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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-12
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981112021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898111202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898111202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-12
- Monat1898-11
- Jahr1898
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BezugSPrelS In her Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS» uavestrllcn abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus ./t 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: inouatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. dir Abrud-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Re-action und Expedition: Johannrsgnsse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochea »«ossnet von sriih 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktta Klemm'S Sortim. tAlfred Hahn), Universitätsstraste 3 (Paullnunc), LouiS Lösche, katbarinenstr. 14, part. und Königsplad 7. 575. Mend-Ausgabe. MpMer TagMak Anzeiger. ÄttttsKlatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes nnd Nolizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Sonnabend den 12. November 1898. AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petttzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich (sue- spalten) 50^, vor den Familiennachrichtea (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höheren! Tarif. ——o—ex— vxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunj 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Srpe-ttiB» zu richten. Druck und Verlag von E. Pold in Leipzig, 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. November. Die Verurtheilunz des Mörders der Kaiserin Elisabeth zu lebenslänglichem Zuchthaus hat die anarchistischen Genossen des verlhierten Scheusals nicht im Geringsten eingeschüchtert. Gestern, am Jahrestage der Hin richtung der vier Anarchisten Spies, Parsons, Engel und Fischer in Chicago, sind die Berliner Anarchistenblätter im Festgcwand erschienen und veröffentlichen Gedichte, die letzten Aussprüche der Lerurtheilten und Lobpreisungen des Anarchis mus, die durch ihren aufreizenden Charakter Alles übertreffen, was man in diesen Blättern zu lesen gewöhnt ist. Das „Neue Leben" bringt unter der Ueberschrift „Eine Zeit wird kommen, wo unser Schweigen mächtiger sein wird, als die Stimmen, di- Ihr beute erdrosselt" (angeblich letzter Ausspruch des Anarchisten Spies), die Portraits der vier Hin gerichteten, des gleich ihnen zum Tode verurtbeilten, aber vor der Hinrichtung durch Selbstentleibung dem Nachrichter ent zogenen Lingg und der drei nur zu Zuchthausstrafe ver- urtheilten Genossen Schwab, Neebe und Fielvcn; diese Portraits sind gruppirt um einen Gelbsack, um den sich eine gekrönte, gistspeiende Schlange windet. Waffen aller Art umringen schützend die Schlange „Bourgeoisie", den Geldsack umgeben 1 Galgen, an deren jedem ein Mensch hängt. Aufreizender noch als dieses Bild ist der Text der Blätter. So schreibt der „Socialist", der überdies das Wort Parsons' citirt: „Ich gestehe Niemandem das Recht zu, über mich ohne meine Er- laubniß zu herrschen": „Die Anarchisten aller Welt feiern das Andenken unserer lieben Chicagoer Gehenkten in diesem Jahr fast zur selben Stunde, wo Luccheni in Gens vor Gericht steht. Was für ein Symbol ist uns dieser Zusammentreffen? Ihr, die Ihr die That eines Verzweifelten, dessen Geburt ihn aus der Gesellschaft aus gestoßen hat, dazu benutzt, um gegen hohe Ideale und Ihre Träger die scheußlichste Hetze ins Werk zu setzen, was habt ihr damals gcthan, als der Proceß gegen 8 Kerngestalten, zukunfts» freudige Helden, die unschuldig waren, nach Euren Gesetzen sich abjpielte? . . . Noch einmal in dieser feierlichen Stunde, Ivo die Anarchisten aller Länder ihrer Todten gedenken, ergehen unsere Worte an Alle, die uns hören und uns verstehen wollen. Wir wollen die Gewalt nicht, wir rufen sie nicht herbei, wir beschwören die unterirdischen Mächte nicht. Aber wir haben die Macht nicht, sie zu hemmen und zurückzuhalten." Der „Arme Conrad" fordert die „Genossen" auf, treu zu dem Panier der Freiheit zu stehen, möge auch kommen, was da wolle. „Die Freiheit unser Ziel, der Geist, die Idee unsere Waffen." DaS „Neue Leben" schreibt: „Alle jene Schändlichkeiten, welche gegen die Arbeiter tagtäglich begangen werden, aufzudecken, alle Thäter jener Frevelthaten, welche man ihnen in die Schuhe schiebt, an den Pranger zu stellen, da» soll unsere nächste Rache sein. Das sind wir den Gemordeten schuldig. Aber auch zu zeigen, durch welche Verhältnisse die Luccheni, Henry Vaillant, An» giolitti u. A. m. gezeitigt wurden, wen dort die Schuld und Verantwortung trifft, klarzulegen, das sind wir diesen schuldig." Wir bezweifeln nicht, daß die Sprache der anarchistischen Blätter ganz dieselbe wäre, wenn das Genfer Schwurgericht Luccheni zum Tode hätte verurtheilen können. Aber wir sind auch überzeugt, daß die „Kerngestalten", die eine solche Sprache führen, sich ganz anders auSdrücken würden, wenn die Verherrlichung anarchistischer Greuelthaten und Schand buben mit einer empfindlichen Strafe bedroht wäre. Es kann auch gar keinem Zweifel unterliegen, daß solche Ver herrlichungen ungleich gefährlicher und verderblicher wirken, als so manches scharfe Wort, daS mit langer Freiheitsstrafe gebüßt werden muß. Wir hoffen daher, daß eine anscheinend osficiöse Notiz, die behauptet, man werde mit Vorschlägen betreffs der Bestrafung solcher Verherrlichungen an den Reichs tag nicht vor der Beendigung der in Rom abzuhaltenden Conserenz herantrete», sich lediglich auf die Ansicht eines einzelnen „Berufenen" stütze. Der Bundesrath in seiner überwiegenden Mehrheit wird sich jedenfalls klar darüber sein, daß er eine schwere Verantwortung auf sich nähme, wenn er der durch die anarchistische Presse auSgestreuten Saat Zeit zum Aufgehen, Blühen und Reifen ließe. Es lag nahe, daß die Zusammensetzung des neuen preu ßischen Abgeordnetenhauses als der Einbringung eines neue» BolksschulgesctzrS günstig angesehen wurde. Das Berliner Organ der CentrumSpartei schreibt denn auch, daß die Regierung vom Centrum oder von den Conservativen, zur Vorlegung eines Volksschulgesetzes gedrängt werden würde. Das Volksschulgesetz von 1892 scheiterte bekanntlich nicht daran, daß eine Mehrheit im Abgeordnetenhause nicht vorhanden gewesen wäre, sondern daran, daß die scharf ablehnende Haltung der politischen Mittelparteien den preußischen König bedenklich machte. Wie sieht es jetzt mit der Haltung dieser Parteien aus? Die Nationalliberalen würden, daran ist kein Zweifel, ebenso scharf gegen ein derartiges Volksschul gesetz Stellung nehmen, wie vor sieben Jahren. Aber die Freiconservativen? Das Hauptorgan der frei- conservativen Partei, die „Post", meint, die Mittelparteien besäßen, da sie auch in anderen Fragen nicht mehr so zusammenhielten wie 1892, nicht mehr das Maß von Widerstandskraft, wie damals. Dies beißt nichts Anderes, als daß die Freiconservativen in der Volksschulfrage nur noch laue und unzuverlässige Kämpfer sein würden. Diele Auffassung stimmt auch ganz mit dem vor den Abgeordnetenwahlen erlassenen lauen Wahlaufruf überein, der bezeichnender Weise von der „Kreuzztg." gelobt wurde. Können die Freiconservativen an der für ein reaktionäres Volks schulgesetz vorhandenen Mehrheit nichts ändern, so ist doch ihr außerparlamentarischer Einfluß sehr groß. Einige ihrer Führer besitzen das persönliche Wohlwollen des Monarchen und wenn sie nicht mehr so entschiedene Gegner eines Volksschul gesetzes sind wie 1892, so wird auch der Monarch weniger geneigt sein, die Stimmung der Minderheit zu berücksichtigen; dies um so weniger, als man auch auf freiconservativer Seite während des Wahlkampfes keinen Anstand genommen hat, den Fehler jenes Theiles der Nationalliberalen, der den „Freisinnigen" zu Hilfe kam, zu der Beschuldigung anszunutzen, dieNationalliberalen hättenBündnisse mit der Socialdemokratie abgeschlossen. Sollte also diesmal ein reactionäreS Volksschul gesetz zu Stande kommen, so läge zwar nicht die formelle Verantwortlichkeit — denn diese liegt bei den Mehrheits parteien —, wohl aber die moralische Verantwortung bei den Freiconservativen, weil sie durch ihre laue Haltung die Negierung zur Einbringung bezw. zur Annahme eines auö der Initiative des Abgeordnetenhauses hervorgegangenen Volksschulgesetzes ermuthigen. Die Conseguenzen der Durch führung eines solchen Gesetzes würden sich an Len Frei conservativen zu allererst rächen. Einmal müßte das Volksschulgesetz die Möglichkeit einer Wiederannäherung zwischen den früheren Cartellparteien vollständig vernichten. Die Nationalliberalen würden stark nach links gedrängt werden, was weder im Interesse der freiconservativen Partei, noch in dem der Regierung liegen kann. ES würde zweitens eine allgemeine Verschärfung der Gegensätze zwischen rechts und links eintreten, und je mehr sich dieser Gegensatz ver schärft, desto mehr leiden erfahrungsgemäß die Mittel parteien, also auch die Freiconservativen. Schließlich würde durch das Volksschulgesetz die Position des Staates und der Parteien, die in einem Kampfe gegen den Klerikal iSmus auf der Seite der Regierung stehen — wozu doch auch die Freiconservativen gehören —, unsäglich verschlechtert werden, wenn der Waffenstillstand mit Nom einmal ein Ende finden müßte. Wo ist die Garantie dafür, daß ein künftiger Papst nicht Forderungen aufstellt, die den Staat zum Kampfe zwingen ? Dann aber ist die Auslieferung der Schule an die Kirche dem Aufgeben eines guten Festungswerkes zu vergleichen. ES ist genau dasselbe, als wollte man in einem Momente, in dem zufällig ein leidliches Einvernehmen mit Frankreich be steht, Metz an Frankreich abgeben. Die Regierung soll wahrlich nickt zu einem Culturkampfe aufgefordert werden, aber e« muß von ihr gefordert werden, daß sie nicht eine gute Defensivstellung preisgiebt, und es muß von der frei conservativen Partei gefordert werden, daß sie ihrer historischen Stellung eingedenk bleibe und die Regierung nicht zu solchem Thun ermuthige. Die Besorgniß, daß der schon oben gestreifte Proceß gegen den Mörder vcr Kaiserin von Oesterreich, Lnechcut, durch eine anarchistische Bombe gestört werden könnte, bat sich nicht verwirklicht: Luccheni ist in der Nacht des KerkerS und der Vergessenheit verschwunden, nachdem er seine Rolle, die der anarchistische Drill von ihm verlangte, bis zu Ende durchgeführt. Sein Benehmen vor dem Gerichtshof war frech und chnisch und immer auf eine gewiße selbst gefällige Pose angelegt. Nicht auf das Nichtercollegium ivar seine Aufmerksamkeit concentrirt, sondern auf daS Publicum, mit dem er wiederholt in Wort und Geberde sprach, bald um es zu verspotten, bald um ihm zu versichern. daß er keine Compl-ccn gehabt bald um zu betheuern, daß er nach der That keinen Fluchtversuch gemacht. Ihm kam eS in erster Linie darauf an, der Welt den Ein druck zu hinterlassen, daß er „groß" gehandelt, wie ein Held. Einmal bestreitet er zwar, daß Eitelkeit eines der Motive gewesen, die ihn zu der fluchwürdigen That getrieben, dann aber, als der Zeuge Maler Sartory aus Lausanne aussagte, Luccheni habe eines Tages zu ihm gesagt: „Ich möchte auch Jemanden tödten, aber es sollte Jemand von Bedeutung sein, dann würde man in allen Zeitungen davon sprechen!" bestätigte der Mörder mit leb hafter Verbeugung die Worte des Zeugen. Als Anarchist bekannte er sich während des Verhörs wieder holt mit aller Bestimmtheit. Auf die Frage des Präsidenten: „Was hat sie dazu bewogen, die Kaiserin zu ermorden?" antwortete er: „Das Elend", und als der Präsident ihm entgegenhielt, daß er sich doch nie im Elend befunden habe, erwiderte er, die Hände kreuzend: „Am Tage meinerGeburt schon bat meine Mutter mich verleugnet", um dann weiter als Motiv der That „Rache für sein Leben" anzugeben und schließlich auf die Frage: „Haben Sie keine Gewissensbisse?" zu erwidern: „Und die Gewissensbisse jener, welche die Arbeiter seit neun zehn Jahrhunderten verfolgten?" Er war also zerfallen mit seinem Schicksal, das ihm zwar auskömmliche Arbeit gab, aber nicht Wohlleben, das aus ihm einen einfachen Hand arbeiter, aber nichts „Besonderes" machte. Er zürnt mit dem Himmel und da er diesem nur fluchen, aber nicht Rache gegen ihn üben konnte, entschloß sich der „Zurückgesetzte", irgend einen Bevorzugten, einen Günstling des Himmels zu ermorden. Das war seine Rache und dabei wußte er sich solidarisch mit der übrige» Masse der „Elenden", den seit Jahrhunderten „verfolgten" Arbeitern. Grenzen loser socialer Haß gegen die ganze nicht proletarische Menschheit war sein Motiv, sociale Gewalithat sein Ziel. Ihm hat er mit vollem Bewußtsein und ungetrübter lieber- legung zugestrebt und Nichts bat bis jetzt darauf hingedeutet, daß er geistig unzurechnungsfähig oder auch nur rückständig sei. Luccheni endet als überzeugter Anarchist, das hat die Genfer Gerichtsverhandlung unumstößlich erwiesen. Nach zwei Richtungen hin hat der TreyfuS-Scandal wieder seine schmutzigen Wellen über die franrvsiscke Cloake hinaus- gespült. DaS chauvinistische Schandblatt „La Patrie" hat die Frechheit gehabt, die Gattin des deutschen Botschafters in Paris, Grasen Münster, in gehässigster Weise in die Angelegenheit hineinzuziehen. Die von dem Botschafter hier gegen erhobene energische Vorstellung hat, wie gemeldet, zu einer Entschuldigung des Ministers des Aeußern Delcaffe in höchst befriedigender, ja sympathischer Form geführt. Früher machte die französische Negierung ähnliche Fälle durch eine frostige halbamtliche Note in der „Agence HavaS" ab; seit der Faschoda-Demüthigung scheint man einen etwas entgegen kommenderen diplomatischen Verkehrst»» für klüger und nützlicher zu erachten. Der zweite Fall betrifft den früheren italienischen Botschafter in Paris, Panizzardi. Wie erinnerlich, batte der „Jntransigeant" behauptet, im Dreyfus-Dossier befinde sich eine Depesche, die der Botschafter »ach der Verhaftung des „Spions" an seine Regierung geschickt habe und aus der hervorgehen sollte, daß Dreyfu» der Verräther im Dienste Italiens sei. Jetzt erklärt, wie uns aus Rom telegraphirt wird, die osficiöse „Jtalie" auf Grund eiugezogener Erkundigungen die „Jntransigeant" - Meldung für eine phantastische Erfindung. Beide Vorfälle sind Symptome der Verzweiflung, mit der die Generalstabsvreffe noch einmal alle Hebst in Bewegung setzt, os'„ l!.uhest des CassationShofeö gegen DreyfuS zu beeinflussen, indem sie immer neuen Verdacht auf diesen häuft. Dahin gehören auch die Anstrengungen des früheren KriegsministerS Cavaignac, die Schuld des Dreyfus doch noch al» feststehend erscheinen zu lassen. Der „Temps" will — so meldet unS ein Pariser Telegramm — wissen, Cavaignac habe vor dem Cassationshofe eingehend dargelegt, worauf sich seine Ueber- zeugung von der Schuld Dreyfus' stütze, insbesondere habe er ausführlich die in dem Bordereau aufgezählten Dokumente erörtert und ferner hervorgehoben, daß dem Cassationsbofe nicht all« Aktenstücke betreffs der G e st ä n d n i s sje DreyfuS' vorgelegt seien, so z. B. nicht die Erklärung Lebrun Renault's, in der dieser zwei von anderen Osficieren erstattete Berichte über Geständnisse des DreyfuS mit seiner Unterschrift bestätigte. Cavaignac erklärte ferner, er könne nicht die Ver antwortung für die Uebermitlelung neuer Actenstücke über nehmen, da dies Sache der Regierung sei; falls die Ueber mitlelung jedoch geschehe, wünsche er in dieser Beziehung vernommen zu werden. — Die „Agence HavaS" veröffentlicht, wie uns weiter depeschirt wird, unter Vorbehalt folgende Mel dung eines gelegentlichen Berichterstatters: Letzten Freitag begab sich Frau Dreyfus in daS Colonialministerium, um die Erlaubniß zu erbitten, ihrem Manne im Hinblick auf seine Rückkehr nach Frankreich warme Kleidungsstücke senden zu dürfen. Diese Bitte wurde Frau DreyfuS mit dem Bemerken abgeschlagen, die Regierung werde, wenn FrsrrHetsn. Die Lettelmaid. 3s Noinan von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. „John Bull schwärmt für grelle Farben. Ich sage Dir, Freund, dieses Stück Leinwand wird nunmehr Sensation er regen", bemerkte der Künstler, emsig weitermalend. „Rothe Sonne, goldene Wolken, grüne See, weißbesegelte Boote, gelber Sand. Der britisch« Käufer wird für sein Geld Farbe genug bekommen." „Bei Gott, Marc, es ist ein reizendes, kleines Bildchen und seine 30 Guineen werth." „Ich werde froh sein, wenn es zehn bringt." „Nur Geduld, in einem Jahrzehnt wird Dir ein Stück Lein wand in dieser Größe mindestens hundert eintragen." „Ich wünschte, Du würdest Dich als Prophet im eigenen Vaterland? bewähren." „Ich wünsche es in Deinem Interesse, alter Knabe." „Welche Fortschritte macht Dein neuer Roman?" „Nur langsam. Heute habe ich, um der Poesie gerecht zu werden, einen Mann umgebracht, und einige andere Personen der Erzählung mögen zittern, denn auch ihnen droht dasselbe Schicksal." „Blutdürstiges Ungeheuer!" „Meine Heldin hat zwei Gatten, der erste läßt sie im Stich, dem zweiten entläuft sie und alle übrigen Figuren verlieben sich nach dem Muster der „Wahlverwandtschaften". — Ich sage Dir, mein Junge, wenn ein aufstrebender Autor Anerkennung finden will, muß er seine Bücher so schreiben, daß sie für Niemanden geeignet sind, — dann wird sie sicherlich Jedermann lesen und er bald auf dem Gipfel des Parnaß stehen." „Ist das der Weg zum Ruhm?" „Einer der Wege. Der melodramatische Schurke mit dem bösen Gesicht und den boshaften Augen und die süße Naive sind mit der letzten Generation ausgestorben. Die Schurken von heut«, di« der Dichtung und der Wirklichkeit, tragen tadellose Wäsche und sehen wie die Engel aus. Die Heldinnen sind nicht mehr die liebe Unschuld au- der arkadischen Schule, sondern Kinder d«r Hölle." „In der Dichtung mag «» so sein, aber nicht im wirklichen L«b«n." „Ah, mein Junge, die Dichtung ist nur der Widerschein unserer Zeit, ein Bild der heimathlichen Zustände. Die Farben sind treu. Wenn man das Leben der Männer und Frauen, die man täglich dutzendweise in den Straßen umherirren sieht, er zählen könnte, sie würde seltsamer klingen als der seltsamste Roman und markerschütternder, als sie die Phantasie des kühnsten Dichters erdenken kann. Das Unwahrscheinliche ist stets das Wahrscheinlichste, hat einmal rin Dichter richtig bemerkt." „Die menschlichen Geschicke und die menschlichen Herzen sind Mysterien, die wir oft gar nicht begreifen können." „Man lebt besser ohne sie", antwortete Marrix. Es sind Luxusartikel — die Herzen nämlich —, die man in unseren Tagen nicht erschwingen kann, ein Mann ist viel besser daran ohne Herz." „Das leugne ich." „Glaube mir, seine Tasche ist viel besser daran", sagte Newton leichthin, aber ohne jeden Cynismus. „Ihr Schriftsteller habt nicht mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen als wir Künstler." „Wieso? Das kann ich gerade nicht finden." „Wir können keine Weiber malen, di« ihren Männern ent laufen, noch auch Leute, die sich unter Mißachtung der land läufigen Moral verlieben." „Nein, aber Ihr könnt Studien nach Modellen machen, die auch nicht der leichteste Flor bedeckt. Diese süßen, schlanker! Leiber gefallen dem Publicum und locken es an. Versuche Dich in dieser Richtung und Du wirst bei Deinem Talent in sechs Monaten mehr Geld verdienen als mit Landschaften in ebenso viel Jahren." Marcus Phillips lachte nur und beugte sich über die Lein wand, um die grünen Wellen besser ausführen zu können. „Ohne Scherz, Marc, versuche eS einmal! Dann kannst Du Mervyn, den Kunstkritiker des „Telegram", veranlassen, einen Artikel zu schreiben, in welchem er die Nacktheit in der Kunst im Allgemeinen und in Deinen Bildern im Besonderen heruntermacht und in einigen kraftvollen Sätzen den Lesern klar legt, wie diese Richtung dem verdorbenen, überreizten Geschmack der heutigen Generation Vorschub leistet. Auf diese Lockspeise beißt der ehr liche Brite und seine entrüstete Gemahlin stet- an. Beide ver stehen von Kunst so viel wie «in Kannibalenkönig und leben in dem Glauben, daß Nacktheit Häßlichkeit bedeute." „Du willst mich also von vornherein und für alle Zeiten ver- urtheilt und niedergedonnert sehen?" „Lieber Jung«, Du irrst. Meroyn's Artikel würde eine Woche lang täglich von mindestens einem Dutzend Zeitungs schreibern widerlegt und beantwortet werden; Du selbst könntest eine Anzahl von Artikeln unter verschiedenen Namen veröffent lich««. Und während Du so angegriffen und vertheidigt wirst, ist Dein Name in aller Leute Munde und Dein Ruhm be gründet." „Das Nackte in der Kunst däucht mir niemals profan", warf der junge Maler ein. „Niemandem von Bildung und Geschmack, aber auf unsere Philister wirkt es wie das rothe Tuch auf den Stier. Diese Esel brüllen so laut wie Löwen über jeden neuen Schritt in der Kunst, die die Civilisation bedeutet, und die Welt ist zum Ueber- strömen voll von solchen Langohren." „Sie sind in ihrer Weise manchmal nützlich." „Ja, das gebe ich Dir gern zu. Ihr Geschrei erregt Auf merksamkeit. Jeder Fortschritt in Wissenschaft und Kunst — sei's ein Bild, ein neuer Gedanke in einer Dichtung, eine neue Aera in der Musik oder die Ankündigung einer seltsamen Psycho logischen Thatsache — veranlaßt sie, sich in ihrer Leidenschaft auf der Fahrstraße der öffentlichen Meinung umherzuwälzen. Der Staub, den sie damit aufwirbeln, macht die Welt auf blicken. Auf diese Weise erfüllen sie unbewußt ihre Mission." „Und es gereicht Denen zum Vortheil, die sie mit ihrem sinn losen Geschrei verderb«» wollten." „So ist's. Ueber unserem Geplauder hätte ich beinahe den eigentlichen Zweck meines Besuches vergessen. Ich wollte Dich zu Mistreß Stonex Nachmittags-Empfang abholen; dort kannst Du über Kunst und Literatur plaudern, bis Du ganz blau im Gesicht wirst." „Eine sehr untünstlerische Farbe für ein menschliches Antlitz. Uebrigens kenne ich die Dame gar nicht und kann mich ihr dock nicht aufdrängen." „Das sollst Du auch nicht. Ich werde Dich bei ihr eintiid:-' und zwar schon heute. Ein prächtiges Weib, sage ick Dir' S wird sich freuen, Dich kennen zu lernen, denn sie inir:* :: ck für alle Künstler." „Wenn Du die Verantwortung übernimmt ? 1 -ch rasch den Rock wechseln." „Das laß Dir ja nicht einfallen; sie hat eine Schwäche für Sammetröcke, namentlich wenn sie m t vollgespritzt sind. Bleibe wie Du bist, so siehst Du künsi:,r"chec aus. Versuche auch nicht, Deine Mähne zu bürsten das würde sie Dir niemals ver z«»hen und lasse die Cravattenenden mit Byron'scher Grazie und Nachlässigkeit getrost flattern!" „Das sieht aber verflucht unordentlich aus." „Die erste Pflicht, die wir uns und unseren Kunstfreunden in der Gesellschaft schuldig sind, besteht darin, so malerisch als möglich auszusehen. Weißt Du, Marc, daß Weiberaugen die getreuesten Spiegel für das starke Geschlecht sind? Wenn schon die äußere Erscheinung des Mannes ein Weib bestrickt, so kann er auf diesen Sieg stolz sein." „Verstehen sich die Frauen aber auch so gut auf die Be- urtheilung des inneren Menschen?" „Dieser kommt in der modernen Gesellschaft gar nicht in Betracht. Moral und Geist stehen in zweiter Linie. Ein gut sitzender Rock gefällt besser als «in guter Charakter. Wenn man sich nur nach dem neuesten Modejournal kleidet, was liegt da weiter an der Seele! Man ist hochherzig genug, diese dem Be sitzer und der Vorsehung zu überlassen! Komm, komm, mein Junge, cs wird spät." „Nur noch einen Augenblick!" „Bei Gott, Du wirst im Salon meiner Freundin Aufsehen erregen!" „Aber die Hände darf ich mir doch wenigstens waschen?" fragte der Künstler lachend und eilte ins Schlafzimmer, um sich die Farbe von den Fingern abzuipülen. „Beeile Dich!" war die einzige Antwort, die er darauf erhielt. Nach wenigen Augenblicken machten sich die Beiden auf den Weg zu Frau Stonex. Drittes Capitel. Hauptmann Da-ste:« bewohnte zwei Hinterzimmer in einem mit dem Om- .'-s - rb der Bahn leicht zu erreichenden Hause der Euston N.ad wer in den Zeitungsanzeigen, in denen er sich als F.'ck:-^.--ter andot, bemerkte. Durch diesen „Beruf" ver- 'e n Einkommen, das in einer halben Hauptmanns- .vland. Der seltsame Kauz batte die Gewohnheit, die D n e beim rechten Namen zu nennen, weil er glaubte, daß b^chrrabendi oder um'ckreibende Bezeichnungen seiner Person i^hr Würde und Wick!.gleit verliehen. Jetzt, da die Zeit der Zweikämpfe in England vorüber war, herrschte keine große Nach frage nach der erdadenen Kunst der Säbel- und Schwertübungen, wenigstens n ck: in dem Maße, wie der Hauptmann es gewünscht hätte. Sein« Schüler waren Schauspieler und Dilettanten, junge Leute besserer Stände, die, der neuesten Mode folgend, den Akrobaten ins Handwerk pfuschten und allerlei Kraftübungen lernten. Zu ihnen gehörte ein junger Mann, d«m der Fecht meister besondere Aufmerksamkeit und Rücksicht angedeihen ließ. Lord Harrick zählte zweiundzwanzig Jahre und erfreute sich unge heurer Reichthümer; sein jährliches Einkommen belief sich auf über siebzigtausend Pfund Sterling. Richard, Vicomte Harrick in der Pairswürde Großbritanniens und Baron Jesson in der PairSwürde Schottland», zeichnete sich
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