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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.10.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-28
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071028023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907102802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907102802
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-28
- Monat1907-10
- Jahr1907
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BezLg-.Preit Dr Leipzig u»d Vororte durch »»je« LrLger imb Spediteur« ml Haut gebracht: »uggabe » j»»r morgeal) vierttgthrlich 3 vi., monaoüb 1 vt-, Lulgabe 8 (morgen» u»d abend») viertel» jL-rlich 4.S0 monatlich 1.50 M. Durch di, Post »ezoarn (2 mal ttgltch) innerhalb Deutlchlaod« und der deutschen Kolonien vierteljährlich L.2S M., monallich 1,75 M. -u»I«l. Poll- beftellgeld iür Oejlerrelch S U SS o, Ungar» 8 L vierteljährlich. «Loanement-Annahmr: UuguHutplatz 8^ bei nnjeren IrLgern, KUialen, Spediteure» »ob Annahmetzellen^iowte VostLmtrrn und Die einzelne dtummer kostet 10 chfg. Redattton »nd Gxprbitt»»: Johauuirgasje 8. Lelevhon Nr. I4S82, Nr. ItSKz, Nr. 14SS». verliner Nedaktto»- Dnrenn: Berlin HIV. 7. Prinz Laut« gerdinand- Strahe 1. Telephon I, Nr. »275. Abend-Ausgabe v. ripMer Tageblaü Anzeige»-Preis titr Jalerate au» Leipzig und Umgebung di« 6 gespalten« Petirzeile 25 Pi., finanzielle Anzeigen 30 Pf., Reklamen 1 M.; von aniwäkt» 30 Pf., Reklamen 1.20 M. vom Ausland SO Pf., finanz. Anzeigen 75 Pf.. Reklamen 1^0 M. Inserate v. Behörden im amtlichen Teil 40P! Beilagegebühr 5 M. p. TauseiU» exkl. Post gebühr. LelchLstlanzeigen au bevormgle, stelle iin Preise erhöht. Rabatt nach Tarif, k^fterteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Aür da» Erscheinen an bestimmten Tagen und Platzen wird keine Garantie übernommen. Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Annahme: Augustutplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annonce:^ Lrpeditionen der Ja- und Auslände». Haupt Filiale Berlin. Carl DunckHerzogs. Bayr. Hosbuch- handlung, Lützowstraße 10. (Telephon Vl, Nr. 4M3). Nr. M Montag 28. Oktober 1907. 101. Jahrgang. Da» wichtigste vom Tage. * Reichskanzler Fürst Bülow ist gestern abend in Berlin einge- iroffen. * Die Bundesratsausschüsse beendeten die Beratung über die Börsenvorlage. Die Beschlußfassung des Bundes rats findet voraussichtlich nächsten Donnerstag statt. * Das österreichische Budget enthält militärische Mehr- forderungen von 20 Millionen. * Die Dumawahlen ergaben «inen großen Sieg der Rechten. sS. Ausl.) * In Süd-Dacota ist ein Jndianeraufstand ausge brochen. (S. Ausl.) Tagesschau. Der Fall Schröers und die preußische Regierung. Theologiestudierende haben nach einer Meldung der „Franks. Ztg." dem gemaßregelten Pros. Schröers Ovationen bereitet; die Bonner Studentenschaft schickt sich zu einem Fackelzug an, gleichviel, wie sich die katholischen Verbindungen dazu stellen werden — das ist alles, was sich bisher in der Oeffentlichkeit an Widerstand gegen den unerhörten Will- kürakt des Kölner Erzbischofs im Falle Schröers regt. Daß es damit nicht sein Bewenden haben kann, empfindet selbst die „Kreuzzeitung". Sie schreibt in ihrer Nr. 500 vom 24. Oktober: „Die Kölnische Zeitung" meint, der Erzbischof habe nur von seiner Zuständigkeit Gebrauch gemacht, als er einen akademischen Lehrer der Möglichkeiten enthob, auf den geistlichen Nachwuchs Einfluß auszu üben. So ganz unzweifelhaft will uns das nicht erscheinen. Der akademische Lehrer ist mit Billigung des Erzbischofs vom Staate definitiv als Professor der katholischen Theolvgic angestellt; gegen seine Lehre und seinen Wandel wird auch jetzt nichts eingcwcndet; da fragt es sich doch, ob der Erzbischof ihn wegen seiner Denkschrift, die doch wohl nur der Meinungsverschiedenheit in der Methode Ausdruck geben will, tatsächlich seiner Lehrtätigkeit entheben kann. Greift die kirchliche Behörde schon wegen einer Abweichung im Lehrplan zu den äußersten Mitteln, zu einem regelrechten Boykott gegen einen aner- kannt kirchengläubigen Professor, so wird sie sich nicht wundern können, wenn immer mehr gebildete Laien zu ihr in Opposition treten." Die „Kreuzzeitung" hofft zwar, daß sich noch ein Ausweg finden lassen werde. Aber ohne Genugtuung für die beleidigte Würde des Staates wird das nicht möglich sein. Für Bonn gelten nicht die famosen Statuten der Straßburger Fakultät, wonach die Regierung einem Pro fessor, mit dem der Bischof, gleichviel aus welchen Gründen, „unzufrie den" ist, die Rechte seines Amtes außer Titel, Rang und Gehalt zu nehmen verpflichtet ist, damit schleunigst ein Ersatzprofessor cingcschoben werden kann. Die Statuten der Bonner Fakultät geben dem Kölner Erzstuhl nur das Recht der Beschwerde beim Kultusminister, der dann den Beklagten rektifiziert oder eventuell ein Disziplinarverfahren ein leitet. Höchste Instanz ist das Staatsministerium. Die Königliche Re gierung wird sich also dagegen wehren müssen, wenn der Kölner Erz stuhl, ohne sie zu fragen, versucht, auf dem Umweg des Vorlesungs boykotts der Bonner Fakultät die Straßburger Statuten aufzu- oktroyieren. — Professor Schröers selbst hat sich inzwischen, wie leicht begreiflich, von jeder Protesterklärung ferngehalten. Er lohnte den ihm zugedachten Fackelzug ab und setzte auch vorläufig seine Vorlesungen aus. Um so kräftiger sollten jetzt die Universitätsprofessoren und — die Re gierung ihre Stimmen erheben. Herrn v. Schöns Abschied. Zu Ehren des scheidenden Botschafters v. Schön und seiner Ge mahlin fand gestern abend eine glänzende Abschicdsfeier statt, an der sich der Militärbevollmächtigte General Jacobi, die Mitglieder der Bot- sSaft und des Generalkonsulates, der bayerische Geschäftsträger Dr. Schön, die Vorstände der reichsdeutschen Vereine und zahlreiche Mit glieder der Kolonie beteiligten. Bots chaftcr v. s ch ö n brachte einen Trinkspruch auf Kaiser Nikolaus und Kaiser Wilhelm aus, in dem er sagte: „Jedesmal, wenn ick die Freude hatte, mit Ihnen festlich ver eint zu sein, hat unser erster Gedanke, unser erstes Wort dem Erlauchten Monarchen des Landes, dessen dankbare Gäste wir sind, und dem er habenen Herrscher unseres Heimatlandes gegolten. So soll es auch heute sain, wo mir die Ehre, zu Ihnen zu sprechen, das letzte Mal zu teil wird. Mit unserer innigsten Freude erfüllen wir heute die Pflicht des Treuegelöbnisses, mit unserer tiefen Ucberzeugung fühlen wir uns berechtigt, den beiden erhabenen Herrschern unsere Huldigung darzu bringen. Lebhaft in unserer Erinnerung schwebt, daß sie vor wenigen Wochen wieder Handschlag und Kuß ausgetauscht und von neuem ihre aufrichtige und vertrauensvolle Freundschaft bekräftigt haben, die, schönen Ueberlieferungen getreu, zwischen den hohen Personen und Häusern und ihren Regierungen besteht zum Wohle beider Reiche, zum Schutze des Friedens und zum Besten der Völker. Mit lebhafter Ge nugtuung erfüllt es mich, beim Scheiden von dem hiesigen Amte das Bewußtsein mitnehmen zu dürfen, in dem freundschaftlichen Geiste tätig gewesen zu sein, der die erhabenen Herrscher beseelt; und, daß dieser Geist auch in Ihrem Herzen eine treue Stätte findet, dessen bin ich gewiß, und darum bin ich sicher, daß Sie freudig und aus treuem Herzen mit einstimmen werden in den Ruf: „Ihre Majestäten Kaiser Nikolaus und Kaiser Wilhelm, Hurra!" Im weiteren Verlaufe des Festmahles hielt der Präsident des Petersburger Vereins der Ange hörigen des Deutschen Reiches, Kommerzienrat Tillmanns, eine Rede, in der er die Gefühle anssprack, die die Kolonie beim Ab schied des Botschafters und seiner Gemahlin beseelen. Er sprach seinen Glückwunsch aus zu dem ehrenvollen Rufe, der an den Bot schafter ergangen ist. Es erfülle die Kolonie gleichzeitig mit Freude und Stolz, daß eine der höchsten und wichtigsten Stellen im Deutschen Reiche ein Mann einnimmt, den alle, die ihn persönlich kennen, verehren, ja lieben.. Das Botschafterpaar lasse Tausende ihm warm zugetaner deutscher Herzen in Petersburg zurück, und auch die Wohltätigkeits anstalten werden den Abgang des Botschafters und seiner Gemahlin schwer empfinden. Das Auftreten des Botschafterpaarcs habe den Glauben und die Liebe zum Deutschtum von neuem in der Kolonie bekräftigt. Dadurch sei auch die Aufgabe derer sehr erleichtert worden, denen es obliege, dafür zu sorgen, daß deutsch bleibe, was deutsch ist. Redner sprach den Wunsch aus, daß des Botschafters schwere und verantwortungsvolle zukünftige Aufgabe vom Segen des Himmels begleitet sein möge, znm Wohle des teuren Vaterlandes, und schloß mit einem Hoch auf den Botschafter und seine Gemahlin. Hierauf sprach der bayerische Geschgfts- träger Dr. Schön. Der Botschafter habe sein Versprechen, seinen Landsleuten ein treuer Freund und Berater zu kein, auch der Petersburger Vertretung Bayerns gegenüber, in vollem Maße gehalten. Botschafter v. Schön ergriff dann nochmals das Wort, um zu danken für den ihm und seiner Gemahlin bereiteten festlichen Abschiedsgruß, für die vielen Beweise der Zuneigung, die sie ge sunden haben, und für die reiche, herzliche Gastfreundschaft, die sie genießen durften. Der Botschafter führte aus, er gehe einen schweren Gang, aber er trete getrosten Mutes und erhobenen Hauptes ihn an; er gehe in der Zuversicht, daß treue Hingabe und Pflichterfüllung zu einem guten Ziele führen werden. Stets werde in iym das Bewußtsein sortleben, daß nirgends wohl im Auslände die Frage des Deutschtums und die Erhaltung gemeinnützigen Sinnes in treueren und bewährteren Händen ruhe, als in der deutschen Kolonie zu Petersburg. Er sei sicher, daß hier immer das schöne Wort zur To werde, daß deutsch bleiben solle, was deutsch ist. Der Botschafter erinnerte an das Wort des Kaisers, daß das Vater land stolz sei auf eine solche Kolonie. Redner dankte dann den Mit- gliedern und Vorständen der Vereine und Anstalten, in deren Mitt- ihn deren Vertrauen berufen habe, sowie der bayerischen Vertretung und dem Kaiserlichen Generalkonsulat für deren bereitwillige, tatkräftige Mitwirkung, und leerte sein Glas auf das Blühen und Gedeihen der deutschen Kolonie Petersburgs. Es läßt sich nicht leugnen, daß die erste Rede v. Schöns ebenso konven- tionell gehalten ist, wie der Trinkspruch des Herrn Tillmanns auf den Scheidenden ehrlich und herzlich klingt. Mögen konventionelle Verhält nisse überlieferungsgerechle Konvention fordern: es stehen doch den Virtuosen auf dem diplomatischen Instrument verschiedene Klang- särbungen für eine ausreichende Modulation und Ltimmungsmalerei ihres Vortrages zur Verfügung. Herrn v. Schons oergleichswciier Kühle gegenüber fällt die ungewohnte warme Betonung des Deutschtums der deutschen Kolonie in Petersburg um so mehr auf. Eine wie die andere Tatsache beweisen, daß man seit dem Ausbruch der Revolution in Deutschland gelernt hat und die überlieferten Urteile über die Stellung des Deutschtums zum Russentum dem Seziermeuer der Kritik zu unterwerfen beginnt. Es ist ein sehr bemerkenswertes Reichen, daß der bisherige deutsche Botschafter sich das Wort aneignet, daß deutsch bleiben soll, was deutsch ist, ebenso sein bayerischer Amts- genösse. Ehemals hieß es immer, die Deutschen Rußlands mußten im Russentum ausgehen lernen. Die Friedenskonferenz in französischer Beleuchtung. Von unserem Pariser Korrespondenten. Die Presse widmet der zweiten Friedenskonferenz im Haag wohl wollende Nekrologe Die Diplomaten der französischen Mission sind jo verdienstvolle Persönlichkeiten gewesen, und sie haben mit solchem Ester gearbeitet, daß man ihnen gewiß die Anerkennung, die sie in der ösfent- lichcn Meinung der Republik finden, gönnen darf. Da die Diplomaten- spräche immer noch die französische ist, wurde den Herren Bourgeois, Regnault und d'Estvnrnelles de Constant die ebenso ehrende wie müh selige Aufgabe zuteil, die zahllosen Rapports und endlosen Resolutionen in einer so klaren Phraseologie abzufassen, daß auch niemand darüber im Zweifel sein konnte, wie wenig die neuen Weltverträge besagen sollten. Der „Matin" hat Jules Hcdeman nach dem Haag geschickt, um die Vertreter der Mächte selbst zu befragen, was sie von ihren Resolutionen hielien, da die internationale Presse gar so wenig davon zu halten schien. Hedeman erspart uns den „begreiflichen Enthusiasmus", der die 500 oder 600 diplomatischen Autoritäten erfüllt, nachdem sie vier Monate lang in Vertretung von 46 Völkern Gesamt-, Kommissions- und Unter- kcmmissivnssitzungen abgehalten, in tausend Privatkonscrenzen viel „travail cle eouloir" geliefert, und liberlange Freuden des Seebades ge nossen haben. Ter „Matin" versichert, daß der Haag eine ausgezeichnete Diplomatcnschule geworden sei, wo man glücklicherweise nur vom Frieden rede. Löon Bourgeois bedauert, daß man von der Friedenskonferenz zu große Dinge erwartet habe; ein nationales Parlament bringe es schon nicht fertig, in einer Session eine Frage von Hauptinteresse zu er- ledigen, wie solle ein internationales Parlament in einer Session Fragen von der Bedeutung des Schiedsgerichts, der Nüstungsbegrenzung usw. durchführen! „Das moralische Resultat der Konferenz ist unbestreitbar groß; das vraktische Resultat ist es sehr viel weniger." Erfreulich ist, daß der „Matin" und die anderen bedeutenden Blätter nicht die Ge schmacklosigkeit begehen stvie beispielsweise der „Messidor"), Deutschland für das Fiasko der zweiten Friedenskonferenz verantwortlich zu machen und es den „ewigen Störenfried" zu nennen: Baron Marschall bat ge rade »nter den Franzosen Bewunderer für sein freimütiges Auftreten im Haag gefunden. Der „Temps" stellte sich völlig auf den deutschen Standpunkt und scheute nicht vor einer scharfen Kritik der Campbell Bannermanschen Anträge zurück. „Zweifellos ist das Resultat der großen Anstrengung im Haag ein sehr mittelmäßiges; man kann von ihm keinen praktischen, sofort realisierbaren Fortschritt erwarten. Aber wie sollte man sich darüber erstaunen? Und wie den namhaften Män nern daraus einen Vorwurf macken, die ihr Talent und ihre Ingeniosität aufgewandt haben? Durck die Schuld Sir Henry Campbell BanncrmanS konnte die zweite Friedenskonferenz nicht einmal von den Erfahrungen der ersten profitieren. Es schrie geradezu aus ihren Verhandlungen heraus, daß nicht an Abrüstung, oder Rüstungsbegrenzung wenigstens, zu denken sei. Die russische Negierung hatte klug das gefährliche Ka- pitel nicht auf ihr Programm geschrieben. Der englische Ministerpräsi dent wollte nicht, daß dem so sei. Und er nötigte die Konferenz, die Frage anzuschneiden. Sie schnitt sie unter Umständen an, die nicht ein- mal erlaubten, eine nützliche Besprechung zu erwarten, weil mehrere große Mächte im voraus erklärt hatten, daß sie nicht en der Debatte teil nehmen würden. Tatsächlich gab cs keine ernstzunehmcndc Debatte. Langsam kam man zu „Resolution" getauften Wünschen. Wir gestehen. Feuilleton. Wer sich selbst kennt, kann sehr bald alle anderen Menschen kennen lernen; es ist alles Zurückstrahlung. Lichtenberg. * Harzbrief. Dingerode, im Herbst. Unter der Luftpumpe und am Nordpol kann der Mensch es nicht aushalten. Heine, „Die Harzreise Im Harz wandern und an Heine nicht denken, ist unmöglich. Er wähnt man nun seiner nicht, so lädt man den Verdacht auf sich, ein Un wissender oder ein Undankbarer zu sein, und dieses möcht' tch mir ja nicht nachsagen lassen. Ich bin es auch in Wahrheit nicht. Ein Beweis: Ich komme da vorgestern in ein Dorf, wie fast alle hier, von einem weiterbraunen, zahnlückigen Schloß überragt. Und zu dessen Füßen stehen einige Reihen von Söldnern mit ihren blaugrauen Eisenhelmen und mehrere Jungfrauen mit weißen Hauben; so blicken sie aus überbuschten Gärtchen und Höfen heraus. Das Stampfen und Wiehern beimkehren- dcr Rosse, wehmütig hingelagerte Wolkenballen — etwas mittelalterlich Romantisches. Und als ich ganz nabe war, entpuppen sich die verschieden farbigen Kopfbedeckungen als zum Trocknen und Auslüften aus die Holz stakete aufgestülpte Koch- und andere Tag- und Nachtgeschirre der Ein geborenen. Freilich, wer nicht etwas Selbsttäuschung mitbringt, wird kaum immer so entzückt sein. Da halt' ick gestern einen Weggefährten: „Berge, Wald und Wässer —" sagte er, „sind la wunderschön! Aber die Menschen — nicht gerade hier mehr als wo anders, als überall, wo eine Sommer frische wuchert, Kurtaxe erhoben und — entsetzlich! — Musik gemacht wird! Nicht daß ich die verübenden Künstler gering achte, aber daß sie überhaupt da sind, ohne sich schweigend ihres Lebens zu freuen. Und diese schmalzigen, süßschleimigen Walzerweisen, die schon getanzt etwas krankhaft weichlich Wiegendes haben, sind mir, nur gespielt, ein Greuel, weil da die blühenden Mädchenwangen, die schwankenden Röckchen, die flatternden Schwalbenschwänze wegsallen. Diese Kurmusik wird doch eigentlich nur zum Vergnügen der Einheimischen verbrochen, denn ich habe noch keinen vernünftigen Menschen gesehen, dem sie Freude bereitet. Aber natürlich — vernünftig sein und in die Sommerfrische gehen —" „Ja, aber Sie selbst —" wagte ich einzuwenden. „Ich erfrische mich eben im Sommer, weil ich die hierfür ernannten Orte fliehe. Nur als Zug vogel halte ich mir den natürlichen Einfluß all der menschlichen Torheiten vom Leibe. Bor zwanzig Jahren hab' ich noch Orte gesunden, an denen der reisende Fuß nur aut Stunden rastete, schon weil nicht genug Raum und Beguemlichkeit für ihn war. Und jetzt? Das Ausstatten der früher wohltuend ruhigen Stubenwände mit papiernen Fähnchen, Fächern und Firlefanz, das in den Tag hinein Schlafen, der ewige Wechsel in der Tracht — all das wird den Stadtmenschen abgeguckt. An die Stelle der ehrsamen, gedankenvollen Bummelpfeife ist die kokette Zigarre ge treten, wohl gar die noch leichtfertigere Zigarette, und der Bauernknecht Hinterm Pflug mit dem Minutcnstinker im Maul ist schon nichts Selt'nes mehr:" Und so schimpfte er weiter über die Unsinnigen, die sich den Genuß der Natur verkümmern, bis er vor lauter Wut selbst keinen mehr davon hatte. Er hatte ja in vielem recht, aber recht war's doch nicht von ihm, so zu reden. Es ist gewiß etwas störend Langweiliges, wenn uns jemand ,ein Entzücken an schöner Natur in abgebrauchten Redensarten vordellamiert; aber man darf doch annehmcn, daß es aus einem besonnten Gemüt kommt. Ein solcher macht es, wie der kleine Mann, der einen Gast groß zu ehren glaubt, wenn er ihm die geschmack- lose, doch innen vergoldete Tasse vorletzt. Aber so ein Besserwisser, mag er tausendmal den Nagel auf den Kopf treffen, trifft mit jedem Schlag auch unser durch den Naturgenuß weich und empfänglich gemachtes Herz. Ich sagte dem klagenden Philosophen auch ziemlich unverhohlen, daß mir seine Gesellschaft, wenn sie sich immer so bemerkbar mache, nicht gerade die angenehmste sei. Es war ganz früh am Morgen, aus dem bläulich düstern Fichtenwald in der Höhe hörte man das Kurre — kurruh — hu —- huuhu des Uhus. Das in der Nähe zu genießen reizte mich, und so wendete ich mich dem steilen Schneisenweg zu und war mit einigen Sätzen meinem Begleiter entsprungen. Durch schwerbetaute junge Fichten, mehr kriechend als steigend, oing's hindurch, zuletzt ganz wegelos, nur hin und wieder eine lichte Stelle, wo auf moosigem Stein die schwarzgelb gestreifte Eidechse der Morgensonne entgegenblinzelt, denn nur die höherstehende fliehen sie. Jetzt chatte ich nur noch meinen kleinen flinken Hund zum Begleiter, der mit erhobenem Kopf den ihm erst seit einiger Zeil gewohnten Harzwaldduft einschnuppertc. Auf einer der mächtigen, vereinzelt doliegenden Felsgruppen, hier Klippen genannt, sehe ick nun unter mir nichts wehr von Hütten oder Schlössern, höre kein noch so abgeschwächtes Stampfen von Hüttenwerken, oder das Knirschen der mühsam im,Sand mahlenden Wagen; ein unaussprechlich schwermütiges Schweigen in den gar nicht abzusehenden, leise wogenden Waldeswipfcln. Ich glaube kein Volk ist so verliebt in den Wald, wie das deutsche.. Merkwürdigerweise findet man in kroatischen und schottischen Heimats liedern auch den Stolz und Ruhm der Hohen Wälder ausgedrückt, aber nirgends so mit dem Gefühl süßer Weltabgeschiedenheit, wie bei uns. Die geheimnisvollsten und anmutigsten Märchen spielen im Wald, und die frommen Einsiedler, die dort Hausen, der helläugige Jäger, ja der ge wöhnliche Holzfäller — sie sind uns liebe, vertraute Gestalten. Bon der letzten Art traf ich einen, nachdem ich so fast zwei Stunden in dem großen Schweigen marschiert war. Er hatte einen verschlissenen Rucksack und ein ebensolches Gesicht und ein Stadtkind durste wohl vor ihm erschrecken. Gleichmäßig stapfend, ohne den hörbaren Atemzug des Flachlandmenschcn, wenn er bergan steigt, erschien er ganz plötzlich; der steil abstürzende Weg, durch Jungholz überdacht, hatte ibn verborgen. Einen Augenblick blieb er wenige Schritte vor mir stehen, streichelte mit den braunen, rissigen Hände« meinen erst knurrenden, dann vertrauli cheren Hund. Ich wies von dem kleinen Felsvorsprung hinunter in die grüne Tiefe, sagte nichts, aber er verstand mich Wohl: „Tja — dat is woll schöin! Dat kann Eein'n immer wedder anseihn, dar helpet nix!" Nun berührt es zuerst ganz seltsam, zwischen zerklüftetem Riesen gestein, stürzenden Bergwässern und im Hochwald die niederdeutsche Sprache zu vernehmen. Immer meine ich, hierzu Passe nur eine süd deutsche Mundart, wenigstens die thüringisch-fränkische. Und nun hör' ich Klänge, die auch der Landschaft des größten Gegensatzes eigen sind, der Lüneburger Heide. Hat man sich aber daran gewöhnt, w findet man's schon recht, denn in unfern alten Märchen sprechen ja diese wun- derlichen, sehnsüchtig lraurigen und dann kindlich grausamen Menschen plattdeutsch, ja sogar die Tiere: „Kiwitt, kiwitt! Wat for'n schönen Vogel bün ick!" klingt's aus dem Machandelboom. „Mine Frou, dc Jlsedill, will nich so as ick woll will!" klagt der wünschende Tor in der Sprache auch Hanne Nütes. Mein alter Holzfäller gefiel mir mit seiner andächtigen Waldliebe: „Mögten Sc nich lebcr in dc Stadt woukm'n?" fragte ich ihn. „Godd, männigmol is dat je sihr schöin, oaber for immer — nee!" „Ja, ich glaub's! Wer gewöhnt ist an die frische Luft und an die weite Aussicht, dem mag es wohl recht ängstlich Vorkommen in den engen Straßen." Und nun antwortete er hochdeutsch: „Es wird ja wohl nich bei ave Menschen gleich sein. Was meine Tochter iS, die gefällt cs nu bester in die Stadt 0' „So? Ist die da im Dienst?" „O, was meinen Sic woll?" er machte Augen, als handele cs sich um die Erhebung in den Grasenstand und erzählte mir, daß sic hier im Wald ausgewachsen und dann im Sommer als fleißige Beercnsucherin schon manch hübschen Groschen mitverdient batte. Da lernte sic denn einen jungen Menschen kennen, einen „fürstlichen Stallknecht", wurde seine Frau und zog später mit ihm nach Magdeburg. Jetzt hat sie da eine kleine Kneipe und es geht ihr gut. „Vor ein paar Jahre habe ich ihr moal besucht und doa frach' ich denn. Hast du nich moal Sehnsucht nar de Barge un nar den Wald? — O, dar batt se mi utlacht: Ick bün frouh, datt ick ut den unheimlichen drekkigen Wald herutc bin'" Ehe ich mich von dem Alten trennte, wollte ich ihn fragen, ob er etwas von Heinrich Heine wisse. Ich unterließ cs; hatte darin zu schlimme Erfahrungen gemacht. In — sage und schreibe — 14 Orten batte ich bisher Umschau gehalten, 1) ob die Einwohner den Namen Heine überhaupt kennen. 2) ob eine Straße, ein Aussichtspunkt durck seine Bezeichnung an ihn erinnert. Immer bekam ich verneinenden Bescheid. Mein Hauswirt freilich nickte gleich, als ich von Heine sprach. — ,Äa, gewiß, der hat eine — eine Zuckerfabrik, hat er hier in der Nähe:" Ich bedeutete ihm, daß der von mir gemeinte wohl sehr süße, aber auch recht bittere Sachen erzeugt und daß er ein Dichter gewestn sei., ,,Ach so, in die Zeitung!" und er nannte den Herausgeber des GMeindeblattes „Jo, so ungefähr!" Und dann las ick ibm einige Seiten aus der Harzreise vor. Er hörte ungerührt zu. „Der is gewiß nich von hier, da stimmt Verschiedenes nick!" Und seine wässerigen Acugelchen plätscherten ordentlich in Ueberlegcnheit. „Lieber Herr
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