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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.04.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-08
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030408026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903040802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903040802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-08
- Monat1903-04
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Dabellarischer und Zifsernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannchme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^4 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Mvrgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 178. Mittwoch den 8. April 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8 April. Di« Entscheidung Uber de« 8 2 des Jesuitengesetzes. Die in unserem heutigen Morgenblatte mitgeteilte Meldung aus Berlin, der Reichskanzler Graf Bülow habe, da im Bundesrate eine Mehrheit für die Aufhebung des 8 2 des Jesuitengesetzes jetzt nicht zu haben sei, die ganze Angelegenheit zu ver tagen beschlossen, wird von der „Nat.-Lib. Korr." be stätigt. Etwas anders läutet eine Meldung der „Elber felder Zeitung", die unter der Ueberschrift „Das Jesuitengesetz bleibt bestehen" folgende Zu schrift eines Berliner Mitarbeiters veröffentlicht: „Auch in solchen amtlichen Kreisen, die bisher an der Meinung festhielten, für die Aufhebung des 8 2 des Jesuiten gesetzes werde sich schließlich doch im Bundesrat eine, wenn auch sehr geringe, Mehrheit finden, wird jetzt eingesianden, daß die preußischen Stimmen, die für die Aufhebung instruiert werden sollen, nicht die genügende Unter stützung von anderen Staaten erhalten werden, um eine Mehrheit zu bekommen. Bayern ist noch unentschieden, wird aber wohl für die Aufhebung stimmen, zumal es dadurch selbst nicht weiter berührt wird, da es durch Landesgesetz schon lange vor dem Reichsgesetze die Jesuiten ausgeschlossen hat. Zweifelhaft ist auch Baden, wo starke klerikale Einflüsse am Hofe und bei der Regierung mit der wachsenden Protest bewegung im Lande um die Entscheidung kämpfen. Dagegen scheint Hessen zur Ablehnung entschlossen. Somit käme Preußen im günstigsten Falle mit seinen Verbündeten nur auf 27 unter 58 Stimmen, vielleicht sogar nur auf 24. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Herausforderung des Bischofs Ko rum in Trier und die Anmaßung der Ultra montanen in Bayern nicht nur auf sehr weite Volksweise, sondern auch auf manche Regierungen einen tiefgehenden, nachhaltigen Eindruck herorgerufen hat. Indessen wird die entscheidende Abstimmung im Bundesrar über den 8 2 des Jesuitengesetzes schwerlich schon in allernächster Zeit fallen, sondern vermutlich erst nach den R e i ch s t a g s w a h l e n. Aber die Ablehnung der Beseitigung jenes Paragraphen kann gleichwohl schon heute als sicher gellen. Das Jesuiten gesetz bleibt zunächst, wie es ist." Alle diese Meldungen stimmen darin überein, daß z u - nächst das Jcsuitengesetz bleiben werde, wie es ist; sie gehen auseinander insofern, als die letzte eine verhältnis mäßig baldige Entscheidung des Bundesrates in Aussicht stellt, die beiden ersten dagegen von der Absicht des Reichskanzlers reden, die Entscheidung zu ver tagen. Der Unterschied ist bedeutsam. Und da Graf Bülow den Schnitzer gemacht hat, seine Absicht, die preußischen Stimmen für die Aufhebung des 8 2 zu instruieren, in die Welt zu posaunen, bevor er über die Stimmung der übrigen Bundesregierungen sich ver gewissert, so liegt auch die Annahme nicht fern, daß er nach erfolgter Belehrung über diese Stimmung auf eigene Kaust „beschlossen" habe, „die ganze Angelegenheit zu vertagen". Ein solcher „Beschluß" aber wäre ein Schnitzer, wie der erste. Denn die Sache liegt doch so, daß dem Bundesrate R c i ch s t a g s b e s ch l ü s s c so wohl auf Aufhebung des ganzen Jefuitengcsetzes, wie auf Abbröckelung seines 8 2 vorliegcn. Und zu diesen Be schlüssen Stellung zu nehmen ist Lache deö Bun desrates, nicht des Reichskanzlers oder preußischen Ministerpräsidenten. Graf Bülow kann wohl in der einen wie in der anderen Eigen schaft eine Bcrtagung der Entscheidung bean tragen, nicht aber sie beschließen. Wir nehmen daher an, daß die letzte Meldung die richtige sei und daß der Bundesrat demnächst wirklich be schließen werde, sowohl die vom Reichstage verlangte Aufhebung des ganzen Jesuitengesetzes, wie dessen Ab bröckelung abzulehncn. Wir hoffen auch, daß die hohe Körperschaft, wenn wirklich Graf Bülow eine Vertagung der Entscheidung beantragen sollte, diesem Antrag eben sowenig beitrcten werde, wie den betreffenden Reichstags beschlüssen. Was soll eine Vertagung nützen? Sic würde die in evangelischen Kreisen herrschende Auf regung vermehren und also dem konfessionellen Frieden Eintrag tun. Und will Graf Bülow mit aller Gemalt in Preußen ausländische und inländische jesuitische Friedensstörer unbehelligt lassen, so kann er das haben, auch wenn der 8 2 des Jcsuitengcsetzcs bestehen bleibt. Dieser zwingt keine Regierung, ihn in Anwendung zu bringen: bleibt er bestehen, so kann Graf Bülow trotz dem ruhig den Jesuiten von Berlichingen nach Berlin kommen lassen und seine Reden sogar mit der kanzlerischcn und ministerpräsidentlichcn Gegenwart be ehren. Imperative Mandate. Es ist schon früher mitgeteilt worden, daß der Bund der Landwirte für die Rcichstagsivahlen eine Reihe von Programmpunkten ausgestellt hat, die von den Kan didaten, die auf die agrarischen Stimmen rechnen, unter zeichnet werden sollen. Im allgemeinen Sprachgebrauche bezeichnet inan dieses Verfahren mit dem Ausdrucke „im perative Mandate", und selbst Graf Mirbach, der doch dem Bunde gewiß freundlich gegenüber steht, hat das Vor gehen so charakterisiert; es liegt also nichts im Wege, das Kind mit dem rechten Namen zu nennen und darauf hin zuweisen, daß solche imperative Mandate verfassungs widrig sind. Gleichwohl ereifert sich das Organ des Bundes, um zu beweisen, daß sie keineswegs gegen die Ver fassung verstoßen. Artikel 20 der Verfassung des Deut schen Reiches sagt klar uud deutlich: „Die Mitglieder des Reichstages sinh an Aufträge und Instruktionen nicht ge bunden." Daher muß selbst die „D. Tagcsztg." zugebeu, daß imperative Mandate im eigentlichen Sinne des Wortes allerdings verfassungswidrig seien, aber sie meint sofort, man dabe in den Erörterungen über imperative Mandate den Begriff viel zu weit gefaßt; aus der Verfassungs- bcstiininirng gehe unzweifelhaft hervor, daß es sich nur um bestimmte Aufträge und besondere Instruktionen, nicht aber um allgemeine Erklärungen handeln könne. Das Blatt senk selbstverständlich voraus, daß die genau formu lierten Bedingungen des Bundes nur allgemeine Er klärungen seien. Dieser Voraussetzung gegenüber genügt es, daran zn erinnern, welche ins einzelne gehende Verpflichtungen der Bund den Kandidaten anserlegen will, falls diese auf bünd- lerikche Stimmen sollen rechnen dürfen. So sollen diese Kandidaten sich verpflichten, neuen Handclstarisver- trägen, die eine Ermäßigung der landwirtschaftlichen Zoll sätze des neuen Gcneraltarifs, also beispielsweise der ge setzlich fcstgelcgten Mindestzölle, enthalten, nicht zuzustim- mcn; sich verpflichten, für die vorherige Kündigung der Mcistbegünstigungsverträge mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit Argentinien cinzntreten; sich ver pflichten, für die Herabsetzung der Jndustriczölle des neuen Gcneraltarifs bei der chemischen Industrie und bei der Eisen- und Maschinenindustrie zu wirken; sich verpflichten, gegen die Herabsetzung der Vieh- und Fleischzölle unter die Mindestzollsätze der Resolution Herold cinzutreten usw. usw. Es läßt sich doch gar nicht bestreiten, daß ein Kan didat, der diesen Forderungen schon jetzt, da überhaupt der Inhalt der Handelsverträge auch nicht annähernd zu übersehen ist, ja überhaupt gegenseitige Handelsvertrags verhandlungen noch nicht begonnen haben, unbedingt zu gestimmt, sich für den Fall der Wahl bei künftigen Ab stimmungen vollständig festgelcgt und gebunden hat. Er l-at damit der Verfassung zuwider sich ein imperatives Mandat aufzwingen lassen nnd kann nicht mehr den zwischen dem Tage seiner Wahl und dem Zeitpunkte der Vorlage von Handelsverträgen etwa cingetretcnen sach lichen Veränderungen der Lage Rechnung tragen, ohne wortbrüchig zu werden. Er ist also tatsächlich ein unfreier Mann und unwürdig, Mitglied der deutschen Volksver tretung zu sein, weil es auf einen leichtfertigen Eharakter schließen läßt, daß er ein solches Versprechen überhaupt gegeben hat. Man muß daher an der Erwartung fest halten, daß alle derartigen Kandidaten von allen Parteien, die es ehrlich mit der Verfassung halten, unbedingt zurück gewiesen und ausgemerzt werden und daß ihre Wahl, falls sie trotzdem erfolgen sollte, vom künftigen Reichstage für ungültig erklärt wird. Der Geueralftreik in Holland. Ter Ausstand der holländischen Transportarbeiter hat nun auch schon auf andere Arbeiterkategoricn über gegriffen und gewinnt noch immer an Ausdehnung. Die organisierten Arbeiter erklären, der Streik habe drei Forderungen zur Grundlage: 1) Zurückziehung der Anti streikgesetze; 2) Lohnerhöhung; 3) Wiederanstellung ent lassener und suspendierter Eisenbahnangestellter. Wür den diese drei Forderungen nicht erfüllt, so werde man jegliche Gewcrbetätigkeit im Lande lahm zu legen suchen und dadurch einen entscheidenden Zwang auf die Regie rung auszuübcn wissen. Wie der Streik schließlich aus gehen wird, ist heute noch nicht abzusehen, aber so viel steht fest: fast die ganze holländische Arbeiterschaft will den Kampf mit der Regierung und hat seit zwei Monaten unablässig, für diesen Kampf gerüstet, der, so hoffen die Arbeiterführer, ihnen nicht nur in dem besonderen Falle elnen Erfolg sichern, sondern ihnen auch ein für allemal einen gewissen Einfluß auf die Regierungsmaschine ge währen soll. Allerdings ist man auch auf Seiten der Regie rung nicht untätig gewesen; das beweist die Sicherheit und Schnelligkeit, mit welcher der militärische Apparat arbeitet, die Leichtigkeit, mit der immer neue Truvpen hcrangezogen werden, endlich auch die Entschlossenheit der Eisenbahngesellschaften, die diesmal im Gegensatz zu den Vorgängen im Anfang Februar einen festen Rück halt an maßgebender Stelle finden. Angesichts des auf beiden Seiten mit so gewaltigen Machtmitteln geführten Kampfes, dessen Entscheidung nicht nur für Holland von weitesttragender Bedeutung ist, läßt sich die Spannung begreifen, mit welcher die Vorgänge, deren Mittelpunkt noch immer Amsterdam ist, nicht nur von der gesamten Bevölkerung der Niederlande, sondern auch jenseits der holländischen Grenzpfähle verfolgt werden. Hat man doch auch keinerlei Garantien dafür, daß der Streik nicht auch aus die benachbarten belgischen nnd deutschen und schließlich auch auf die englischen Häfen überspringen wird, um so mehr, da ohnehin schon da und dort sich An zeichen dafür bemerkbar machen, daß auch außerhalb Hollands eine rastlose Agitation unter den Dockarbeitern ihre Wirkung zu äußern beginnt. Wenn man auch seit einer Woche etwa wieder mit der Möglichkeit eines Generalstreikes der holländischen Arbeiterschaft rechnen mußte, so ist die plötzliche Niederlegung der Arbeit doch überraschend gekommen. Tie Lage hat sich so zugespitzt, weil die Regierung die Antistreikgesetze durchaus noch vor Ostern unter Dach und Fach bringen wollte und die Mehrheit der zweiten Kammer Neigung zeigte, auf diese Absicht einzugehen. Hatten die Antistreikvorlagen aber erst einmal Gesetzeskraft erlangt, so war den Arbeitern ihre Waffe aus der Hand gerungen, denn auch noch die verbesserten und gemilderten Entwürfe sind, wie sich aus dem Wortlaut der jetzt zur Beratung der Kammern stehenden Bestimmungen erkennen läßt, sehr streng, und jedenfalls schärfer, als irgend ein anderes europäisches Antistreikgesetz. So wird das Streikpostenstehen durch folgende Bestimmung unter Strafe gestellt: „Derjenige, welcher widerrechtlich auf den öffentlichen Wegen einen anderen in der Freiheit seiner Bewegung be hindert oder mit einem oder mehreren anderen sich einem Dritten gegen dessen ausdrücklich erklärten Willen aufdrängt oder ihm auf lästige Weise folgt, wird mit Haft von höchstens einem Monat oder Geldstrafe von höchstens hundert Gulden bestraft." Der viel angefochtene ,^8erschwörungsparagraph" besagt: „Wenn zwei oder mehrere Personen mittels einer Ver schwörung die im Artikel 358, 2 bezeichnete Straftat begehen, so werden die Schuldigen sowie auch die Leiter oder Anstifter der Verschwörung mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft." Artikel 358, 4. „Wird der Zweck der Straftat erreicht, dann wird die Strafe im ersten Falle (Art. 358, 2) auf ein Jahr erhöht, im zweiten (Art. 358, 3) auf vier Jahre." Damit könnte schon der Versuch eines Streiks straf rechtlich geahndet werden. Da die Regierung ihren Pfeil noch vor Ostern abschießen wollte, so war die den Arbeitern gestellte Frist eine kurze. Wollten sie sich die Antistreikgesetze nicht gefallen lassen, so blieben ihnen nur wenige Tage, um sich zur Wehr zu setzen, und so hat man sich denn gewissermaßen über Nacht zur Prokla mierung deS Generalstreikes entschlossen. Heute liegen folgende Nachrichten vor: * Amsterdam, 7. April. Die vereinigten Arbeitgeber im Transport- und Schiffahrtsgewerbe veröffentlichen eine An kündigung, in welcher sie die Arbeiter auffordern, die Arbeit morgen früh um 6 Uhr wieder aufzunehmen, widrigenfalls sie über sämtliche Betriebe die Sperre verhängen würden. — InArnheim wurde nach einem Zuge im Augen blicke der Abfahrt mit Steinen geworfen. * Amsterdam, 7. April. Der Verband der Metall arbeiter hat heute nachmittag den Aus st and für das ganze Land verkündigt. In Amsterdam sind 4—5000 Leute ausständig. * Amsterdam, 7. April. Die aus ständigen Eisen bahnangestellten verloren an Boden. Die Direktionen treffen Anordnungen, den Dienst allmählich regelmäßiger zu gestalten. Die Arbeitgeber im Transportgewerbe schlossen schätzungsweise 2000 Arbeiter aus, die tatsächlich nicht zu den Ausständigen gehören. Die Gesamtzahl der künftig arbeits losen Transportarbeiter entzieht sich noch der Schätzung. Ter Bäckerausstand wird wahrscheinlich nicht allgemein wer den. Es feiert nur ein Teil der Angestellten der Brotfabriken, Fenilleton. Das Gold vom Mdwatersrand. Roman von F. Klinck-Lütet-burg. '.^aSdruct verboten. Rasches Handeln war geboten, und Wilm entschlossen, einen Weg zu beschreiten, vor dem ein anderer in gleicher Lage zurückgeschreckt sein würde. Allein durch die Ver mittlung des Staatspräsidenten Krüger sah er die Mög lichkeit vor Augen, eine günstige Wendung in dem Schick sal Peter van Sendens herbeizuführen. Und doch! Die Hoffnung, daß Ohm Krüger ihn, den Neffen des Landesverräters, empfangen werde, stand nnr auf schwachen Küßen. Die von dem Präsidenten erlassene Proklamation ließ zwar eine versöhnliche Gesinnung nicht vermissen, sie verbarg aber auch nicht seinen Groll gegen die Führer der Rebellen, die durch ihre „abscheuliche Hetzerei", ihren Mangel an Vaterlandsliebe und den Ton, in welchem sie Verbesserungen gefordert, es ihm un möglich gemacht, jemals die Vorschläge der Refvrmpartei in ernstliche Erwägung zu nehmen. Die äußere Erscheinung des Präsidenten war Wilm van Senden niemals sympathisch gewesen, und ein durch dasselbe bei ihm gewecktes Vorurteil im Elternhause nach Kräften genährt worden. Auch außerhalb desselben hörte er manches, das ihn nicht vertrauensvoller gegen den Präsidenten gestimmt batte. Seine politischen Gegner sagten ihm nach, daß sein Starrkopf kaltblütig Tausende von Mitbürgern mitsamt ihren verbrieften Rechten unter drücken würde, wenn sie wagen sollten, seine Pläne zu durchkreuzen. Zwei Charaktereigenschaften Ohm Krügers versuchten aber auch nicht seine Feinde ihm streitig zu machen: Wohl wollen und Gerechtigkeitssinn. Mit diesen würde er aber einem Angeschnlbigten die Möglichkeit nicht vorenthalten, sich von einem falschen Verdachte zu reinigen. Und so faßte Wilm den Entschluß, nach Pretoria zu fahren, und von dem Rechte eines jeden Bürgers, den Präsidenten morgens um sechs Uhr auf der Veranda vor seiner Wohnung sprechen zu können, Gebrauch zu machen. Mit Cato traf der junge Mann erst am Nachmittag in der Theestunde zusammen. Er fand sie sehr verändert, und nicht nur in ihrer äußeren Erscheinung. Sie war ge wachsen und schöner geworden. Ihre Formen hatten alles Eckige verloren und in ihrem seinen Gesicht, dessen Züge der Regelmäßigkeit entbehrten, lag ein herz gewinnender Ausdruck, aber, wie es dem jungen Manne scheinen wollte, nicht für ihn. Cato stand ihm mit einer Verlegenheit gegenüber, die ihm die warmen Be- grüßungswvrte, mit welchen er im Begriff gestanden, auf sie zuzueilen, aus den Lippen ersterben ließen. Nur zögernd legte sie ihre Hand in seine dargebotene Rechte und wich dem Blick voll herzlicher Zuneigung aus, mit welchem er ihre Erscheinung umfaßte. Er sah ihre Lippen zucken, wie im verhaltenen Weinen. „Cato, ist das mein Empfang? Wenn es auch be dauerlich sein mag, daß die Umstände, welche unsere Miederbegegnuug hcrbeiführen, nicht freudiger Natur sind, so sollte ich doch meinen, daß Menschen, die sich lieb haben, gerade in solcher Zeit ihre Zusammengehörigkeit doppelt stark empfinden." Seine Worte machten Eindruck auf sie; aber er gab sich in Tränen zu erkennen, die langsam über ihre Wangen rannen. Der junge Mann wollte sie in seine Arme schließen, doch sie wich ihm mit einer raschen Bewegung aus. „Nein, Wilm — nein — ich kann das nicht ertragen", stammelte sie verwirrt. ,^ks hat sich so viel verändert, daß es mir nicht mehr möglich ist, in dir noch meinen Verlobten zu sehen." Er sah sie an — verwirrt — fragend. Sie aber wich einen Schritt vor ihm zurück, während es heiß in ihre Wangen stieg. Nun fing er an zu begreifen, und ein großes Erbarmen kam über ibn. Tas arme Ting! Die freud lose Jugend, und nun dieser harte Schlag! Wie sah sie so blaß und verweint aus. „Welche Veränderung könnte zwei Herzen trennen, Cato, die seit einer Reihe von Jahren sich angehört haben?" fragte der junge Mann, das widerstrebende Mädchen in seine Arme zich.'nd. „Wir gehören einander an", fuhr er mit einem Versuch zn einem Lächeln fort, „und cs gibt nichts, das uns trennen könnte, es sei denn, du wärst zu der Ueberzeugung gelangt, daß deine Liebe nicht mebr mir gehört. Nnr in diesem einen Falle würde ich dich sreigcben, Cato." Noch einen flüchtigen Augenblick ruhte ihr Kopf an seiner Brust. Sie hatte die Lider hcrabgesenkt, als wolle sie nicht durch einen äußer«» Eindruck das große Glück sich beeinträchtigen lassen, das sie durchflutete. Mit heimlichem Bangen hatte sie seinem Kommen entgegen gesehen. Nicht als ob sie geglaubt, daß Wilm van Senden anders sprechen würde, aber sie war nicht im stände ge wesen, der Befürchtung sich zu erwehren, daß der Wille seines Vaters, der so deutlich in dem.^etzten Briefe des selben an ihre Mutter sich ausgesprochen, ihn veranlassen könne, eine minder entschiedene Sprache zu führen. Und schon das würde ihr unerträglich gewesen sein. Jetzt richtete sie sich auf. Ihre Tränen waren versiegt und ein süßes Lächeln umspielte ihren Mund. Welche un geheure Veränderung war in den wenigen Minuten mit ihr vorgegangen! Wie hülflvs, wie verzagt, wie grenzen los unglücklich hatte sie sich gefühlt! Und nun war es wie ein heiliger Frieden über sie gekommen, der sie unzweifel haft befähigen jvürde, den harten Wechsel ihres Schicksals zu ertragen. „Meine Liebe wird dir immer gehören, Wilm", sagte sie, mit einem innigen Ausdruck in ihren Augen zu ihm aufblickend, „aber darum verlange ich doch von dir, daß du mich frcigibst, wie ich dich noch in demselben Augen blick freigcgeben habe, als dos Unglück über uns herein brach. Ich glaube nicht an Papas Schuld, nicht einmal an einen Mangel des strengen Unterscheidungsvermögens, wie Mama es ihm zum Vorwurf machen will, ja, ich fürchte, sie trägt nicht einen geringen Teil der Berant- wortung, daß beide, die sich einstmals so lieb gehabt, immer mehr auseinander gegangen sind. Du mußt aber zugeben, Wilm, baß die Tochter eines Mannes — ich bin eS seit Jahren gewesen — der gegenwärtig aus das Härteste ver urteilt wird, nicht daran denken kann, ihren Namen ferner mit dem deinen in Verbindung zu bringen. ES darf nicht sein, wenn ich nickst namenlos unglücklich werden und mich in Sorgen und Zweifeln verzehren soll. Sieh, Wilm", fuhr sie fort, indem sie seine herabhängende Hand zu er greifen suchte, „es hat mich jammervoll unglücklich gemacht, als Mama mir sagte, daß du unter diesen Umständen nicht daran denken könntest, mir dein Wort zu halten, ohne dich mit deinem Vater in einen nie auszugleichenden Konflikt zu bringen, dann aber habe ich doch bald eingesehen, daß Ne recht hatte und bin dir znvorgekommen. Du wirst ein sehen, daß eine Trennung gegenwärtig die einzige Mög- lichkeit gibt, uns den Frieden zu erhalten und Beruhigung zu verschaffen. Mache mir das Herz nicht schwer, indem du meinen Entschluß zu ändern versuchst, er kann nicht er schüttert werden. Wenn die Stunde kommen sollte, in der man nicht mehr mit Kingern auf uns zeigen wird, wie cs die Gassenbuben tun, wenn Papas Name wieder den alten, guten Klang hat, dann, Wilm, kann es auch wieder anders zwischen uns werden — eher nicht." Er war anfangs sprachlos gewesen. Nicht ein Mal hatte er in dieser Zeit sich die Notwendigkeit oder Möglich keit einer Lösung seines Verhältnisses zu Cato vor die Seele geführt, und auch in diesem Augenblicke vermochte er in ihren Worten nur Tante Grtetjes übertriebene An sichten zn erblicken, die ihn weit von jeder vernünftigen Auffassung entfernt dünkten. Als er dann sich anschickte, sie auf die Erfüllung einer übernommenen Pflicht ihm gegenüber aufmerksam zu machen, war cs bereits zu spät. Cato hatte sich mit einer raschen Bewegung abgewcndet und floh aus dem Zimmer. Er beabsichtigte auch schon nicht mehr, den Versuch zu machen, sie zurückzuhalten, weil er einsah, daß es ein zweckloses Bemühen gewesen sein würde. Aus Cato sprach zwar Frau Grietje van Senden, aber er kannte sie lange genug, um zu wissen, daß sie die Ansicht der Mutter teilte, der sie in gewisser Beziehung geistesverwandt war, obgleich sie sich stets von einer Sanftmut und Nachgiebig keit gezeigt, die Frau Grietje nicht für sich in Anspruch nehmen konnte. Wilm war verstimmt. Catos Verhalten bereitete ihm schwere Enttäuschungen. Er hatte sich auf der Reise nach Johannesburg alles anders gedacht nnd erwartet von ihr, als ein Retter in der Not mit Jubel begrüßt zu werden. Das würde unzweifelhaft mehr ihrem tiefinnersten Wesen entsprochen haben. Im übrigen hatte die Unterredung mit ihr ihn nur in seiner Absicht bestärkt, seine Reise nach Pretoria keinen Aufschub erleiden zu lasten, da er hoffen durfte, in der Frühe des kommenden Morgens seinen Vorsatz zur Aus führung bringen zu können. Er war überzeugt, daß un erfreuliche Enthüllungen seiner warteten, aber sie sollten ihm darum nicht minder willkommen sein. Bereits um V2st Uhr befand sich Wilm van Senden vor der Wohnung des Präsidenten, doch gewahrte er auch schon zwei Herren, die offenbar eine gleiche Absicht, wie die seine, hergcsührt. Mit dem Glockenschlage Sechs wurde die Tür der Veranda geöffnet, und der Präsident trat heraus, aus dem Stuhl an der einen Säule Platz zu nehmen. Er lüftete
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