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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.08.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-08-18
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930818023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893081802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893081802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-08
- Tag1893-08-18
- Monat1893-08
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Das Blatt be hauptet mit aller Bestimmtheit, der deutsche Kaiser beabsichtige während des nahe bevorstehenden Aufenthalts des russische» Kaisers dem dänischen Königshose einen kurzen Be such abzustatten und so mit dem Zaren zusammenzutreffcn. Der „Danebrog" kann sich keineswegs auf Verbindungen be rufen, welche der Meldung einen Anschein von Aulbenlicilät verleihen, und da man zur Zeit in maßgebenden Kreisen Berlins von diesem Reiseprvjeck des Kaisers nichts weiß, so wird die Meldung des Kopenbagener Blattes wohl nicht mehr Beachtung verdienen, als die vor einiger Zeit erwähnte Nachricht, der zufolge Kaiser Wilhelm bei seinem Besuche am dänische» Hofe Kopenhagen gar nicht berühre», sondern via Helsingör nach FredenSberg sich begeben werde. Politische Combinationen an dieses Gerückt zu knüpfen, liegt durchaus kein Grund vor. Daß Alle, die eine Beendigung des zwischen Deutschland und Rußland bestehenden Zollkrieges kerbciwünschen, die Be gegnung der Monarchen als ein politisches Ercigniß auffassen würben, ist begreiflich. Ter Kummer, den die Ablwardt'schen Antisemiten den Herren v. Hammer stein und Stöcker durch ihre Bor würfe und ihre Respektlosigkeit vor hochconservativen Besitz ständen verursachen, hat zur Folge, daß die „ Kreuz- zcitung" sich heißer als je nach einem tlrrikal- consrrpativen ffartet sehnt. Erst kürzlich wieder hat sie dem Eentrum den Rath gegeben, Herrn Lieber zu entthronen, den Freiherr» v. Buol-Berenberg rum Führer zu wählen und von ihm in die weil geöffneten Arme der alten hochconservativen Freunde sich führen zu lassen. Dieser Rath sällt aber aus den denkbar ungünstigsten Boden; aus dem klerikalen Lager wird nur mil Hohn und Spott geantwortet. So schreibt die „Köln. Bolkszeiiung": „Wir möchten der „Kreuzzeitung" in aller Freundschast rathen, wenn sie Wünsche in Bezug aus Haltung und Leitung des Lentrums hat, Loch keinem Menschen ein Sterbenswort davon zu verrathen. Ihre Protection kann alle damit Beglückten in den Augen der Latho- Illen »ur verdächtigen, wenn sie, was nicht der Fall zu sein pflegt, überhaupt eine Wirkung ausübt. . . . Das Blatt zielt doch auf nichts weiter ab, aiS daraus, daß das Ccnlrum den Conservativen als treuer und gehorsamer Knecht zur Verfügung gestellt werbe. Nachdem eS daran verzweifeln muß, dag durch Spaltung des CentrumS sich ei» „rechter Flügel" als Anhängsel der Conservativen bildet, möchte eS dem ganze» Centruin diese Nolle zutheilen. Das Ceutrum ist aber weniger dazu geneigt als je und wird viel lieber selbst die sich ihm verinuthlich bald genug bietende Gelegenheit zur Bildung einer doppelten Mehrheit ausnutze». Was könnte auch Las Centrum veranlassen, sich den Conservativen vertrauen«, voll in die Arme zu werfen? Etwa die schnöde Behandlung von Seiten der Conscrvaliven bei dem preußische» Wahlgesetz? ES kommen jetzt die Steucrvorlagen, und La möchten die Herren aus Osteibien das Centrnm gern benutzen, um die „Landwirthschast", Las heißt nach ihrer Auffassung den östlichen Großgrundbesitz, vor den neuen Steuer» zu schützen, z. B. durch Ausrechlerhaltung der Liebesgabe. C« kann und wird aber nicht sein, daß da« Centrum sich in der Stcuersrage den conservativen Gelüsten zur Verfügung stellt. Im Gegemheil, es wirb ihnen bei jedem, auch dem leisesten Versuch, die feierlichen Versprechungen bezüglich der Teckungsfrage zu umgehen, mit aller Bestimmtheit entgegentreten. Mögen die Herren sich gefälligst an die Parteien halten, aus denen die Steuer- Staatsmänner genommen werden." Nicht so zierlich ist der Korb geflochten, mit dem die Bonner „Reichszeitung" die Freiwerberin für bas preußische Iunkertbum beimsckickt. Da beißt es zum Schluß kurz und grob: „Entweder baden die Kreuzzeikungsmänner ein Brel vor',» Kopf, oder sie glauben, wir hätten eins davor. Da das letztere nun nicht der Fall ist, so wird die Geschichte wobl beim Alten bleiben." AuS dem bajuvarischen Walde wird cs noch ganz anders herausschallen. Die zweite niedcrläiivische Kammer, die in ihrer außerordentlichen Sommersitzung drei Wochen lang mit allge meine» Beratbungen über den Wahlgesetzantrag beschäftigt gewesen ist, har am 16. August die Entscheidung über die Wahlreform bis auf Weiteres vertagt, indem sie beschloß, alle gestellten Abänderungsanträge vorher in den Ab- theil ungen zu beratben, die erst am 20. Eept. zusammen treten sollen. Dadurch wird daS Gesetz erst in der nächsten Tagung der Gcneralstaaten zur weiteren Beralhung und Er ledigung gelangen. Es ist die alte Verzettelungspolitik, die vor jedem entscheidenden Schritte zurückscheut. So war eS bei der Steuerreform, so bei dem Militairgesctz, die jahrelang hinausgeschoben wurden. Diesmal bandeln Liberale, Ultra- montane und Orthodoxe in brüderlichem Verein, um das allgemeiiieStiminrecht nicht zu bewilligen; 52 lange Reben wurden gehalten, in denen die engherzigsten Ansichten, eine gänzliche Verkennung der gegenwärtigen Verhältnisse zu Tage traten. Den entscheidenden Schritt zu thun, direct zu erklären: wir wollen den breiteren Schichten des Lölkes keinen Antbeil an der Gesetzgebung zugestehen, dazu fühlten die Mnnheers jedoch gegenwärtig nicht den Mutk in sich, sie warten wahrscheinlich aus günstigere Zeiten. Die Arbeiter partei bat ihnen aber einstweilen einen kleinen Vorgeschmack der sich vorbereitenden Ereignisse zukommen lassen. Wie der Draht aus Amsterdam gemeldet, wurde, wie unsere Leser bereits wissen, bei einer dort am 16. Abends abgehaltcnen socialistischcn Versammlung ein Antrag angenommen, worin die Haltung mehrerer Depulirlen während der Debatten über die Wahlretorm getadelt wird. Man beschloß, diese Resolution dem Deputieren Nutzers van Rozenburg zu über geben. Eine große Menschenmenge sammelte sich vor der Wohnung dieses Abgeordneten an. Als die Polizei die Menge zerstreuen wollte, wurde sie mit Steinen beworfen. Hieraus zog die Polizei blank und eö kam zum Handgemenge, wobei ei» Brigadier, sowie mehrere Ruhestörer verwundet und zwei Schutzleute entwaffnet wurden. Der parlamentarische Wahlfeldzug in Frankreich geht mit einer Geräuschlosigkeit von Statten, als ob es daselbst ar keine Eifersüchtelei der Parteien und keine Leidenschaft der (olkSmassen gäbe. Daß beites bei den Franzosen in bobem Maße vorhanden ist, bedarf wohl keiner ausdrücklichen Be stätigung; wenn trotzdem daS Interesse an der Wahlbewegung auf verbältnißmäßig enge Kreise sich beschränkt, so wird man daran« schließen dürfen, daß die große Mehrzahl der Wähler zu der Einsicht gelangt ist, daß daS Gemeinwohl bei jeder grund stürzenden Äenderung des Bestehenden zunächst nur verlieren kann. Die parlamentarische Republik ist allerdings, und zwar durch ihr eigenes Verschulden, bei der öffentlichen Meinung stark in Mißcrcdit gerathen, allein nachdem es ikr geglückt ist, dem Publicum daS Vergnügen an der Beschäf tigung mit dem Panamascandal so gründlich zu verleiden, ist es wahrscheinlicher, daß daS sulkrwKe univeisel der parla mentarischen Republik ihre panamistischen Sünden nachsieht, als daß es sie denselben zum Opfer fallen läßt. General Dodds hat sich an Bord des „Liban" in Marseille nach Tahomcy eingeschifft und in Oran 100 Mann von der Fremdenlegion und 80 Maulesel zur Verstärkung der Expedition nach Dabomey ausgenommen. Man kofst, daß die algerischen Maulesel daS heiße Klima von Dahomey besser ertragen werden, als die bisher für die Cavalleric ver wendeten Pferde, die größtentheils zu Grunde gegangen sind. General DoddS wird zunächst nördlich von Abomey ei» ExpedilionScorpS persönlich commandiren, woraus man schließen darf, daß diesem Unternehmen einige Wichtigkeit beizumessen ist. Tie Truppen werden so rasch als möglich mittelst Dampfer auf dem Ueme-Fluß bis zur seichten Stelle bei Tobue befördert werden, und von da werden sie sich auf der bereits in französischen Händen befindlichen Straße über Togressa und Cana nach Abomey begeben. Dieser Marsch wird diesmal leichter von Statten gehen und nicht mehr mit jenen großen Mühen und Opfern an Menschen verbunden sein, wie früher, als man sich bei jedem Schritt nach vorwärts mit den Waffen in der Hand gegen das mörderische Feuer der Schwarzen vertheidigen mußte. Erst nach einigen Tagen der Ruhe in der Hauptstadt von Dabomey wird die fließende Eolvnne ihre Opera tionen nach N o rd en bin beginnen. Eie wird mit aller Energie die Verfolgung Bebanzin'S betreiben und zu diesem Zwecke die Gebirge im Norden Abomcys bis zu dem Gebiete der Mahis durchstreifen. DaS Weiter wird für dieses Unter- nebmen auch günstig sein, da die Regenzeit und die uner trägliche Hitze Ende Juli aufgehört haben und gegenwärtig sriscke, aus dem Weste» kommcnde Brisen die Luft abküblen. Hochwasser tritt allerdings im September ein, aber bis dahin ist die Barre von Kotounu und Whydah noch benutzbar, so daß General Dodds für seine Operationen entschieden die beste Jahreszeit auögewählt hat. Den halbamtlichen Erklärungen, die von Nom aus der Zeitungsmeldung von einem russisch-italienische» Sonber- abkommen enlgegeiigcstellt wurden, schließt sich eine Zu schrift an, die der Mailänder „Perseveranza" von einem „sehr gewichtigen Politiker und erfahrenen Diplomaten" zugeht. Bei den bekannten Beziehungen des Mailänder BlatlcS und nach dem ganzen Inhalt der Zuschrift hat man als deren Einsender den Marchese di Rudini zu betrachten. Er äußert sich wörtlich: „Die Wahr heit ist, daß zwischen Italien und Rußland weder Uebereinkünste, noch Verträge, noch Protokolle best eben. ... Im Dreibund nimmt Italien gegenüber Ruß land dieselbe Stellung ein wie Oesterreich-Ungarn gegenüber Frankreich. Keiner der drei Verbündeten hat Ursache, an der gegenseitigen Treue zu zweifeln. Allein Oestcrreick-Ungarn erfährt aus dem Pariser Markte jene Rücksichten, die man Italien verweigert, während Italien in Petersburg größerem Wohlwollen begegnet, als Oesterreich-Ungarn und Deutschland." DaS Verdienst an diesem Stande der Dinge gebühre insbesondere dem Marchese di Rudini, der es verstanden habe, die überscdäumenden Sympathien für Bulgarien ^u mäßigen, und sich lediglich auf die Wahrung der Interchen Italiens auf der Balkanbalbinsel beschränkt habe, obne der Würde etwas zu vergeben und Vorwände zu Klagen zu bieten. „Bei der Zusammenkunft, die er in Monza mit dem Mi nister des Aeußern v. Giers batte, bod er die nickt wenigen BerührungSpunete hervor, die zwischen Rußland und Italien bestehen können. Bei jener Gelegenheit wurde auch von den wirtschaftlichen Interessen beider Länder gesprochen und eö zeigte sich der Wunsch nach besonderen Uebereinkünflen, die Rudini anstrebte, um daS Werk der Er neuerung der Handelsverträge zu vollenden. Dieser Meinungs austausch habe weder zu Verträgen, noch zu Noten, noch zu Protokollen Anlaß gegeben, aber er habe dazu gedient, die Beziehungen zwischen Rußland und Italien freundlicher zu gestalten. „Und ich kann hinzufüzen, daß dies Alles von Deutschland gewünscht und gebilligt wurde und auch Oester» reich-Uiigaru nicht unbekannt blieb. Und da die Dreibund staaten den Frieden wollen, wird Alles, waS einer von ihnen Frankreich oder Rußland näher bringt, von den beiden andern verbündeten Regierungen gern gesehen." In Lpanicn kriselt'S einmal wieder, wie eS scheint. Den Hauptanlaß zu diesen Krisengerüchten haben die jüngsten Borkommnisse in Biltoria gegeben, durch die daS An sehen des KriegSministcrü Lope; Dominguez schwer er schüttert worden ist. Mehrere Mitglieder des obersten KriegsratheS hatten ihr Urtheil dahin abgegeben, daß BurgoS der Sitz deö Generalkommandos dcS sechsten ArmeecorpS werden sollte statt Bittorias. Kaum wurde diese Nachricht am 7. August in Biltoria bekannt, so rottete sich daS Volk zusammen, die Läden wurden geschlossen, die Häuser mit Trauerzeichcn versehen und große Menschenmassen zogen vor das RatbhauS und das Gouverucmcntsgebäude, um Ver wahrung cinzulegcn gegen die Schädigung der Interessen dieser Stadt. Die Tumulte dauerten wäkrcud der ganzen Nacht fort, die Stadträthe legten ibre Aemter nieder, und als die Eivilbehörden sich am 8. August außer Stande saken, den drohenden Ausruhr zu unterdrücken, übertrugen sie ihre Machtbefugnisse auf die oberste Militairbebördc, die sogleich den Belagerungszustand über den Ort ver hängte. AIS kurz darauf der Kriegsminister in Vittoria cintraf, fehlte nur wenig, daß er lhätlich beleidigt wurde, und seine Versicherungen, er wolle seinen Einfluß geltend machen, um Vittoria daS Gencralcomiuando zu belassen, wurden mil Pfeifen, Zischen und umstürzlerischen Rusen beantwortet. Bcachlciiöwerth war hierbei besonders, daß Hochrufe aus den „legitimen König Don Carlos" auSgedracht wurden. Lopez Dominguez kielt es für ge» ralken, daS Feld bald zu räumen, und eö heißt, daß die Weigerung eines TheilS des Kriegoraths, Len auf Vittoria bezüglichen Beschluß umzustoßen, ihn bewogen babc, sein Entlassungsgesuch einzureichcn. Die Rcgierungsmüdig- kcit des KricgSministerS reicht indessen schon etwas weiter zurück. Der Widerstand, auf den sein ganzer Reform- plan von vornkerein im Cabinet, dann bei einem großen Theil der liberalen Partei und in mehreren Provinzen stieß, war nicht nach deni Geschmack des Neffen Serrano's. Sein Rücktritt gilt als sicher. Aber es ist frag lich, ob die Veränderung im Eabinet auf den Ersatz seiner Person beschränkt bleiben wird. Ter Zwiespalt unter den Ministern ist sehr groß und die ganze liberale Partei zer splittert. Man spricht auch seit einigen Tagen wieder von der Bildung der „drilten Pa rtei", die aus der Vereinigung der äußersten Linken der Conservativen und zahlreichen an gesehenen Liberalen bestehen würde. Im Interesse des Landes wäre zu wünschen, daß diese Absicht jetzt nicht aus- gcfükrt würde, denn sie würde eine große Schwächung beider bisherigen „Rcgierungsparteien" »ach sich ziehen und nur den Uinsturzelcmeiiten zu Gute kommen, die, Nachrichten aus Valencia und Cartagena zufolge, unermüdlich thälig sind, daS Volk >zu»l Aufstande zu bewegen. Feirilletsi,. In des Neiches Mmark. 18j Roman von B. W. Zell. N.iLdruck «erboten. (Fortsetzung.) „Nur noch ein einziges Zimmer zur Verfügung — Alles, selbst die Spcisesäle ganz besetzt", sagte er bedauernd. „Alle Besitzer der Umgegend sine hier, viele mit ihren Damen. Darf ich die Herrschaften hinaufführen?" „Erst sagen Sie uns, wie eö an der Brandstätte stebt", rief Wladimir, selber ganz erregt von dem Getümmel rings umber. „Sobald ich meine Damen in Sicherheit weiß, will ich bin, um selber zu sehen." Der Wirtb zuckle die Achseln. „Wie soll'S da stehen, Herr Gras! An den alten Kalben ist natürlich nichts zu retten, das faule Streb und morsche Gebälk stiegt wie Zunder in die Luft, unk die zerbröckelten Mauern stürzen nach. Bis vor zwei Stunden war die Stakt in böcksler Gcsabr. dann sprang glücklicherweise der Wind um und trieb die Flammen nach der anderen Seite. Dank diesem Umstande, sewic der tedeSmutbigen Aufopferung unserer Ulanen können wir jetzt das AuSbrcnnen de- Nestes rukig ab- wartcn." ^ „Sind Menschenleben verloren gegangen'?"' fragte Aniela angstvoll. „Bis jetzt bört man nicktS davon, eS sind alle Arbeiter von den Bobrwerken ausgeboten, und die sollen sich sekr brav beim Reltungswcrk bewiesen baden. Ganze Berge von Lumpen — die Sibiriancr nennen daS HauSgeräth — sind au« den brennenden Häusern gebolt und geborgen. Es ist demnach nicht anzunebmcn, daß Menschen umgekonimen sind." Gerade als Wladimir die Damen ins Hauö sübrte, fubr «in anderer Wagen vor, dem Iuza LeczynSka mil de» beiten ältesten Brüdern entstieg. Ucderrasckt begrüßte sie die Ge sellschaft. „Es litt mich nickt länger dabeim", sagte sie ernst. „Ich dachte, eS könne bier etwas zu belsen geben, packte einige Körbe voll Eßwaaren und Leinenzeug ein und bin nun da. Herr v. Malkiewicz ist mit seinen Arbeitern seil vier Stunden aus der Brandstätte, sie mögen erschöpft genug sein. Die Armen aber, die heule ihr Heim verlieren, welch eia Glück, daß wir im Sommer sind und sie nicht in den schneidenden Winlersrost binaus müssen!" Man batte inzwischen daS bestellte Zimmer erreicht, und Wladimir verabschiedete sich eilig mit dem Versprechen, bald Nachricht von der Brandstätte zu bringen. „Seien Sie nickt tollkühn", ries ihm Polza noch ernstlich mabnend nach. Er winkte ihr berubigend zu und ging. In der Statt berrsckte grenzenlose Verwirrung. Der größte Theil der Einwohner batte, da bei Beginn dcS Brandes Alles bedroht schien, die notbwendigste Habe zusanimengepackt und stand auf dein Sprunge, die Häuser zu verlaßen. Zwischen dem brennende» Stadtlbeil und dein Innern der Stadt lag eine große Oelraffinerie, in der bedeulend: Borräthc lagerten. Ward diese vom Feuer ergriffen, so mußte sich alsbald ein flammendes Meer über das unglückliche Städtchen ergießen, und alles Lebende und Todle darin im grausamen VernichtungS- kampf vom Erdboden vertilgen. Jetzt war diese Gcsabr abgcwandt, aber noch lebten Schreck und Angst in Aller Herzen. Noch imm:r wagte man nicht, sich dem Gefühl der Sicherbeit binzugeben, und der armen Betroffenen war biSber noch wenig gedacht worden, da jeder von der Sorge für daS eigene Leben und das der Seinen er füllt war. Erst vor einer Stnndc war die Stadtverwaltung dazu gekommen, besonnene Maßnahmen zu ergreifen und den obdachlos Gewordenen ibre Fürsorge zuzuwende». Man wies ibnen daS freie Feld bei der Klosierruine zum Sammel platz an und schickte sich jetzt auch an. tortbin Lebensmittel, Verbandzeug, sowie Tücher und Decken für die Alten und Kranke» zn schaffen. Nur mißtrauisch, zagend, unter lautem Klagen und Jammern entschlossen fick die Bewobner der zerstörten Hütten, der gut gemeinten Weisung zu folgen. Sellen war auch eine dieser meist aus zehn, zwölf und noch mebr Köpfen bestehenden Familien vollzählig beisammen, und zeternd suchten überall Eltern ibre Kinder oder Kinder die Eltern. Greise »nd Kranke wurden aus ten brennenden Trümmern getragen, und viele webrlen sich noch unter Verwünschungen dagegen, aus der altgewohnten Heimstätte entfernt zu werden. Nicht einmal der Hinweis aus die drohende Lebensgefahr ver mochte sie gefügig zu machen, und man mußte Gewalt an wenden, um ibre Rettung zu ermöglichen. Alles, auch die armseligsten Lunipen wurden mitgerisien, und wo ein morscher Schrank, eine wurmstichige Lade den Flammen zum Raube wurde, gebärdeten sich die Besitzer, als seien ibnen Millionen entrissen worden. Erst das Erscheinen Michael CroneS wirkte berubigend. tröstend auf die Gemütbcr. Ihm glaubte, ihm vertraute man — war er doch als ein Wohlthätcr aller Armen bekannt. Man sckaarte sich jammernd um ibn und begehrte Rath und Hilfe — er versprach mil lauter Stimme, baß für alle ge sorgt, für allen entstandenen Schaden ausgekominen werden solle, und wies die Gcängsrigten an, sich den weisen An ordnungen der Stadtverwaltung 'willig zu fügen. Das geschah denn endlich, und bald verließen wenigstens Weiber und Kinder die Brandstätte und deren Umgebung, uni der Klosterruine ruzustrcben. Die Männer aber schaartcn sich in Angst und Entsetzen um einen unansehnliche», altersmorschen Bau aus Fachwerk und Stein, dessen eingesunkene Giebel und scbiesbängende Tbüren deutlich bewiesen, wie erncuerungö- bedürstig das ganze hinfällige Gemäuer sei. Und doch war die Einäscherung Hunderter von Häusern, die Zerstörung des ganzen Stadttheils von diesen Männern nicht so sehr bc- fammert worden, als die Gefahr, in der dieser alte Bau schwebte — eS war die Synagoge. Noch stand sic äußerlich unversehrt. Aber durch die blinden Scheiben der unregelmäßigen Fenster drang Heller Schein unk bewies, daß im Innern das Feuer bereits wlltke. Wie es dort entstanden, wußte Nieinand zu erklären. Der Tempel diener. der dir Schlüssel Hatte, war fort unk nickt aufznsinden — wohl in jäber Angst mit den Seine» geflohen, um Lebe» und armselige Habe in Sicherheit zu bringen. Man zertrümmerte die Scheiben und richlcte die Spritzen in da» Innere des Tempels, um vielleicht so des Feuers Herr zu werden. An dem allen Gemäuer lag Len Juden nicht», mochte eS immerbin zerstört werte», aber das, was eö barg, daS war ibnen an» Herz gewachsen, unk darum schlugen sie in wildem Jammer die Brust mir den Fäusten und rauste» ibr Haar — wenn ibre Gebelrollen, wenn die heilige Lade mit ihrem unerseelicken Inhalt ei» Raub des FeucrS wurde! Dieselbe Tragödie, die sich einst mit welterschütternker Gewalt in Jerusalem bei Zerstörung deS Tempels abgespielt, wiederholte sich jetzt hier in dem kleinen, weltvergessenen Städtchen, und es war derselbe ungeheuere Schmerz, derselbe trostlose Ianimer, der die Herze» dieses Häusleins Männer zerfleischte, wie er einst von jenen Tausenden und Abertausende» vcrzweiflungSvoll empfunden wurde. „Unser Tempel — die Synagoge!" zeterten sie immer wieder mit gerungenen Händen. „Unsere Tborarollen und die Belgewänder — wer rettet sic uns — wer bilst!" ES fand sich Keiner, der eS gewagt hätte, in die brennende Synagoge zu dringen und die Hciligthümer zu retten. Jetzt züngelte das erste Flämmcken durch den leichtgebauten Dachstuhl empor — ein Webgeschrei begleitete eS. Und dann schlugen allgemach die Flamme» immer zahlreicher und mächtiger hervor —idie Synagoge mit ihren, Inhalt schien unrettbar verloren. In diesen, Augenblick stürzte jammernd, barbaupt und mit fliegendem Haar der Tenipeldiener herbei, in seiner Hand ein klirrendes Schlüsselbund. „Web mir! Ick babe meinen alten neunzigjährigen Vater in Sicherheit gekrackt und habe den Schlüssel vergessen, vielleicht ist doch noch das Höchste zu rette»! „Da vorn, am Aller- beiligsten scheint es riech dunkel, die ewige Lanipc schimmert brennend und unversehrt durch die Scheiben, und grade an der Stelle steht die heilige Lade, vielleicht ist wenigstens sie vor Vernichtung zu bewahren." So jammerte er und stürzte, der warnenden Zurufe seiner Glaubensgenossen nicht achtend, zur Tbür deS Tempels. Knarrend drehte sich der Schlüssel darin, sie sprang ans. Aber durch die Erschütterung mockte sich ei» brennendes Scheit vom Gebälk gelöst baden, eS stürzte von, Dachgiebel hernieder und lraf das Haupt deö Schließers, daß er »lit lautem Wehcruf zusamniensank. Entsetzt standen die Umstehenden „nd wußten nicht, wie dem Unglücklichen bcispringen, dessen Kleider bereits in Flammen standen. Endlich ermannten sich einige beherzte Männer der Löschmannschaft, warfen a»is der Enlscrnuiig nasse Erde und triefende Tücker aus die brennende Gestalt und zogen dieselbe dann mit lauge» Stangen aus dem Bereich des immer greller ausloderiitc» Tempels, in dessen Nähe sich wagen, Tod be deutete. „Es ist Alles verloren!" sagten nun auch die Hunderte unbetbeiligler Zuschauer, welche in angemessener Entfernung neugierig ede, tticilnebmend die Brandstätte umstanden. „Alles verloren!" hieß eö auch in einer kleinen Gruppe von Männern, die etwas abscilS von den übrigen standen und niit ernsten Miene» der Vernicklung zuschauten. In einer sonst seltenen Eintracht war bier die katholische und evangelische Geistlichkeit der Statt versammelt, der jüdischen Bevölkerung gegenüber fühlte man fick als durchaus zusamiuengebörig. Auch Con» stauli» Breski staub bier, balle dock der Feucrlärm die Herren noch beim Mabl getroffen, und vereint waren sie hrrgegangen, sich vom Stande der Dinge zu überzeugen Zu helfen, zu retten gab's hier nichts mehr, selbst wenn diese Absicht vor» banden gewesen wäre, unk so konnte man denn nur erschüttert dem Zerstörungswerke zuickauen.
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