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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.09.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-09-07
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070907027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907090702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907090702
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-09
- Tag1907-09-07
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Abend-Ausgabe 8. BezugS-Prei» für und Vororte durch unser« lrLger und Spediteure in« Hau» gebracht: Auigabe t (nur morgen«) »ierteljLhrlich 3 M., monaMlb 1 M, Auigabe It (morgen« und abend«) viertel» jährlich 4.50 M., monatlich 1.50 M. Lurch die »oft bezogen (2 mal tLglilb) innerhalb Deutschland« und der deutschen Kolonien merteljähruch 5,25 M., monatlich 1,75 M. auischl. Poft- bestellgeld für Oesterreich 9 L 66 d, Ungarn 8 li »ierteljthrlich. Abonnement-Annahme: Auguft«-Pl«tz bei unseren Trägern, Filialen, Lpediteureu und Annahmestellen, sowie Postämter» und Briefträgern. Die einzeln« Nummer kostet 10 Pfg. Nedaktion und Lkpeditton: Johanni-gaste 8. Telephon Nr. 14692, Nr. 14690, Nr. 14694. lverltner «edakttvn« lvureau: Berlin 7 Prinz Loui« Ferdinand- Straße 1. Telephon!, Nr. 9275. KiWgtr.TWMM Handelszeitung. Amtsblatt -es Nates und -es Nokizeiamtes -er Lta-t Leipzig. ^Anzeigen-Preis sstr Inserate au« Leipzig und Umgebung di« 6 gespaltene Petilzeil« 25 Ps., stnanzielle Antigen 30 Ps., NeNamen I M.; von auiwtrt« 30 Ps., Reklamen 1.20 M vomAuiland.VlPs., sinanz. Anzeigen75Pf. Reklamen 1.50 M. Inserate v. Behörden im amtlichen Teil 40 Ps. Beilagegebühr 5 M. p. Tausend exkl. Post- gebühr. MeichLitian,eigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Festerteilt« Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da« Erscheinen an bestimmten Tagen und Platzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustuk-Platz 8 d«t sämtlichen Filialen u. allen Annoiiccn- Ejpeditionen de» In- und Ausländer. Hautzt Filiale Berlin Earl Dunckr , Herzog!. Bahr. Hosbuch- handlung, Lützowstraßc 10. (Telephon VI, Nr. 4603). Nr. 2N Sonnabend 7. September 1907. 101. IMqanq. Das wichtigste vom Tage. * Für den Besuch des deutschen Kaiserpaares in Eng ¬ land ist die Zeit vom 11. bis 18. November in Aussicht ge nommen. * Fürst Bülow hat nun auch den Führer der Süddeutschen Volkspartei, den Reichstagsabgeordnetcn Payer, zu sich nach Norderney eingeladen. * Der Psychiatrisch-neurologische Kongreß in Amsterdam beschloß die Errichtung eines internationalen Institutes für das Studium der einschlägigen Fragen. * Fernando e Guachalla, bisher bolivianischer Gesandter in London und Delegierter auf der Haager Friedenskonferenz, wurde zum Präsidenten der Republik Bolivia gewählt. Tagesschau. Die nationalliberale Jugend. In Kaiserslautern treten heute die Delegierten des Neichsverbandcs der Vereine der nationalliberalen Jugend zu ihrer diesjährigen, der neunten, Vertreterversammlung zusammen. Fast zur gleichen Zeit des vorigen Jahres tagten sie in Hannover und empfingen dort neue, kräftige Anregung für ihre Arbeit. Sie Haden sie dann wacker während des Wahlkampfes geleistet. Ihnen ist zu einem guten Teil der Erfolg zu danken, der bei den Januarwahlen dieses Jahres zugunsten der nalio- nalcn Parteien und des Liberalismus errungen wurde. Dessen dürfen sie sich bei der Tagung freuen! Wir wünschen ihnen zu ihren Verhand lungen reichen Erfolg im Interesse des Liberalismus. Sie stehen diesesmal vor einer nicht ganz leichten Frage. Gedrängt durch die eigenartigen süddeutschen Verhältnisse sind die bayerischen und dadifchen Jungliberalen mitunter Wege gegangen, die einigermaßen von den ursprünglichen Zielen der Bewegung in Norddeutschland abwicyen. Jetzt soll ein neuer Versuch gemacht werden, durch gegenseitige Kon- Zessionen über die hemmenden Differenzen zu einer Einigung zu ge langen. Der Vorstand des Neichsverbandcs hat im Gegensatz zu seiner früheren Haltung einen Antrag eingcbracht, dessen Tendenz dahin geht, für Bayern und Baden die Altersgrenze fallen zu lassen und sich dafür mit anderen Garantien zu begnügen, die es ermöglichen, daß auch die badischen und bayerischen Jungliberalcn dem Verbände bcitretcn können. So begreiflich dies Streben des Vorstandes auch ist, die zerstreuten Kräfte nach Möglichkeit zu einer einheitlichen Gruppe zusammenzusaffen, so berechtigt ist andererseits die Frage, ob die geforderten Garantien ein vollwichtiges Aequivalent für die Ausgabe der Altersgrenze sind. Die jungliberale Bewegung ist ihrem ganzen Gedanken noch nicht darauf zu- geschnitten gewesen, ein selbständiges Leben innerhalb der liberalen Parteien zu führen. Sie sollte nichts weiter sein als eine Vorstufe, die die Heranwachsende Jugend auf das politische Leben vorbereiten und für die nationalliberale Partei frisches Blut gewinnen sollte. Es will darum sehr ernstlich erwogen sein, wie man sich in Kaisers lautern entscheiden fall. Gerade weil die Jungliberalen auf eine Ver ständigung aller liberalen Gruppen binarbeiten, werden sie es sich doppelt überlegen müssen, ob sie Schritte tun wollen, die leicht zu einer neuen Partei führen können, und wir haben das Zutrauen zu den Führern der Bewegung, daß sie diese Gefahr schließlich überlegen werden. Möge es ihnen beschicken fein, nur solche Entschlüsse zu fassen, die zur Förde rung des Liberalismus dienen! Wie uns gemeldet wird, sind zu dem 9. Vertretertage des Neichs- verbandes der Vereine der nationalliberalen Jugend bereits über hundert Delegierte in Kaiserslautern eingetroffen. Gestern fand eine mehrstündige Vorstandssitzung statt, in der die Tages ordnung besprochen wurde. Hieran schloß sich eine Versammlung der preußischen jungliberalen Vereine, in der die Gründung eines Landes verbandes der preußischen jungliberalen Vereine beschlossen wurde. Regierung und Zentrum. Die offiziöse „Süddeutsche Reichskorrespondenz" wendet sich in bemerkenswerter Schärfe gegen den Gedanken, die Reichs regierung könne wieder zu der vor dem 13. Dezember 1906 beliebten Stellung zum Zentrum zurückkehren. Es heißt da: Tas Zentrum will die Rede Kaiser Wilhelms in Münster für seine parteipolitischen Zwecke mißbrauchen, mit der naiven Absicht, den Monarchen gegen den Reichskanzler auszuspielen. Die „Köln. Volks zeitung" erklärt, richtig sei — und das sei schon bedeutsam genug —, daß die Gedanken des Kosters, „wenn sic folgerichtig zu Ende gedacht werden, allerdings mit einer Blockpolitik in dem engen, auf die Mitwirkung der einen der beiden großen Konfessionen geflissentlich verzichtenden Sinne der heutigen offiziellen Politik völlig unvereinbar sind". Tarauf wäre zu antworten, daß es sich bei der Blockpolitik über haupt nicht um das Verhältnis zwischen den beiden Konfessionen hanoelt. Im übrigen, wie es Zentrumspolitiker gibt, die gute Katholiken find, so auch gute Katholiken, die keine Zentrumsleute sind und sein wollen. Tie Identifizierung von Zcntrumssraktion und deutschem Katholizismus ist gerade in diesem Zusammenhang ein gewaltsames Manöver. Noch weniger schüchtern heißt es in der „Germania": „Es klafft ein unüberbrückbarer Zwiespalt zwischen den Grund sätzen und Zielen des Kaisers und zwischen der inneren Politik, die Fürst Bülow seit dem 13. Dezember betreibt, zwischen der Kaiscrrede und der gegenwärtigen Kanzlcrpolitik. Wenn es regelrecht und folge richtig bei uns zuginge, so müßte, wie der „Wests. Merkur" treffend bemerkt, Fürst Bülow die Kaiserrede mit seinem Entlassungsgesuche beantwortet haben. Oder aber Fürst Bülow müßte sich dazu ent schließen, Umkehr zu halten und fortan die Auffassungen des Kaisers zur Richtschnur unserer Politik zu machen." Tas Zentrum weiß genau, daß Fürst Bülow im Sinne der von der „Germania" und dem „Westfälischen Merkur" beliebten Entstellung kaiserlicher Worte nicht Umkehr halten wird. Es bleibt also nur die Forderung, der Kaiser solle je eher je besser einen anderen, dem Zentrum genehmen Reichskanzler zur Stelle schaffen. Die Herren machen ihre Rechnung ohne den Wirt. Tie Krone hat durchaus keine Sehnsucht nach Wiederherstellung des stntus gnc» nnto 13. Dezember 1906. Unlauterer Wettbewerb in der Politik. Die Unschlüssigkeit eines Teiles der sächsischen Presse, besonders der konservativen, in ihrer Stellungnahme zu dem Wahlrechtsentwurf der Regierung und mancher anderen politischen Tagcsfragc hat gewissen Organisationen, die auf wirtschaftlichem Gebiete durchaus cxistenzberech- tigt sein mögen und vielleicht auch für einige Teile der Bevölkerung segensreich wirkn Gelegenheit geg.bcn, sich in den Kamps der politischen Parteien cinzumischen. An und für sich wäre das nicht gar so schlimm. Besonders können die Liberalen diesem Treiben ohne allzu große Sorge zusehen, denn, wie bereits erwähnt, gehören die Blätter, die diesen neuen Sternen in der Arena Reklame machen, zum größten Teil der konser vativen Partei an. Die Methoden aber, die zurzeit angewandt werden, um im Lande gegen alle politischen Parteien Mißstimmung zu erregen, damit die eigene Organisation in desto hellerem Lichte strahlt, erinnern allzu lebhaft an die unlautere Geschäftsrcklame, die gerade von den jenigen Leuten, mit denen wir uns hier zu beschäftigen haben, stets auf das schärfste verurteilt wird. Wir greifen ein Beispiel heraus. Vor einigen Tagen wurde an die Mehrzahl der sächsischen Blätter von einem Beamten der Mittelstands- Vereinigung ein Artikel verschickt, der den schönen Titel trug: „Die inner politische Lage in Sachsen." Darin heißt cs bei der Besprechung der Wahlrechtskämpfe u. a.: „Die liberalen Parteien, die ursprünglich glaubten, auS dem Kampfe nm die Wahlrechtsreform neue Kraft zu gewinnen, haben allgemein enttäuscht. AuS ihren öffentlichen Erklärungen und aus der Haltung der nationalliberalen Presse gewinnt man den Eindruck, daß man weniger an den Ausbau der Volksrechte, als an die Zukunft des Liberalismus denkt. Für einen solchen Parteiegoismus lassen sich breite Volksmassen nicht erwärmen. Der Freisinn scheidet als ernst zu nehmender ordnnngsparteilichcr Faktor wegen seiner Prinzipienstarrheit von vornherein aus. Aber auch die konserva - tive Landtagsfraktion hat mit ihrer Kundgebung die Er fahrung machen müssen, daß ihre Anschauung über die Wahlrechtsfrage sich mit dem Bolksempfindcn nicht inUeberein- stlmmung befindet." Ja was soll man nun aber ei^entli^ unter solchen Umständen tun? fragt sich der Wähler verblüfft? Sollen wir etwa gar sozialdemokratisch wählen. Sie sind ja allesamt untüchtig! Nun, das Allheilmittel wird bald darauf enthüllt. „Dem Bürger," heißt es später, „dem mehr an gesunden öffentlichen Verhältnissen als an Partciakticnen gelegen ist, sagt in der Wahlrechtssragc eine ruhige und sachliche Haltung, wie etwa die von der Mittelstandsvereinigung ein genommene, viel mehr zu, als die unfruchtbare Beweg lichkeit der politischen Parteien." — „Etwa" die von ocr Mittelstands-Vereinigung eingenommene! Dieses Etwa soll offenbar die Tatsache verschleiern, daß der Artikel uickit ein politischer Artikel, sondern eine ganz plumpe Reklame für die Mittelstandsvereinigung ist, die in der Verwirrung des Wahlkampfes ihre Netze auswirst und auf Kosten aller „unfruchtbaren politischen Parteien" Anhänger wirbt. Man könnte vielleicht einwendcu, daß ja nicht nur der Liberalismus, sondern alle politischen Parteien in dem Artikel angegriffen werden, aber wenn es auch in der Hauptsache konservative Blätter sind, die darauk cingcgnngen sind, so können wir auch das nicht gut heißen, selbst wenn die Konservativen, die in vielen Wahlkreisen mit den Reformern und Mittclständlcrn Wohlkartelle abschließcn, es sich gefallen lassen, von ihren eigenen Bundesgenossen angegriffen zu werden. Wir müssen uns energisch gegen die Kanipfcsweise der Riittelstandsvereinigung ver wahren, da wir Wohl wissen, daß sie eifrig bemüht ist, den Liberalismus als Feind des gewerblichen Mittelstandes hinzustellen und dadurch weite Bevvlkernngsllasscn einer freiheitlichen politischen Denkungsart zu eni- fremden. Tie Liberalen aller Parteien, besonders aber die National- liberalen, haben sich stets als Freunde des Mittelstandes gezeigt, nur muß mau unter dem Mittelstand nicht Sonderinteresscn des gewerblichen Mittelstandes verstehen, wie sie die M i t t e l st a n d s v e r e i n i- gung vertritt. Der Begriff des Mittelstandes wird gar oft viel zu eng gefaßt, man möchte immer an den kleinen Kaufmann oder Ge werbetreibenden denken, während von den Beamten aller Klassen weit weniger gesprochen wird. Aber selbst wenn man davon absieht, daß ge- rndc die Nationalliberalen es waren, die im Wahlkampf und schon vor her, schon in den letzten Landtagssessionen wiederholt auf die Notwendig keit der Erhöhung der Bezüge der Staatsbeamten hingewiesen haben, kann mau wohl daran erinnern, daß der Liberalismus sich von scher bemüht hat, alles abzn wehren, was geeignet ist, die Lebens bedingungen des Handwerks und des Kleinhandels zu erschweren, wie dir Steigerung der Preise für Rohprodukte und die Verringerung der Kauf kraft der Massen. Von den Konservativen, mit denen die Mittelstands- Vereinigung so oft gemeinsame Sache macht, kann man das gerade nicht behaupten. Deutsches Reich. Leipzig. 7. September. * Ter Kaiser ist gestern abend nach Besichtigung des SchlußgefechtS- manövcrs der Flotte auf der „Deutschland" in Wilhelmshaven einge- troffcn und bat sich alsbald an Bord der Iabt „Hohenzollern" zurück begeben. Die kleinen Kreuzer und Torpedoboote waren vorher ein gelaufen. Alle übrigen Schiffe der Flotte sind heute früh vom Manöver zurückgekehrt. Der seit heute früb herrschende dichte Nebel hat eine Unterbrechung der Floltenübungen nötig gemacht. * Mtnistcrrcise. Der Staatssekretär des Innern Dr. v. Betb- mann-Hollweg und der Landwirtschaftsminisler v. Arnim beabsich tigen gemeinschasil'ch eine mehrtägige Informationsreise in ras von ter Reblaus am meisten bedrohte Gebiet um Metz und die um liegenden Teile Lothringens zu unternehmen, um sich durch den Augenschein über die weiterhin zu treffenden Abwehrmaßregeln zu ver gewissern und an Ort und Stelle mit den Organen Elsaß- Lothringens zu beraten. Die Reise wird etwa am 18. September d. I. beginnen. Feuilleton. Eigentümlichkeit durch Eigentümlichkeit. Ein Mann wird man unter Männern. Dlesterweg. * Ueber München. Vor einigen Jahren, kurz nach der Jahrhundertwende, wurde eine Frage aktuell, die, wie wir so zu sagen pflegen, mit „echt deutscher Gründlichkeit" erörtert wurde, weil sie tatsächlich ein Hauptproblem deutscher Kulturentwickelung berührte: der Niedergang Mün- chens als Kunstvorort. Die Münchener und die außerordentlich zahl reichen Freunde Münchens wieicn dielen Zweifel an der geliebten Stadt ab und fühlten sich so objektiv als die Besitzer der besten deutschen Kultur, daß ihr Urteil ihnen von dem starken bayerischen Partikularismus wirk lich frei zu sein schien. Die Spitze des Protestes war natürlich gegen Berlin gerichtet; aber der Geist Berlins hat eine vorzügliche Tugend: er beweist nicht durch Theorien und Broschüren sein Recht auf Teil haberschaft, sondern dadurch, daß er seine Arbeit nicht für einen Augen- blick unterbricht. Während dies Schreckgespenst der beginnenden In- i'eriorität in München selbst spurlos verschwand und seine autochthonen Zeitungen seither nicht die geringfügigste Gelegenheit vorübergehen lassen, um die Münchener ihrer Bedeutung zu versichern, haben sich in Wahrheit heute die Verhältnisse so verschoben, daß Berlin München in den meisten Gebieten des künstlerischen und geistigen Lebens überholt und in den übrigen, wie etwa dem Kunstgewerbe, nunmehr eingeholt hat. In allen Fragen über kulturelle Zustände muß man mit außerordent licher Vorsicht urteilen, vor allem die verallgemeinernden Schlüsse vermeiden und sich von vornherein auf einen unverrückbaren wesentlichen Gesichtspunkt einstellen. Wer heute nach München zurückkehrt, nachdem er ihm in den letzten Jahren ferngeblieben war, wird zunächst überrascht sein, wie komfortabel da vieles geworden ist, was vor ein paar Jahren noch kleinbürgerlich war; wer dazu imstande ist, sich den Reh einer neuen Stadt durch Verweilen vor Schaufenstern und in Magazinen zu vermehren, wird in München seine Zeit auf daS Angenehmste ver bringen: namentlich haben sich die sichtbaren Zeichen einer gehobenen Lebensführung, die Geschäfte für Herrentoilette, mit ihren entzückenden Farben der Selbstbinder, den gefällig ausgelegten Wäschestücken, den zu gleich bequem und genau gearbeiteten amerikanischen Schuhen über- naschend vermehrt. Und wenn man von dem unglücklichen Stil deS RathansneubaueS absieht, so hat München auch als Landschaft und Archi- tekrur viel gewonnen: die Partien an den Jsaranlagen, der regulierte Fluß mit den neuen Brücken ist ein künstlerifches Ereignis. Aber wie gesagt, man muß vorsichtig sein, wenn man auS Symptomen einen Rück schluß auf die Art der Bevölkerung zieht. Es bleibt dem Beobachter nicht verborgen, daß die Verfeinerung der Lebensführung auf dem Boden der Fremdenspckiilation gedeiht. Man kommt nicht eines Tages nach München, um zu entdecken, daß es der Sitz einer hohen ein- heimischen Kultur ist, sondern man sicht an einer Reihe von Anzeichen, daß in dieser Stadt snftcmatisch daran gearbeitet wird, die Fremden an zuziehen. Tas dank den bayerischen Königen in München traditionelle Kunstverständnis dient hierbei teils bewußt, teils unbewußt als bestes Mittel zum Zweck. Tie Stadt wird verschönert und dem Besucher lieb. Auch der Geist des Kunstgewerbes und des Plakates, in denen München innerhalb der modernen Kunstbewegung sein Bestes geleistet hat smebr wie in der Malerest tritt überall hervor: er ist präzis, einfach und bewußt. Es liegt, ohne daß München hier irgendwie zugunsten Berlins herab gesetzt werben soll, der Gedanke nahe, daß die so beliebte Annahme einer größeren, ursprünglichen Kultursähigkeit der süddeutschen Münchener eine nähere Untersuchung wert ist. Der Kulturmittclpunkt München ist weiter nichts als das Produkt einer Reihe glücklicher Umstände. Wie sah die Stadt vor hundert Jahren aus? Um einen Münchener Schrift steller anznsührem von dem noch die Rede sein soll: „Ein Pfuhl, ein Morast war die Stadt, worin die Jauche fröhliche Furchen zog, wie am Hof eines Dachauer Moosbauern. Der dreißigjährige Krieg batte hier nichts zerstören können an Kultur, wie in der stolzen fränkischen Reichs stadt, dem freien Nürnberg. Ein Winkelwerk von Befestigungen, von elenden Hänschen und Gäßchen, so war die Stadt emporgcwachsen, von dem Tage an, da Heinrich der Löwe unten an der Isar eine Salzstätte errichtete. In ganz München gab es, einige Ahnenbildcr in der alten Kurfurstenresidenz ausgenommen, nichts, was an Kunst gemahnte." Und wie einst nichts an Kultur zu zerstören gewesen war, so ist auch die Epoche LudwigS I. nicht organisch aus einer lebcnsschwangercn Atmosphäre geboren lman denke eben an Paris und die Perioden fran zösischer Kunst und Literatur), sondern sie war eine Zufallsschöpfung, die ohne diesen König nie Wirklichkeit geworden wäre. Die Bedingungen des Stiles, in denen das heutige München ausgcbaut wurde, ruhten nicht in einheimischen Zuständen, sondern waren Liebhaberei eines Fürsten, der der Antike und der Renaissance, aber auch einer zweifelhaften roma nischen Bauart seine Neigung schenkte. Und man griff zu dem unver zeihlichen Mittel, Rustikaquadcrn und Säulen, Marmor und Porphyr sLnbwigskirche!) gleichermaßen durch Backstein, Gips und übermalten Kalkbewurf vorzutälstchcn; und das Gefühl in einer Stadt, die durch- gehend aus unechtem Material erbaut ist, kann einem Liebhaber künst lerischer Ehrlichkeit den Aufenthalt verderben. Wenn Berlin daS Glück gehabt hätte, im 19. Jahrhundert als Versuchsobjekt einer klugen Kunst. Politik dieselbe Rolle zu spielen, wie als rein politischer Vorort, so wäre beim gleichen Aufwand von Mitteln sogar ein viel stärkeres Resultat als in München erreicht worden. Tenn — es sei an das Verhältnis Ludwigs II. zu seinem Volke erinnert — über die Kultursähigkeit und die Bereitwilligkeit deS eigentlichen Münchners darf man sich keiner Täuschung hingebcn. München ist der Mutterschoß einer oft recht amü santen, aber bisweilen auch recht bösartigen, jedenfalls aber unerschöpf lich gründlichen Philisterbehaglichkeit und Philistcrclique. Die Be deutung Münchens ist kein besonders in der Beanlagung des Volkes begründetes Verdienst der Münchener, die vor allem auch kein historisches Recht besitzen, die Berliner als Emporkömmlinge zu betrachten. Joses Nuederer, der Dichter der Fahnenweihe, ein einge sessener Münchener, hat in der von Leo Greiner herausgcgebcnen Sammlung „Städte und Landschaften"*) einen Band über München veröffentlicht, der Kraft, Eigenart, und bei aller Liebe zu seiner Vaterstadt Selbständigkeit verrät. Vielleicht — nein, Wahlschein- lich wär«, ohne diese Liebe, mit der man nun einmal sein Schicksal liebt, die halb ärgerliche, halb lachende Kapuzinerpredigt wider die lieben Landsleute schroffer ausgefallen: sie hat auch so die Münchener genug aufgebracht. „Was setzen die Münchner von einem voraus, der über ihre Slo.dt schreibt? Daß er gut schreibt, daß er lobt. Also etwa: München, die unvergleichliche Stadt, gelegen am Fuße der Alpen, mit 'einer intelli genten Bevölkerung, seiner berühmten Straßenreinigung, seiner immer- währenden Kanalisation, München, die Stadt des treulichen Wassers. München, die Stadt der Kunst usw. usw., so muß es klingen. Und be sonders die Kunst kann gar nicht genug betont werden. Sie ist den Münchnern eine Notwendigkeit geworden, wie das Vaterunser mit dem Ave Maria. Der Herr Bürgermeister sagt in jeder Festrede, wenn er die goldene Kette trägt: München ist eine Kunststadt; daS nauptblrlt Münchens druckt täglich zweimal, früh und abends, für jeden, dcr's leien will: München ist eine Kunststadt, und schließlich wiederholt der Ein- geborene mit der selbstgewissen Freude, die er an jedem Besitze empfindet, lei's ein Stück Geld oder ein schönes Mädel: München ist eine Kunst stadt. Warum auch nicht? Es braucht sich ja keiner etwas zu denken dabei. Außerdem ist es wahr. ES leben doch eine Masse Maler in München, überall sieht man Geschäfte, die Pinsel und Farben verkaufen, Modelle gibt'S, daß man sich gar nicht mehr retten kann und die Haupt sache: die zwei Pinakotheken, die Glyptothek, das Marimiliancum, das Ding da — na, wie heißt's denn gleich? — na, das Haus in der Briennerstraße, wo auch so viele Bilder hängen? Richtig! Die Schack- galcrie. Obendrein iedcS Jahr eine Ausstellung im Glaspalast, die Sezession, alle fünf Jahre eine Internationale, und da soll einer be haupten, München sei keine Kunststadt, da soll einer — Was?" „Wer aber soll über München schreiben? Natürlich ein Eingebore ner. Tie Fremden gucken uns sowieso schon genug in die Töpfe, jeden Sommer überschwemmen sie daS Gebirge, tragen kurze Wichs und Nagelschuhe, baß man sie von den Einheimischen schon bald nicht mehr unterscheiden kann. Sie berauschen sich aus unfern Kellern — denn daß ihr s nur wißt, die Ausländer trinken soviel Bier, niemals die Münche ner, — sie machen sich auch schon so breit in der Stadt, ja, sie bauen *) bei Carl Krabbe, Stuttgart, und Georg Müller, München.
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