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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-16
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980916022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898091602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898091602
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-16
- Monat1898-09
- Jahr1898
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Nach dem Verlauf, den dieselben bisher genommen haben, ist zu erwarten, daß der Entwurf zum Etat dem Bundes- rathe zur gewohnten Zeit wird vorgelegt weichen können. Wie die „Verl. Pol. Nachr." mittheilen, dürften besondere, er hebliche M e h r f o r d e r u n g e n in dem Etat nicht enthalten sein. Die durch die Mittheilung des „Hann. Cour." wachgerufene Befürchtung,daß eine agrarisch-conservative Opposition der Annahme der Canalvorlage möglicher Weise gefährlich werden könnte, wird nach der „Nat.-Lib. Corresp." an sehr beachtenSwerther Stelle getheilt. Es werde nämlich besorgt, daß man die Einbringung der Canalvorlage auSnutzen wolle, um Garantien für eine bestimmte Höhe der Ge- treidezölle zu verlangen, und daß auf diese Weise die Canalvorlage zu Schaden kommen könne. Es ist an dieser Stelle wiederholt hervorgehoben worden, daß die bevorstehenden prcntzischcn LandtagSwahlcn wegen ihrer möglichen Einwirkungen auf die parteipolitischen Ver hältnisse im Reiche und wegen der Bedeutung, die der Gesetzgebung in dem führenden Bundesstaate zu kommt, große Beachtung auch außerhalb Preußens ver dienen. Mit dieser unserer Ueberzeugung ist es aber sehr wohl vereinbar, wenn wir den gestern ver öffentlichten Wahlaufruf der sogenannten frei sinnigen Volks Partei nicht zum Abdruck bringen. Er ist sogar für Preußen das Papier nicht Werth, auf das er gedruckt ist. Wie Herr Richter, ohne Zweifel der Verfasser des wie aus einer Gerberei hervorgegangenen Schriftstückes, angekündigt, werden die principiellen Programmfordernngen der Partei mit Stillschweigen übergangen. Der Aufruf ist rein negativ und kritisch, er verzweifelt an den Aussichten der freisinnigen Politik und beschränkt sich darauf, die Ver hinderung der Bildung einer conservativen Mehrheit für das Abgeordnetenhaus als das allein erreichbare und allein er- strebenswerthe Ziel zu bezeichnen. Von einem politischen Ge danken, von einem positiven Vorschlag — von einigen auf Beamten- und Arbeiterstimmenfang berechneten Forderungen abgesehen — keine Spur. Bon der alten Fortschrittspartei ist nichts übrig geblieben, nicht einmal das PathoS; grämliche Krittelei über so ziemlich Alles — ohne den Muth und das Selbstvertrauen, das für schlecht Gehaltene zu bessern — das ist daS Kennzeickmende dieses „Weckrufs" der einst das Abgeordnetenhaus beherrschenden Partei. Bermerkenswerth ist höchstens, daß für Wahlkreise, wo die Volkspartei nicht allein zu siegen vermag, Wahlbündnisse empfohlen werden „mit solchen Parteien, die Gewähr leisten, wenigstens in der Abwehr gegen die Conservativen mit uns zusammenzu stehen". Zu diesen Parteien gehört in der Schulpolitik das Centrum nicht, und dennoch ist von der Gefahr eines klerikal-conservativen Schulgesetzes nicht die Rede — von wegen der Wahlunterstützung, die die Ultramontanen da und dort leisten könnnen. Wenn das liberale Bürgerthum Preußens auf die Partei, die sich in diesem leeren und feigen Wahlaufruf widerspiegelt, angewiesen wäre, dann thäte es am besten, auf jede politische Geltendmachung zu verzichten. Wenn angesehene schweizerische Blätter, die wir gleich nennen werden, in Bezug auf die internationale Bekämpfung peS Anarchismus die Ansichten widerspiegeln, welche für die eidgenössische Regierung und für die öffentliche Meinung in der Schweiz ausschlaggebend sind, daun hat eS mit dem internationalen Vorgehen gegen die Anarchisten noch gute Wege. Ein Theil der schweizerische» Presse sträubt sich dagegen, den politischen Charakter des Genfer Attentats einzuräumen, offenbar in der Absicht, zu verhüten, daß dem Attentat eine politische Folge gegeben werde. So schreiben die „Baseler Nachrichten": „Vergebens wird Luccheni seine Miffethat beschönigend einen politischen Mord taufen." Und auch der Berner „Bund" behauptet, man könne eine solche „wahnwitzige" That nicht als politisches Verbrechen bezeichnen, eine Behauptung, die den „Bund" freilich nicht ab hält, wenige Zeilen weiter unten zu schreiben: „Jetzt freilich weiß man überall, daß er ein Anarchist und Mörder ist." Trotz dieser Wissenschaft will der „Bund" den Vor schlag, ein internationales Uebereinkommen gegen die Anar chisten anzubahnen, sich „erst zweimal besehen"; denn er meint: „Gegen diese Anarchisten vorzugehen, darin ist alle Welt einverstanden; wollte man aber politische Bewegungen damit treffen, so wäre das ein verkehrtes Vorgehen, das die Anarchisten pflanzen statt sie ausrotten würde." Im erfreulichen Gegensatz zu der verworrenen Haltung der genannten Blätter steht die „Neue Zürcher Zeitung". Sie erklärt klipp und klar, daß Luccheni über zeugter Anarchist ist, die That bei klarem Verstände be gangen hat, die feste Absicht hegte, einen Großen dieser Erde zu beseitigen, und sich beleidigt zeigte bei dem Ge danken, man könne seine That die eines Wahnsinnigen nennen. Aus dieser Erkenntniß zieht das angesehene Züricher Blatt den richtigen Schluß. Obgleich es der Ansicht ist, baß schon die scharfe Anwendung der bestehenden Gesetze voll kommen genüge, um die Schweiz von den Anarchisten der That zu befreien, giebt es doch seine Bereitwilligkeit für die etwa nöthige Gewährung neuer Mittel zu erkennen und richtet an die schweizerische Negierung die Mahnung: „Nur fester Wille bei den eidgenössischen Behörden und keine Rück sicht mehr auf cantonale Schwachheiten." Wird diese ver nünftige Mahnung auf fruchtbaren Boden fallen? Aus London erhalten wir über den Fortgang des 2»-an- feldzngcü und das Eintreffen einer französischen Expe dition (wohl der Marchands) in Faschoda folgenden Draht bericht: Nach einer Meldung der „Morning Post" aus Luxor vom gestrigen Tage ist Kitchener Pascha am vergangenen Freitag mit 3 Kanonenbooten, 100 Cameron-Hochländern und 1200 Egyptern und Sudanesen aus Khartum nach Faschoda aufgebrochen. — Der Berichterstatter des „Daily Telegraph" theilt seinem Blatte aus Assuan mit, er habe den Capital» des früher dem Khalisen gehörigen Dampfers „Tewfikieh" bei dessen Rück kehr aus Faschoda nach Omdurman ausgefragt. Der Capitain habe die jetzt über Faschoda wehende Flagge genau beschrieben; sie sei unzweifelhaft eine französische. Er sei außer Schußweite von Faschoda an Land gegangen und habe von den Eingeborenen erfahren, daß 8 Europäer und 100 Senegalesen, unterstützt von Schwarzen, die Garnison der Derwische in Faschoda angegriffen hätten. Die Schlacht sei im offenen Felde geschlagen worden; 700 Mann seien getödtet worden. Die Derwische hätten mit Aus nahme von 150 Mann, die zurückgeblieben seien, die Flucht ergriffen. Alle Pariser Blätter besprechen niit Lebhaftigkeit die Besitzverhältnisse am oberen Nil und bestreiten den Eroberern von Omdurman das Recht, Faschoda für England oder für Egypten zu beanspruchen, wenn ihnen Marchand an diesem Punkte zuvorgekommen sein sollte. Der Pariser „TempS" versucht den Nachweis zu führen, daß das betreffende Gebiet niemals tatsächlich rm Besitz Egyptens gewesen ist. Er beruft sich namentlich ans den Reise bericht des Hauptmanns Casati, der im Auftrag Emin Paschas im Jabre 1882 in der Provinz Bahr - el - Ghasal Ordnung zu schaffen versuchte. Die Beamten, welche der Khedive in diese Länder geschickt hatte, richteten nichts auS oder machten mit den Sklavenhändlern gemeinsame Sache. Im April 1883 wurde Lupton Bey, der egyptiscke Gouverneur von Bahr-el-Ghasal, in derNähe seiner Residenz von Dem-Ziber von einem Scheck deS Mahdi gefangen genommen, und die ganze Provinz siel ohne Weiteres den Derwischen zu. Wenn in der Aequatorialprovinz die egyptische Autorität sich bis 1889 gehalten hat, so ist daS lediglich das Verdienst Emin Paschas, und der Engländer Stanley war es, der ihr ein Ende machte, indem er Emin Pascha zwang, ihm nach Zanzibar zu folgen. Der „TempS" hebt ferner hervor, daß England in dem Vertrag, den es am 1. Juli 1890 mit Deutschland schloß, mit keinem Wort die alten Rechte Egyptens auf die Aequatorialprovinz anerkannt habe. Im Vertrag mit Italien vom 15. April 1891 reservirt zwar England die Ansprüche Egyptens auf das von den Italienern geräumte Kaffala, erwäbnt aber auch hier den mittleren und oberen Nil nicht. Im Vertrag mit dem Cougostaat endlich, der am 12. Mai 1894 in Brüssel unter zeichnet wurde, verfügt England ohne alle Rücksicht auf den Khedive über das linke Nilufer nördlich von Faschoda und giebt es dem Congostaat in Pacht. Dieser letztere Vertrag mußte allerdings auf die Recamation der Türkei, die von Frankreich und Deutschland unterstützt wurde, rückgängig gemacht werden, und daher können die Eng länder den Franzosen Vorhalten, daß sie ebenso wenig ein Recht auf Faschoda haben, wie England oder der Congo staat. Darauf können aber die Franzosen mit Recht er widern, daß sie jederzeit bereit sind, Faschoda Egypten zurückzuerstatten, sobald dieses Land wieder fein eigener Herr unter der Oberhoheit des Sultans ist. So lange aber Egypten unfrei ist, können die Franzosen ebenso gut Faschoda besetzen, wie der Congostaat Lado und Redschaf und Eng land Wadelai und Nnyoro besetzt hält. Zum Schluffe spricht der „TempS" den Wunsch aus, daß die Frage in England und Frankreich mit gleicher Ruhe und Unparteilich keit geprüft werden möchte. Wenn New Aorker Meldungen richtig wären, stände der Ausbruch eines Krieges zwischen Chile und Argentinien unmittelbar bevor und man hätte zu gewärtigen, daß er sich rasch zu einem Zusammenstoß ganz Südamerikas entwickeln werde. Im Gegensatz zu dieser Auffassung berichtet man unS heute: * London, 16. September. (Telegramm.) Nach einer Meldung der „Times" aus Buenos Aires vom gestrigen Tage glaubt man dort nicht an den Ausbruch eines Krieges zwischen Argentinien und Chile, die Ministerien des Auswärtigen seien in beiden Ländern vielmehr mit einer vollständigen Lösung der Streit- frage durch Schiedsspruch ohne jede Einschränkung einverstanden. In der That würden beide Regierungen gut thun, ihren Grenzstreit im Wege des Vergleichs zu regeln, verfügt doch Chile ebenso wie Argentinien wohl über unendlich viel unbenutztes Land, aber auch über unendlich geringe finanzielle Mittel, um einen Krie^ siegreich führen zu können. Oder rüstet man auf beiden Seiten gerade darum, weil man hüben wie drüben unmittelbar vor dem Bankerott steht, dem man durch einen glücklich geführten Krieg zu entrinnen hofft? Sollten die Gewehre doch noch losgehen, so braucht man sich auf ein imposantes Kriegsschauspiel noch weniger gefaßt zu machen, als im spanisch-nordamerikanischen Conflict; das Pulver dürfte sehr bald verschossen sein. Deutsches Reich. * Berlin, 15. September. Nach fast zweijährigem Zögern und mehrfachen Schwankungen ist der Ausschuß ver deutschen Turnerschaft in einer in Hamburg abgehaltenen Sitzung zu einem bestimmten Beschlüsse in der National festfrage gelangt. Der Ausschuß schlägt, wie berichtet worden ist, dem deutschen Turnlage 1899 vor, zu beschließen: Die Turnerschaft als solche soll sich am Nationalfest nicht betheiligen, will dies aber den einzelnen Turnvereinen und Turnern nicht verwehren. Danach hat diejenige Strömung die Oberhand gewonnen, welche die geschäftliche Leitung ver deutschen Turnerschaft von Anfang an mit Nachdruck ver treten hat. Die „Correspondenz für die deutschen Nationalfeste", welche von dem Arbeitsausschuß herauS- gegeben wird, erörtert diesen Beschluß in einem Artikel, in dem u. A. gesagt wird: „Insofern hiernach den einzelnen Turn-Verei'nen und Turnern überlassen bleiben soll, sich dem vaterländischen Unternehmen anzu schließen, ist uns der Beschluß nicht unwillkommen, denn hiermit werden wir in unser» turnerischen Veranstaltungen unabhängig von den Beschlüssen einer großen Körperschaft, und auch frei von demjenigen Theile derselben, der so lange nicht für das National- fest zu haben sein wird, als die Turnrrschaft nicht selbst die Veranstaltung in die Hand nimmt. Daß auf dem Wege der Einzelgewinnung allmählich der überwiegende Theil der be- deutendsten Turn-Vereine auf unserer Seite stehen wird, erscheint uns um so gewisser, als schon gegenwärtig ein erheblicher Theil volles Versrändniß für unsere Bestrebungen zeigt . . . Schon lange nimmt die Turnerschaft, unbeschadet ihrer Verdienste nm die Förderung der Leibeszucht in Deutschland (was wir rückhaltlos anerkennen), nicht mehr die allein herrschende Stellung unter den Vertretern der Leibesübungen ein; vielmehr sind der weit aus gebreitete Sport und die selbstständige in lebhafter Entwicklung stehende Spielbewegung inzwischen als mächtige Mitbewerber auf den Plan getreten: die letztere, weil sich das Turnen einseitig zum Kunstturnen entwickelt hatte und eine Verkümmerung Les Turnspiels ein getreten war (vergl. das von Goßler'sche Schreiben im III. Jahr buch für Volks- und Jugendspiele 1894, Seite 210/11); und die Sports, weil die Cultur - Verhältnisse Las Bewegung?- bedürfniß des Volkes in Licht und Sonne stetig gesteigert hatten. Auch dieser gesammten neueren Entwickelung gegenüber hat die Turnrrschaft im Grunde dieselbe engherzige Stellung des Nicht auskommenlassens eingenommen, wenn auch unter anderen Formen. Trotzdem die Spiele jetzt auch in den Turnerkreisen in aus- gebreiteterem Maße betrieben werden, hält man die Vertreter der Spielbewegung bislang noch für Eindringlinge in das Gebiet der Turnrrschaft, und noch immer hat das Turnspiel, Las ist die so hochwichtige Gymnastik von Lunge und Herz, sich die volle Gleichberechtigung mit dem eigentlichen Turnen nicht erworben. Fast ganz unvermittelt sind die Gegensätze zu den Sports. Kein vernünftiger Mensch wird die Ausschreitungen der Sports billigen, ebenso wenig die bedenkliche Entwickelung, die neuerdings einige Schülersports gewonnen hatten. Aber es ist doch eine Verkennung der Sportbewegung, wenn man jeden, der radelt, rudert, schwimmt, Fußball oder Lawn Tennis und dergleichen spielt, und das ist die große Masse, nach diesen Ausschreitungen beurtheilt. Auch bei dem größten Theile derjenigeu, die in einen Wettkampf eintreten, kann man von Ausschreitungen nicht reden. Wer nun den Segen beobachtet, Fsnilletsir. Henny Hurrah! 14j Roman von Ernst Clausen. Nachdruck verboten. Sie versank wieder in die frühere trostlose Stimmung, ob gleich sie dagegen kämpfte und wohl beobachtete, daß die jüngere Schwester sie oft fremd, fast furchtsam ansah und von Tag zu Tag zurückhaltender wurde, weil Hedwig auf die harmloseste Bemerkung und den unschuldigsten Kinderunsinn des jungen Dinges mit einer salbungsvollen Belehrung antwortete. — Ein mal, als sie beim Nachmittagsgottesdienst in der Dorfkirche saß, das Altarbild gerade vor sich, mit dem festen Entschluß, den Worten des Predigers aufmerksam zu folgen, glaubte sie immer, vor sich Philipp König's Gesicht mit den gutmüthigen Augen zu sehen, selbst der Pfarrer nahm Plötzlich, wenn sie ihn lange an starrte, jene bekannten Züge an. Sie rang die Hände ineinander und betete; es half nichts. Da schlich sie, außer sich über den erfolglosen Kampf, zur Kirche hinaus, nannte sich eine Sünderin, ein Weltkind, und wie im Traum durch die Kornfelder gehend, fand sie sich auf jenem Haidhügel wieder, wo sie vor einigen Tagen mit ihm gestanden hatte. Das war gewiß die Versuchung, die sie zwang, an diesen Mann so oft zu denken, und die sie veranlaßte, oft sogar, mitten in der Nacht erwachend, sich auszumalen, wie gut und lieb derselbe gewiß zu ihr sein würde, weit nachsichtiger und verständnißvoller wie Axel. Ach, Axel! Er war wie alle die Anderen! Schon dieser Verkehr mit der Frau Seefried, sündig war das gewiß! Sie kauerte an einem erratischen Steinblock nieder und legte die heiße Stirn an dessen rauhe, kühle Fläche. — Dora König wartete, nun schon seit drei Tagen wieder in ihrer Stadtwohnung lebend, auf eine Antwort vom Grafen Uexhus. Sie hatte an dem Abend, wo der Bruder bei ihr ge wesen war, nach kurzem Kampfe eingesehen, daß sie daS Ver- hältniß mit Rücksicht auf den Bruder aufgeben mußte und wollte. — Sie hatte es gethan, um den guten Willen zu zeigen in einem Anfall von Großmuth, wo uns kein Opfer zu groß erscheint, aber doch mit der heimlichen Hoffnung, daß Uexhus außer sich über diesen Brief gerathen und sie sofort aufsuchen würde. — Aber er war nicht gekommen, nur statt dessen heute Morgen ein langer Brief, sehr herzlich, sshr anständig, aber auch sehr verständig. — Er habe kein Recht, ihren Entschluß zu tadeln, oder sie in demselben wankend zu machen, und wenn er ganz ehrlich sein sollte, so sei es, wenn auch schwer, doch bester so! Sie hätte aufschreien, weinen können vor Enttäuschung, und fühlte nun erst, was es für sie alle die Jahre gewesen sei, einen Menschen zu haben, der sie nach ihrer Ansicht lieb hatte, der sie ihre Einsamkeit nicht so fühlen ließ. — Nun war es aus! Was sollte nun werden? Sie verachtete sich selbst, weil es Augen blicke gab, wo sie daran dachte, ihm gegenüber einzulenken. — Nun sollt« es also beginnen mit dem langsam Absterben. Eine anständige Ehe konnte sie ja doch nie eingehen; aber sie wollte nicht leben ohne Liebe; ihre Sinne waren doch noch wach. — Zum Bruder konnte sie ja nun ziehen, gewiß! Aber wie wurde es, wenn Jener diese Hedwig heirathete! Doch nein, daran war ja nicht zu denken! Oder dann sollte sie wieder Platz machen, und zwar dieser weichlichen, un selbstständigen Natur! — Nein, sie wollte fortziehen, irgend wohin in eine groß« Stadt, wo sie Keiner beobachtete, ihr Keiner begegnen konnte und sie von keiner Rücksicht gefesselt wurde. — Als Uexhus ihren Brief bekam, hatte er sich geärgert, daß sie, das Mädchen, den ersten Schritt zur Lösung des Verhältnisses that. Das starke Geschlecht liebt solche Initiative von anderer Seite nicht. — Er kannte ste zu gut, um annehmen zu dürfen, daß ein Anderer an seine Stelle treten würde. Wenn das Mädchen nicht so viel Charakter gehabt und in gewisser Weise so gebildet gewesen wäre, würde sie ihn, den viel Aelteren, gar nicht so lange gefesselt haben, und lieb hatte er sie gehabt in gewisser Mise. — Sein Verstand und seine recht kalt gewordene Weltanschauung flüsterten ihm deutlich zu, daß ihm gar keine bester« Gelegenheit geboten werden konnte, das Verhältniß zu lösen und sich als an ständiger Kerl zurückzuzi«hen ohne Gewissensbisse. Für die Leidenschaft, auf die Dora gehofft hatte, war er zu alt geworden, hatte er zu bequeme Junggesellentheorien, und deshalb wurde es ihm nicht schwer, den Brief zu schreiben. —Bei seinem Charakter würd« «r es nie fertig gebracht haben, die Lösung aus eigener Initiative herbeizuführen, schon weil ihm der Gedanke uner träglich geworden wäre, sich in der Achtung eines Anderen selbst herabzusetzen und demselben auch nur den leisesten Grund zu geben, ihn, den Grafen Uexhus, nicht als Gentleman zu be trachten. Philipp König arbeitete an einer Zeichnung, als Dora zu ihm kam. Sie sah «lend aus und ihre Aug«n schienen entzündet zu sein. Zum ersten Male sah er die Schwester in seiner Wohnung. „Was ist, Dora? Bist Du krank? — Ich wußte gar nicht, daß Du zurück seiest." „Nein, Philipp", sie trat dicht an den Tisch heran und sah ihm fest in die Augen — „ich wollte Dir nur sagen, daß ich, so bald es mir möglich ist, nach Berlin ziehen werde. Ich habe —" sie schluckte trocken hinunter, und die Tischplatte zitterte leicht unter dem Druck, welchen ihre darauf gestützten Hände aus übten — „ich habe die Angelegenheit mit Graf Uexhus gelöst!" Er sprang erregt vom Stuhle auf und ihr« mißtrauischen Blicke glaubten zu sehen, daß sich sein Gesicht wie bei einer reudigen Nachricht höher färbte. „Wahrhaftig! Dora, ich danke Dir! Das freut mich, das war muthia." Er wollte ihre Hand drücken, aber sie zog dieselbe unmuthig fort. — „Es ist schon gut, Philipp! Ich will also nach Berlin!" Sie sagte das noch einmal, ohne sein Gesicht mit den Blicken loszulassen. Was würde er nun sagen? Was würde er thun? — Sie hielt den Athem an, während er an den Tisch zurücktrat und mit dem Zirkel allerhand Kreise am Rande des Reißbrettes zog. „Wie kommst Du gerade auf Berlin!" „Oh, ganz einfach! Ich habe dort schon seit längerer Zeit für ein Geschäft gearbeitet, und dann, Du verstehst, ich möchte hier nicht gern bleiben! Berlin ist ja groß!" „Ja gewiß! Ich vergaß, daran zu denken. Daß Du nun nicht in unserer Stadt bleiben willst, ist ja ganz verständlich." Sie hätte ihm höhnisch ins Gesicht lachen mögen! Er fragte natürlich gar nicht, wie Uexhus sich zu der Sache gestellt hat, er bot ihr nicht an, zu ihm zu kommen, um bei dem Bruder Schutz und Hilfe zu suchen! Ihm war es gleichgiltig, ob sie nun wieder einsam und schutzlos in einer fremden Stadt leben würde. Es fiel ihr gar nicht ein, daß sie diese Rechte und Anfor derungen an sein brüderliches Gemllth selbst verscherzt und da mals zurückgewiesen hatte. — Es wurde ihr schwer, nicht der aufsteigenden Erbitterung in Worten Ausdruck zu geben; er war ja auch ein Mann, und sie wußte jetzt, was sie von diesem Ge schlecht zu halten hatte. — Daß sie Platz machte, verstand er ja so gut! „Du kannst nun ungestört nach Neubruch hinausfahren, Philipp!" Da ließ er den Zirk«l fallen. „Was soll das? Warum sagst Du das?" „Nun, ich mein« nur, daß ich Dir nun nicht mehr im Wege stthk-" Der Hohn in ihren Worten reizte ihn. „Nun ja, da kannst Du recht haben." „Hol Dir nur keinen Korb, Philipp! So sicher scheint mir die Sache doch nicht zu sein! Du solltest nur öfter Glace handschuhe tragen; vielleicht nimmst Du erst noch Tanzstunde!" Er runzelte die Stirn, und sie sah, wie seine zur Faust ge ballte Hand bebte. „Das laß meine Sorge sein! Wie herzlos Du bist, Dora!" „Ich herzlos? Haha!" „Ja, denn Du weißt, daß ich — warum soll ich cs nicht aussprechen — ja, ich habe Hedwig Sternfeld gern." Er wurde glühend roth wie ein Schulknabe bei diesem Gc- ständniß, und sein Gesichtsausdruck und die Zaghaftigkeit, mit welcher er jene Worte sagte, stimmten sie milder, so daß sie ihm die Hand gab. „Adieu, Philipp, ich wünsche Dir das Beste!',' Ihre Hand drückend, fragte er: „Kann ich Dir helfen irgendwie? Menn Du Geld nöthig hast für die Reise " „Nein. Laß nur, Philipp! Ich möchte Keinem etwas zu danken haben, Dir nicht! Niemandem! Außerdem kann ich vor dem Ersten nicht fort." Damit ging si« rasch hinaus, ohne ihn noch einmal anzu sehen. — Er stand auf und überlegte. — Vor dem Ersten nicht! Bis dahin waren es noch vierzehn Tag«! — Er wünschte fast, daß die Zeit vorüber wäre! Man konnte nicht wissen, ob sie mittlerweile nicht anderen Sinnes werden würde. Ihm, der nie ein gemüthvolles Familienleben gekannt hatte, fiel es gar nicht auf, wie herzlos diese Trennung von Bruder und Schwester war. Sie hatte sich selbstständig durchgequält vom sechzehnten Jahre an, und er ebenso. Was sie waren, hatten sie im Kampfe dem Leben abgerungen, ohne sich gegenseitig helfen zu können, ohne nun noch zu fühlen, daß dies nothwendig sei. Am nächsten Sonntag fuhr Philipp König doch nach Neu- bchich hinaus. Während er den schattenhaften Fußweg von der Station noch dem Dorfe zurücklegte, links und rechts dehnten sich schon Stoppelfelder in weiten Flächen, wiederholte er sich immer wieder seinen Entschluß, heute mit Hedwig offen sprechen zu wollen. Er hatte wohl ein Gefühl dafür, daß ihn doch ein gesellschaftlicher Abstand von Sternfelds trennte, aber er glaubte sich auch sagen zu können, daß durch die Art, wie sie ihr Leben auffaßten und gestalteten, diele Schranken niedergelegt worden wären; auch hielt er es für besser, vor Axel's Rückkehr in gewisser Mise seiner Sache sicher zu sein, und fand dazu frischen Muth durch dessen kürzlich erhaltenen Pries, in dem ihn jener bat, Hedwig mitzutheilen, daß Axel in acht Tagen zurückkehren würde. — Am Hause angekangt, wo Sternfelds sich eingemiethet hatten,
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