Delete Search...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-17
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980617020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898061702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898061702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-17
- Monat1898-06
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Bezugs-Preis 1» der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins -aus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertehährlich 6.—. Directe tägliche ttreuzbandsenduug ius Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/«7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr, Redaction und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: ktto Klcmm'S Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und KönigSplatz 7. ^- 392. Abend-Ausgabe. MpMer Tagcklalt Anzeiger. Amtsöl'atl des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Volizei-Zmtes der Ltadk Leipzig. Anzeigeu-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) 50-^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzcichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-vci lagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung .al 70.—. —c>«— Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Freitag den 17. Juni 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. Juni. Beim Wolff'schen Telegraphen-Bureau waren bis beute früh 7 Uhr 1S1 Wahlresttltate bekannt geworden. Unter tiefen Resultaten waren aber nur 91 definitive, in den übrigen 100 Wahlkreisen müssen erst Stichwahlen die Entscheidung bringen. Von den definitiv gewählten Abgeordneten gehören nach dieser Quelle 7 der conservativen, 4 der deutschen NeichS- partei, 42 dem Eentrum, 2 der deutsch-socialen Neformpartei, t der nationalliberalen Partei, einer der freisinnigen Ver einigung an, 30 sind Socialdemokraten, einer ist „Wilder". An den Stichwahlen sind betheiligt 25,Conservative, 10 NeichS- parteiler, 16 CentrumSmänner, 4 Reformpartciler, 34 National liberale, 7 Anhänger der freisinnigen Vereinigung, 27 frei sinnige Volksparteiler, 8 deutsche Volksparteiler, 3 Candi- taten des Bundes der Landwirthe, 60 Socialdemokraten, 2 Welfen, 4 Wilde. Kann man selbstverständlich aus diesen Zahlen noch keinen Schluß auf das Gesammtbild dcS neuen Reichstags ziehen, so ergiebt sich aus ihnen immerhin, daß tie socialdemokratische Partei einen nicht unbe deutenden Zuwachs an Mandaten zu verzeichnen haben wird, wenn nicht bei den Stichwahlen die bürgerlichen Parteien in allen Wahlkreisen, in denen ein Social demokrat in die Stichwahl kommt, sich einen und in geschlossenen Reihen dem gemeinsamen Gegner gegenübcr- lretcn. Ze zweifelhafter cs ist, ob das Centruin und die Demokratie sich überall dieser Pflicht bewußt sind, um so mehr müssen die übrigen Parteien fick angespornt fühlen, diese Pflicht zu erfüllen. Ohne Zweifel ist cS an gesichts deS Kampfes, der seit Wochen zwischen den bürger lichen Elementen verschiedener Richtung getobt hat und nicht selten mit einer Erbitterung geführt worden ist, die im Hin blick auf die gemeinsame Gefahr hätte vermieden werden können und sollen, mitunter eine nicht geringe Zumuthung, jetzt für den Candidaten einer Partei zu stimmen, die im Wahlkampfe den eigenen Candidaten energisch befehdet hat. Mein soviel Selbstüberwindung eS auch kosten mag, einen Mann zu wählen, auf den man wochenlang scharf geschossen bat und dessen Anhänger nicht minder scharf zurückgeschossen baben, so ist diese Selbstüberwindung angesichts der Gemein gefährlichkeit der Socialdemokratie doch vaterländische Pflicht, gegenüber der letzteren Partei ist jede bürgerliche Partei raö kleinere Uebel, das zu wählen man sich im Interesse des Gemeinwohls selbst nicht durch natürliche und erklärliche Ver stimmung, wie sie aus dem eben geführten Wahlkampfe zurück bleibt, abhalten lassen darf. Dem Parteiintercsse ist bei rer Hauptwahl Genüge geschehen. Man hat auch dort eigene Candidaten aufgestellt, wo keine Aussicht vorhanden war, daß dieselben gewählt würden, um einmal Revue über bic Anhänger der Partei zu halten. Jetzt kommt das all gemeine, daS monarchische und Staatsinteresse in Betracht. Da muß jede - Parteirücksicht, jede Parteiver stimmung schweigen. Jetzt heißt es: Alle Mann auf Deck ;um entscheidenden Kampfe gegen die inter nationale, revolutionaire Socialdemokratic! Die ultra montane „Köln. Volksztg." scheint der Social- tcmokratie eine neue Parole für die Stichwahlen liefern ;u wollen. Sie läßt sich nämlich (angeblich) aus Berlin schreiben, tie kleine, aber mächtige Partei ser wieder eifrig .m der Arbeit. Der Reichskanzlerbrief an den Prinzen Larolath, sowie der Posadowsky'sche Wahlbrief hätten zu Auseinandersetzungen und Weiterungen geführt, die gegenwärtig noch nicht zum Austrag gebracht seien. Minister Miquel (!!) sei zu der Ansicht gekommen, daß man mit Graf Kanitz, Hahn und Plötz Politik machen müsse, dieser Ansicht seien indessen der Reichskanzler und Herr v. Bülow nickt. Man bohre, um den Reickskanzler und Bülow weg zu haben (!!) und zwar seitens der Kreise, welche die innere Politik im Sinne des Bundes der Landwirthe fordern, die Miquel leiten solle. Der Gewährsmann der „Köln. V.-Zlg." fügt seiner Meldung hinzu, er habe für dieselbe absichtlich den Wahltag abgewartet, damit sie nicht als Wahlmanöver gedeutet würde. Mit Recht sagen die „Berl. N. N.", der Gewährsmann der „Köln. VolkSztg." würde gut thun, schleunigst eine Kaltwasser-Heilanstalt aufzusuchen. Größerer Unsinn ist selten gedruckt worden und der Einsender hätte hierzu nicht nur den Wahltag, sondern den nächsten Fastnachts dienstag oder den 1. April abwarten sollen. Man kann von Herrn v. Miquel alles Mögliche behaupten, aber so naiv wie die „Köln. Volksztg." sollte ihn doch kein ver ständiger Mensch beurtbeilen. Am seltsamsten ist di- Vor stellung, die der Erfinder der „Bohrversuche" vom Kaiser hat, der sich sicherlich vom Fürsten DiSmarck nicht getrennt hätte, wenn er geneigt wäre, seine Minister über den CurS der Politik entscheiden zu lassen. Trotz ihrer Blödheit wird indessen die „Enthüllung" der „Köln. Volksztg." von der Socialdemokratic begierig aufgegrisfen werden, um ängstliche Gemüther zu schrecken und in die Arme der socialdemo kratischen Partei zu locken, „der einzigen Partei", die nach dem „Vorwärts" „die Interessen des deutschen Volkes ver tritt gegen die Sippe der Ausbeuter und Großkornwucherer". Daß die österreichische» Klerikalen sogar die verpönten Farben schwarz-roth-gold annehmen, wenn sie damit Geschäfte in der eigentlichen Bedeutung deS Wortes machen können, zeigt daS Verhalten deS „Katholischen Schulvereins" in Wien. Derselbe läßt Placate für seine Lotterie in schwarz- roth-gelber Farbe drucken und verleugnet dabei seinen Namen, indem er nur „Schulverein" unterzeichnet. Da schwarz-roth- gelb die Farbe ist, welche der deutsche Schulverein für seine Placate zu verwenden pflegt, so ist der Zweck des Manövers klar. Aber damit ist die Betriebsamkeit des „Katholischen Schulvereins" noch nicht erschöpft. Bei seinen Sammlungen in den Häusern verwendet er weibliche Per sonen, die eine Art Nonncntracht angelegt haben, um den Anschein zu erwecken, als ob sie für menschenfreundliche Zwecke sammelten. Endlich wird darüber geklagt, daß diese Damen angäben, für eine „Jubiläumsschule" oder „für den Schulverein" zu sammeln, der „auch deutsch" sei. In der Wiener nationalen deutschen Presse wird dieses Verfahren nach Gebühr gebrandmarkt. Wie daS Niger-Abkommen zwischen Frankreich und England zeigt, hat Frankreich mit großer Zähigkeit in diesem Theile Afrikas Ansprüche vertreten, an deren Erhebung vor einem Jahrzehnt noch kein Mensch gedacht hat, und cS hat sie mit großer Energie gegenüber den von den Engländern aufgethürmten politischen, ethnographischen und sonstigen Schwierigkeiten durchgesetzt. Die Royal-Niger-Company schien sich mit ihren Verträgen aus den achtzigep Jahren im unteren Niger-Gebiet und weiter landeinwärts in Nupe und Gandu so festgesetzt zu haben und ihre Bestrebungen zur Gewinnung des Haupteinflusses in Sokoto und Borgo wurden so nach drücklich betrieben, daß eS fast undenkbar erschien, ihre Position in diesem Theile Aeqnatorial-West-Asrikas zu er-1 schlittern. Noch im Jahre 1892 hatte eS keine Schwierigkeit, I den Franzosen in einem Vertrage eine Grenzlinie ihres Ein 1 flusseS auszunöthigcn, die, von Sah bis Barrua am Tsad- See reichend, die reichen Gelände von Sokoto und Bornu den Engländern reservirte. Die Entwickelung der Dinge in Dahome im Jahre 1894 und die Sorge um ein Hinterland für ihre dortige Schutzherrschasl gab der französischen Politik einen neuen Impuls. Seither haben sie Expeditionen über Expeditionen in das von der Royal-Niger-Company beanspruchte Gebiet entsandt, obwohl ihr Vorgehen mehr als einmal kritische Situationen heraufbeschwor. Noch vor vier Wochen wies die englische Presse in den kräftigsten Ausdrücken eS als undenkbar ab, daß England ans Borgu verzichte, und heute gehört der größte Theil dieses Reiches mit der Hauptstadt Nikki den Franzosen, denen außer dem Enclavcn am unteren Niger und eine Grenzfestlegung ihrer Besitzungen an der Elfenbeinküste eingeräumt ist. Dazu kommt die Festlegung der Gleichberechtigung beider Staaten in Bezug auf die Tariffrage hinsichtlich der Niger-Schifffahrt. Alles in Allem läßt sich daS Abkommen, wie gesagt, nur als ein Erfolg der französischen Colonialpolitik bezeichnen, der aufs Neue lehrt, daß England keineswegs so un erschütterlich in seinen colonialen Positionen ist, wie eS englische Minister gern hinstellen möchten. Eine Depesche auS Tschesoo brachte eine interessante Nachricht, die besondere Beachtung verdient: Die Russell sind Herren des Leuchtfeuers von Lautieschau. Die russischen Behörden in Port-Arthur haben, wie gemeldet, den chinesischen Wächter des dortigen Zoll-LeuchthauseS kurzweg entlassen. Wer dieses Leuchtfeuer an der Südspitze der Halb insel unweit von Port Arthur in Händen hat, beherrscht den Golf von Pctsckili, das sogenannte innere Gelbe Meer, in welches sich der Peiho ergießt. Am Peiho aber liegt bekanntlich Tient-sin, der Hafen von Peking, welches selbst etwa 150 km landeinwärts zwischen den Flüssen Peiho und Wenho gelegen ist. Vor 38 Jahren hat die chinesische Kaiserstadt erfahren müssen, daß ein europäischer Feind vom Petschili-Golf aus sich den Weg zu ihr nicht allzu schwer zu bahnen vermag. Nachdem die englischen Kriegsschiffe von Taku den Peiho hinaufgedampse und Tient-sin besetzt hatten, vermochte der Verrath von Tungtschau die englisch-franzö sischen Operationen nur vorübergehend aufzuhalten. Am 5. Octobcr, nach dem Siege von Palikao, besetzte Cousin- Montauban ohne Schwertstreich den Sommerpalast der Kaiser, plünderte ihn und legte ihn kurz darauf in Asche. China mußte Frieden schließen. Offenbar, um bei der gegen wärtigen unsicheren Lage in Ost-Asien einer ähnlichen Even tualität zu entgehen, hat, wie neulich ein englisches Blatt meldete, das Tsung li Uamen beim Kaiser angeblich die Verlegung seiner Residenz von Peking nach dem 600 englische Meilen von der jetzigen Hauptstadt entfernten Segan-fu am Weihostrome beantragt. Die militärische Besetzung der Straße zwischen den beiden Städten soll schon angeordnet sein. Segan-fu, vor der Mandscku-Zeit schon einmal ein Jahrtausend lang Hauptstadt von China, ist noch heute nach Peking die mächtigste Stadt ,Nord-ChinaS. Es zählt eine Million Einwohner und ist einer der wichtigsten Garnisonplätze der achtzehn Provinzen. Dort würde sich der Hof sicherer fühlen, als in der Nähe deS seit der russischen Festsetzung in Port Arthur recht ungemüthlich ge wordenen Petschili-GolscS, doch dürste eS, wie wir schon einmal hervorhoben, mit Rücksicht auf die Volksstimmung zu einem Exodus des HofeS aus Peking so leicht nicht kommen. Deutsches Reich. 42 Berlin, 16. Juni. DaS Ergebniß der Wahlen in der Reichshauptstadt ist im Effect deS ersten Wahlgange dasselbe wie vor fünf Jahren. Damals wie beute wurden in zwei längst von der Socialdemokratic besessenen Wahlkreisen (dem 4. und 6^ Singer und Liebknecht gewählt, während in den übrigen vier Bezirken Stichwahlen zwischen Candidaten der freisinnigen Volkspartei und der Socialdemokratie nothwendig geworden sind. Der Unterschied zwischen 1893 und 1898 ist der, das; der Freisinn vor fünf Jahren vier innegehabte Mandate in der Stichwahl zu vertheidigen hatte, während er, da er in drei von den vier Wahlkreisen unterlag, diesmal Wiedereroberungs versuche zu machen hat. Wie sie ausfallen werden, sieb: dahin. Daß der 1. Wahlkreis, den die Volkspartei 1893 be hauptet hat, ihr auch viesmal sicher ist, darf mit Bestimmt heit angenommen werden, obwohl im Augenblick die ge nauen Ziffern der Hauptwahl noch nicht vorliegen. In den drei übrigen ist der Sieg der Freisinnigen möglick, wenn die Anhänger der anderen bürgerlichen Parteien in den in Berlin doppelt saueren Apfel beißen und, um den Social demokraten die Sitze zu^entreißen, die Gefolgschaft des Herrn Richter vermehren wollen. Ist auch in nationalpolitischc» Dingen kaum ein Unterschied zwischen dem Berliner Freisinn und der Socialdemokratie, so ist eS doch dringend zu wünschen, daß die Nationalliberalen Selbstverleugnung üben. Wie man auch über Berlin denken mag, cs ist ein moralischer Vortheil für die Socialdemokratie, das; sie die Reichshauptstadt zu fünf Sechsteln vertritt. Die fünf bisher von ihr auszeübten Mandate „gehören" ihr der politischen Gesinnung der Mehrheit der Wähler nach, selbst wenn mau von dem Element der „Mitläufer" absiebt, durchaus nicht, sie besitzt sie mehr noch Dank dem JndisserentiSmuS und der Uneinigkeit im Bürgerthum. Die Conservativen Berlins haben allen Grund, in der Stich wahl gegen die Socialdemokratie auf dem Platze zu sein. Sie haben durch unmögliche und zum Theil geradezu lächerliche Candidaturen nicht nur nationalgesinnte Liberale, sondern überzeugte Conservative abgestoßen. Selbst in der ganz überwiegend streng conservativen und in Berlin sehr zahlreichen Classe der Beamten und Ofsiciere a. D. war, namentlich im 2. und 3. Wahlkreise, die Meinung: „Nein, solche Geister kann man nicht wählen." Vielleicht bildet der Aerger über diese zum Theil geradezu beleidigenden Zu- muthungen, die die Berliner Conservativen an ihre Anhänger und an näherstehende Parteien gestellt haben, Tausenden einen Antrieb, in der Stichwahl zu zeigen, daß man im ersten Wahlgange gewählt hätte, wenn nur irgend Wählbares präsentirt worden wäre. * Berlin, 16. Juni. An einige Zahlen der früheren Reichstags Wahlen erinnert die „Nat.-Ztg.". Zuvörderst kommt die Zahl der Stichwahlen in Betracht, Venn auch heute wird eine große Anzahl Wahlen — nach weit ver breiteter Ansicht eine größere, als jemals früher — unent schieden bleiben. Bei einem Rückblick auf die letzte» zwanzig Jahre ergiebt sich, daß 1878 die Zahl der Stichwahlen «il war; sie stieg 1881 auf 97 und war 1884 genau ebenso groß; bei den Cartell-Äahlen von 1887, bei denen in größerem Umfange, als vorher oder nachher, ein Zn- Fanillatsn. Lauernblut. 8) Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verbot«». Jeder Versuch Völkers, den Freund umzustimmen, blieb er folglos; er rang ihm nur noch die Erlaubniß ab, dem Freiherrn gegenüber das Verhältniß des Staatsanwalts zu Mrs. Victorine wenigstens andeuten zu dürfen, nachdem er den Freiherrn durch Abnahme des Ehrenwortes zu strengstem Stillschweigen gegen jeden Anderen, selbst gegen seinen Zeugen Herrn von Tollen, verpflichtet haben würde. Mit dem Versprechen, den solcher weise bestimmten Auftrag morgen früh auszufllhren, zog er sich endlich zurück und begab sich, da es schon nachtschlafende Zeit war, in seine Wohnung im Künstlerhause in der Fasanen- siraße. Erst nach Mitternacht legte sich der Staatsanwalt zur Ruhe, aber kein erquickender Schlummer wollte seine wild erregten Pulse besänftigen. Eine wirbelnde Gcdankenjagd tobte durch sein Hirn; Bild auf Bild erstand vor seinem inneren Auge, und wenn er ein solches Bild näher betrachten wollte, dann zerfiel es wie das Spiegelbild in einem Kaleidoskop, um sofort durch ein anderes Bild erseht zu werden. Und alle diese Bilder schien sich immer aus denselben Personen zusammen: dem Freiherrn, dessen Tochter, den Gästen im „Kaiserhof" und seiner, des Staatsanwalts, Mutter. Im Jahre 1861 (er war wenig alter als zwei Jahre gewesen) hatte er seine Mutter zum letzten Male gesehen, aber sein Erinnerungsvermögen hatte wie die lichtempfindliche Platte in der camera odseura des Photo graphen ein Bild derselben ausgenommen, das auch heute noch nicht verblaßt war. Er sah ein junges rosiges Weib mit nacht- dunkeln üppigen Haaren und einem Augenpaar, das wie zwei schwarze Diamanten leuchtete, und diese Augen richteten sich ge spannt und erwartungsvoll auf ibn, als fragten sie ihn: Wirst Du auch Deine Mutter vertreten? Wirst Du ihren Ruf ver- thcidigen? Ihre Ehre retten? Barmherziger Gott! Konnte er denn das? Gab es noch eine mütterliche Ehre, zu deren Vertbeidiger er sick aufwerfen durfte? Oder war diese Ehre nicht vielmehr unwiderbringlich dahin? War nicht seine Mutter eine leichtfertige Frau gewesen, von der er alle Ursache zu schweigen hatte? Er ballte die Fäuste auf der Steppdecke seines Bettes; er stieß die Steppdecke weit zurück, um die keuchende Brust zu entblößen und so ein wenig Kühlung zu gewinnen in der Fieberhitze, die ihn verzehrte. Und wenn seine Mutter eine Verlorene gewesen war ... gleichviel, dann wollte er sie wenigstens rächen an Dem, der sie freventlich von ihrer Pflicht als Gattin abgewandt hatte! Auch die Rache war eine Schuldigkeit, die er als Victorinens Sohn zu erfüllen hatte. Da tauchte das Bild eines zierlichen, anmuthigen, elfcnhaften Wesens vor ihm auf. Ellen! Du süße Knospe, die du an dem uralten, aber wahrscheinlich sittlich-faulen Stamme der Branks aufgeblüht bist! Wenn ich deinen Vater im Zweikampfe fälle, dann bist Du mir für immer verloren, und wenn er mich nieder schießt, nun, dann kannst du mir wenigstens, wenn ich dir wirklich nicht ganz gleichgiltig bin, ein heimliches Thränlein nachwcinen im Schmerze um den zu früh Dahingegangenen. Unsinn! unterbricht er diesen Gedankengang; cs wird ihr herzlich gleichgiltig sein, ob William Teil noch länger im Lichte der Sonne wandelt oder hinabsteigt zu den Schatten der Unterwelt; ste ist das Kind ihres Vaters; was wird ihr, der blaublütigen Prinzessin, ein Roturier, ein Actenreiter mit dem anrüchigen Namen Tell bedeuten? So jagen sich die Bilder und die Gedanken und erst gegen Morgen fällt der Erschöpfte in einen kurzen, bleischweren Schlaf, aus dem er schon in der siebenten Stunde wieder auffährt, denn er weiß, daß um acht Uhr der Abgesandte des Freiherrn bei ihm sein wird. Obgleich heute nicht Rasirtag für ihn ist, beginnt er doch die Vorbereitungen zu dem Geschäfte des Bartkrahens; er will heute aufs Gründlichste Toilette machen, um dem Herrn von Tollen als eleganter und correcter Kavalier zu erscheinen. Während er aber das Messer über die eingeseiften Wangen führt, grinst er sein Spiegelbild verächtlich an; Hidalgostolz! denkt er im Stillen; du wirst nicht vornehmer werden für die adeligen Herren, auch wenn du dich glatt rasirt hast. Mit militairischer Pünktlichkeit tritt Herr von Tollen zur angemeldeten Stunde über die Schwelle. „Es thut mir leid, Herr Staatsanwalt", hebt er verbindlich an, „daß es kein erfreulicher Anlaß ist, der mich schon so sehr zeitig zu Ihnen führt. Wollen und können Sie den schweren Vorwurf, den Sic gestern dem Herrn von Brank qemacht haben, zurücknehmen? Hat vielleicht nur der Wein Äie zu einer Aeußerung hingerissen, von der Ihr Kopf und Ihr Herz nichts wußten? Es wäre mir außerordentlich lieb, wenn wir auf Grund solchen Zugeständnisses den Frieden wieder Herstellen könnten." „Ich bedaure, Herr von Tollen, diesen Erwartungen nicht ent sprechen zu können. Ich bin der zuerst Beleidigte. In diesem Augenblick ist mein Zeuge, der Maler Völker, bei Herrn von Brank, um ihm meine Herausforderung zu überbringen. Erst wenn mir Genugthuung geworden ist, erst dann wäre ich in der Lage, auf Ihre Fragen Antwort zu geben." „Sie sind der Beleidigte? Das verstehe ich in der That nicht; als Augen- und Ohrenzeuge habe ich nicht bemerkt, daß Ihnen Herr von Brank in irgend welcher Weise zu nahe getreten wäre." „Und doch ist cs so. Ich möchte darüber keine näheren Er klärungen abgeben " „Sie werden nicht umhin können, dies dennoch zu thun, wenn Sie nicht den Schein auf sich ziehen wollen, als suchten Sie absichtlich Händel mit einem Manne, der Ihnen nichts zu leide gethan hat." „Diesen Schein wird mein Zeuge zerstören, dec hoffentlich in diesem Augenblicke bei Herrn von Brank ist." Tollen überlegte; nach einer Weile versetzte er: „Gut. Es wird wenig darauf ankommen, wer im vorliegenden Falle der Herausforderer oder der Herausgeforderie ist; es genügt voll kommen, daß jede der Parteien der anderen Genugthuung geben will. Herr von Brank besteht auf Pistolen; ist Ihnen diese Waffe recht?" . „Mein Zeuge wird dieselbe Waffe Vorschlägen." „Dann proponire ich, daß Sie und Herr von Brank entweder um den ersten Schuß loosen oder nach Kommando zu gleicher Zeit feuern." „Mir ist jeder Modus gleich; Herr Völker mag das Nähere mit Ihnen vereinbaren." „Ich werde zehn Schritte Distanz ausbedingen." „Angenommen." „Die Sache mag nun ablaufen, wie sie will — ich stelle übrigens fest, daß Sie mir jeden Versuch einer friedlichen Bei legung unmöglich gemacht haben — soviel erkläre ich schon heute: sie muß durch den bevorstehenden Waffengang ein- für allemal aus der Welt geschafft werden; von einer Wiederaufnahme der selben durch eine der contrahircnden Parteien darf unter keinen Umständen die Rede sein." „Das ist Sache des Herrn von Brank; die Genugthuung für mich finde ich in der Annahme meiner Forderung." „So bliebe nur noch Ort und Stunde festzusetzen." „Ich bin zu jeder Zeit bereit und auch an jedem Orte. Bitte, Herr von Tollen, erledigen Sie das mit meinem Secundanten." „Wie Sie wünschen. Ich habe die Ehre, mich ?u empfehlen." Der Rittmeister brummte ein unhörbares „Dickkopf!" in den Bart und schritt nach gemessener Verbeugung zur Thür hinaus. Im Korridor stieß er auf einen ihm unbekannten kleinen Mann mit breitkrempigen Schlapphut, der gerade zur Thür hinein wollte. Der kleine Mann trat höflich zur Seite, schaute dem Davongehenden aufmerksam nach, seufzte unzufrieden, nahm dann den Hut in die Hand und klopfte an. Auf das ungeduldige „Herein!" des Staatsanwalts öffnete er und schob sich in dessen Zimmer. „Ich störe doch nicht, Herr Staatsanwalt?" „Sie sind es, Just? Was bringen Sie schon so zeitig?" „Nur mich selbst und einen guten Morgen." „Den könnte ich brauchen." „Sie haben Verdrießlichkeiten gehabt?" „Wie so?" ' ' „Nun, schon so zeitigen Besuch und wahrscheinlich in Ge schäftssachen . . . Die Herren schienen nicht aufs Allerfrcund-. lichste miteinander zu sprechen." » . » „Haben Sie gehorcht?" „Das ist nicht meine Gewohnheit. Ihre Aufwärterin ließ mich im Flur warten, da Besuch drinnen wäre, und so konnte ich wider Willen einzelne Laute der Unterhaltung vernehmen, ohne daß ich deren Sinn verstanden hätte." „Ich will Ihnen glauben; sollten Sie aber doch etwas auf geschnappt haben, so halten Sie reinen Mund; ich verlasse mich darauf." „Aha!" dachte Just, „es ist etwas Ernstes im Gange; wenn ich nur wüßte, wie ich es verhindern könnte!" Er verrieth aber in keiner Weise diesen heimlichen Gedanken, sondern begnügte sich, sein Gegenüber, wenn auch unauffällig, doch möglichst scharf zu mustern. „Hören Sie, Just", hob der Staatsanwalt nach einer Weile wieder an, indem er sich, wie ermattet, in einen Lehnsessel fallen ließ und den Andern durch eine Handbewegung ebenfalls zum Sitzen einlud, „Sie könnten mir eine Frage beantworten. Aber erst sagen Sie mir, wie geht es Ihnen? Was treiben Sie jetzt? Sie haben sich ja seit Wochen nicht mehr sehen lassen." „Danke, Herr Staatsanwalt, es geht mir nach Wunsch. Ich treibe allerlei Geschäfte; ich bin, wie Figaro, das Factotum der ganzen Nachbarschaft, und ich freue mich immer, wenn ich Sie von dort aus", er deutete durchs Fenster nach einem schräg gegenüber liegenden Hause, „Ihre Wohnung verlassen oder zurück kommen sehe." „Dort wohnen Sie? So nahe bei mir? Und ich wußte cs nicht!" „Ich habe es Ihnen nock nicht mittheilen können: seit dem Ersten dieses Monats bin ich dort erst cingezogen; der Zufall hat mich in diese Gegend verschlagen." Er nahm einen ver-
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview