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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-19
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990519017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899051901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899051901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-19
- Monat1899-05
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Gröbere Schriften laut unserem Pr*t<- verzrichniß. Tabellarischer und Ztsfernsatz uach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderung LO.—, mit Postbeförderung 70.—. Ävnahvuschluß fir Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 251. Freitag den 19. Mai 1899. 83. Jahrgang. Die deutsche Volkswirthschaft und die Concurrenz des Weltverkehrs. „Der Export landwirthschaftlicher und landwirthschast- lich-industrieller Artikel aus den Vereinigten Staaten von Nord amerika und die deutsche Landwirthschaft" ist der Titel eines außerordentlich interessanten Werkes, dessen Widmung der Groß herzog von Waden angenommen hat und das soeben im Verlag von Duncker L Humblot in Leipzig erschienen ist. Der Verfasser, dec rumänische Consul für das Großherzogthum Baden, Karl Simon, hat diese Schrift bescheiden eine „Studie" genannt. Sie ist mehr als das, denn sie entrollt unter Beibringung einer Ueberfülle übersichtlich gruppirter Zahlen nicht nur ein Bild der Entwickelung des nordamerika nischen Außenhandels, der amerikanischen Industrie und Land- wirthschaft, sondern entwickelt auch aus diesen 'Zahlen heraus sachgemäß die Aufgaben, die der deutschen Volkswirthschaft in allen ihren Theilen obliegen, wenn das deutsche Reich in der wachsenden Concurrenz des Weltverkehrs seine Volkskräfte unge schwächt erhalten soll. Bei seinen Darlegungen geht der Verfasser von folgenden Er wägungen aus: In der modernen Entwickelung des internatio nalen Waarenaustauschcs liegt insofern ein bedenklicher Umstand, als Niemand Vorauszusehen vermag, wie lange noch die euro päischen Industriestaaten offene überseeische Märkte für den Ab satz ihrer Fabrikate finden, und ob nicht derzeitige Abnehmer über kurz oder lang Concurrenten am Weltmärkte werden. Ein Beispiel für eine solche rasch vor sich gehende Metamorphose findet Simon in der Entwickelung der Vereinigten Staaten, die seither große Käufer industrieller Fabrikate waren und nun mit einer durch große Verkehrseinrichtungen geförderten Landwirth- schaft und Industrie anfangcn, dem europäischen industriellen Export auf dem Weltmarkt gefährlich zu werden. Nun fährt der Verfasser fort: Diese Sachlage ist um so ernster, als die Vereinigten Staaten auf dem Gebiete der Landwirthschaft bereits domi» niren und jährlich ungeheure SUIYM'N aus Europa ziehen. Es handelt sich zudem bei diesem Wettbewerb nicht, wie bei der Concurrenz der anderen Agriculturstaaten, um Getreide allein, sondern die Vereinigten Staaten sind gefährliche Ri valen auf allen Gebieten und exportiren alle Arten land wirthschaftlicher und landwirthschaftlich-industrieller Er zeugnisse. Bei den Amerikanern vollziehen sich Production und Verwerthung aller landwirthschaftlichen Erzeugnisse in so rationell vollendeter Weise, daß unsere Landwirth schaft mit denselben in keiner Weise zu concurriren vermag. Die Vereinigten Staaten können mit vielen musterhaften Einrichtungen auf landwirthschaftlichem, industriellem und kommerziellem Gebiete allen anderen Ländern als Vorbild dienen. Eingehend schildert nun der Verfasser, wie sich der Export an amerikanischem Weizen und Weizenmehl ge hoben hat und wie durch eine entwickelte Mühlen industrie, Dank der Entwickelung seiner Verkehrswege, Amerika den Mehlexport für den Weltmarkt zu Monopolisten beginnt. Mit welchen Zahlen hierbei zu rechnen ist, besagt der Ausweis von vier großen Mühlengesellschaften im Hauptcentrum der amerikanischen Mühlenindustrie, Minneapolis, die im Jahre 1897 allein 13,6 Millionen Faß Mehl producirten. Weiter legt er die Maisproduction und den steigenden Export an Fleisch- waaren dar und führt als Probe dafür an, daß 1897 in Chicago allein 6,7 Millionen Schweine geschlachtet wurden und der Schweinefleischexport nach England von 1896 bis 1898 von 8600 Ctr. auf 276 798 Ctr. stieg. Die folgenden Capitel be handeln die Production an Roggen, Gerste, Hafer, Kleesamen, Malzpräparaten, Oelkuchen, Obst, Gemüse, Butter und Vieh und die steigende Ausfuhr dieser Producte. Der zweite Abschnitt des Werkes legt die Einrichtungen dar, welche zum großen Theil die Ueberlegenheit des amerikanischen Exportes über alle Con currenten begründen. Da ist bemerkenswerth, daß dieses Buch, das von ausgesprochenem Interesse für die Landwirthschaft be herrscht ist, solche Einrichtungen rühmend nennt, die zum Theil bei den Führern der deutschen Agrarbewegung tiefstes Mißtrauen finden. Als solche Einrichtungen nennt er erstens die amerikani schen Börsen, Inspektion und 'Classification aller Getreideartikel und landwirthschaftlich-industriellen Artikel, die Lagerhäuser mit Elevatoren zur Einlagerung von Getreide, die Entwickelung der Eisenbahnen und der Binnenschifffahrt, die den Transport aller Artikel zu billigen Sähen ermöglicht, und schließlich das Agri cultural Departement in Washington, das der amerikanischen Landwirthschaft die erdenklichsten Dienste leistet, indem es selbst den Export neuer Producte in die Hand nimmt und Agenten in das Ausland sendet, um Samen und Saaten anzukaufen, die im Lande neu versucht werden sollen, lieber die amerikanischen Canäle sagt der Verfasser, daß gerade durch ein ausgebildetes Canalsystem ermöglicht werde, Hand in Hand mit den Eisen bahnen die Producte zu niedrigen Sätzen an den Markt zu brin gen. Die Nordamerikaner besitzen ein Canalsystem von ungefähr 4000 Kilometer Länge, und der Erie-Canal, der von Buffalo nach New Aork führt, soll jetzt noch bedeutend vergrößert werden. Der dritte Theil schildert die Verhältnisse der deutschen Zuckerindustrie, sowie die Bemühungen der Amerikaner, durch Be gründung einer eigenen Industrie den bisher vom Auslande be zogenen Bedarf selbst zu decken. Daraufhin kommt der Verfasser zu folgenden Schlüssen: Daß eine blühende Industrie und ein großer Export industrieller Erzeugnisse außerordentlich noth- wendig für Deutschland sind, braucht man nicht erst zu be gründen. Es ist selbstverständlich, daß bei Handelsverträgen das Interesse unserer Industrie in erster Linie Berücksichtigung finden muß. Dieser Schutz von Handel und Industrie werde aber surchführbar sein, ohne unsere Landwirthschaft zu benach- theiligen. Auch die Vereinigten Staaten können bei Würdigung aller einschlägigen Verhältnisse nicht verlangen, daß wir unsere Landwirthschaft ohne den Schutz lassen, dessen sie bedarf, um auf dem beimischen Markte den Wettbewerb aufnehmen zu können. So läuft also das volkswirthschaftliche System Simon's darauf hinaus: Solidarität von Industrie und Landwirthschaft in der Handelspolitik und möglichste Annäherung der verschiedenen Pro- ductionsgebiete im Innern als Voraussetzung einer entschiedenen und verständigen Schutzzollpolitik nach außen. Städtische Industrie und tändtiche Arbeiter. mm. Daß man in Baden den Satz: „Die Industrie muß aufs Land" in die Praxis zu übersetzen bemüht ist, ergeben die mannigfachen Bestrebungen von Gemeinden, Industrien anzu locken, indem man durch Steuererleichterungen, Ueberlassung von Bauplätzen für Fabriken zu billigem Preise oder umsonst oder, wie neuerdings Bräunlingen im Amt Donaueschingen, durch zinsfreie Darlehen auf eine Reihe von Jahren hinaus Industrielle heranzog, neue Fabriken in Landorten zu errichten. Die badische Fabrikinspection hat wiederholt darauf hinge- wicsen, wie bei dieser Verlegung der Industrie aufs Land nicht nur Fabrikant und Arbeiter, sondern namentlich auch der Bauer Vortheile erringt, weil er leicht gute Käufer für mancherlei Pro ducte direct im Orte findet, wenn auch Industrie da vertreten ist. Entsteht nun auch leicht Wohnungsnoth auf dem Lande, da, wo Industrie sich eingebürgert, so ist dieselbe da doch leichter zu bekämpfen, weil man billigen Baugrund haben kann. Nicht jeder Gewerbszweig läßt sich nun ebenso auf dem Lande betreiben, wie in der Stadt. Jede Industrie, die mit Masien- producten, mit schweren Rohmaterialien und schweren fertigen Produkten zu rechnen hat, muß an einem Punkte liegen, der viel fache, leichte und billige Verkehrsmittel darbietet oder doch an der Quelle der Rohprodukte liegt. Namentlich die Verkehrs mittel der großen Städte sind es, die den Industriellen anziehen. Liegt nun eine Stadt, die als Knotenpunkt mehrerer Eisen bahnen schon ein Verkehrscentrum bildet, auch noch an einem großen Fluß, oder etwa gar an mehreren Flüssen, so ist es be greiflich, daß solche Stadt von Industrie und Handel besonders als Domicil gewählt wird. ' Durch Canalbauten, Hafen- und Speicheranlagen wird dann der Flußverkehr erst recht lebhaft gestaltet. 'Kann es bei derEntwickelung unseres wirthschaftlichen Lebens wunder nehmen, wenn sich eine Stadt, wie Mannheim, für deren Hafen- und Eisenbahn-Anlagen der Staat viele Auf wendungen machte, in ungeahnter Weise entwickelte und in eini gen Jahrzehnten von einer kleinen Mittelstadt zu einer Großstadt heranwuchs? Diese rasche Entwickelung hat aber selbstverständlich mancher lei Schattenseiten — wie z. B^ die Wohnungsnoth — im Ge folge gehabt, und es lag der Verwaltung ob, diesen Uebelständen entgegenzutreten. - Die Stadt Mannheim ist in den letzten Jahren in steter Beobachtung bei allen Socialpolitikern. Bald ist es eine hygieinische Frage, dann die Fürsorge für Arbeitslose, einmal Vie Fürsorge für Arbeiterwohnungen, oder eine Schulfrage, die in Mannheim zur Debatte und Erledigung steht und in weiten Kreisen Aufmerksamkeit erregt. Die Stadterweiterung und die Eingemeindung größerer Vororte hat der Verwaltung große und interessante Aufgaben gestellt, und es ist in Folge der Erwer bung eines großartigen Gebietes für Industrie-Anlagen nahe beim Hafen, das schon bald ganz vergeben ist, die Aufgabe noch weiter gewachsen. Es muß rasch für die Zukunft gesorgt werden. Die neuen Fabriken werden noch einer sehr großen Arbeiter zahl bedürfen, die aus der Stadt nicht herbeigrzogen werden kann; cs werden selbst die schon etwas entfernteren Vororte kaum die Arbeiter stellen können, und ein weiterer Zuzug aus etwas entfernten Orten wird sich als Nothwendigkeit ergeben. Woher sollen Wohnungen für diesen Zuzug kommen und wie stellt sich die Beschaffung von Schulen für die so rasch vermehrte Kinderzahl? Eine ganze Reche von Unterfragen gesellt sich dazu und sie sollen beantwortet werden damit, daß man zeitig Vorkehrung trifft, die Arbeiter in Nachbardörfern anzusiedeln, dort ange messen für sie baut und ihnen den Verkehr mit den Arbeits stätten recht leicht und billig gestaltet. Der geniale Oberbürgermeister Beck hat dazu einen Plan entworfen, in dem er beabsichtigt, nach dem Vor bilde Leipzigs und einiger anderer nord- und mittel deutscher Städte, ein Netz von elektrischen Vorortbabnen Herstellen zu lassen, das den auf dem Dorfe wohnenden Arbeiter seine Arbeitsstätte schnell und wohlfeil erreichen läßt und ihn Abends in sein gesundes und billiges Heim zurückführt. Bei den Bodenpreisen auf den Dörfern können leicht für je eine Million Mark über 3M Familien Wohnung bekommen und die Miethe kann so niedrig sein, daß die Fahrkosten mit derselben addirt noch nicht die Höhe städtischer MiethpreisS erreichen. Welche wirthschaftlichen Vortheile aber dabei eine kleine Land wirthschaft, etwas Viehhaltung und Gartenbau bringt, braucht ebensowenig betont zu werden, wie die sittlichen und hygieinischen Vorzüge derartiger Landwohnungen für Arbeiter. Es unterliegt daher wohl kaum einem Zweifel, daß die Stadt Mannheim in Kürze die für das Bahnnetz nachgesuchie landes herrliche Concession bekommen wird und daß dann sofort mit dem Bau der elektrischen Bahnen begonnen werden dürfte. An die Großindustriellen oder an Genossenschaften und ge meinnützige Gesellschaften wird es deshalb sehr schnell heran treten, sich auch in den für Arbeiteransiedelung besonders geeig neten Dörfern die Baugründe zu beschaffen, um bald mit der Herstellung von Arbeiterwohnungen beginnen zu können. Frei lich möchte gleichzeitig Vorsorge getroffen werden dafür, daß die private Boden- und Bauspeculation nicht der social gesunden Bauunternehmung zuvorkommt. Dies wird bei dem heutigen Stand der Enteignungsgesetzgebung seine Schwierigkeiten haben. Was sich hier in und um Mannheim vollzieht, wird hoffent lich auch vorbildlich wirken für andere Städte, die mit der Woh nungsnoth kämpfen. Der vom Land heranzuziehende Arbeiter bleibt gern auf dem Land, wenn ihm gute Wohnung geboten und die Erreichung der Arbeitsstätte sehr leicht gemacht wird. Der erst einmal in die Stadt gezogene Arbeiter geht schwer wieder hinaus, wenn er auch in Keller- oder Dachwohnung oder durch Verengung des Raumes für seine Familie durch das böse Schlafgängerwesen gesundheit lich und sittlich Schaden leidet oder gar verkommt. Man beuge also vor, die Wege sind gewiesen. Deutsches Reich. 0.8. Berlin, 18. Mai. (Fremdländische Arbeiter in Deutschland und die Socialdemvkratie.) Be kanntlich giebt sich die socialdemokratische Generalcommission alle erdenkliche Mühe, die fremdländischen Arbeiter in Deutschland (Italiener, Tschechen und Polen) für die Social demokratie einzufangen; für die polnischen Bergleute in Rhein land und Westfalen erscheint eine eigene Zeitung, für die italienischen Arbeiter ein außerordentlich geschickt abgefaßtes Agitationsblatt; die polnischen Socialisten haben ihre eigene Zeitung, tschechische socialdemokratische Flugblätter sind schon massenhaft vertheilt worden und die Herausgabe eine tschechischen Agitationsblattes ist schon seit längerer Zeit ge plant. Während nun die Agitation unter den Polen und Tschechen bisher ohne nennenswerthen Erfolg geblieben ist, ist cs der Socialdemokratie da und dort gelungen, eine größere Anzahl Italiener in die socialdemokratische Organisation so hineinzuziehen und so mit socialdemokratischen Anschauungen zu erfüllen, daß bei Lohnstreitigkciten und Streiks die Italiener mit den deutschen GewerkschastSgenossen Hand in Hand gingen. Das hat sich erst jetzt wieder bei den Maurern in Bremerhaven gezeigt; die »«geworbenen Italiener nahmen sofort Partei für die Streikenden. Im vorigen Jahre hatten sich sogar in Süddeutschland mehrere eigene italienisch - socialdemokratische Organisationen gebildet, in denen die Genossen Bosi und Fratoldi für den Anschluß ihrer ArbeitScollegen an die Socialdemokratie wirkten. Die Angelegenheit hat eine größere Tragweite, als man hier und da anzunebmen scheint. Ist die Socialdemokratie der fremd ländischen Arbeiter sicher, so werden sich die Streiks zweifellos immer mehr häufen und die socialdemokratischen Agitatoren noch übermüthiger austreten. Berlin, 18. Mai. (Fürsorge für die schul entlassene Jugend und die ländlichen Fort bildungsschulen.) Im Abgeordnetenbause wie im Herren hanse, in den Landwirthschaftskammern und in den land- wirthschastlichen Kreisvertretungen sind in letzter Zeit immer Fruillrtsir. Theatralische Rundschau. Im Königlichen Schauspielhause in Berlin wurde ein drama tisches Märchen von Anton von Perfall: „Die Krone" gegeben mit einem am Schluß nicht ganz un bestrittenen Achtungserfolg. Der Dichter wurde indeß mehrfach hervorgerufen. Anton von Perfall, der Gatte der Mazda Jrschik, ist ein beliebter Erzähler und Romanschriftsteller, der besonders dem großen Leserpublikum eines Weltblattes, wie die Gartenlaube, wohlbekannt ist. Auch den Märchenstoff, der seinem neuen Schauspiel zu Grunde liegt, hat er bereits in einem Roman behandelt und war so vor die Schwierigkeit gestellt, diesen Roman in ein Drama umzuwandeln, wozu vor Allem die Routine eines erprobten Bühnenschriftstellers gehört. Diese Rou tine besitzt Anton von Perfall nicht. Doch angelockt von den Er folgen der neuerdings grassirenden Märchendramatik, unternahm er die Bearbeitung der „Krone" für das Theater; doch es gelang ihm nicht, in der zweiten Hälfte des Stückes die Motivirung durchsichtig und die Handlung spannend zu machen. Es ist ein orientalisches Märchen, wie der „Talisman". Ein Usurpator hat den alten König von Rum ermordet und den Sohn mit dem Tode bedroht. Einem Fischer gelingt es, den Prinzen, der von seiner Herkunft nichts weiß, vor den Anschlägen des Macht habers zu retten und die Krone, deren Rubin hell leuchtet bei der Berührung des echten Königs, zu verbergen. Der flüchtige Prinz, von Leuten aus dem Volke erzogen, kehrt zurück in sein Heimathland; er selbst glaubt noch nicht an seine Sendung, ob schon er als König vielfach begrüßt wird; er stürzt den Tyran nen, macht sich aber zunächst nur zum Statthalter und hat einen Gegenkönig zu besiegen, durch dessen Auftreten die Handlung Historienhaft verzettelt wird. Zuletzt entscheidet die zaubermäch tige Krone und das Land Rüm erfreut sich der Segnungen seiner Regierung. Das Drama hat Manches verschluckt, was im Roman eingehend motivirt ist, und so bleibt das Publicum viel fach im Unklaren über manche Beweggründe und Triebfedern der Handlung, welche überhaupt für ein Märchen zu sehr den Cha rakter einer großen Haupt- und StaatSaction hat. Den jungen Prinzen spielte Herr Christians mit Frische und stolzer Haltung. Für das Fischermädchen Myrrha, das an den Prinzen glaubt, fand Frau von Hochenburger innige Accente. Das Deutsche Theater gab drei Einakter des Wiener Dichters Schnitzler. Die Einacterabendc sind Mode gewor den. Sudermann, Fulda, Hartleben haben für solche Abende mit drei Einactern gesorgt. Die Drillinge Schnitzler's sind sehr ungleich gerathen. Das erste Stück, „Die Gefährti n", ist ein Seelcngemälde, das uns eine bedeutsame innere Wandlung vorführt. Ein Professor steht am Todtenbette seiner Frau — eine Freundin will es verhindern, daß er aus Briefen erfährt, die Gattin sei ihm treulos gewesen. Er weiß es längst; er weiß, daß sie eine Leidenschaft für einen Anderen hegte; er verzieh ihr; er war zu alt für sie, und seine Gefährtin zu sein genügte ihr nicht — sie verlangte Liebe und hatte ein Recht darauf. Nun kommt aber jener Andere und theilt mit, daß er sich mit einem Mädchen verlobt habe, das er schon seit langer Zeit liebt. Nun erst wallt des Professors Zorn auf; jener hat also die Frau nicht geliebt, die sich ihm hingegeben; nun wendet er sich auch gegen diese wie gegen eine Buhlerin. Ist das überzeugend? Wußte denn seine Frau von der gleichzeitigen Liebe ihres Geliebten zu einer Anderen? Und wenn dies nicht der Fall war — wie kann der Gatte da auf einmal Vorwürfe gegen die Frau schleudern, die er vorher freigesprochen? Im -klebrigen, ein dramatisches Capriccio ist kein Drama. Ein groteskes Stück, das einen leb hafteren Beifall fand, ist „Der grüne Kakadu", eine Tragikomödie in des Wortes verwegenster Bedeutung, mit einem Wirrwarr von burlesken Motiven und tragischen Katastrophen, noch dazu mit einem historischen Hintergrund, dem Grollen der französischen Revolution und des Bastillensturms. Der grüne Kakadu ist der Name einer Schenke, wo Schauspieler der vor nehmen Welt allerlei Verbrechen Vorspielen. Ein Schauspieler stellt den Gästen die Scene dar, wie er den hochgestellten Gelieb ten seiner Frau erdolcht, und nun erfährt er, daß seine Frau ihn in Wahrheit mit einem vornehmen Herrn betrügt. Dieser Herr, ein Herzog, tritt ein und der betrogene Gatte sticht ihn nieder. Wenn dies Stück, eine groteske Geschmacksverirrung, so großen Beifall fand, so mag die Komik der Schauspieler-Boheme und das feurige Spiel des Herrn Kainz hauptsächlich dazu beige tragen haben. Das dritte einactige Capriccio „Paracelsus" beruht auf Hypnose und Suggestion. Der berühmte Arzt, von einem rohen Handwerksmann beleidigt, rächt sich, indem er der Frau suggerirt, sie sei dem Gatten untreu gewesen, und sie dann in der Hypnose demselben gehörig die Wahrheit sagen läßt. Das Stück fand den wenigsten Beifall. Von dieser Trilogie der ehe lichen Untreue wird Wohl „Der grüne Kakadu" später als Singleton ausgespielt werden und an anderen Bühnen Stiche machen. Am Münchener Residenztheater ist er bereits mit Er folg in Scene gegangen. Der Einacter des dramatischen Stammlers Maurice Maeterlinck „Die Ungebetenen" hatte in der Bearbeitung von Hartleben in Frankfurt nur ge- theilten Erfolg. >. Der russischen Schauspielgesellschaft ist an der Spree, wo man sich nicht wohl fühlt ohne einen internationalen Kunstgenuß, eine französische gefolgt unter Mitwirkung von Rosa Bru ck. Sie gab ihre Aufführungen im Neuen Opernhause, und zwar vor ausverkauften Häusern. Das Repertoire fand indeß wenig Anklang. Lemartre's Schauspiel „Le pardon" ist eine traurige Ehebruchskomödie, nüchtern und langweilig. Zuerst verzeiht der Gatte der Gattin, und dann geräth der Gatte auf Abwege und sie verzeiht ihm am Schlüsse. Wenn das Stück Le- maltre's, welcher bekanntlich ein eifriger Gegner Zola's ist, bei der Eröffnungsvorstellung wenig Glück machte, so erging es Zola selbst bei der Schlußvorstellung nicht besser; denn seine „Teresa Raquin", ein werthloses crasses Stück, das in Uebersetzungen von den literarischen Gesellschaften gegeben wurde, konnte auch im französischen Original keinen besseren Eindruck machen. Adele Sandrock gastirt im Lessing-Theater; hatte doch ihr letztes Gastspiel in Berlin großen Erfolg, und die Kritik spendete ihr eine zum Theil begeisterte Anerkennung. Auch jetzt verliert sie nicht die Gunst des Publicums und der Kritik; ihre „Magda", ihre Christine in Schnitzler's „Liebelei" erhalten sehr warmes Lob; dagegen war die Kritik darin einstimmig, ihre „Cyprienne" als verfehlt zu bezeichnen und die Wahl dieser Rolle zu tadeln, für welche ihre schweren tragischen Accente nicht passen. Der Berliner Hofschauspieler Arthur Vollmer feierte am 11. Mai fein fünfundzwanzigjähriges Künstlerjubiläum als Angehöriger des Hoftheaters; er spielte in der Posse „Der ver wunschene Prinz" die Titelrolle, in der er früher zuerst ausge treten war. Ein Liebling des Berliner Publicums und von der Kritik stets mit Wärme anerkannt, hatte er bei seinem Jubi läum sich zahlreicher Beweise der Theilnahme zu erfreuen. Voll mer ist 1849 in Königsberg geboren, wo sein Vater damals ein beliebter Conversationsschauspieler war. Seine Mutter war die gefeierte Sängerin Maria von Marca. Der Vater ging von Königsberg nach Frankfurt a. M., wo er fast dreißig Jahre lang die Oberleitung des Schauspiels in der Hand hatte. Der junge Vollmer besuchte Anfangs das Conservatorium, spielte dann an einigen Bühnen und kam 1874 an das Berliner Hof- thealer; er ist hervorragend besonders in komischen Charakter rollen. Ein anderes Mitglied der Berliner Hofbühne, Fran- ziskaEllmenreich, wird dieselbe nach einem kurz dauern den Engagement wieder verlassen. Sie fand zu wenig Gelegen heit, ihre Künstlerschaft zu bewähren; sie gedenkt zunächst zu gastiren und hat sich dann dem neuen Hamburger Theater ver pflichtet, das unter Leitung des tüchtigen Wiener Dramaturgen von Berger, des Gemahls der Stella Hohenfels, sein Glück ver suchen soll. Von der Spree nach dem Rhein wandern in diesem Sommer zwei Berliner Schauspielensembles mit ihren Zugstücken, die frei lich dem Berliner Geschmack kein besonders günstiges Zeugniß ausstellen. Herr Lautenburg mit dem Residenztheaterensemble wird dem „Schlafwagcncontroleur" in Köln am Reichshallen theater eine Stätte bereiten und dort wird auch das Ensemble des Berliner Theaters einkehren, und zwar mit „Zaza", so daß auch die Kölner Frau Prasch-Grevenberg in dieser mehr als hundert Mal in Berlin gespielten Rolle bewundern können. Das Wiener Hoftheater hat eine neue Organisation erholten. Der Kanzleidirector Hofrath Eduard Wlassak ist zum Director ernannt, ähnlich wie Pierson in Berlin. Die Direk toren der Hofoper und des Schauspiels, Mahler und vr. Schlenther, büßen dadurch offenbar ihre bisherige Machtvollkom menheit ein, wenn sic auch die artistische Leitung behalten. Diese läßt sich von der finanziellen schwer trennen und ein über ihnen stehender Verwaltungsbeamter hat doch in vielen, auch die Kunst betreffenden Fragen die entscheidende Stimme. Herr Ludwig Stahl vom Berliner Theater, der ja längere Zeit als Bonvivant auch in Leipzig thätig war, hat ein Engagement am Dresdner Hoftheater gefunden. Ehe Josef Kainz sein Engagement am Wiener Burg theater antritt, wird er während der Ferienzeit dieses Theaters mit einigen ersten Mitgliedern seines bisherigen Berliner En sembles am Raimund^Theater in Wien auftreten und dort in Stücken spielen, welche dem Repertoire der Hofbühne nicht ange hören. Er will mit dem Publicum der Donaustadt Fühlung ge winnen, indem er zunächst in seinem bisherigen Rahmen auf tritt, eh« er in die Schlenther'sche Truppe einrangirt wird. Rudolf von Gottschalk.
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