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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-10
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030110025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903011002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903011002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-10
- Monat1903-01
- Jahr1903
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ./L 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abrud-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Sonnabend den 10. Januar 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Januar. Tie angebliche Krisis in Sachsen. Dem unbesonnenen Sturmläuten einiger sächsischer Blätter, die mit einer bei dem Gesundheitszustände König Georgs kaum zu begreifenden Gefühlsroheit von einer drohen den »ungeheuren Krisis des gesamten Volks lebens", von einer „furchtbaren Erschütterung des Vertrauens zu dem katholischen Königshause" bei weiterer Verfolgung des beliebten „Vertuschungssystems" fabeln, treten zum Glück genug ernste und ernst zu nehmende Preßstimmen entgegen, die geeignet sind, nach innen beruhigend und nach außen aufklärend zu wirken und so einer dauern den Fälschung der öffentlichen Meinung vorzubeugen. ES sind alles gut protestantische Stimmen, also unver dächtige, die sich zum Worte melden. Die Auslassung der „Deutsch-Evangelischen Korrespondenz", welche auf die Willkür und Haltlosigkeit der Einzelheiten jener Beschuldigungen gegen den sächsischen Hof treffend hinwies, haben wir bereits wieder gegeben; sie zeigt, daß in den Kreisen, die in erster Linie als die berufenen Wächter auf den Zinnen der protestantischen Kirche zu gelten haben, in den der Flucht der Kronprinzessin vorausgegangenen Ereignissen um so weniger einen Grund zu Befürchtungen erblicken, je augenscheinlicher eS ist, daß den seit einiger Zeit mit besonderem Eifer tätigen Führern des sächsischen UltramontaniSmuS jede Fühlung mit dem Hose fehlt. Den gleichfalls bereits von unS mitgetcilten NeminiS- cenzeu eines protestantischen Geistlichen aus seiner Tätigkeit am sächsischen Hofe fügen wir heute noch die folgende Aus führung der konservativen „Dresdener Nachrichten" hinzu: „Es ist ein gefährliches Unternehmen, die Leidenschaften auf konfessionellem Gebiete zu wecken. Bon dem Kulturkampf sind wir in Sachsen verschont geblieben, und jetzt sollte die seelische Ver irrung einer einzelnen Person uns dieser Gefahr ernstlich nahe bringen? ... Die protestantische Besonnenheit fordert, nicht ohne tiefere Gründe auf die Hetzereien gewisser Blätter, auf deren ultramontane Beziehungen (!) und Dieustfertigkeit aus einer großen Versammlung sächsischer Geistlicher unlängst warnend hingrwiesen wurde, einzugehen." Auch in der außersächsischen Presse ist man ob der PhantaSmagorien der bewußten Blätter stutzig geworden. Die freisinnige „Weser-Ztg." schreibt, in der Angelegenheit der Kronprinzessin von Sachsen scheine der publizistischen Behandlung eine vollständige Entgleisung zu drohen. Die Jesuitenriecherei habe zu Dingen geführt, die allem Anscheine nach nichts seien als Ausgeburten der Phantasie und mit der Demagogenriecherei der zwanziger Jahre auf derselben Stufe ständen. Weiter sagt baS Bremer Blatt: „Wir erklären nochmals, daß wir die ganze Sache für die abenteuerliche Ausgeburt einer erhitzten Phantasie halten", und stimmt schließlich einer Dresdner Korrespondenz uneingeschränkt zu, die denselben Gedankenzang verfolgt, wie unser gestriger Artikel „Die Krisis in Sachsen". Erwägungen im gleichen Sinne gibt noch eine ganze Reihe nichtsächsischcr Blätter Raum. Wir führen namentlich nur die „Köln. Ztg." an, di« ihren Artikel mit den Worten schließt: „Die großartige Entdeckung, daß die Jesuiten die wahren Schuldigen seien, kann nur ein mitleidiges Lächeln erregen", sowie die „Berl. N. N.", die von „Räubergeschichten" unc „politischer wie konfessioneller Aufbauschung" sprechen. — Haben somit bei dem Suchen nach der Veranlassung der Flucht der Kronprinzessin alle Wege irregeführt, selbst der von der Jesuitenfurcht an die Hand gegebene, so mehren sich angesichts des Fehlens eines andren zureichenden ErklärungSgrundeö die Vertreter der Ansicht, baß die Kronprinzessin von Sachsen geistig nicht völlig intakt sein könne. So spricht der protestantische Gewährs mann der „Dorszeitung" von „offenbarer Hysterie" und in den „Dresdner N. N.", um nur diese noch zu nennen, liest man: „Für diese Ungeheuerlichkeit kann es keine Entschuldigung geben, es sei denn, daß man annimmt, die Kronprinzessin sei schon vor ihrer Flucht und während derselben geistig und seelisch gestört und sei es zur Zeit noch." Bezüglich dcS „Jesuitenzöglings" Giron glaubt die Freiburger „Libertv", vielleicht durch Vermittelung deS Prinz e n Max, konstatieren zu können, der deutsche Gesandte in Belgien habe vom sächsischen Königshaus den Auftrag erhalten, einen französischen Lehrer für die kronprinzlichen Kinder auSzu- wählen. Seine Wahl sei auf Giron gefallen, dessen Vormund und Erzieher, wie jetzt feststebe, der fortschrittlich liberale Abgeordnete von Brüssel, der bekannte Frei denker Paul Janson, gewesen. Giron sei aufs wärmste empfohlen worden, obwohl er, wie jetzt gleichfalls feststehe, in einer religionslosen Studienanstalt (eoilözs uoutro) vorgebildet sei. Den sächsischen Hof habe Giron, der in Wahrheit völliger Freidenker sei, da durch in Sicherheit gewiegt, daß er vor Antritt seiner Stellung einige Zeit, in Wirklichkeit acht Tage, in dem Kloster Maredson zubrachte. — Dem nervösen Drängen nach völliger authentischer Aufklärung aller Vorgänge von Amtswegen muß schließlich cntgegen- gebalten werden, daß eine absolut unparteiische Dar stellung nur auf Grund der gerichtlichen Verhandlungen möglich ist. An einer anderen kann der Oeffentlichkeit absolut nichts gelegen sein, und wir verstehen cS daher Wohl, wenn der Hof bis jetzt noch nichts weiter verlautbart hat, als was „Dresdner Journal" und „Leipziger Zeitung" publiziert haben. Zur Ltrastburger FaknltätSangclcgcuhcit. Der Straßburger Bischof vr. Fritzen bat bekanntlich in einer vom „Eliässer" veröffentlichten Erklärung sein Be dauern über die Angriffe ausgesprochen, die der in Straß burg erscheinende „Elsässische Volksbote" gegen die bevorstehende Errichtung der katholischen Fakultät an der Straßburger Universität immer aufs neue unternommen bat. vr. Fritzen erklärte solche Angriffe und Sticheleien als im Widerspruch befindlich mit der von jedem Katholiken dem heiligen Stuhle geschuldeten Ehrfurcht. Der „Elsässische Volks bote" konnte nicht umhin, sich über die bischöfliche Erklärung auszusprechen. Er tut dies „mit der Ehrerbietung, die wir unssrm Bischöfe schuldig sind." Aber daß die Ehr- eibietung der Katholiken vor ihren Bischöfen dis merk würdigsten Nuancen hat, lehrt der Umstand, daß das ge nannte Organ der Abgg. Delsor und Hauß die „Anklagen" des Bischofs einfach als „den Tatsachen widersprechend" be zeichnet! Gleichzeitig veröffentlicht das Blatt ohne Kommen tar eine ihm aus dem bischöflichen Palais zugegangene Mit teilung, die er auf eine Anfrage nach der künftigen Gestalt deö bischöflichen Seminars erhalten bat. In dieser bischöf lichen Eröffnung wird die Aufgabe des ursprünglichen Seminars, wie bas früher ähnlich von andrer Seite geschah, eingeteilt in eine wissenschaftliche und in eine praktisch-asketische. Durch cie Gründung der theologischen Fakultät sei dem Seminar die wissenschaftliche Ausbildung der Geistlichen entzogen und der neuen Fakultät übertragen worden. Die zweite Aufgabe aber werde auch in Zukunft dem Seminar überlassen bleiben. „Dieselben Gebetsübungen", so heißt es in Bezug hierauf wörtlich, „dieselben religiösen Vorträge, derselbe Geist stiller Sammlung und strenger Jugenderziehung, kurz dieselbe asketische Durch bildung wird auch fernerhin ... die Zierde unseres Seminars bleiben. Auch die Gegenstände, die mehr zur unmittelbaren Vorbereitung der priesterlichen Praxis gehören, werden im Seminar ihre Behandlung finden. Wahrlich, eine herrliche Aufgabe bleibt dem Seminar gesichert! Möge es dieselbe lösen so, wie jene herrlichen Seminarien Deutsch lands, die in schweren, unglückseligen Kulturkampfs tagen so treue Kämpen für Gottes Ehre und der Kircke Freiheit gegeben." — Nach dieser bischöflichen Darlegung ist Wohl nicht zu bestreiten, daß bas bischöfliche Seminar Gelegenheit genug behält, der wissenschaftlichen Einwirkung der theologischen Fakultät entgegen zu arbeiten — wenn und so weit der Bischof das für angezeigt hält. Auf der andern Seite jedoch ist ebenio unbestreitbar, daß im Vergleich mit dem bisher herrschenden Zustande durch die Errichtung der Fakultät betreffs der reichsländischen Geistlichkeit Wissenschaft» lichen Einflüssen, die sich bisher überhaupt nicht geltend machen konnten, die Bahn geöffnet worden ist. Das ist im Hinblick auf die französifch-jesuitisch-rückständige Tradition des alten Straßburger Seminars unter obigem Vorbehalt immerhin ein Fortschritt. Von letzterem sich für das Deutschtum goldene Berge versprechen zu wollen, wäre aber ein übel an gebrachter Optimismus. Mit Vorbedacht gedenkt die bischöf liche Mitteilung der Erfahrungen, die unter der Einwirkung der Seminare in Deutschland zur Zeit des Kulturkampfes gemacht wurden. Daraus ist srühcr schon von nicht klerikaler Seite hingewiesen worden. Je mehr klerikale Heißsporne damals trotz der theologischen Fakultäten der Universitäten dem Staate auf das feindlichste entgegentraten, nm so weniger berechtigt ist ein Optimismus, der für die Reichslande von der Straßburger katholischen Fakultät andere Erfolge als die allerbescheidensten sich verspricht. Eine angebliche Meerengensrage. Die wegen der Durchfahrt von vier russischen Torpedo booten durch dir Meerengen in Konstantinopel über reichte britische Note ist nickt geeignet, der Diplomatie schweres Kopfzerbrechen zu veruriachen. Nach der Auf fassung der englischen Regierung selbst bedeutet dieser Schritt nichts mehr, als eine Rechtsverwahrung für etwaige künftige englische Bedürfnisse. Der vorliegende Zwischenfall als solcher, sofern man überhaupt diesen Ausdruck brauchen will, gilt überall als erledigt. Weder in London noch in Petersburg denkt man an die Aufrollung der Meerengen - Frage. Nur der englischen Presse blieb es Vorbehalten, in dieser verhältnismäßig gleichgültigen Angelegenheit von einem englisch-russischen Zerwürfnis zu sprechen. Die Minister Lambsdoiff und Lansdvwne, die Botschafter Sinowieff und O'Conor wollen nlchis davon wissen. Es ist in der Tat vom britischen Standpunkt aus unbesonnen, der Note eine Spitze gegen Rußland zu geben, und es ist naiv, darüber zu zetern, daß Deutichland sich an einem als anti-russisch bezeichneten Schritt nicht beteiligt. Während die Londoner D'plo- matie bemüht ist, von ihrer Mitteilung an die Türkei alles für Rußland Unangenehme abzustreifen, soll das Berliner Kabinett eine Bewegung machen, die in Peters burg von der bekannten anglo-russischen Preß-Clique als aggressiv »»geschwärzt werden kann? Lanota ^implieitas! Anverjeits hat die deutsche Diplomatie bei diesem An laß keineswegs, wie eia Reuter-Telegramm aus Berlin zu insinuieren suckt, besondere Versicherungen ihres Wohlver- haltenS an Rußland erteilt. Solcher Zusagen bedarf eS gar nicht. ES liegt in der Natur der Dinge und ist für uns Tradition, daß Deutschland, welches keine Mittelmeermacht ist, seine Aufgabe nicht darin er blicken kann, seinem russischen Nachbar an den Meer engen Schwierigkeiten zu bereiten. Das gehört zum ABC der europäischen Politik und sollte auch der englischen Presse bekannt sein. Selbst wenn eine Vertragsver letzung stattgefunden hätte, würde die Angelegenheit zunächst vor den Areopag der näher beteiligten Re gierungen zu bringen sein. Für den vorliegenden Fall batte aber der Sultan nach den Verträgen Wohl daS Recht, die Erlaubnis zur Durchfahrt der Torpedoboote zu erteilen oder zu versagen. Er hat sich aus Erwägungen feiner eigenen Lage zur Gewährung des russischen Wunsches ent schlossen. Die Vermehrung der russischen Schwarzen Meeres- slotte um die vier Fahrzeuge hätte er durch Sperrung der Dardanellen doch nicht verhindert: denn Rußland konnte die kleinen Boote auch auf dem Eisenbahnwege von Kronstadt nach Odessa schaffen lassen. Chamberlain und die Barren. Die Worte, mit denen Chamberlain in seiner Ansprache in Pretoria die Amnestie der „Rebellen" und die Rückkehr der in Europa weilenden Burghers ablehnte, sind ein schlechter Lohn für daS durchaus korrekte Verbalten der Boeren gegenüber dem neuen Regiment. Wie ängstlich beflissen diese sind, keine Verstimmung aufkommen zu lassen, ergiebt sick aus dem Verlauf der Besprechung, die von den Boercn zur Beschlußfassung über die Adresse an Chamberlain cinberufen worden war. Schalk Burger, der den Vorsitz führte, schnitt den Rednern das Wort ab, sobald sie sich verletzender Bemerkungen gegen die Engländer bedienten. Er bemerkte einmal, die Versammlung sei nicht zusammengekommen, um zu kritisiren, sondern um die neue Regierung in ihrer Aufgabe zu unterstützen und eS handle sich jetzt nicht um Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, sondern lediglich um die Durchführung der Friedensbedingungen. Und als sich später der Unmut gegen die verräterischen National Scouts in einer Rede Luft machte, erklärte Delarey, die Versammlung habe im Namen aller Afrikander und nicht nur im Namen eines Teils von diesen Beschlüsse zu fassen. Ein solches Verhalten hätte eine freundlichere Würdigung verdient, als ihr von Herrn Chamberlain zu teil wurde. Der Kolonialsekretär hätte sich jedenfalls, wie die „Voss. Zeitung" zutreffend schreibt, gegenwärtig halten müssen, daß rie allgemeine Amnestie, wenn sie auch keinen Bestand teil der Friedcnsbedingungen von Vereinigung bildet, den Boeren von Lord Kilchener in Gegenwart von Lord Milner verheißen worden ist. Die Amnestie ablehnen, weil die Boeren den Verrat der National ScoutS noch nicht verwunden haben, ist weder edel noch gerecht, und Chamber lain wäre der letzte, über einen Verrat aus Len Reiben der eigenen Volksgenossen den Schleier des Vergessens zu breiten, wenn die vcrräteritche Handlung gegen ihn und die Seinigen ge richtet gewesen wäre. Es war zu erwarten, Laß der Kolonial sekretär den Verbleib des tranSvaalschen Staatsschatzes gegen die Boeren ausspielen werde. Aber wenn eS sich vamit auch so verhält, wie man jetzt allgemein annmimt, so kann doch nicht aus einer sehr anfechtbaren Verwendung des Staatsschatzes ein Argument gegen die Rückkehr der verbannten Burghers hergelettet werden. Chamberlain Feuilleton. 7s Frau Huna. Rvman von Karl Tanera. Nachdruck verboten. Am nächsten Tage fuhren sie nach Eamaldoli. Eine wunderbare Aussicht eröffnete sich schon vor dem Kloster über den Golf, die Stadt Neapel, auf den Vesuv und auf die Landschaft bis Capua. Da entdeckte der Professor, daß innerhalb der Kloster mauern eine noch günstiger gelegene Terrasse war. Er schlug vor, zu fragen, ob man von dort die Aussicht ge nießen dürfe. Auf sein Läuten an der Torglocke erschien ein weiß gekleideter Mönch. Jzuna fragte, ob man die Terrasse betreten dürfe, wo rauf der Pater antwortete: ,,Il siguor si, iu» la signora no". Alle Ueberrcdungskunst des Professors scheiterte au der ruhigen Ablehnung des Mönches. Schließlich wollte Jzuna auf das Besteigen der Terrasse verzichten. Julie bat ihn aber dringend, sich doch die Aussicht dort anzusehcn. „Ich warte hier, und du kannst mir dann davon er zählen." Nun gab er nach, lief schnell nach der Terrasse, sah sich einige Augenblicke dort um und kehrte hierauf rasch zu seiner Frau zurück. „Es ist wirklich eine viel schönere Aussicht wia. hier, und ich begreife gar nicht, warum sie keine Frauen ge nießen dürfen." „Weil man weiblichen Personen überhaupt den Ein tritt ins Mönchskloster untersagt." „DaS ist aber hart. Das ist eine viel stärkere Tnrannei, als sie je bei uns in Japan gegenüber Frauen stattsindct." „Oh, es soll keine Zwangsmaßrcgel gegen die Frauen und Mädchen, sondern umgekehrt, gegen die nur der Ent sagung und Abtötung aller irdischen Wünsche lebenden Mönche sein. Man fürchtet, sie könnten durch den Verkehr mit Frauen, oder schon durch den Anblick weiblicher Schön heit in ihrer Selbstkasteiung gestört und zu sündhaften Gedanken angeregt werben." „Dies ist mir alles unverständlich, denn ich könnte es gewiß keine Sünde nennen, wenn zum Beispiel jemand «eine reizende Julie bewundern würbe. Aber eS ist ja Möglich, baß die Mönche, gerade, «eil man sie von allem Weiblichen so absondert, eher zu Ausartungen geneigt wären. Schade nur, daß du dadurch um den schönen Blick gekommen bist." „Oh, -er von der Wcgbicgnng dort ist ja auch sehr schön." Sic gingen nochmals an diese Stelle und sahen sich die Gegend zu ihren Füßen an. Julie war etwas still ge worden, cs schienen sie ernste Gedanken zu beschäftigen. Jzuna merkte es, legte seinen Arm um sie und fragte in zärtlichem Tone: „Was bewegt meine geliebte Julie, daß sic so nachdenkcnd geradeaus sieht." Sie wandte sich gegen ihn, blickte ihn ruhig an und sprach: „Verzeihe, mein Freund, daß ich mich einige Minuten lang ernsten Erwägungen überließ. Wie ich diese zauber hafte Landschaft vor mir sah, durchzuckte mich einen Mo ment der Gedanke, ob cs nicht sehr gewagt von mir sei, Europa zu verlassen, nm nach einem fremden, vielleicht lange nicht so schönen Erdteil zu ziehen? Jetzt aber, wo ich wieder in deine lieben Augen sehe, ist dieser Zweifel rasch verflogen. Ich will ja vor allem bei dir sein. Das Land, in dem wir wohnen, kommt erst in zweiter Linie in Betracht." Er umarmte sic, küßte sic nnd ries: „Ich danke dir, du gutes Wesen, für deine Liebe. Mer du darfst cs mir glauben, du machst keinen schlechten Tausch. Japan ist schön, und unsere Jnlandsec kann selbst mit diesem be sonders entzückenden Teil Europas mit Erfolg wetteifern. Nara, Myanvschita, Nikko und andere Orte übertreffen aber alles, was ich sonst auf der Erde gesehen habe, und Parkanlagen, wie die von Tokio, findet man in Europa auch selten." Sie hörte ihm zwar aufmerksam zu; aber es wäre ihr lieber gewesen, er hätte mehr versucht, ihr durch Schilde rung des ihnen beiden bevorstehenden häuslichen Lebens den Abschied zu erleichtern, als daß er ihr nur die land schaftliche Schönheit seiner Heimat pries. Sic sagte sich jedoch selchst, sie dürfe nie vergeßen, daß er eben cm Ja paner sei, dem sa sein Vaterland über alles gehe. Beide kehrten nun zum Wagen und in diesem zur Stadt zurück. Der Nachmittag mußte für das Eiupackcn und Um packen verwendet werden, denn die warme Kleidung konnte jetzt in die Tiefen der Koffer versenkt werden, während man die leichten Tropengewänber bequem zur Hand legen mußte. Am v. Dezember, vormittag», fuhr da» junge Paar zur Jmmacolatclla, von wo ans kleine Dampffähren den Ver kehr zn den großen, weiter außen im Porw nuvvo liegen den, riesigen Steamern vermittelten. Das Schiff, welches sic nach Japan bringen sollte, war der Schnelldampfer „Friedrich der Große" des „Norddeutschen Lloyd". Nicht nur Julie, sondern auch der schon so viel gereiste Professor staunte in hohem Maße, als sie das stolze Schiff erblickten. Einen so mächtigen Dampfer hatten beide noch nie gesehen. Tie erstiegen das Promcnadedcck. Auf die freundlichste Weise wurden sie von einem Schiffsoffizier empfangen nnd, als Jzuna seinen Namen genannt hatte, nach ihrer Kabine geführt. Er öffnete die Tür und ließ die junge Frau voraus eintreteu. Kaum hatte sie einen Blick in das Innere geworfen, so rief sie jubelnd ans: „Die lieben, guten Tanten! Sich nur, Akira, ivie ent zückend sie unS überrascht haben!" Auf dem Tischchen der Kabine stand, umgeben von Blumen, das Dvvpelbild von Fräulein Edwald - Erzberg in einem reichen, mit Vergißmeinnicht ans Mosaik ge schmückten Rahmen. Davor lag ein Brief. Während Julie ihn öffnete nnd gerührt die marinen, zärtlichen Ab- schiedswortc ihrer Pflegemütter las, erkundigte sich der Professor, wie dies alles in die Kabine gekommen sei. Er erfuhr, die beiden Damen seien einen Tag vor der Abfahrt des Dampfers aus Bremerhaven an Bord gekommen, hätten persönlich die Kabine besichtigt nnd dem Ober steward verschiedene Aufträge erteilt. Dieser habe die Be schaffung der Blumen veranlaßt und auch Sorge getragen, daß sich die Kabincnkoffcr der Reisenden schon auf ihren Plätzen 'befanden. Richtig, sie standen schon unter den Betten. Damit war man dem lästigen Suchen im Schiffs magazin enthoben. Nunmehr gab Julie ihrem §>iatten den Brief zu lesen, während sie selbst das Bild nochmals genau betrachtete nnd cs dann küßte. Unwillkürlich war ihr eine Träne ins Auge gekommen. Sie ließ cs aber Jzuna nicht merken. Bis er den Brief gelesen, hatte sie sich schon wieder völlig in der Gewalt und bemerkte; „Ist cs nicht rührend, wie lieb iie schreiben!" „Ja wirklich, cs sind zwet Perlen von Damen. Wir wollen schnell ein Telegramm ftir sie schreiben. Das kann man noch im letzten Augenblick vor der Abfahrt des Dam pfers aufgeben." Selbstverständlich war sie sofort einverstanden und schrieb: „Beim Abschied von Europa -Ut -er letzt« Gedanke Euch, die Ihr uns abermals so innig durch Euer Bild und Eure Fürsorge erfreut habt. Auf Wiedersehen! Julie und Akira." „Bist >u mit diesem Wortlaut einverstanden?" „Selbstverständlich, mein Lieb. Alles, was du machst, ist ja gut." Nun traten sic wieder ans das Promenadcdeck, stellten sich an die Reling und beobachteten das lebendige Treiben, welches der Abfahrt vvrausging. Als der letzte der Zu- rllckbleibcndcn verließ der italienische Postbeamte den Dampfer. Er nahm ihr Telegramm nnd einen schon im Hotel geschriebenen Bries mit. Die Schraube setzte sich in Bewegung, das stolze Schift wendete sich seewärts, nm in den blauen Golf zu steuern, um Europa zu verlassen nnd erst in Afrika, in Port Said, wieder anzulandcn. Es gibt wenig so schone Anblicke, wie den von Neapel und seiner Umgebung von der Bucht aus. In der Mitte der rauchende Vesuv, und an seinem Fuße Torre del Greco, Pvrtici nnd Neapel, rechts die malerische Halbinsel von Sorrent, links der villcnbcdcckte Pvsilipp nnd die romantische Bucht von Bajac, alles bespült von den tiefblauen Fluten des Meeres nnd überwölbt von einem wolkenlosen, azurblauen Himmel, das ist ein herr licher, ein unvergeßlicher Anblick. Der Abschied wurde der jungen Frau doch etwas schwer. Es kam ihr vor, als ob sic ihre Vergangenheit, alles, was sic liebte, zurücklassc. Dann sagte ne sich aber: „Du folgst ja freiwillig einem geliebten Mann, der dir eine neue Heimat schaffen, ein eigenes Heim gründen will. Die Würfel sind gefallen. Jetzt mutig vorwärts!" Sie bezwang sich, bemühte sich, heiter nnd fröhlich ans- zusehen, hing sich in den Arm Jzunas und forderte ihn auf, mit ihr auf dem Prvmcuadcdcck hin und her zu wandeln. Bald war cs Zeit, sick zum Diner bereit zn macken. Als das junge Paar, sehr elegant in tadelloser Gescll- sckaftstoilcttc, im Tpeiscfaal erschien, erregte cs bei den schon anwesenden Passagieren allgemeine Aufmerksamkeit. Ein Japaner mit einer so jungen, hübschen, europäischen Frau mußte ja auch ausfallen. Der üapitän wies ihnen sehr gute Plätze an seinem Tücke au. Neben Julie saß ein älterer, grauhaariger, vornehm ansichender Herr, der, als er vernahm, daß Julie mit ihrem Manne deutsch sprach, sich als ein deutscher General z. D. vorstellte. Er hieß von Menzheim und reiste ebenfalls nach Japan, wo er zu wtflenschaftttchen «tuöten schon »weimal aeroeferr «ar,
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