaft der schlechten Presse das gefährlichste; der Parlamentarismus kann schlimm sein, dieser Journalismus ist es immer. Eben dieses System hat sich bei uns eingebürgert. Bei dem Zedlitz'sche» Schulgesetz und auch sonst hat es sich wirksam erwiesen Damals ist es begonnen. Auf die „Nordd. Allg.", welche als rein osficiöses Organ nicht die Stadttnission, sondern nur die christlich-sociale Partei angegriffen hatte, folgten die halbosficiösen Blätter, der „Hamb. Corr." und die „Post". Sie fuhren grobes Geschütz auf; gröberes ist nie aufgestellt, und ihre Geschosse waren mit gehacktem vergifteten Blei gestillt. Wenn man d:e damaligen Ereignisse an seinem Geiste vorüberziehe» läßt, so fragt man immer wieder vo» Neuem, wie ein solches Treiben möglich war. . . . Mau erzählte damals und glaubt eS noch heute, der Verfasser des Artikels (über Stöckerei und Muckerei) sei einer der Führer der Mittelparteie». In der Thai war es der Zweck des Feldzuges, dem Prinzen die Betheiligung an der Stadtnuision zu verekeln und jede Verbindung mit den christlich-conservativen wie christlich-jocialen Bestrebungeil zu verleiden, ihn den Bismarck'jcben falsche» Earbelgedante» und der Herrschaft der Mittelparteien zu ilitterwerseii. Mit Lug und Trug, mit List und Gewaltthat wurde der Zweck verfolgt." ^ner wird also dem Fürsten Bismarck, dessen Be kämpfung doch molivirl werden muß, der Borwurf gemacht, er habe dem Kaiser wider dessen Ueberzenguug die „aus Jntrignen und Schwachheit geborene" Cartelpolitik aus- gedrängt und es mindestens geduldet, daß eine schändliche Presse an diesem „Frevel" sich belbciligt habe. Fürst Bismarck wird darauf zu antworten wissen. Einstweilen darf man ge spannt darauf sei», mit welchem Geschick Herr Stöcker seine von ihm bereits zugestandene Absicht motivirl, Zwietracht zwischen dem Kaiser und dem Fürsten Bismarck zu säen, ohne daß der Kaiser cs merkte. — Was seinen Freund Hammerstein betrifft, so sagt Herr Stöcker über ihn: „Der erschütternd schmerzliche Fall des Freiherrn v. Hammerstein kommt der gesaminten schlechten Presse als eine willkommene Gelegenheit zur Befriedigung ihres Haffes ent gegen." Gleichzeitig bemerkt das Stöckcr'sche „Volk" zu der Nach richt, daß Hammerstein einen Wechsel von 200 000 -E auf den Namen des Grafen Fnickenstein gefälscht habe: „Diese Meldung ist, wie wir zu unserm Bedauern sagen müssen, im Wesentlichen zutreffend. Nur handelt es sich nicht um einen Wechsel über 200 000 ./S. sondern um fünf zu je 40 000 ./l Die Wechsel lausen schon seit 1800. Als Gras Finckensteiii vor einigen Wochen davon erfuhr, hat er die Sache sofort dem Staatsanwalt übergeben. Er ist in dieser Sache schon mehrsach vernommen worden." Bei den gestrigen (^emcinderathswahlen in Wien haben die Antiliberalen (Antisemiten und Christlich-Socialen) einen entscheidenden Sieg über die Liberalen davongetragen, ein Schlczg, den diese in absehbare'- ZciH nicht überwinden werden. Es liegen uns über den Ausfall der Wahlen bis jetzt folgende Meldungen vor: * Wicn, 17. September. Bei den heutigen Wiener Gemeinde, rathswahlen im dritten Wahlkörper wurden in 18 Bezirken außer einem Deutschnationalen durchweg Antiliberale gewählt; im 10. Bezirke hat eine engere Wahl zwischen den Deutschnationalen und den Antiliberalen slattzufindcn. Die Liberalen verlieren 12 Mandate, darunter säiumtliche 7 von ihnen bisher in der inneren Stadt innegchabten und 3 in der Leopoldstaüt, wo die Majorität der Antiliberalen ungefähr je 100 beträgt. 8. Wien» 17. September. Die heutige Niederlage der liberalen Partei ist höchst bedauerlich für die Sache des Fort schritts überhaupt. Das gänzliche Durchdringen der Antisemiten Partei in alle» 19 Bezirke» erfüllt die letztere mit Jubel. Die Liberalen dürften von sämmtlichen 138 Gemeinderaths Mandaten höchstens 57 erhalten. Man spricht von einer Abstinenz der Liberalen, worauf eine abermalige Auflösung des Gemeinderathes erfolgen wird. (Wiederholt.) * Wie», 17. September. Der Wahltag verlief bisher ohne ernstere Ruhestörungen. Nur im 15. Bezirke wurde ein Wähler blutig geschlagen. Im 12. Bezirke versuchten circa 60 Anti liberale im trunkenen Zustande das Local des liberalen Wahlcomitös zu stürmen. Sie wurden Lurch die Polizei hieran verhindert; fünf Ver haftungen wurde» vorgenommen. Eine größere Reihe unbedeutender Ruhestörungen wurde durch die Polizei bcigelegt, wobei zahlreiche Personen verhaftet wurden. Die Antiliberalen begrüßten das Wahl- ergebniß mit großem Jubel; in verschiedenen Localen wurden Sieges- feste gestiert. Masscnanjammlungen vor den Wahllocalen wurden durch die Polizei zerstreut. Es waren gestern meist Handwerker und Kleinhändler, welche an die Urne traten, Leute, die eine directe Steuer vo» 5—50 Gulden zahlen. In dieser Bevölkerungsschicht zählt daö christlich-sociale und antisemitische Programm seine hitzigsten Bekenner, und deshalb war eS von vornherein sicher, daß die Majorität wieder antiliberal wählen würde. Die Liberalen konnten nur hoffen, in der inneren Stadt (7 Mandate), in der Leopoldstadt (4 Mandate) und in Währing (2 Mandate) Erfolge zu erzielen, d. h. ihre bisher im Besitz gehaltenen 12 Mandate zu retten. Daß sie auch Liese bis auf nur eines (über ein zweites hat, wie oben gemeldet, noch die Stichwahl zu entscheiden) verlieren würden, ist eine Nieder lage, die Niemand im liberalen Lager sich hatte träumen lassen. Es ist wohl so gut wie sicher, daß die Antiliberalen int Gcmeinderatb über eine Mehrheit von 80 Stimmen ver fügen werde. Damit ist die Herrschaft der Antisemiten mit ihren klerikalen Hintermännern über ganz Wicn gesichert, der Wahl Lueger's mit glänzender Majorität siebt nun kein Hiuderniß mehr im Wege und Leute, wie Schneider, Gre gorig, Iedlicrka und Geßmann werden die Kaiserstadt an der Donau osfieiell rcpräsentiren und cs kann nun die Aera der konfessionellen Verfolgung und Vergewaltigung, der plebejischen Diktatur und des geistigen Rückschrittes be ginnen. Ob die Liberalen durch die beabsichtigte Ab stinenz eine abermalige Auflösung des Gemeinderathes erzielen werden, möchten wir sehr bezweifeln, denn nach dem beschaulichen, indifferenten Verbalten, welches die Regierung den erbitterten Wahlkämpfen zwischen Liberalen und Anti- liberalen gegenüber an den Tag gelegt hat, ist anzunehmcn, daß es ihr im Grunde einerlei ist, welche von den beiden bürgerlichen Parteien in Wien am Ruder ist. Sollte die Auflösung aber doch erfolgen, so wäre das Resultat sicher nur eine noch furchtbarere Niederlage deS Liberalismus, bee rben auf eine Reihe von Jahren hinaus abgewirthschastct hat, at'gewirthschastet durch seine Energielosigkeit, durch den Mangel an begabten Führern, durch völliges Ueberseben brennender Aufgaben, wie in erster Linie der Besser stellung des HeereS der kleinen und mittleren Beamten, vor Allem aber durch die verbängnißvollc Täuschung, daß Wien nie aufhören könne, eine liberale Stadt zu sein, die eS von jeber gewesen. Der letztere Jrr- tbum ließ das selbstbewußt liberale Bürgertbum auch dann noch die Hände in den Schooß legen, als die Wogen des antisemitischen Dcmaaogentbums die Dämme schon zu über- fluthen begannen. Nur sofortige Umkehr und Rückkehr zu den bewährten Grundsätzen, welche die liberale Partei einst groß gemacht haben, kann derselben daS Vertrauen der Bürgerschaft wieder zurückgewinnen und eS dabin bringen, daß man von der Aera Lueger wie von einem bösen Traume redet. DaS Schicksal der englisch - russis cken Pamireomntission wird auf Grund der Meldung, daß die Theilnebmcr dieser Commission ihre Beratungen eingestellt babcn, verschiedentlich erörtert, wobei sich aber stark gegensätzliche Standpuncte er geben. Zunächst differirt man betreffs der Frage, ob die Commissioiisberalhnngen ihr programmgemäßes Ende er reicht haben oder abgebrochen sind, weil die beider seitigen Theilnehmer zu keiner Einigung gelangen konnten. Fenilletsn. Schwere Kämpfe. Roman aus dem großen Kriege. 15) Von Carl Tanera. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Man kann sich also kaum ein schlechteres Biwak als jenes bei JngolSheim in strömendem Regen ohne Stroh und Trinkwasser, ohne Möglichkeit, ein ordentliches Biwakfeuer zu macken, denken. Und doch verließ vie Jäger der gute Humor keinen Augenblick. Vor Allem bewirkte dies das erhebende Gefühl, im Feindesland zu stehen und zwar nach einer sieg reichen Schlacht. Dann aber sorgten auch einige Spaß macher, daß ihre Kameraden immer wieder lacken mußten, und das half vorzüglich über die Mühsale dieses, wie der Jäger Niederer treffend bemerkte, „saumäßigen Biwaks" hinwegtäuschen. „Herrgott, wo iS' a Strick? G'schwind an Strickl" rief eS mit einem Male aus einer Gruppe Jager heraus. „Was wollt'S denn mit dem Strick?" „Den Daller anbind'n, sonst geht er unter. Wann aber der versauft, hat d' Compagnie koan Schneider mehr." Der Compagnieschneider, ein dürrer kleiner Jäger ließ den Witz über sich ergehen. Aber der Schreiber Huber füblte sich berufen, ihn zu rächen: „Solang die Soß Euch trägt, bat'S für den Daller koa G'fahr, denn a' solcher Klotz wie Ihr iS' er no lang nit." „Bravo Huber Du bast Recht. D' Schreiberei und d' Schneiderei g'bören halt z'samm. Windig san's alli zwoa." Huber konnte nicht mehr antworten, denn ein lautes Hallo lenkte die Aufmerksamkeit des größten TbeileS der Eompagnie auf sich. Witzelberger schleppte eine große Back- muldr, vie er wie eine Kaputze über sich gestülpt hatte, daher und steuerte mühsam trotz des Höhnen- seiner Kameraden auf dir Stelle zu, wo die Osficiere vereint standen. Dort hielt er und meldete seinem Herren: „Herr Oberlieutenant, da Hab i' a' Bett g'fund'n. A' besser« war nit afz'treib'n." „Aber Witzelberger, was bringst Du denn da?" „A' Backmulv'n. Der Bäcker i«' ausgeriffn, weil er für die Deutsch » nit back'n wollt', un' seine Backof'n hat er j'samme g'schlagn. Ta war d' Muld'n übri' blieb'n." Alle Osficiere lachten über den originellen Gedanken deS Burschen, ein solches Lager für seinen Herren zu holen. Der Gedanke war übrigens gar nicht übel. „Du bast Recht, Witzelberger. Da drinnen liegt man wenigstens trocken. Ich danke Dir, daß Du an mich gedacht Hast, will die Mulde aber dem Herrn Oberstlieutenant an- birtcn." Dieser erkannte jedoch, daß er viel zn lang sei, um selbst mit eingezogenen Beinen in der Mulde Platz zu haben. Nun wurde berathen, welcher Officier klein genug wäre, dieses Nachtlager zu benutzen. Man kam überein: der Hanptmann von Dürvlf sei der geeignete dazu. Der hatte kaum das Militairmaß, also wurde ihm die Mulde zugesprocken. Er wehrte sich gar nicht, machte sofort die Probe und siehe da, cs ging. Nun ließ er schleunigst die Mulde zu seiner Com pagnie in Sicherheit bringen und sich dort als Nachtlager ausbewahren. Witzelberger brummte anfangs, er hätte sicher die Mulde nickt von Jngolsheim hierher geschleppt, wenn er geahnt hätte, daß sie sein Herr doch nicht bekäme. Als ihm aber Hauptmann von Dürolf eine Flasche Wein als Ersatz der Backmnlde für seinen Oberlieutenant gab, war er sehr zufrieden, besonders da er ja gencnz wußte, daß da auch ein Glas für ihn abfirl. Er tauschte sich nicht. Horn goß ibm seinen ganzen Feldbrcher voll und bedielt nur die halbe Flasche für sich. Mit dieser trat der Officier nun zu einer Gesellschaft von Kameraden, die in ihre Mäntel gehüllt an der Jngolsheimer Landstraße saßen und von allem Mög lichen plauderten, um sich die Zeit zu vertreiben. Man mußte ja noch lange warten, b,S man nur hoffen durfte, einen Löffel voll Suppe zu bekommen, weil die Feuer in den Kochlöchern wegen deS Regens so erbärmlich brannten, und daher die Menage doppelt so lange brauchte wie sonst. Kaum saß er dort, so gesellten sich einige preußische Osficiere zu ihnen, di« vom V. Corps zur Ab räumung deS Schlachtfeldes zurückgeblieben waren, und ihrem CorpS nackmarschirrn sollten und hier eine kurze Pause machen wollten. Die Jäger boten ihnen Wein an und tbeillen mit ihnen, was sie an Mundvorrath besaßen. Bald war da- Gespräch sehr lebhaft geworden. Natürlich drehte eS sich um die nächsten Aussichten. „Wir werden die uns gegenüberstebende Armee Mac Mahon's leicht schlagen, denn jetzt, wo wir bei Weißenburg gesehen haben, wie gut sich Ihre Leute hielten, wissen wir Alle, daß wir die Bayern in jeder Art als vollzählig rechnen dürfen." So bemerkte ein Preuße und hatte sich damit sofort die Svmpathie aller Bayern erworben. Ein Anderer erzählte, daß man hoffe, auch die I. und II. Armee würden in diesen Tagen etwa um Forbach in Frankreich einbrechen, um dann der III. Armee die Hanv zu reichen unv in Verbindung mit dieser gegen Paris vorzu dringen. Einer der Jägerofficiere konnte nicht umbin, erstaunt auSznrufen: „Gegen Paris! Ja, denkt man denn bei den Preußen daran, daß wir bis nach Paris vorniarschiren sollen?" „Selbstverständlich, Herr Kamerad. Sie werden doch nicht annehmen, daß dieser Krieg mit einigen gewonnenen Schlachten sein Ende erreicht? Wir haben ja auch nicht nur das jetzige ungeschickte Benehmen des französischen Ge schäftsträgers in Ems zu rächen; wir müssen doch eine ganz andere Ausgabe erfüllen." „Ja, ja, Sie meinen damit die Sicherung unserer Grenz provinzen gegen einen Einfall der Franzosen." „Nein, ich meine noch mehr." „So, was wäre das?" „Wir müssen in diesem Kriege das Uebergewicht, welches sich die Franzosen seit den letzten Jahren in ganz Europa angemaßt haben, brechen. Wir müssen der Welt zeigen, daß die erste, die maßgebendste Nation auf der Erde die deutsche ist, sobald sie nur einig und brüderlich austritt. Wie viel für sie auf dem Spiel steht, wissen die Franzosen auch. Sie wissen sehr gut, daß au- ibren Niederlagen die dauernde Einheit Deutschlands und damit dessen Hegemonie in ganz Europa hervorgeht. Sie werden sich also bis zum Aeußerste» wehren. Wir aber müssen Alles daran setzen, um dieses Hobe Ziel zu erreichen; jeder von uns muß seine letzte Kraft anstrengen, um zur Erringung deS sicheren aber gewiß nicht leichten Sieges beizulragen." Während verschiedene andere Osficiere das Gespräch mit dem preußischen Hauptmann weiterfübrten, dachte Horn über dessen soeben geäußerte Worte nach. Welch ein neuer Gesichts kreis wurde ihm durch dieselben eröffnet. DaS war ja ein großer, ein gewaltiger Gedanke. Deutschland durch diesen Krieg so geeint, daß eS aus immer die gewaltigste Macht in Europa würde, daß eS die bisber von Frankreich eingenommene Führerschaft erlangen könne! Wie kleinlich erschien ihm nun Alles, was er bis jetzt als Endziel de« Kriege« angesehen: Strafe für die Scene in EmS und Sicherung der Rhein land«! DaS trat ja gegen diese Perspective ganz in den Hintergrund. „Aber wahrhaftig, der Preuße hat Recht. Die Kosten eine« solchen Kriege« an Blut und Geld darf man nicht an wenden, wenn eS sich nickt nm ein große« bobeS Ziel bandelt. Man muß erstreben, was er andeutete, und jeder Deutsche ist verpflichtet, zur Erreichung dieses Zieles mit seinem ganzen Können mit beizutragen." Als nun der preußische Hauptmann sich erhob, weil er mit seinen Kameraden weitermarscbiren mußte, und beim letzten Anstoßen der Feldbrcher den Trinkspruch auSbrachie: „Auf unsere dauernde, treue Kameradschaft, auf unsere gemein samen Sie^e, auf unser großes deutsches Vaterland, und darauf, daß wir dessen völlige Einigung baldigst erleben", da stieß Horn begeistert mit an und trank seinen ganzen Becher leer. Von diesem Augenblick an verzichtete er auf die Absicht, inil Gewalt sein Lebensende zu beschleunigen, denn er er kannte: „Höher als die Erfüllung selbstsüchtiger Wünsche ist die Pflicht, sich ganz und voll dem Vaterlanve zu weihen und zu dessen Größe die letzte Kraft und den letzten Athen,z»g einzusetzcn." Aus dem Egoisten war in dieser Stunde ein wirklich pflichtgetreuer Officier geworden. 7. „Gott sei Tank, daß diese Nacht vorüber ist. DaS war dock ein wahres Hundewetter. Habt Ihr denn ein Auge zuthun können?" „Ob. Horn, Hauptmann Zimmer und ich haben so ziem lich geschlafen, wenigsten« viertelstundenweise." „Wie habt Ihr denn das angesangen?" „Wir ließen drei Tornister auf den Boden legen, setzten unS Rücken an Rücken darauf und bildeten auf solche Weise ein gleichseitiges Dreieck. In dieser Formation konnte man schon etwas einnicken und sogar sich rinbilden, man habe geschlafen. Freilich, als Hauptmann Zimmer einmal wirklich schlief und dabei zur Seite rutschte, fiel unsere ganze Pyramide um und wir lagen im Dreck. Nun machten wir a»S, daß einer immer Wachen müsse, um die Schwankungen der Anderen auSzubalanciren. DaS thaten wir, und von da an habe ich doch etwas genickt." „Jawohl, er schon. Mich bat er bei seiner Nickerri aber einmal ganz von meinem Tornister beruntergeschoben, so daß ich mit einem Male in der nassen Sauce saß." Lachend bat der junge Lieutenant seinen Compaaniechef tausendmal um Entschuldigung ob dieses unbeabsichtigten Jnsubordinationsvergebens. Er mußte aver auch von seinem Oberlieutenant einen komischen Verweis einstecken, indem Horn bemerkte:
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