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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-18
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030618029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903061802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903061802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-18
- Monat1903-06
- Jahr1903
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Als definitiv gewählt zählen wir 30 Konservative, 83 vom Centrum, 14 Polen, 6 von der ReichSpariei, 53 Sozialdemokraten, 4 Wilde, 6 Elsässer, 5 Nationalliberale (die „Nat.- Liberale-Correspondenz zählt 6), 1 Dänen, 1 Resorm- parteiler und 2 Bauernbündler. An den 180 Stichwahlen sind nach dieser Zählung beteiligt: 36 Konservative, 120 Sozial demokraten, 24 von der Freisinnigen Volkepartei, 64 National liberale, 10 von der Freisinnigen Bereinigung, 4 El ässer, 8 Polen, 15 von der Reichspariei, 1 vom Bunde der Land wirte, 5 Antisemiten, 35 vom Zentrum, 9 Wside, 6 vom süd deutschen Bauernbunde, 8 von der deutschen BolkSvartei, 8 Welfen und 6 Resormparteiler. Hiernach ist der Erfolg der Sozialdemokraten bei der Hauptwahl bei weitem nicht so groß, als eS anfangs den Anschein halte. Die große Zahl der Stichwahlen, an denen sie beteiligt sind, läßt aber einige Blätter bereits mit der Möglichkeit rechnen, paß die „Genossen" im neuen Reichstage die stärkste Fraktion bilden und mithin Anspruch auf die Besetzung der ersten Präsidentenstelle er langen werden. Das besorgen wir auf Grund der Er fahrungen, die bei den letzten und den vorletzten ReichStaqS- wablen gesammelt werden konnten, nicht. Im Jahre 1898 z. B. waren die Sozialdemokraten an lOl Stichwahlen be teiligt, siegten aber nicht im fünften Teile dieser Wahlen. Freilich schlossen sich damals die bürgerlichen Parteien fast überall zur gemeinsamen Bekämpfung des gemeinsamen Gegners zusammen. Und nur unter der gleichen Bedingung ist auch diesmal die Möglichkeit gegeben, ein ähnliches Resultat zu erzielen. Daher mahnt die „Nordd. Alla. Ztg.: „Bei der gegenwärtigen Sachlage erscheint es uns als Pflicht aller Parteien, bei de« Stichwahlen jede andere Rücksicht bei- feite zu lassen und wo irgend sozialdemokratische Kandida turen in Frage kommen, geschlossen gegen diese zu stimmen. Demgemäß erachten wir es als selbstverständlich, daß auch im ersten Berliner Wahlkreise sämtliche nicht sozialdemokratisch gesinnte Wähler ihre Stimme dem freisinnigen Kandidaten geben. Tie Gestaltung der künftigen Volksvertretung ist von dem Ausfälle der Stichwahlen sehr wesentlich abhängig; es gilt daher, den Kamps in der angegebenen Richtung rüstig sortzujetzen, da ohne Zweifel noch mancher Fehler ausgemerzt werden kann, wenn jeder Mann, dem die Verfassung das Wahlrecht verleiht, sich bewußt bleibt, daß diesem Recht als Korrelat die moralische Pflicht, davon im Dienste des Vaterlandes Gebrauch zu machen, gegenübersteht." Und in gleichem Sinne schreibt die „Nat.-Lib. Korr": „Jetzt kommt es darauf an, daß möglichst aller Neid und Streit zwischen den bürgerlichen Parteien vergessen und zu erreichen ver- jucht werde, aus den Stichwahlen uoch so viele Gegner der Sozial, demokratie herauszuhauen, als irgend möglich. Denn wenn die Sozialdemokratie in der Stärke in den Reichstag zieht, wie sie er wartet und zu hoffen berechtigt zu sein glaubt, nachdem sie allein in Essen, Duisburg und Bochum einen Stimmenzuwachs von. 52 Tausend erhalten hat, ist an ein vertrauensvolles Zusammenwirken von Reichsregierung und Reichstag um so weniger zu Lenken, als die Sozialdemokratie schon bei den Handelsverträgen und weiterhin bei den Vorlagen zur Stärkung unserer Heeres- und Seemacht Machtproben zu ver- anstalten gesonnen jein wird, die alles, was in dieser Beziehung bereits erlebt worden ist, weit hinter sich lassen. In ihrem Wahl- aufrus hat die Partei der Herren Singer, Bebel und Genossen aus drücklich gesagt, sie werde gegen die Handelsverträge stimmen. Diese Tatsache besteht, trotz aller Verdunkelungsversuche der Sozial demokratie. Für die Stichwahlen muß die Parole lauten: „Die bürgerlichen Parteien haben unter allen Umständen der Sozialdemokratie gegenüber zusammenzuhaltenl" Wir glauben kaum, daß die Presse des Zentrums eine andere Parole ausgcben wirb, denn sie würde im anderen Falle geraoe in den Kreisen, in denen sie das Zentrum als alleinige Stütze von Thron und Altar erscheinen lassen will, allen Kredit einbüßen. Das Gleiche gilt von den Konser vativen und den Bünvlern, von denen gerade die letzteren durch die Niederlage ihrer Führer Or. Roesicke, vr. Hahn und Lucke inne geworden sein müssen, daß die Ueberspannung des BogenS den Schützen gefährdet. Uno die Linksliberalen werden schwerlich vergessen, daß sie in den Stichwahlen nur dann Mandate für sich retten können, wenn sie ihrerseits den anderen bürgerlichen Parteien die unterstützende Hand reichen. Was nun? Unter dieser Ueberschrift schreibt man uns aus Berlin: „AuS der Fülle von Gerüchten, die infolge der Wahlnach richten aus allen Teilen des Reiches hier austauchen, ist jedenfalls das erwähnenswerteste, daß die Stellung des Reichskanzlers erschüttert sei. Wahr an diesem Ge rüchte ist jedenfalls, daß von konservativer Seite der Versuch gemacht werben wirb, dem Grasen Bülow aus der Einführung des neuen Wablreglemeius mit den Wahlzellen einen Strick zu drehen. Die Konservativen haben von vornherein diese Maßregel als unzweckmäßig und lediglich im Interest der Sozialdemokratie liegend bezeichnet und bekämpft und werden nun das erhebliche Anwachsen der sozialdemo kratischen Wäblerstimmeu wenigstens zum Teil als Folge der Neuerung bezeichnen. Ob aber dieser Angriff hinreichend sein wird, die Stellung des jetzigen Reichskanzlers zu erschüttern, ist Loch noch recht fraglich, denn Graf Bülow Hal die Neuerung nickt aus eigener Machtvollkommenheit eingesührt und kann also für sie nickt allein verantwortlich gemacht werden. Ein weiteres Gerückt, das aus Kreisen zu stammen icheint, die mit dem Hose Fühlung habe», will von einer Verstimmung gegen den preußischen „Wahlminister", den Minister des Innern Freiherrn von H a m m e r st e i n, wissen. Ihm mache man den Vorwurf, er habe die Zügel vollständig am Boden schleifen lassen, obgleich er doch besonders dazu berufen gewesen wäre, für eine zündende Wahlparole zu sorgen. Dies letztere Gerücht scheint nicht ohne Grund zu sein; jedenfalls ist es nicht unwahrscheinlich, daß einige nicht unerhebliche Personalveränderungen in den leitenden Stellen die Folgen des Ausganges der Wahlschlacht sein werden". — So unser Gewährsmann, der zu vergessen scheint, daß der preußische Minister des Innern doch nicht aus eigneFausl Wahlparolen machen und in die Welt posaunen kann. Wenn wirklich dem Ergebebnis der Wahlschlacht Opfer fallen, so werden diese da gesucht werden müssen, wo die größte Verantwortung für eine Politik liegt, die eine weitver breitete Mißstimmung hervorgerufen hat, die der in nerste Grund der Zunahme der sozialdemokratischen Wahl stimmen ist. Der Kabinettswechsel in Ungarn. Ans Pest, 17. Juni, wird der „Münchener Allg. Ztg." berichtet: Die Betrauung Stephan Tiszas mit der Bildung des neuen Kabinetts war hier für weite Kreise eine große Ueberraschung, da man mit den bedeutenden Schwierigkeiten rechnete, die Tisza zu überwinden haben wird. Graf Tisza gilt allgemein als der Mann der starken Hand. Er wird wegen seines Talentes und seines Charakters hochgeschätzt, hat aber im Lande und im Parlament sehr geringen persönlichen Anhang und ist bei der Opposition eher gefürchtet als beliebt. Die Schwierigkeiten, denen seine Designierung als Minister präsident auch in den Reihen der Regierungspartei be gegnen könnte, glaubt man dadurch beseitigt zu haben, daß er auch mit dem widerstrebenden Apponyischen Flügel Fühlung sucht. Zwei Männer dieser Gruppe, Hodossy als Justizminister und Graf Emerich Szechcnyials Landwirtschaftsminister sollen in das Kabinett mit ausge nommen werden. Gras Apponyi selbst beschloß, sich in oas Privatleben zurückzuziehen. Der größere Teil seiner ehemaligen Gefolgschaft dürste Tisza unterstützen; eine Minderheit mag immerhin in das klerikale Lager (zur sog. Volkspartei) abschwenken. Mit Spannung sieht man hier der Haltung derOpposition gegen überdem neuen Kabinett entgegen. Die Heißsporne der Kossuthparkei haben nämlich wiederholt gedroht, sie wür den den neuen Ministerpräsidenten im Abgeordnetenhause überhaupt nichtzumWorte kommen lassen, falls er nicht nationale Z u g e st ä n d n i s s e betreffs der Armeefrage zu bieten habe. In Bezug auf diesen wichtigsten Punkt sind die Absichten Tiszas völlig unbe kannt. Zu bemerken ist übrigens, daß schon Szell und der Honvedminister Graf Fejervary für die bevorstehende Re vision des Wehrgesetzes gewisse Konzessionen in Aussicht gestellt haben die in der Vorlage, betreffend die Erhöhung des diesjährigen Rekrutenkontingents, noch nicht geboten wurden. Sollte Tisza sich diesen Standpunkt zu eigen machen, so dürfte eine bezügliche Erklärung aus seinem Munde eine beruhigende Wirkung auf die gemäßigteren Elemente der Opposition nicht verfehlen. Falls Wekerle in das Kabinett Tisza eintreten sollte, würde dies dem Ministerium ein nicht zn unterschätzendes Prestige ver leihen, ebenso würde in der Person Hieronymis als Handelsminister dem Kabinett eine bedeutende Kraft ge wonnen werden. — Das „Neue Pcster Journal" schreibt: Da die opositionellen Parteien und die früheren Mitglieder der Nationalpartci einem künftigen Kabinett Tisza die größten Sckmnerigkeitcn bereiten würden und schon jetzt mit dem heftigsten Widerstande drohen — man weiß, was das bei uns zu bedeuten hat —, so hegen auch sehr ange sehene alte Liberale, welche man keiner Konnivenz mit der Opposition beschuldigen kann, ernste Befürchtungen, daß Tisza nicht der richtige Mann für die Bewältigung der außerordentlich schweren Aufgaben sei, welche dem neuen Ministerpräsidenten bevorstehen. Bei aller Anerkennung der groben Fähigkeiten, der Energie und des Mutes Stephan Tiszas fragen diese ernsten liberalen Politiker, mit welchen Mitteln er die starken Antipathien, denen seine Betrauung begegnet, bannen zu können glaubt? Kann er so bedeutende nationale Konzessionen in der Armeefrage durchsetzen, daß dieselben die Obstruktiv nisten zur Abrüstung veranlassen könnten? Daran wird allgemein gezweifelt. Soll er aber die Politik der starken Hand inaugurieren wollen, wie es den Anschein hat, dann fürchten selbst solche Mitglieder der liberalen Partei, welche keine persönlichen Gegner Tiszas sind, daß dies die Lage nur noch verschlimmern und unabsehbare Kom plikationen nach sich ziehen würde. Man glaubt daher in Kreisen der Majorität, daß Tisza trotz seiner offiziellen Betrauung noch lange nicht Ministerpräsident ist, weil seine Bemühungen, ein entsprechendes Kabinett zusammen zustellen, auf kaum überwindliche Schwierigkeiten stoßen werden. Die Proklamation des Königs von Serbien. Das „Journal de Gensve" veröffentlicht folgende Proklamation des Königs von Serbien: „An das serbische Volk! Die Gnade Gottes und der Wille des Volkes haben mich auf den Thron meiner Vorfahren berufen. Ich erkläre, daß ich mich der Ent scheidung des Volkes unterziehe und heute den ser bischen Thron besteige. Ich betrachte es als meine erste Pflicht, Gott zu danken für seine Gnade, und spreche gleichzeitig die Hoffnung aus, daß die Möchte meine auf gesetzlichem Wege vollzogene Thron besteigung anerkennen werden, und dies umsomehr, als ich entschlossen bin, Serbien einer Aera der Ruhe, der Ordnung und der Wohlfahrt zuzuführen. Ich erkläre, daß ich mein Königswort gebe, daß ich die Rechte aller achten werde. Ich werde mein Möglichstes tun, um ein konstitutioneller König, ein Hüter der Ge setze uud des Wohlergehens meines teuren Volkes zu sein. Darum fordere ich mit diesem ersten Manifest alle Kirchen häupter, alle Staatsbeamte, alle Militärchefs auf, in ihren Funktionen zu verbleiben und empfehle ihnen, die ihnen anvertrauten Obliegenheiten gewissenhaft zu erfüllen. Ich erkläre, daß ich alle persön lichen Vorkommnisse, welche in den letzten vierzig Jahren unter außerordentlichen Verhältnissen einander folgten» der Vergessenheit übergebe. Jeder auf richtige Serbe wird unter meiner Regierung den nötigen Schutz für sein moralisches und materielles Leben finden. Die Devise meiner Dynastie war immer: Für das heilige Kreuz und unsere teure Freiheit. Und mit dieser Devise, die mich einerseits an dieArmee, anderseits an die orthodoxe Kirche bindet, besteige ich den Thron Serbiens als Peter der Erste» König von Serbien. Ich bitte Gott, seine Gnade über mein Volk zu verbreiten und sende allen meine königlichen Grüße." Nachdem der Zar und der Kaiser von Oesterreich Karageorgewitsch anerkannt haben und auch der König vvn Italien seinen Verwandten freundschaftlich begrüßt hat, nachdem sogar der Fürst der Schwarzen Berge — in diesem Falle eine sehr beachtenswerte Persönlichkeit — mit einer sympathischen Kundgebung für den neuen Herrscher hervorgetreten ist, darf Peter I. auch der Zu stimmung der übrigen Mächte gewiß sein, wenn auch England noch „moralische" Bedenken hegt. Die Pro- klamation macht, abgesehen von der immer wiederholten Feuilleton. Mr. Trunnell. Seeroman von I. Hains. Nachdruck verbalen. Sechzehntes Kapitel. Höher und höher stieg der Mond. Dalton kam und ging, eifrig beschäftigt, die Vorräte in das Boot zu stauen, das langseit geholt worden war. Jcnks war ihm dabei behüiflich. Andrews saß an Deck und ließ sich seine Wunden ver binden. Mr. Bell holte aus dem Arzneischranke in der Kajüte, was dazu nötig war. Die Parteien blieben einander so fern als möglich, voll von gegenseitigem Mißtrauen und sorgfältig bestrebt, einen neuen Zusammenstoß zu vermeiden. Nachdem etwa eine Stunde vergangen war, meldete Dalton, daß das Boot nun bereit sei. Journegan er hob sich. „Euer Boot ist verproviantiert", rief er uns zu. „Ihr habt auf vierzehn Tage Salzfleisch und auf vier Wochen Brot an Bord, auch ein Faß voll Wasser. Macht euch also fertig." Ich ging achteraus zu Fräulein Sackett, die jetzt das Gesicht mit den Händen bedeckte. „Wir verlassen in wenigen Minuten das Schiff", sagte ich, eine ihrer Hände in die meine nehmend, nm sie zum Aufstehen zu bewegen. „Sie müssen mit uns kommen; fassen Sie sich und seien Sie stark. Es ist keine Zeit zu verlieren. Halten Sie sich zu mir und geben Sie acht auf alles, was vorgcht; es ist nicht unmöglich, daß es noch einmal zum Handgemenge kommt." Sie schaute mich an. Ihre Augen waren trocken und glitzerten im Mvndiicht. „So schlagen Sie sie doch tot", entgegnete sie ruhig. „O, daß ich ein Mann wäre!" Damit stand sie schnell auf und richtete die Blicke fest auf die am Stumpf des Besanmastes versammelten Meuterer. „Ich muß noch einige meiner Sachen aus der Kajüte holen", sagte sie dann. „Sie werden ja wissen, Mr. Rolling, ob cs richtiger ist, ins Boot zu gehen oder hier tu bleiben." „Verlassen Sie sich auf mich", erwiderte ich. „Aber bitte, beeilen Sie sich. Ich erwarte Sie hier bei der Kajütskappe." Festen Schrittes stieg sic die Treppe hinab; ich hörte sie unten die Tür ihrer Kammer zuschlagen. Andrews sah zu mir herüber. „Sie könnten uns das Mädel hier lassen", rief er. „Das Boot wird ohnehin voll genug sein." „Tschips!" rief ich. „Aufgepaßt! Die Halunken ver- suchen's noch einmal! Laßt Dalton nicht lebendig nach vorn entkommen! Fräulein Sackett geht entweder mit uns, oder wir alle bleiben hier und fechten's aus!" Andrews, der sich wieder einigermaßen erholt zu haben schien, stand schwankend auf und zog sein Messer. „Journegan und England!" rief er. „Folgt mir hier auf backbord! Ihr, Bell und Jenks, faßt sie von steuer bord aus!" . Talton war unter Deck, den mußten wir zuerst abtun. Ehe es jedoch soweit kam, erhob Jenks seine Stimme. „Haltet ein!" rief er. Sogleich blieb England stehen. „Wozu dieser neue Streit?" fuhr der alte Marine mann fort. „Die da sind sieben Mann, frisch und aus geruht, sollen wir uns denn mit aller Gewalt umbringen lassen? Und weswegen? Um ein Mädchen? Nee, solch ein Narr bin ich denn doch nicht!" Andrews fuhr heftig herum. „Du wirst tun, was ich dir sage, oder ich selber bringe dich um!" schnaubte er wütend. Jenks wich ihm aus und steuerte langsam auf uns zu, während Bell Andrews zurückzuhalten suchte. In diesem Bestreben kam er Jcnks zu nahe und wurde vvn defsen Messer leicht verletzt, da der alte Matrose einen abwehren den und nun verfehlten Stoß gegen Andrews geführt hatte. Jetzt machten sich auch England und Journegan i)erzu, und so wurde der Unhold gebändigt. Jenks aber kam zu uns herüber. „Ich gehe mit euch ins Boot, wenn ihr nichts dagegen habt", sagte er und warf sein Messer über Bord, uns zu beweisen, daß er auf keinen Verrat sinne. „Kommst ein bißchen spät", alter Junge", entgegnete Tschips, „sollst aber trovdem willkommen sein." Der Alte reichte ihm und dann auch Frank, dem jungen englischen Matrosen, und zuletzt Johnson die Hand. „Nehmt das Mädel und macht, daß ihr fortkommt!" kreischte Bell, den die geringfügige Verwundung beinahe ohnmächtig gemacht zu haben schien. „Ja", rief auch Journegan, „behaltet sie und geht zum Teufel! Aber macht schnell, ehe es zu spät wird!" „Wissen Sie, Steuermann", machte sich jetzt Tschips an mich heran, „wenn wir's nochmal versuchten, mir kriegten sie unter, und ohne Mühe, mein Wort darauf!" „Dann los!" sagte Johnson. Ich aber hielt ihn zurück, gerade als Tschips im Begriffe stand, sich auf England zu werfen, der ihn zu empfangen bereit war. Schon schien es, als solle die Sache nun ein ganz anders End« ge winnen. „Ins Boot!" rief ich einem der jungen Burschen zu, die sich im Hintergründe hielten; der ließ sich das nicht zweimal sagen, er fürchtete die Mester und war froh, end lich in Sicherheit zu kommen. Im Nu saß er im Boote. Als Tschips dies sah, zögerte er, und im nächsten Moment kletterten noch zwei andere über die Reeling. Jetzt kam Fräulein Sackett wieder an Deck. Trotz des Mondscheins erschien mir ihr Antlitz gerötet. Festen Schrittes ging sie zur Reeling, wo das Boot lag. Ich unterstützte sie beim Hinabsteigen, unten nahm sie einer der Männer in Empfang. Ich rief den Rest meiner Leute und schwang ein Bein über die Reeling, zum Zeichen, daß es die höchste Zeit sei. Die letzten, die herankamen, waren Tschips und Johnson. Der Zimmermann wütete, er wollte mit aller Gewalt den Meuterern noch einmal zu Leibe, und es hätte nur eines Winkes bedurft, dann wäre er ganz allein auf sie losgegangen. Die aber schienen durchaus nicht mehr kampflustig zu sein, was mich eigent lich wunderte; denn je eher wir aus dem Wege geschafft waren, desto sicherer konnten sie darauf rechnen, ihre Hälse zu retten. Ein unlösbares Rätsel aber war eS mir, daß Bett so entschieden darauf bestand, uns von Bord zu schicken. Als Tschivs über die Reeling stieg, stellten Journegan und England sich ganz in seine Nähe. Einen Augenblick bangte mir um den Zimmermann; die Kerle verhielten sich jedoch ruhig. Er stand aufrecht im Buge, während ein Matrose das Boot abstieß. „Denkt nicht, daß wir vor euch fliehen, ihr Gesindel!" rief er den beiden zu. „Wir überlasten bloß dem Henker, was ich ganz allein an euch hätte verrichten können!" Beim Achteranstreiben unseres Walbootes kam uns das kleine Boot des „Sovereign", das ebenfalls unter dem Heck geschleppt hatte, in die Quere. Als der Zimmer mann dieses Fahrzeug erblickte, haschte er in seiner Wut nach einem der schweren Reemen, holte mächtig aus und führte aus Leibeskräften einen Schlag danach. Der Hieb krachte vom Dollbord abwärts durch bis auf die Wasser linie. „So!" brüllte er triumphierend. »^Keiner von euch Schuften soll das Boot lebendig verlassen!" Und abermals traf er das kleine Boot mit schmettern dem Schlage. Johnson folgte feinem Beispiel, und ob gleich Journegan und England die Fangleine einholten, so war es doch bald so zusammengehauen und zersplittert, daß es wegsank, ehe jene beiden es langseit holen konnten. Unter höhnischem Geschrei begannen meine Leute sich in die Reemen zu legen, während uns vom „Souvereign" Koffeenägel und Grätings nachgeworfen wurden. „Angenehme Reise!" flötete Mr. Bell uns noch zu; dann hörten wir nichts mehr. Unser Boot rauschte nordwärts über die ruhige See; der „Sovereign" lag bald weit hinter uns, ein schwarzes, halb versunkenes, verkrüppeltes Ding, das sich unheimlich von dem mondhellen Firmament abhob. Ich ließ -en Mast aufrichten und Segel setzen; wir mußten unsere Kräfte für die Zeit aufsparen, wo wir sie am nötigsten brauchen würden. Wir waren nach un gefährer Schätzung etwa sechshundert Seemeilen von Kap stadt entfernt, und es konnte leicht sein, daß viele Tage vergingen, ehe ein Schiff in Sicht kam. Die Reemen wurden ins Boot gelegt, und die Leute be- festigten, so gut es anging, di« mitgenommene Persenning als Segel am Mast. Das Boot behielt dadurch so viel Fahrt, das es gesteuert werden konnte. Der Mond schien so hell, daß wir weit um uns zu schauen vermochten. Die Nacht war kühl; die Leute verstauten sich so warm und be quem wie möglich; die meisten blickten achteraus nach dem seltsam geformten Schattenriß des invaliden ..Sovereign" an der lichten Kimmung. Undeutlich erkannte ich noch di« Segel, die mit unserer Hülfe aufgebracht worden waren, die nun das Wrack träge und mühevoll vorwärtsschoben in der Richtung nach dem Hafen, den es niemals erreichen sollte. Während meine Blicke verloren an der traumhaften Erscheinung hingen, schreckte mich plötzlich ein lautes, hartes Lachen auf, das aus Fräulein Sacketts Munde kam. Seit sie sich im Boote befand, hatte sie noch keiil^Wort ge äußert. Betroffen sah ich mich nach ihr um. Sie starrte mit weitgeöffneten Augen über die See hinaus nach dem Wrack, und ab und zu rang sich ein eigentümlicher, schluch- zender Laut aus ihrer Brust.
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