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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-31
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030131028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903013102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903013102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-31
- Monat1903-01
- Jahr1903
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Und vor diesen halten sie dann mit allerlei Anekdoten gewürzte Reden, die znm allergeringsten Teil in den Reichstag gehören und deshalb vom Bundesrats tische nicht oder doch nur insoweit beantwortet werden, als sie eine zur Kompetenz des Reiches gehörige Ange legenheit berühren. Aber gerade diese erzwungene Ein silbigkeit der Regierungsvertrcter scheint die polnischen Herren zur Veranstaltung dieser Feste zu reizen. Sie können ihre Beschrverden ausschmücken, wie sie wollen, ohne der Erfindung oder wenigstens maßlosen Ueber- treibung beschuldigt zu werden, und können auf den Tri bünen einen sentimentalen Beifall erwecken, der vielleicht bis zu Len höchsten Hohen im Reiche dringt und dort Teilnahme erregt. Auch gestern wieder wurde eine solche Feier veranstaltet, bei der die Festrede dem Abg. v. Dziembowski-Pomian übertragen war, der es denn auch meisterlich verstand, seine Zuhörer mit Ge schichten zu unterhalten, die ihr Interesse um so mehr er weckten, je weniger sic richtiggestcllt werden konnten. Daß er vom Kricgsminister v. Goßler überführt wurde, zwei militärische Beschwcrdefälle gar zu polnisch ausgeschmückt zu haben, störte ihn und seine Festgäste wenig, denn es blieb ihm genug Material übrig, das nur im preußischen Abgeordnetenhaus« von preußischen Mi nistern geprüft werden konnte. Da ist denn doch wohl die Frage am Platze, ob es nicht Aufgabe des Präsi denten wäre, von vornherein die polnischen Redner bei der Stange zu halten und sie daran zu erinnern, daß sie Reichstagsabgeordnete sind und den Reichstagssaal nicht dazu benutzen dürfen, vor einer ack ftoa geladenen Ver sammlung preußische Angelegenheiten abzuhandeln. Graf v. Ballestrem und seine Herren Kollegen im Präsi dium sind doch sonst nicht allzu schüchtern, wenn es gilt, die Debatte im Rahmen des Zulässigen zu halten. Hier aber liegt ein Fall vor, der als Mißbrauch der Redefrei heit und der Zeitvergeudung des Hauses unbedingt zu bezeichnen ist. Die Geschäftsordnungskom mission hätte also allen Anlaß) sich mit der Frage zn beschäftigen, ob es mit der Würde des Hauses verträglich ist, wenn ein Fraktiönchen, das gewöhnlich mit seiner vollen Stärke die Zahl der Schwänzer vermehrt, die Tribünen mit Anekdoten über wirkliche oder angebliche Mißgriffe preußischer Unterbeamtcn unterhält, über Miß griffe zudem, von denen man ganz genau weiß, daß sie im preußischen Abgeordnetenhaus nächstens den Gegen stand gründlicher Erörterungen bilden werden. Die bayerischen „Patrioten". Prinz-Regent Luitpold von Bayern hat dem Rcichsgcdanken einen Dienst erwiesen, als er nicht nur mit besonderer Freude und Anerkennung über die Rede des Reichskanzlers zur Swinemünder Depesche sich äußerte, sondern auch den Ministerpräsidenten Grafen Crailsheim beauftragte, den preußischen Gesandten in München davon in Kenntnis zu setzen. Durch diese Stellungnahme des Prinz-Regenten ist durch die Rechnung der bayerischen Zentrumspartei, mit der Swinemünder Depesche im parteiischen Interesse zu krebsen, ein dicker Strich gezogen worden. Das ist um so dankenöwert«B und erfreulicher, als der eben abgehaltene Delegierten tag des bayerischen Zentrums abermals offen bart hat, welche Hoffnungen die bayerischen Klerikalen auf die Swinemünder Depesche als auf einen Hebel dafür setzen, in der Rolle von Verteidigern der angeblich be drohten Selbständigkeit des Königreichs Bayern aufzu treten. Herr Dr. S ch a e d l e r hat ganz offen darauf hin gedeutet, daß Bayern das Schicksal Hannovers teilen könne, und gegenüber dem Danke des Prinz-Regenten für die Reichskanzlerrede mit Emphase beteuert: „Wir stehen und schützen das Haus Wittelsbach und seinen Regenten gegen diese Kaiserideen." — Zlufdringlicher ist kaum jemals eine unerbetene und überflüssige Hülfe angeboten worden! Zeugte jenes Anerbieten für die Verlegenheit des Herrn vr. Schaedler, so verrät eine Auslassung, des offiziellen Münchener Zentrumsorgans, wie zornig die bayerischen Klerikalen darüber sind, daß die Kundgebung des Prinz- Regenten ihnen das Konzept verdorben hat. Versteigt sich doch das Zentrunrsorgan dazu, einfach eine Glosse der sozialdemokratischen „Münchener Post" zu der Stellungnahme des Prinz-Regenten abzudrucken, während es selbst nur hinzufügt, daß die „bayerische Weltgeschichte^!) reich sei an bemerkenswerten und witzigen Ereignissen. Der Zorn der bayerischen Klerikalen tritt mindestens ebenso deutlich in einer Münchener Korrespondenz der „Kölnischen Volkszeitung" zu Tage, die den Wunsch ausdrückt, daß der bayerische Landtag mit dem ver antwortlichen Minister ein ernstes Wort sprechen möge. Danach steht eine erneute Abfuhr der ungerufenen Ver teidiger der von keiner Seite bedrohten Selbständigkeit des Königreichs Bayern in Aussicht. Die Antwort des Ministeriums Crailsheim auf eine derartige An zapfung dürfte nm so weniger entgegenkommend aus fallen, je unzweideutiger das Ergebnis und der Verlauf des Parteitages der bayerischen Klerikalen bewiesen hat, daß die wiederholt bekundete Bereitwilligkeit der bayeri schen Regierung, klerikale Wünsche zu befriedigen, im kle rikalen Lager selbst nicht die geringste Wirkung ausgeübt hat. Das bayerische Zentrum sprach formell in ettier zu- sanrmenfassenden, einstimmig angenommenen Res ckntion das ausdrückliche Anerkenntnis ans, „daß die innere poli tische Lage heute noch im wesentlichen die gleiche ist, wie am Ende der verflossenen Landtagssession." Demgemäß gedachte Herr vr. Schaedler in der öffentlichen Versamm lung mit keinem Worte des Abschlusses der Würzburger Universitötsangclcgenheit durch den neuen Kultusminister Frhrn. v. Podewils, der vorher auch von der bayerischen Zentrumöpresse höchlich belobt worden war. Die Er ledigung der Weißenburger Simultanschulfragc aber be zeichnete Dr. Schaedler einfach als die „notwendige Folge" eines Gesetzes, obwohl der Kultusminister auch in "irrem dein Klerikaliemus unerwünschten Sinne hätte entscheiden können. Und die Ernennung eines katholischen Justiz ministers, die angesichts der lauten Klagen über die vielen protestantischen Minister eine handgreifliche Konzession an das Zentrum war, tatvr. Schaedler durch die Wendung ab: cs scheine fast, als ob der Besitz eines katholischen Taufscheines bei der Beförderung gefährlich wercen könne. Wie man sieht, ist dem guten Willen der bayerischen Re gierung, dem Klerikalismus durch die Tat cntgcgen- zutommen, von den bayerischen „Patrioten" mit dem gröbsten Undank gelohnt worden. Die Lehren hieraus ergeben sich sowohl für das Ministerium Crailsheim, als für jedes arrdcrc Ministerium, das mit einer Zentrums partei zu tun hat, ganz von selbst. Die Lage i« Marokko und die deutschen Haudelsintereflen. Aus Tanger, 23. Januar schreibt man uns: Die Stimmung in der Hauptstadt hat sich etwas gehoben, wozu der Umstand viel beiträgt, daß der Sultan den Sold den Truppen regelmäßig ausgezahlt hat und große Mengen von Lebensmitteln herbeigebracht worden sind. In Tanger herrscht nach wie vor vollständige Ruhe, alle Nachrichten, demzufolge die Europäer bedroht erschienen wären und sich in Verteidigungszustand gesetzt hätten, sind erfunden. Und auch in der Umgebung ist es wieder ruhig geworden; die Truppen des Pascha von Tanger sind von ihrem Zuge gegen die Fahsias zurückgekehrt, welche letzteren wiederholt erklärt haben, daß sich ihr Widerstand in keiner Weise gegen die Oberhoheit des Sultans richte. Für Tanger hat es aber immer noch die unangenehme Folge, daß die Wochen märkte ohne Zuzug von außen bleiben und daß es vor allem an Holzkohlen zum Kochen fehlt. Da jetzt viel von einer Besetzung bezw. Aufteilung Marokkos durch europäische Mächte die Rede gewesen ist und davon, was Deutschland dabei zu gewinnen oder zu verlieren hätte, interessiert es vielleicht, zu wissen, in welchem Maße letzteres am marokkanischen Handel beteiligt ist, nament lich in Vergleichung mit England. Ist doch verschiedent lich in deutschen Zeitungen behauptet morden, der deutsche Handel habe den englischen überflügelt. Nach den letzten uns vorliegenden, von der deutschen Gesanvticdatt be;w den deutschen Konsulaten gelieferten statistischen Daten ist davon keine Rede. Der Wert der Einfuhr ist allerdings von 1892 an bis 1898 stetig gestiegen und hat sich in diesem Zeiträume sogar verzehnfacht, in den letzten drei Jahren, bis 1901, war aber nur ein Schwanken, keine entschiedene Steigerung wahrzunehmen. Die Ausfuhr war von 1892 an häufigen Schwankungen unterworfen, blieb aber immer bedeutend hinter der Einfuhr zurück. Im Jahre 1901 nun hatte die Gesamtausfuhr von Marokko nach Deutsch land einen Wert von 3 580 000 Sie besteht vorwiegend aus Mandeln, Olivenöl, Wachs, Fellen, Eiern und Harzen. Die Gesamteinfuhr von Deutschland nach Marokko betrug 1901 1457 000 sie besteht hauptsächlich aus Tuch-waren, Zucker, Ersenwaren, Spiritus und Anilinstoffen. Der neue General-Gouverneur in Nanking. Zu dem Wechsel im Generalgouverneur-Posten zu Nanking wird uns aus Peking unter dem 12. Dezember vorigen Jahres geschrieben: Changchihtung, der nach dem Ableben Liu kun yis mit der Wahrnehmung der Geschäfte deS Generalgouverneurs in Nanking beauf tragt worden war, hatte den Wunsch ausgesprochen, so bald wie möglich wieder auf seinen bisherigen Posten in Wuchang zurückkehren zu können. Der Grund hierfür ist wohl hauptsächlich darin zu suchen, daß die von Chang chihtung in den drei Städten Wuchang, Hankau und Hanyang ins Leben gerufenen industriellen Anlagen trotz der ungeheuren Geldsummen, welche er schon hinein gesteckt hat, immer noch nicht recht in Gang gekommen sind. Wenn Changchihtung endgültig versetzt worden wäre, würde sein Nachfolger wahrscheinlich die sämtlichen Betriebe eingestellt und die Zentral-Regierung Chang chihtung für die aus den Provinzkassen verausgabten Millioncnbeträge haftbar gemacht haben. Neben diesem Umstand ist der Hof vielleicht auch durch Rücksichtnahme darauf, daß die in und um Nanking stehenden Truppen aus Hunan rekrutiert sind, dazu bestimmt worden, einen aus dieser Provinz gebürtigen Gcneralgouverneur in Nanking einzusetzen, um dadurch der Zuverlässigkeit der Soldaten in kritischen Zeitläuften sicherer zu sein. Durch ein am 3. Dezember v. I. erlassenes kaiserliches Edikt ist nun (wie telegraphisch schon gemeldet) der bisherige Generalgouverneur von Mnnan und Kueicho, Wei kuang tao, in gleicher Eigenschaft nach Nanking ver setzt worden. Durch ein am Tage darauf publiziertes Dekret ist der Genannte zum Handels-Superintendenten der südlichen Häfen ernannt worden und hat Befehl er halten, sich, ohne vorher zur persönlichen Meldung beim Kaiser nach Peking zu kommen, direkt auf seinen Posten zu begeben, sobald er die Geschäfte in Nünnan an den mit vorläufiger Stellvertretung beauftragten Gouver neur dieser Provinz übergeben hat. Wai kuang tao kann somit in zwei bis drei Monaten in Nanking eintreffen, und Changchihtung wird dann nach Wuchang zurück kehren. Wei kuang tao hat die gewöhnliche Beamten laufbahn durchgemacht. Er ist bisher hauptsächlich in den weit abliegenden westlichen und südwestlichen Provinzen Chinas verwendet worden und hat daher wenig Ge legenheit gehabt, mit Fremden zu ver- kehren. Wie seinerzeit Li hung chang und Liu kun yi, ist er durch militärische Tätigkeit hoch gekommen. Er ge hörte zu den Unterführern des Rückeroberers von Kaschgar, Tso tsung taug. Nachdem er zum Gouverneur von Turkestan ernannt worden war, wurde Wei kuang tao während des japanischen Krieges an die Spitze eines aus Hunan rekrutierten Truppenkorps gestellt, das aber mit dem Feinde nicht in Berührung kam. Nach dem Friedensschluss wurde Wei kuang tao zum-Gouverneur von Schensi und im Jahre 1900 zum Generalgouverneur von Aünnan und Kueicho ernannt. Während seiner Residenz in Pünnan hat Wei kuang tao sowohl mit den Franzosen in Jndochina, wie mit den Eng ländern in Burma gute Beziehungen unter halten, soll von ihnen aber als ein ziemlich schwacher und unbedeutender Mann be trachtet werden. Er wird demnach kaum ein vollwertiger Ersatz für Liu kun yi werden. Deutsches Reich. Berlin, 30. Januar. (KaufmännischeSchieds- gerichte und Krankenversicherungsgesey.) Es sind Zweifel laut geworden, ob der Reichstag noch in die Lage kommen werde, den Gesetzentwurf über die kauf männischen Arbeitsgerichte und denjenigen wegen der Ab änderung des Krankenversichermigsgcseyes in der lausen den Session zu beraten. Man hat gesagt, die Beratung der beiden Gesetzentwürfe werde im Bundesräte eine so lange Zeit beanspruchen, daß darüber das Ende des lau fenden Arbeitsabschnittes des Reichstages herbeikommen werde. Wie wir vernehmen, gibt man sich im Schoße des Bundesrats der Erwartung hin, daß die Beratung beider Vorlagen im Bundesräte wie im Reichstage noch in oer gegenwärtigen Session zu erledigen sein werde. Der Ge setzentwurf über die kaufmännischen Schiedsgerichte ist allerdings von einzelnen Regierungen ihren Sach- vcrständigenkürperschaften zur gutachtlichen Acußerung übergeben worden. Die Gutachten sind aber zum große» Teil bereits abgegeben. Es kann also auch nicht mehr zu lauge dauern, bis die BundcSbcvollmächtigten in den Be sitz der erforderlichen Instruktionen ihrer Regierungen Feuilleton. Frau Huna. Roman von Karl Taner a. Nachdruck verdoien. Das Leben des Ehepaares Jzuna gestaltete sich nach der Rückkehr nach Tokio ganz anders als vorher. Der Professor trug seine Frau wirklich sozusagen auf den Händen. Sämtliche Zimmer wurden wieder europäisch eingerichtet, die junge Frau durfte anordncn und tun, was sie wollte, bei Ausfahrten wickelte sic Jzuna selbst, ohne Scheu vor den zusehenden Nachbarn in warme Decken, er half ihr in und aus dem Rikscha, kurz, er be handelte sie ganz so, wie er es in Berlin gegenüber euro päischen Damen gelernt hatte. Dies bewirkte aber eine sonkierbare Folge. Bald sprach man in der ganzen Nachbarschaft von diesem fremd artigen und den japanischen Sitten nicht entsprechenden Verhalten des Professors. Die Ncsans Kino, Hat und Kik erzählten Seenen aus dem häuslichen Leben des Ehe paares, zum Beispiel, daß der Professor sogar seine Frau hier und da aus dem Garten ins Zimmer zurücktragc, daß er ihr Ueberkleidcr aus dem Hause hole, wen« sie friere, daß er sie beim Essen sogar bediene. Darüber entstand unter den Damen eine große Aufregung. Sie erklärten ihren Männern, daß Professor Jzuna das Ideal eines Ehemannes sei, daß sie sich an ihm ein Bei spiel nehmen und von ihm lernen sollten. Sie kamen aber schlecht an. Die Männer ihrerseits nannten das Verhalten Jznnas höchst unpassend und den Sitten zn- widerlaufcnd. Einzelne meinten kurzweg, der Professor sei in Europa halb verrückt geworden. Auf diese Art ent standen zwischen den Nachbarn und ihren Frauen Streitigkeiten, die soweit gingen, daß verschiedene Männer beschlossen, beim Rektor der Universität Klage zu führen. Bon all diesem wußte Jzuna nichts. Er hegte und pflegte in Siradoma die Mutter seines zukünftigen Kindes. Von der Rückkehr nach Berlin sprachen die Gatten wenig. Akira hatte seiner Frau nochmals er klärt, er halte das ihr gegebene Versprechen, aber er könne nicht blindlings, ohne Aussicht, eine entsprechende Tätigkeit zu finden, nach Deutschland übersiedeln. Er müsse erst an bi« japanisch, Gesandtschaft in Berlin, an seine dortigen früheren Lehrer und an andere Bekannte schreiben. Auch dürfe er nicht seine Vorträge und Kollegien plötzlich abbrechen. „Also wir reisen. Aber du mußt mir Zeit lassen." Seine Frau war taktvoll genug, ihm zu vertrauen und nicht weiter in ihn zu dringen. Sieben Wochen waren vergangen, seitdem Siradoma von Mijanoschita aus nach Berlin geschrieben hatte. Sie wußte, seit mehr als acht Tagen konnte ihr langer Brief bei den Tanten an gekommen sein. „Nun werden sie alle Hebel in Bewegung setzen, um für Akira und damit für mich zu wirken. Tante Klärchen — ich weiß es ja genau — denkt Tag und Nacht nur daran, was sie noch tun und zn wem sic noch fahren kann, um etwas für uns zu erreichen, und Tante Lisbct schreibt zu gleichem Zweck Brief um Brief. Die guten, lieben Wesen! Aber wie sic sich freuen werden, wenn ihre Julie und ihr Akira wiedcrkvmmcn!" Ihre Ahnung täuschte sie nicht. Eines Abends trat Kik ein und meldete ihrer Herrin, der Telegraphenbote verlange sie zu spreche». Sie ließ ihn hereinkommen, erhielt eine Depesche und mußte dafür den Schein unterschreiben. Die hatte schon gelesen: aus Berlin. Ihre Hand zitterte vor Aufregung so, daß sie kaum ihren Namen unterzeichnen konnte. Endlich hatte der Bote das Zimmer verlassen. Nun öffnete sie die Depesche und las: „Ucbcrglücklich über euren Entschluß. Alles geordnet. Akira wird auf ausdrücklichen Wunsch des japanischen Gesandten Arzt der javanischen Kolonie und leitender Arzt der Humboldt-Klinik. Oranienburger Straße. Kommt, sobald möglich, in die Arme von Elisabet und Klara." Nun sprang sie auf, preßte die Depesche an die Brust und tanzte vor lauter Erregung jubelnd im Zimmer auf und ab. „Diese liebsten, besten Tauten! Wie glücklich haben sie mich gemacht! Eine eigene Mntter könnte ja nicht treuer handeln, als diese meine teueren Pflegemütter! Wie wird sich Akira freuen! Ich glanbe, ich höre ihn kommen." Er kam wirklich, aber, wie es schien, in schlechtester Laune. Schon unter der Haustür rief er die Ncsans und zankte in so scharfer Weise mit ihnen, wie er es noch nie getan. Er warf ihnen vor» sic hätten alle nur mög lichen Lügen über ihn und seine Gattin verbreitet, und ex würbe sie sofort aus dem Hause jagen, wenn sie sich nur noch ein einziges Mal erlaubten, über ihr« Herrschaft zu plaudern. Dann stieg er höchst mißmutig die Treppe empor, trat aufgeregt in das Zimmer, in dem seine Frau, die Depesche versteckt haltend, wartete, und rief nach kurzem Gruße ärgerlich: „Denke dir nur, liebe Tira doma, welche unangenehme Sache ich heute erlebte! Unsere Nachbarn beschwerten sich über mich beim Rektor der Universität. Wahrscheinlich haben unsere Ncsans über uns geplaudert, und außerdem wußten die Leute neben uns nichts Besseres zu tun, als uns immerwährend zu beobachten. Tann haben sie sich über mein Verhalten dir gegenüber geärgert, weil ihre Frauen rebellisch wurden, da sie nicht ebenfalls so gut behandelt würden wie du. Dies alles wäre mir gleichgültig und hätte mir höchstens Spaß gemacht. Daß aber der Rektor auf die dummen Klagen der Leute hörte, mir ernste Vorwürfe machte und mir schließlich erklärte, wenn ich meinen Haushalt nicht der japanischen Sitte anpassc, sei mein Verbleiben an der Universität nicht möglich, das ärgerte mich wütend. Ich hätte ihm am liebsten gleich mit der Bitte um Entlassung geantwortet, wenn nur schon eine Antwort aus Deutschland da wäre! Die kann aber vor sieben bis acht Wochen nicht kommen." Nun hielt sich Siradoma nicht länger. Sic sprang auf ihn zu, umarmte ihn, küßte ihn, drehte ihn jubelnd im Kreise herum, zeigte ihm endlich die Depesche und rief in freudigstem Tone: „Liebes, gutes Männchen, sie ist da. Die Glücks antwort ist da. Die treuen Tanten haben alles besorgt. Du bist frei. Du kannst sofort deine Entlassung einreichen. Lies nur, lies. Es ist eine Antwort ans einen Brief von mir." Er nahm die Depesche und las sie aufmerksam durch. Seine ganze Miene änderte sich, er sah froh und freudig auf und rief dann heiter: „Das ist wirklich eine Glücks nachricht. Sic hätte nicht gelegener cintrefscn können. Nun sind die Würfel gefallen. Heute noch verlange ich meinen Abschied. So bald wie möglich reisen wir." „Oh, wie herrlich, wie himmlisch! So glücklich fühlte ich mich noch nie, und ich hoffe und glaube, daß auch du, mein Akira, nie diesen Entschluß bereuen wirst." „Ich hoffe es auch. Jedenfalls ist er mir jetzt durch das törichte Verhalten des Rektors und meiner Kollegen sehr erleichtert. Uebrtgens haben die guten Tanten mir den Eintritt in Berlin so geebnet, daß ich ihnen gar nicht genug danken kann. Meine Berufung al» Gesandtschafts. arzt wünschte sich unser Gesandter in Berlin selbst. Ak er durch die Damen an meinen Namen erinnert wurde, siel ihm wahrscheinlich ein, daß ich der Arzt war, der vor drei Jahren seinem Kutscher einen Armbruch sehr schnell und gut geheilt hatte. Die Humboldt-Klinik in der Ora nienburger Straße kenne ich auch gut. Sic ist eine der besten Berlins und wird durch eine Offizierswitwe in wirtschaftlicher Beziehung ausgezeichnet geführt. Es freut mich sehr, in derselben leitender Arzt zu werden, umso mehr, als ich den Dienst als Gesandtschaftsarzt bequem nebenher versehen kann. Wir wollen den lieben Tanten doch gleich telegraphieren. Sie haben wahrlich eine sehr große Summe angewendet, um uns schnell zu erfreuen. Ihre Depesche enthielt ein, zwei" — er zählte weiter - „dreißig, einunddreißig, zwei-, drei-, vier-, fünsunddreißig Worte. Das macht, jedes 3 Ven, im ganzen 105 2)cn." „Dies ist freilich sehr viel, über 250 Mark. Nu», sic wußten, welche unbezahlbare Freude sie mir bereiteten. Da war ihnen nichts zu teuer, um uns die Glücksbotichait so schnell wie möglich mitzuteilen." Jzuna schrieb nun die Depesche auf. Er mußte mehr daran denken, zu sparen. Daher lautete sic kurz: „Innigsten Dank. Kommen baldigst. Jzuna, Siradoma." Nun setzte sich der Professor an seinen Schreibtisch und bemerkte: „Jetzt bin ich gerade in der richtigen Stimmung, mein Entlassungsgesuch zu schreiben. Der Rektor wird sich wundern. Aber cS mag ihm und auch seinem eventuellen Nachfolger eine gute Lehre sein, mich nach fünf oder mehreren Jahren, wenn »vir wieder hierher zurückkebren, anders zu behandeln!" Siradoma sagte kein Wort hierzu. Im stillen aber sprach sie zu sich: „Was an mir liegt, kommen wir so bald nicht wieder. Mag er nur recht energisch schreiben!" In diesem Sinne suchte sic ibn noch etwas zu beeinflussen und erreichte auch, daß er das Gesuch so ausführtc, daß eine Verweigerung desselben ganz ausgeschlossen war In den nächsten Tagen gab es eine Menge von An vrdniingcu zu treffen. Der Professor wollte nun auch die Reise so schnell wie möglich antreten, damit sic seiner Frau nicht schade. Er entschloß sich für die Linie über Honolulu, Sari Francisco und New Bork, weil man hier weniger Gc fahren durch das Klima ausgesetzt war, als bei einer Reise durch die Tropen oder auf der nördlichen Linie über Kanada. Am fünften Tage nach der Einreichung des Ent- lassungSgesucheS kam die Genehmigung desselben. Jetzt war Jzuna frei. Er beschloß, sofort nach Nagona zu seinen Eltern zu reisen, diesen alle» zu erklären und von
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