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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.01.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-22
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030122010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903012201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903012201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-22
- Monat1903-01
- Jahr1903
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Der Autor, ein Deutsch-Amerikaner, kommt bei seiner Untersuchung zu dem Endergebnis, daß die Zu kunft Afrikas den Negern gchöre, daß aber auch in Amerika das Zeitalter -er schwarzen Rasse und des Halb blutes kommen werde. Der junge Riese, der vorläufig Noch von Artern und Semiten in Knechtschaft gehalten und an freier Entfaltung seiner Fähigkeiten und Kräfte verhindert sei, werde einst die fremden englischen, fran zösischen und deutschen Eroberer als zweiter, schwarzer Armintus einen Teutoburger Wald in afrikanischer Landschaft finden lassen. Eine solche Aussicht ist wahrhaftig nicht erfreulich und man kann sie auch getrost für Phantasterei halten. Die amerikanische Schrift ist aber höchst interessant, weil sie unsere Blicke auf die ungeheure Wichtigkeit lenkt, die für die transatlantische Riesenrepublik die Negerfrage hat. Man verschließt sich in einsichtigen Kreisen nicht der Wahrheit, daß die „schwarze Frage" das Gespenst im sonst so komfortablen und höchst modernen Nankeehausc ist. Man fühlt das Herannahen der Gefahr, ist aber vor läufig völlig ratlos, wie man dem drohenden Sturme be gegnen soll. Wie schwierig und peinlich die Lösung dieser Ausgabe ist, ersieht man auch daraus, daß die Theorien iüber ihre beste Erledigung in Amerika fortwährend ge schwankt haben. Die himmelschreienden Grausamkeiten auf den Negerplantagen des Westens und des Südens empörten das weiche Aankeeherz, das immer sehr senti mental empfindet, wenn sein Besitzer sich in Dinge mischt, die ihn gar nichts angehen, wie die rumänische Juden frage: das von Menschenliebe überfließt, wenn es gilt, die Cubaner und Filipinos zur höheren Ehre des Sternenbanners zu „befreien" — sei es mit, sei es ohne Wortbruch — und das keinen leiden sehen kann, cs sei denn zur besseren Füllung der Geldschränke in Wall street. So waren auch bei dem großen Bürgerkriege, den die Nordstaaten gegen die Südstaaten führten, auf der Seite der Neuengländer Geschäftsinteressen mit wirklich menschenfreundlichen Zielen sonderbar gemischt. Man vernahm im Norden und im Osten mit Behagen die Pro klamation Lincolns vom 22. September 1862, die plötzlich die schwarzen Hunde — denn besser als solche wurden die Neger nicht behandelt — zu Bürgern der Republik machte. Seit dem 1. Januar 1863 ist eoloureck gentieman in -en Bereinigten Staaten dem „lilienweißen" Manne gleichgestellt. So will es wenigstens das Gesetz. Das Volk will es aber anders und denkt nicht daran, dem Nigger auch nur im entferntesten Gleichberechtigung etnzuräumen. Am allerwenigsten im Süden, wo man die schwere wirtschaft liche Katastrophe, die durch die Negcremanzipation über die Farmer hercinbrach, noch immer nicht vergessen kann. In den Düdstaaten ist auch heute noch dem Weißen jede Gewalttat gegen den Nigger erlaubt, und kein Gerichtshof wird sich finden, der den Weißen, der sich am schwarzen Manne vergangen, der Strafe ausliefert. Auch heute noch meidet man am Mississippi den Schwarzen wie einen Pestkranken. Weder im Restaurant, noch auf der Eisen bahn, noch im Theater darf er dieselben Plätze besuchen wie sein weißer Mitbürger. Wenn dann einmal ein colouroci gentislnkw sich in bitterer Gereiztheit vergißt und an seinen Peinigern Vergeltung übt, verfällt er dem Richter Lynch, und des Volkes Stimme, die sicher nicht immer Gottes Stimme ist, läßt den Unglücklichen oft in bestialischer Weise zu Tode martern. Ein Staatsmann, der diesen empörenden Zuständen ein Ende machen würde, könnte sich den Dank seines Vaterlandes, einer unglücklichen Nasse und aller Menschenfreunde verdienen. Freilich ist die Antwort auf die Frage, wie eine solche Ausgabe zu lösen sei, sehr schwer zu finden, wenn sie zur Zeit überhaupt möglich ist. Der Haß gegen den Neger und noch mehr fast gegen das Mischblut liegt dem Weißen in Amerika so im Blute und reißt ihn mit solcher Leidenschaft hin, daß man in den nächsten Generationen noch auf keine Wandlmrg rechnen kann. Es ergibt sich aus dieser Sachlage, daß auch jede wohlmeinende, vernünftige Neuerung auf den heftigsten Widerstand im Volke stoßen wird. Herr Roosevelt, der derzeitige Präsident der Vereinigten Staaten, soll ja ein sehr scharf blickender und praktischer Mann sein. In seiner Behandlung der Ncgerfrage hat er dies aber jedenfalls nicht bewiesen. Er mag für eine humanere Behandlung der Schwarzen eintreten, die Berufung von Farbigen in höhere Staatsämter aber wird — und zwar mit Recht — niemals den Beifall des Volkes finden können. Bisher beschränkte sich Herr Roosevelt mit seinen Negerbeglückungen auf den Süden, vor ein paar Tagen hat er aber auch in Boston einen Halbblutmann zum Distriktsstaatsanwalt ernarrnt. Mit einem Schlage ist nun auch der Nordosten in die neger feindliche Bewegung hincingezogen. Denn der Aankee gönnte zwar den Südstaaten Negerrichter und Staatsanwälte, wird aber ungemütlich, wenn er selber in einem farbigen Manne den Träger der Staatsgewalt sehen soll. Nassenfragen dürfen nicht mit zu großer Senttmen- taltät angefaßt werden. In dem Kampfe ums Dasein, den die Völker ebenso wie die Individuen führen, siegt und herrscht oder unterliegt man und geht schließ lich unter. Man mag mit den Polen rein menschliche Sympathie haben: sie sind aber unsere geschworenen Feinde, müssen also auf Leben und Tod bekämpft werden, denn wenn wir sie schonen wollen, sie werden u n s ganz gewiß nicht schonen und auf alle Weise uns niedcrzuringen suchen. Der Amerikaner mag mit dem schwarzen Einzelmenschen Mitleid haben, cs ist aber trotzdem ein zwar grausames, aber ganz naturgemäßes und berechtigtes Gefühl, was ihn zur Unter drückung der schwarzen Rasse bewegt. Denn wie Neger und Mischblut ganze Völker ruinieren, sobald sie zur Herrschaft kommen, das zeigt das Schicksal der mittel amerikanischen und südamerikanischen Republiken mit er schreckender Klarheit. Fast überall hat sich das ver wilderte Halbblut an die Spitze der Staatsgeschäftc ge drängt, auf den Inseln herrscht es allenthalben und unser liebenswürdiger Gegner, Herr Castro, ist auch Halbblut. Tic Gefahr, daß im Süden und Westen der Vereinigten Staaten möglicherweise auch einmal ähnliche Zustände kommen können, laßt den Weißen auf der Hut sein und den Schwarzen und den Halbblüter mit allen Mitteln unterdrücken, ehe cs zu spät ist. Und in der Tat ist die Gefahr weit drohender, als man in Europa ge- mcinhiu annimmt. Die Schwarzen bilden heute schon einen gewaltigen Bruchteil der Bevölkerung in mehreren Staaten des Südens und Westens. Louisiana mit etwa 1400 000 Einwohnern zählt zwischen 630- und 700 000 Farbige, Südkarolina sogar 800 000 Neger neben nur 660 000 Weißen, Mississippi 650 000 Weiße und 900 000 Neger, Georgia 1180000 Weiße und 1050000 Negev. Alarmnachrichten aus dem Süden lassen fast einen nahenden neuen Bürgerkrieg vermuten, da sowohl die Weißen als auch die Schwarzen sich auf alle Fälle mit Waffen versehen. Das ist natürlich übertrieben. Es sollte aber der Regierung doch zu denkon geben, daß, durch ihre verkehrten Maßnahmen veranlaßt, die neger feindliche Bewegung sich mm auch im Norden und Osten ausbröitet. Selbst Herr Roosevelt sollte trotz seines Eigensinns bedenken, daß man um einer flüchtigen Laune willen — und mehr ist doch seine plötzlich und ganz un motiviert entdeckte Liebe zum schwarzen Manne kaum — nicht die Instinkte einer Volksmasse von 80 Millionen gegen sich herausfordert. Ein solcher Geniestreich würde den Negern nichts nützen und könnte bei den nächsten Wahlen dem Herrn Präsidenten und den Republikanern peinliche Ucbcrraschuugen bereiten. P. ^V. Deutsches Reich. -g- Leipzig, 21. Januar. Der bri der Verschiebung deS Termins für den Zusammentritt der Kommission für die Reform veö Strafprozesses vorläufig in Aussicht ge nommene 10. Februar ist jetzt, wie wir vernehmen, end gültig als erster Beratungstag bestimmt worden. -i- Berlin, 21. Januar. (Kai ser und Kan zier.) In seiner Antwort auf dieBeschwerden deSAbg.S chaedlerüber dasSwine- münder Kaisertelegramm hat der Reichskanzler am Montag unterschieden zwischen Anordnungen und Verfügungen des Kaisers, die in unmittelbarer Ausübung der dem Kaiser zustebenden Negierungsrechte vor sich gehen, und zwischen persönlichen Kundgebungen deS Herrschers; für erstere sei die Gegenzeichnung deSReichSkanzlerS erforderlich, für letztere nicht. Staatsrechtlich kann man gegen diese Unterscheidung kaum etwas einwenden. In politischer Beziehung aber verdient es Anerkennung, daß der Reichskanzler jene Unter scheidung nicht machte, um sich persönlich zu entlasten; denn Gras Bülow hat die moralische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers auch für persönliche Kundgebungen des Kaisers auf das unumwundenste zugestanden. Graf Bülow zog in dieser Richtung als Minister die äußerste Konsequenz, indem er für einen gewissenhaften Reichs kanzler die Pflicht konstatierte, aus dem Amte zu scheiden, wenn er Dinge nicht verhindern könne, die nach seiner Ueberzeugung das Wohl des Reiches wirklich und dauernd schädigen. Damit hat der Reichskanzler den Punkt berührt, auf den eS bei persönlichen Kundgebungen deS Kaisers sür die praktische Politik ankommt, nämlich die Art solcher persönlichen Kundgebungen. Bedenken gegen persön liche Kundgebungen des Monarchen werden rrfabrungSmäßig ganz überwiegend von monarchischer Seite erhoben — die Zu rufe von der äußersten Linken, die in der Montagssitznng deS Reichstags laut wurden, als Graf Bülow für den Kaiser daS preußische Verfassungsrecht der persönlichen Meinungs äußerung in Anspruch nahm, bewiesen von neuem, daß den Feinten der Monarchie persönliche Kundgebungen deS Kaisers durchaus erwünscht sind. Die Feinde der Monarchie speku lieren eben darauf, daß die persönlichen Kundgebungen deS regierenden Kaisers zuweilen genug Anlaß zur Kritik geben, um sich von ihnen daS Gegenteil einer Stärkung der monarchischen Autorität und des monarchischen Bewußtseins versprechen zu können. Eine derartige Spekulation rechnet mit der Tat sache, daß der regierende Herrscher nicht die bedächtig vorsichtige Natur Kaiser Wilhelms I., sondern ein impulsiv feuriges Temperament besitzt. Unter den Einwirkungen dieses Temperaments sind wiederholt persönliche Kundgebungen deS Kaisers erfolgt, die gerade von monarchischer Seite schon wegen der durch sie hervorgerufenen Mißverständnisse bedauert werten mußieu. DaS Swinemünder Kaisertelegramm ist weit davon eniscrnt, eine wirkliche und dauernde Schädigung des Reichwohles herbeigeführt zu haben. Aber eS hat dem bayerischen Zentrum einen willtommencnVorwand geliefert, sich alöHüter der Reichsverfafsuug gegenüber einem in Wirklichkeit nicht vor- bandenen Imperialismus und Absolutismus zu Heberden. Je häufiger persönliche Kundgebungen deS Kaiser« abulichrn Mißdeutungen unterworfen gewesen sind, umsomehr wird der unbedingte Anhänger der Monarchie, der weder dem deuilchcn Kaiser noch dem Könige von Preußen eia Iota seiner Rechte nehmen will, wünichen dürfen, daß die moralische Beraot- wortlichkeit des Reichskanzlers so selten wie möglich zum Gegenstände der öffentlichen Erörterung gemacht zu werden brauche. 8KL Berlin, 21. Januar. (Ort derHandelSvertragS» Verhandlungen.) Die .Korrespondenz deS HanvelSver- lragsvereinS" schreibt, die italienische Regierung bestätige jetzt die Nachricht, daß die HandelSvcrtragsverbaodlungeu zwischen Deutschland und Italien iu Rom statlfindeu werd», wir es der Minister Prinetti gewünscht habe. Auch gegenüber dieser so bestimmt auftretenden Meldung muß darauf hingewiesen werden, daß au Stellen, wo man eS wissen könnte, nichts davon bekannt ist. Ueber die Wahl von Rom als VerhanblungSort sür den neuen Handelsvertrag ist bisher weder eine deutsch-italienische Verabredung getroffen, noch ein dahingehender Antrag JialienS gestellt worden. Im übrigen richtet sich die Bestimmung des VerhandlungSorteS nach Gesichtspunkten der sachlichen Zweckmäßigkeit, oha« daß dabei von irgend einer Seite politische Prestigerücksickteu i» des Vordergrund geschoben werden. Beim letzten Mal wurden die deutsch-italienischen Verhandlungen in München, die deutsch schweizerischen in Wien, die deuisch-russischen überwiegend in Berlin geführt. Wo die Unterhandlungen mit den verschie denen Ländern diesmal statlsinden werden, kann vorläufig niemand wissen, da die doch vergleichsweise untergeordnete Frage des OrteS, an dem die Unterhändler zusammevtreten sollen, zwischen den Regierungen überhaupt noch nicht erörtert worden ist und auch fiir die Folgezeit nicht zu den Punkten gehören wird, um die sich der vorbereitende handelspolitische Gedankenaustausch der Mächte in erster Linie dreht. -i- Berlin, 21. Januar. (Törichte Anmaßung der freisinnigen Volkspartei.) Die „Freisinnige Zeitung" macht zu der konservativen Kandidatur im Wahlkreise Frankfurt a/O. eine Bemerkung, die von großer genereller Bedeutung ist. Sie sagt: „Den Wahlkreis Frankfurt a/O. scheinen die Konservativen den Sozialdemokraten iu die Hände spielen zu wollen; denn ander« ist e« nicht zu erklären, daß sie dort den Baumeister Felisch-Berlin als Reichstagskandidaten ausgestellt haben." Nur beiläufig sei bemerkt, daß Herr Fetisch nicht einseitig von den Konservativen ausgestellt ist, sondern daß d,e Mittelparteien dieser Kandidatur zugeftimmt haben. Aber selbst wenn die« nicht der Fall gewesen wäre, so muß doch wohl für eine Einigung gegenüber der Sozialdemokratie, sei eS von vorn herein oder für die Stichwahl, der Grundsatz festgekalte» werden, daß die stärkste bürgerliche Partei in einem Wahl kreise vor allen Dingen daS Recht hat, einen Kandidaten zu bezeichnen. Die konservative Partei bat aber seil 18 Jahren im Wahlkreise Frankfurt a. O. von allen bürgerlichen Parteien am meisten Stimmen erhalten. Sagt der Freisinnigen Volks partei die Kandidatur Felsich nickt zu, so bat sie gewiß daS gute Recht, einen eigene» Kandidaten auszustellen, aber sie hat als bürgerliche Partei die Pflicht, in der Stichwahl dafür zu sorgen, daß der sozialdemokratische Bewerber nicht gewählt wird, auch wenn ihr Herr Felilch nicht genehm ist. Kümmert sich denn die Freisinnige Volkspartei in den Wahl kreisen, in denen sie in der Stichwahl mit der Sozialdemokratie auf die Unterstützung der anderen bürgerlicken Parteien au- gewie'en ist, darum, ob ihr Kandidat diesen Parteien genehm ist? Und die „Freisinnige Zeitung" weiß sehr gut, daß die« «ine ganze Reihe von Wahlkreisen ist. Frankfurt a/O. liegt nur zehn Meilen von Berlin entfernt, und in Berlin V ist bei der letzten allgemeinen Wahl der Herrn Richter besonders nahe siebende Stadtfchulinspektor vr. Zwick nur mit Hülfe der konservativen Parteien gewählt worden, die in der Siich- wabl Mann für Mann sür ihn eintraten. Auch in Görlitz stand bei den letzten allgemeinen Wahlen die Sozialdemo kratie an der Spitze der Parteien, und der freisinnige Be werber LüderS hatte es der Unterstützung der rechtsstehenden Parteien zu danken, daß er in der Stichwahl den Wahlkreis behaupten konnte. Im Westen des Reichs fehlt e« ebenfalls nicht an Wahlkreisen, in denen die Freisinnige Volkspartei auf die Hülfe anderer bürgerlicher Parteien angewiesen ist. Frnilletsn. Etwas vom Erfrieren. Von vr. Rudolf Lange. Nachdruck verbalen. Lange bevor die Quecksilbersäule des Thermometers an ausnochmsweisen kalten Wtntertag-n zu jenen tiefgclegc- nen Teilstrichen hcrabsinkt, bei denen wir von sibirisäjcn Kältegraden zu reden pflegen, beginnt für diejenigen, die mit Frostschäden an Händen und Füßen, Nase und Ohren behaftet sind, eine Leidcnszeit. Acltere Personen, die zur kalten Jahreszeit mit einem mehr oder minder rot an gelaufenen Gesichtscrkcr herumlaufen, werden von ihren vom Gefühl der allgemeinen Nächstenliebe beseelten Be kannten sür gewöhnlich heimlich beschuldigt, daß die fatale Rötung kein Produkt der Kälte, sondern im Gegenteil wärmender und stärkender Getränke sei. Meistens ge schieht ihnen damit bitteres Unrecht. Das zarte, vom Eislaufplah kommende Fräulein, dessen rosig ange laufenes Näschen selbst durch den dichtesten weißen Schleier bedenklich hindurchleuchtct, wird gewiß niemand so roh sein, des heimlichen AlkvholiSmus zu verdächtigen, und es entbshrt darum auch fast immer jeder Berechti gung, bei älteren Leuten, deren Gesichtsröte namentlich im Winter stärker bemerkbar ist, eine Neigung zu geistigen Getränken als Ursache der unliebsamen Erscheinung an- -unehmen. Aber Scherz beiseite! Es gibt viel mehr Menschen als gemeinhm geglaubt wird, die irgend einmal einen Frost schaden davongetragcn haben und sich mit seinen Folgen jahrzehntelang, ost bis an ihr Lebensende, abquälcn und ärgern. Manchmal wissen sic es selbst nicht, daß und wann sie ein Glied erfroren haben; denn der erlittene Frost schaden braucht bei seiner Entstehung keineswegs mit so stürmischen und schmerzhaften Erscheinungen verbunden gewesen zu sein, daß ihre Aufmerksamkeit darauf hinge- lenkt wurde und kann obendrein zu einer Zeit entstanden sein, wo daS Thermometer zwar ziemlich nahe an den Nullpunkt gesunken war, aber noch keineswegs erhebliche Kältegrade anzeigtc. Das Verständnis, wie Frostschäden entstehen und be seitigt oder doch wenigstens auf ein Mindestmaß von Schädlichkeit beschränkt werden können, setzt einige Kenntnis von der Wirkung der Kälte auf das lebende Ei weiß der Organismen voraus. Dieser Einfluß ist be kanntlich sehr verschieden nach der Höhe, die das tierische oder pflanzliche Individuum auf der Stufenleiter der lebenden Wesen cinnimmt. Während Bakterien durch Kälte fast nicht nmzubringcn sind und die Eier und meta- morphosischcn Zwischcnsormen der Insekten langan- dauernde polare Temperaturen ohne Schaden überstehen, werden die höher organisierten Tier- und Pflanzen formen immer empfindlcher gegen Kälte. Bäume, Sträucher und perennierende Pflanzen helfen sich da- durch, daß sie während der rauheren Jahreszeit die der Atmung und Nahrungsassimilation dienenden Organe, nämlich das Blätterwert, abwcrfen, während der wasser arm werdende Stamm und die Zweige in eine Kälte starre verfallen. In letzterer übersteht auch eine große Anzahl höherer Tiere, die die Fähigkeit des Winter schlafes besitzen, die kalte Zeit. So hohen Kältegraden wie die Pflanzenwelt sind sie aber nicht gewachsen. Sie müssen sich in frostsichere Höhlen und andere Verstecke zu- rückzieheu, wo ihre Körpertemperatur auf 2—12 Grad Eelsius, aber keinesfalls unter den Nullpunkt sinkt. Die höchsten tierischen Organisationen endlich und mit ihnen auch der Mensch müssen sich durch den ihnen von dec Natur verliehenen Pelz, durch schnelle Bewegung und reichliche Nahrung, die große Wärmemengen im Körper erzeugt, gegen die Wirkung der Kälte zu schützen suchen, wenn sie den Schädigungen entgehen wollen, die teils örtlicher Natur sind, teils aber den Gesamtorganismus betreffen. Die Widerstandsfähigkeit des Menschen gegen Kälte ist ebenfalls bei den verschiedenen Individuen keineswegs gleich. Beim Beginne eines jeden Winters, wenn nach dem ersten reichlichen Schneefall die Außentemperatur auch nur auf wenigcGrade unterNull gesunken ist, melden die Zeitungen, daß da oder dort ein Mensch — trotz leid licher Bekleidung — beim Nächtigen im Freien erfroren ist. Anderseits haben Nordpolfahrer, wie Kane und Nansen, monatelang iallcrdingö unter Benutzung von Schlassäcken) aus dem Eise kampiert, ohne größere Nach teile zu erleiden, als sie überhaupt das Ertragen erheb- lieber Strapazen mit sich bringt. Daß der eine in einer einzigen Winternacht zu Grunde geht, während der andre seine völlige geistige und körperliche Leistungsfähigkeit be wahrt, hat seine guten Gründe. Der letztere ist nämlich ein gut genährtes, in jeder Beziehung regsames, lebens kräftiges Individuum, während die Leute, die in' der ersten Wintcrnacht an der Landstraße oder in einem Ltrohhanfen erfrieren, hcrabgckoinmcnc, schlechtgenährtc, ermüdete und durch AlkoholismuS oder vorgerückte Lebensjahre erschlaffte und moralisch deprimierte Per sonen sind. Außer den Trinkern, denen neben der durch die Kälte hervorgerufenen Müdigkeit auch di« durch den Alkoholgenuß erzeugte Hcrabstimmung der Nerven- und Herztätigkeit verhängnisvoll wird, sind Kinder in: zartesten Lebensalter natürlich ebenfalls durch die Kälte sehr gefährdet. Bei solchen Individuen kann der Er- srierungstod schon bei Temperaturen von 1 bis 3 Grab Wärme cintrctcn, während kräftigere Personen mit einer intensiven Erkältung oder einer in ihren Folgen aller dings unabsehbaren Lungenentzündung fortkonnncn. Bei höheren Kältegraden hängt die Gefahr zu er frieren sehr wesentlich von der Beschaffenheit der Atmo sphäre ab. Trockene nnd unbewegte Lust entzieht dem Körper am wenigsten Wärme und darin liegt die Er klärung dafür, daß die Bewohner der Nordkiistcn Sibi riens und Alaskas, wo im Winter Kältegrade von 50 und mehr Graden Celsius kwrrscheu, bei dem meistens schönen windstillen Wetter in diesen Gegenden den rauhen, polaren Winter mit Leichtigkeit überstehen. Eine viel bedeutendere Durchkältnng erfährt der Körper bereits in trockener, aber bewegter Luft. Vereinen sich jedoch starker Wind und hohe Feuchtigkeit der Atmosphäre, so können schon verhältnismäßig niedere Kältegrade lebensgefährlich wirken, und bei blutarmen Personen ist unter diesen Um ständen die Entstehung von Frostbeulen schon bei Tem- peraturen von v bis 6 Grad Wärme beobachtet worden.
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