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Dresdner Journal : 13.04.1872
- Erscheinungsdatum
- 1872-04-13
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-187204133
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18720413
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18720413
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Journal
- Jahr1872
- Monat1872-04
- Tag1872-04-13
- Monat1872-04
- Jahr1872
- Titel
- Dresdner Journal : 13.04.1872
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1872. ^84 Sonnabend, de« 13. April Dres-nerÄmmial Verantwortlicher Redacteur: Z. K. Harturanu. Iw >Iokr»«M« tnttiSkrllod ,, .. « «rl>»4d 6s» ävutscksn ^Uu-Iwk: 1 Hür. I» Uxr. L«ieke. kott uoä Livroli»« Uuwwerv: l K^r)84emp«Iru»c:UI»ßs Uwia. Iu»vr»te»xrvtsvr kür «I«» Raum viuor ee»p^t»usQ Uotvr „Li»x«umät" äi» 2«2sr S K^r. LrsvkelLS»: ^slictl, mit Xusuatuns ä«r 8ouu- uuä ksisr-tas«, ^deuäs kür äeu kotxvuäeu 1»8- lL,«r»1en«iiuLt»mo »usvSrttt Lrami^rtter, Lomimssiooär 6es Vrv»6o«r 4ouru»I»; «dvuäas : 15. LnAler, Li,Ae« 1'ort u. L. Low- darx-L«rIio-Vi»i»-l.«iprjx-LL»el-Lre»l»u-kr»i>Iltiirt ». A.r Aau»en«t<-i» et' Lvrlia -Vi^a- ULmdirr^- kr»ok- Ivrt ». ».-Slüiivkeo: Ituet. Usrliii: ^4. Aet^ne^«-, 1/. , Lremsn: II Kc/ikotte, vr«»I»u: /,.Ka»ven» Nüre rui u. N. kr»n>isurt a. « : A. 1arA«r'sc»o u. . 1 <7. Herrmemn'soke LuvdL., Itarebe et Co., kr»-: 1>. C/»ri«c/»'s Luctid ; Vkswoitr l 1>. karii: Aava», A«tt«er F Co., Vivn: 8tuttx»rl; Daab« et Co. U«r»u»xvl»vr: 8öoiel. Lipsäittou lies Oresdrier .Ivuroal», vresäeü, Ltarsurottiengssss Xo. I. !W--—M-—- —. . _ 4 Amtlicher Theil. Dresden, 12. April. Sr. Königliche Majestät haben geruht, dem Militairlehrer im Kgl. Cadetten Corps, Hauptmann Fischer des 2. Jäger Bataillons Nr. 13 das Ritterkreuz des Verdienstordens und dem char. Feldwebel Koggel des 8. Infanterie-Regiments Nr. 107 die goldene Medaille des Albrechtsordens aller- gnädigst zn verleihen. Nichtamtlicher Theil. Telegraphische Nachrichten. Innsbruck, Freitag, 12. April, Morgen». (Tel. d. Dresdn. Journ.) Ihre Majestäten der König und die Königin von Sachsen find gestern Abend 6 Uhr, zunächst von München kommend, hier ein- getroffen und im „Oesterreichischen Hof" abgestie- aen. Heute Vormittag v Uhr werden Ihre Ma- zestäten die Reise, welche vom herrlichsten Wetter begünstigt ist, über den Brenner nach Riva fort- setzen. Berlin, Freitag, 12. April, Nachmittag«. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung de» Reichttaget wurden, nachdem v. Bennigsen die Annahme der Wahl zum zweiten Vicrpräfidenten erklärt hatte und die Wahl Strecke'« (Schlesien) wegen Wahl- beeinsluffung durch einen bonfistorialratb beanstan det, sowie dem Rrich«kanzler zvm Behufe der Unter suchung überwiesen worden war, die Uebereinkünfte mit Italien und Spanien über die Ausdehnung der mit dem Norddeutschen Bunde geschloffenen Cousularverträge auf da« deutsche Reich in erster und Zweiter Lesung genehmigt. Schließlich;wurde die Consularronvention mit Nordamerika unver ändert angenommen. Fulda, Freitag, 12. April. (W.T.B.) Gestern Abend find dir hier abgehalteueu Conferenzen der preußischen Bischöfe geschlossen worden. Heute er- folgt die Abreise der Bischöfe. Die gefaßten Be- schiüffe find unbekannt. Der Erlaß eine« gemein- schaftlichen Hirtenbriefe« steht bevor. München,Freitag, 12.April. (W.T.B.) Durch rin königl. Rescript vom gestrigen Tage iü die Dauer dr« Landtag« bi« zum 24. d. M. inclusive verlängert worden. Pari«, DonnerStog, 11. Apr.l, Abend«.. (Corr.-Bür.) Die fravzöfiscbc Regierung wird sich officiell au der Wieuer Weltausstellung betheiligen. Ein Eentralcomit« der französischen Aussteller ist in Bildung begriffen und wird sich mit der Auf bringung der Kosten für Transport und Einrich tung befassen. Loudon, DounerStag, 11. April, Abend«. (W. T. B.) In drr brütigen Sitzung de« Oder bauset erklärte der StaatSsecretär de« Aeußern Earl Granville auf eine Anfrage Lord Stanhope », daß Frankreich hinsichtlich de« Paßsystem« in 10 bis 12 Tagen Arrangement« getroffen haben werde, welche Verluste an Zeit und Gelb ersparten. Arthur O'Connor, welcher am 29. Februar den unsinnigen Anfall auf di« Königin machte, ist vom Geschwornengerichte wegen de« Versuch« drr Einschüchterung grgru die Königin zu 2N Peitschen- hieben und 1 Jahre schwerer Zuchthausstrafe ver- urtheilt worden. (Vgl. unter »Tagesgeschichte".) Dresden, 12. April. Der Triumpheinzug Benjamin Disraeli's in die Hauptstadt des englischen Radicalismus, Man chester, hat die Londoner Blätter in der jüngsten Zeit vorzugsweise beschäftigt. Für die sociale Entwicklung in England ist jedenfalls die Thatsache von hoher Be deutung, daß in dem größten Jndustriebezirke des Lan des, ehemals als liberal p»r oxcellvnos bekannt, die conservative Partei soviel Terrain gewinnen und dort Feuilleton. (Redigtit vor, Atto Banck.) K. Hofthrater. 11.April: „Hans und Grete". Schauspiel in 5 Acten von Friedrich Spielhagen. Das hervorstechende, zeiterfassende Talent, welches wir Spielhagen in einigen seiner ersten Novellen und Romane entwickeln und später durch eine zu gewerb- fleißige Production gefährden sahen, vermochte der Autor keineswegs auf das dramatische Feld zu übertragen. Die Fabel hat den epischen, also undramatischen Bau einer Erzählung, die Charaktere sind skelrttirt, das heißt sie haben ihr Fleisch verloren, sie wirken hart, mager, künstlerisch unliebenswürdig. So hat durch daS Dra- matisiren hauptsächlich der Hauptcharakter, Grete, un gemein verloren. Ihre psychologischen und pathologi schen Motive, die Unschuld des Angeklagten Hans nicht zu bezeugen, stützen sich auf zaghaft verschlossene Sin nesart und Krankheit; sie sind in der Novelle durch liebevolle Schilderung klar und wirksam zu machen, auf der Bühne bleiben sie effectlos, ja sie führen zur Verkennung Gretchen's. Die Begnadigungsscene ent schädigt dafür nicht, denn die darin herrschende Mischung von gerührter Huld und halb frivoler Scherzhaftigkeit macht, auch abgesehen von einigen unzarten Witzen, einen peinlichen Eindruck. Dies Nachspiel ist von einer gan» andern Palette gemalt, die zu den schweren, trüben Farven des Vorausgehenden nicht paffen will. Minder noch vermag Hans zu fesseln, ein ehrlicher, aber wüster Bürste, dessen männliche Energie in Extravaganzen Um so dankenswerther war die harmonievolle Dar stellung Gretchen's durch Frl. Ulrich. Sie zeichnete mit feinen Strichen die zaghafte Unentschlossenheit eine- wetchgestimmten deutschen Mädchens, dessen Innere- ihren außerparlamentarischen Feldzug mit einer so glän zenden Demonstration eröffnen konnte. Die „Daily NewS" trösten freilich sich und ihre Leser mit der Versicherung, daß die Vorgänge in Manchester nur eine Saturnalie der boro-norstüp seien, für deren Genuß die von der gewöhnlichen Triumphstraße „gro ßer Männer" abgelegenen Städte des Nordens von jeher empfänglich gewesen, und daß nur bei dieser Ge legenheit etwas mehr gethan wurde, als bei früheren Anlässen. Die so auf den schon von Cobden mit wch- müthtger Ironie bezeichneten „Flunkey-Geist" der eng lischen Nation zurückgeführte Huldigung gelte nicht Dis- rarli, dem anerkannten Führer einer veralteten Torya- ristokratie, sondern Disraeli, dem geistreichen Schrift steller, dem kühnen Parteigänger, der mit eigener Hand sich den Weg gebrochen durch die Vorurtheile und Pri vilegien socialer Kasten und politischer Parteien bis zur höchsten Stellung, die ein englischer Staatsmann ie einzunehmen hoffen darf. Es sei nicht ein politische?, sondern ein psychologisches Interesse, das die paradoxe Begeisterung des Empfanges entzünde und zu Flammen anfache, wie sie seit den aufgeregtesten Tagen der Oorv-1^»w-l.«»8"v in den Straßen der alten Stadt nicht aufzulodern vermochten. — Etwas besorgter ist „Daily Telegraph", welcher bemerkt, daß „etwas in der Luft liege", im Uebrigen aber nicht glaubt, daß Mr. Disraeli der geeignete Nachfolger für Mr. Gladstone sei. Das Land verlange nach den vielen Reformen des Cabinets Gladstone nach Ruhe, Mr. Disraeli sei aber durchaus nicht der Mann dazu; er werde sehr schnell zu Reformen im entgegengesetzten Sinne schreiten und vom conservativen Gesichtspunkte aus sei daher sein Auftreten in Lancashire eher eine Gefahr für die Tories, als für die liberale Partei. — Eine eingehende Darlegung der Vorgänge in Manche ster und der Position Disraeli's überhaupt bietet der wiederholt von uns citirtc Londoner Berichterstatter der „Weser-Zeitung". Derselbe schreibt: „Disraeli ist ohne Zweifel persönlich der populärste Staatsmann Eng lands. Sein Erfolg imponirt der Masse, die ihn als einen der Ihrigen bettachtet und in seiner wunderbaren Laufbahn einen demokratischen Triumph erblickt, ein leuchtendes Vorbild, dem auch der Geringste nachstreben dürfe. Nur ist es ein optimistischer Jrrthum, zu glau ben, daß Disraeli Alles sich selbst verdanke. Zum Erfolge im öffentlichen Leben gehört hier mehr als Talent, Energie und Entschlossenheit, es gehört dazu auch DaS, was ihm die Neigung der Viscounteß Beaconsfield entgegenbrachte — Vermögen, Nespecta- bilität, Familienverbindung. Ohne diese Heirath, welche ihn als Besitzer von Hughenden-Manor der grundbc- sitzlichcn Klaffe seiner Grafschaft zugesellte, hätte der radicale Bohömien gar kein Recht gehabt, conscrvativ zu werden, und seine Begeisterung für Torygrundfähe würde geradezu lächerlich erschienen und als freche An maßung zurückgewiesen worden sein. Doch die psycho logische und persönliche Auffassung genügt in der That nicht zur Erklärung des „„conservativen Deliriums"", um mit dem „Telegraph" zu reden, von welchem Lan cashire vier Tage lang besessen war. Die 124 Adressen von conservativen oder „„konstitutionellen"" Associatio nen Lancashire's, welche der gefeierte Mann in Po- mona-Gardens, dem Cremorne Manchester'-, in Empfang nahm; die vielen Tausende von Abgeordneten aus allen Theilen der industriellen Grafschaft, welche mit ihren Hunderten von Fahnen in feierlicher Procession durch den strömenden Regen zogen, um dem Führer des mo dernen Conservatismus ihre Huldigung begeistert zu Füßen zu legen; der stürmische Enthusiasmus, der un willkürlich auflodertc, als die gebrechliche Viscounteß Beaconsfield auf einem Armstuhl vor das Publicum gerollt wurde und der große Mann endlich selbst er schien; die schreienden und jubelnden Volksmassen, die ihm auf Schritt und Tritt folgen und ihn allenthalben erwarten, wo nur die geringste Chance vorhanden zu sein scheint, die ungestümen Cheers! an den Mann zu bringen — Alles das kann in dieser Ausdehnung nicht mit seinen Schicksalen und seinem kindlichen Gehorsam in Zwiespalt ist und erst durch ein furchtbares Loo- sungswort des Schicksals zum Handeln aufgerüttelt wird. Ein warmer Ton verband sich mit schöner Ein fachheit des Spiels. Sie wurde von den beiden Rr- präsentationsrollen der Herzogin und des Herzogs (Frl. Langenhaun und Hr. Dettmer) geschickt unterstützt, obschon es wünschenswerth bleiben muß, die Redeweise eines Fürsten in gewähltcrn Farben von der eines vor nehmen Gutsherrn mit Pattimonialgercchtsame zu unter scheiden. Aus dem Schulmeister macht Hr. Jaffe was möglich ist; leider ist diese gehässige Figur eben so wenig bühnenwirksam, als die burleske vom Förster, welchen Hr. Dessoir gab. Hrn. Richelsen fehlt es bei allem Fleiß noch an künstlerischer Geschicklichkeit, die zerrissene Rolle des Hans sich durch eine gewisse Haltung von Kraft und ehrlichen Trotz dankbar zu machen. Mehr noch gebricht es dem Pantoffelklaus an einer etwas originellen Charakteristik von Seiten des Dar stellers. Hr. Marcks bewegt sich bei einer hrrauf- gepreßten Heisern Krhlkopfstimme in solchen Rollen alter Strolche und Gauner mit einer Monotonie, deren rein äußerliche Handwerksmittrl dem Zuschauer jede Ueber- zeugung schuldig bleiben. Dies zu betonen, gebietet das Wohlwollen, da die Tüchtigkeit eines Regisseurs nur sehr ungern mit der Schwäche persönlicher schau spielerischer Leistung in Zwiespalt treten sollte. Otto Banck. Cuttur- und Sittenbilder auS der römischen Kaiserzeit. (Fortsetzung au» Rr 8L.) Der Anklang, besten sich diese Schilderungen zu er freuen haben, führte ihre Ausdehnung herbei. Nachdem ein Blick eröffnet ist auf da- Straßenleben, da- Gast gemacht sein und ist auch nicht gemacht. Lancashire ist konservativ geworden, oder es hat wenigstens aufgehört, „„liberal"" im herkömmlichen Sinne des Wortes zu sein. Schon bei der letzten Wahl traten warnende Zeichen hervor, welche eine solche, scheinbar unnatür liche Wandelung verständlich ankündigten. Der offi- ciclle Liberalismus hat diese Warnung sowohl, als seine eigenen Gelöbnisse in den Wind geschlagen und jetzt ist Mr. Disraeli, in Ermangelung eines Besseren, der Held des Tagts und wird da mit begeisterten Beifalls rufen empfangen, wo Mr. Gladstone ausgezischt werden würde. Daraus jedoch den Schluß zu ziehen, daß sich die englische Industrie nach den Fleischtöpfen des patriarcha lischen Feudalismus zurücksehne und ihre liberalen Sün den mit einem reuigen puter p< eoavi zn den Füßen ihres alten Erb- und Lebensfeindes abzubüßcn wünsche, würde eine Illusion sein, der sich allerdings die Toryorgane im siebenten Himmel ihr^r Begeisterung hingeben, die jedoch mit dem gesunden Menschenverstände und dem Selbstinteresse der Fabrikbevölkerung in einem lächer lichen Widerspruche steht. Die Fabrikeigenthümer von Lancashire sind nüchterne, ihren Vortheil verstehende und wahrnehmende Geschäftsleute. Ein Gleiches gilt von ihren Arbeitern, deren große Mehrzahl vor der verhaßten hocharistokratischen Tyrannei der Trades- unions und vor den lästigen Forderungen des inter nationalen Socialismus im conservativen Lager Schutz zu suchen scheint. Wenn aber Lancashire auch nichr toryistisch geworden ist, weil es das der Natur der Sache nach nicht werden kann, so haben die Vorgänge in Manchester doch so viel klargemacht, daß der Liberalis mus , der die englische Industrie je wieder an seine Fahnen fesseln will, ganz anders aussehcn muß, als der Gladstone'sche des heutigen Tages aussieht. Mr. Gladstone's Liberalismus ist seit lange nur noch eine aufreizende Form gewesen, ^Uc wichtigeren Maßregeln der letzten zwei Jahre hat er mit Hilfe der Tories gegen seine eigene Partei durchgesetzt. Seine hochkirchlichen und aristokratischen Vorurtheile sind seit zwei Jahren in so beleidigender Ernsthaftigkeit hervorgctretcn, daß die steigende Popularität Disraeli's eine sehr natürliche und logische Consequenz seiner eigenen'Zweideutigkeit ist. Disraeli hat den großen Vorzug, gar keine Vor- urthcilc zu hegen, obgleich er sehr geschickt die Vorur theile Anderer zu seinen Zwecken zu benutzen vermag. Kurz, wir halten Disraeli's Triumph in Lancashire, drr seine demnächstige Erhebung zur Regierung-grwalt ankündigt, für eine wohlverdiente und gar nicht un erfreuliche Logik der Thatsachen. Wohl durfte er mit stolzem Bewußtsein in Pomona-Ga.dcns erklären, daß er in dem politischen Leben keines anderen Staatsmannes eine Parallele für die ihn umwogende Begeisterung zu finden vermöge. Wir gönnen seiner Viscounteß und ihm selbst diesen Triumph, aber gerade deshalb wünsch ten wir, daß er seine große Rede in der Freetrade-Hall am nächsten Tage nicht gehalten hätte. Sie war ein bedauerlicher Anttklimax. Disraeli ist kein Volksredner. Dazu fehlt es ihm an Leidenschaft. Die geistreichen Paradoxe und die feinen Sarkasmen, mit denen er im Unterhause seine Reden zu würzen pflegt, verhallten ungehört und unverstanden in diesen ungeheuren Räu men vor der wogenden und brandenden Menschensee. Seine ausgearbeiteten Reden erinnern immer an die Zeit seines Literatenthums, sie sind Essays, hübsch ge- schnörkelt und verziert in ihren Einzelheiten, aber ohne überwältigenden Gesammteindruck. Die großen zün denden Worte, mit denen John Bright die Volksseele zu elekttisiren vermag, stehen ihm nicht zu Gebote. Noch dazu hatte er sich an der undankbaren Aufgabe abzu- nützcn, ein Toryprogramm aufzustellen und als gc- sinnungstüchtiger Partrimann aufzutreten. An diesem inneren Widerspruche scheiterte der Erfolg seiner Rede. Wenn auch die Tories ein Programm haben, so sollte doch ein geistreicher und vorurtheilsfreicr Mann, wie Disraeli, weise genug sein, keines zu haben, oder we nigstens nicht mehr davon, als für seine Stellung ab solut erforderlich ist. Aber eine dreistündige Rede zu mahl, das Begräbniß, das merkantile und private Pla kat, die Kunstproduction und Manufaktur, das weib liche, durch die antiken Statuen dem Laien nie klar werdende Costüm, sei nur noch der Art des Reisens und der öffentlichen Spiele gedacht. Nehmen wir an, daß unser griechischer Tourist, um jene zu sehen, zum zweiten Male von Brundusium aus nach der gewaltigen Weltstadt zieht. Es ist selbstverständlich, daß zwischen solchen Hauptmomentcn des damaligen Lebens noch hundert unerledigte Fragen offen und ungelöst bleiben. Doch Zweck war es nur, ein allgemeines Sittengcmälde des alten Roms zu entrollen und hervorragende Punkte zu berühren, durch deren Aussicht sich die Phantasie und Intelligenz des Gebildeten weiter orientircn kann. Indem ich jenen Zweck verfolgt, glaube ich dem ver dienstlichen Werke Fvrbiger's, das in Tausenden von No ten ins Detail eingeht und selbst dem Gelehrten ent- gcgenkommt, die wärmste Empfehlung zu bereiten und den weiten nicht mit der Philologie vertrauten Kreisen die Ueberzeugung einzuflößcn, wie segenbringend es für die gesammtc Weltauffassung, für das Ver- ständniß der Dichter, für die Vermeidung zahl loser irriger Vorstellungen ist, das Culturlebcn einer großartigen oder wichtigen Weltcpoche in farbenfrischcn Zügen vor sich zu sehen. An vielen Stätten und in verschiedenen Zeiten heimisch zu werden mit der Phan tasie und dem Begriffsvermögen, dies verdoppelt, ähnlich, wenn auch in ganz anderer Weise wie die Ausübung der menschlichen Tugenden, Werth und Reichthum des innern Lebens. Wenn wir das alttömische Kulturleben mit dem unsern vergleichen wollen, wird sich manche überraschende Aehnlichkrit zeigen, und dort mehr Jndustrieentwicke- lung, al- man erwarten sollte. Auch drr Mittelstand, der untere Stand und der große Haufe leiten keinrs- halten, um der Welt die erstaunliche Neuigkeit mitzu theilen, daß die von ihm geführte conservative Partei sich die erhabene Ausgabe gestellt habe, den Thron, das Oberhaus und die Staatskirche zu verthcidigen, ist denn doch zu trival. Das kann ja jeder Tory sagen und sagt auch jeder, der nichts Besseres zu sagen weiß. Noch dazu fehlte cs diesem langweiligen und vulgären Essay an jeder polemischen Pointe. Mr. Gladstone ist gewiß nicht der Mann, der den Thron, die Kirche und das Oberhaus anzugreifen beabsichtigt. Die Rede bat seinen Rivalen, deren Muth sehr gesunken war, wieder Leben gegeben. Seine phantasiereiche Hoffnung, Mr. Gladstone und dessen Collegen bei seiner Rückkehr in das Unterhaus „„wie eine Kette von ausgebrannten Vulcancn"" auf der Ministerbank vor sich sitzen und Dampf und Asche, aber kein Feuer mehr sprühen zn sehen, wird sich doch wohl nicht so bald bestätigen. Mr. Gladstone kann und wird noch Feuer sprühen, aber dieses kann nur dazu dienen, den Triumph Ben jamin Disraeli's festlich zu beleuchten." Lligesgeschichte. U Berlin, 11. April. Von sächsischen Mitgliedern sind in neuerer Zeit in den Reichstag die Abgg. vr. Georgi, Hirschberg und Mosig v. Aehrenfeld eingetre- tcn. — Heute sind der Gesetzentwurf wegen Erhebung der Brausteuer, sowie die Etats des Rechnungshofs des deutschen Reichs, des Reichsoberhandelsgerichts und der Einnahme des deutschen Reichs an Wechsel- stempelsteucr verthrilt worden. Die letztere beträgt zusammen 1,822,500 Thlr., wovon 24 als An theil der Landesregierungen abgehcn, so daß schließlich 1,328,100 Thlr. in die Reichskaffe fließen. Die Ein nähme wird für 1873 veranschlagt: in Preußen auf 1,104,510 Thlr., in Bayern auf 108,000 Thlr., in Sachsen auf 121,160 Thlr., in Hamburg auf 181,470 Thlr. Davon gehen ab für die Landesregierungen von Preußen 265,082 Thlr., von Bayern 25,920 Thlr, von Sachsen 29,078 Thlr., von Hamburg 43,553 Thlr. u. s. w. — Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Einrichtung und die Befugnisse des Rechnungshofes, der gestern gleichfalls unter die Mitglieder des Reichs tages vertheilt worden, ist, wie die Motive sagen, dazu bestimmt, an die Stelle des provisorischen Zustandes über die Rechnungslegung einen definitiven zu setzen. Er hat das im preußischen Landtage berathene Gesetz, betreffend die Einrichtung und Befugnisse der Ober rechnungskammer, zur Grundlage genommen, weil es im Jntcreffe des Reichs liegt, seine Gesetzgebung über diese Materie der preußischen anzupasien. Denn die in Preußen über die Conttole des Staatshaushalts seit einer langen Reihe von Jahren bestehenden, in das neue preußische Gesetz übernommenen Vorschriften haben sich in der Hauptsache vollständig bewährt und, von wenigen Punkten abgesehen, einer Aenderung nur des halb bedurft, weil das zur Zeit ihrer Entstehung gel tende Staatsrecht nicht mehr das heute geltende ist Das vorliegende Gesetz enthält 22 Paragraphen und schließt sich in Bezug auf die Natur der Bemerkungen über Abweichungen von den Titeln des Specialetats und den bestehenden Gesetzen an das preußische Gesetz an. — Dem Chirurgencongresse wohnt, vom lgl. sächsischen Kriegsministerium damit beauftragt, der säch sische Oberstabsarzt l)r. Beyer bei. Berlin, 11. April. Wie der „St.-A." meldet, sind Se. Majestät der Kaiser vorgestern beim Ein- steigcn in d:n Wagen ausgeglitten und haben sich eine Knieverstauchung zugezogcn. Tas Allgemeinbefin den Sr. Majestät ist jedoch ein durchaus befriedigendes und haben Aücrhöchstdiesclbcn sowohl heute wie gestern die gewohnten Vorträge entgegen genommen. — Die vereinigten Ausschüsse des Bundesrathes sür Eisen bahnen , Pott und Telegraphen und für Rechnungs wesen, sowie der Ausschuß desselben für Rechnungs wesen hielten beute Sitzungen ab. — Tie Verhandlun gen der seit dem 5. v. M. berathendcn Commission zur Ausarbeitung einer deutschen Scemannsordnung wcgs ohne Comfort. Volksküchen, Straßenküchen und Trattorien, wie sie noch heute in Italien blühen, oder besser dampfen, waren an der Tagesordnung, und zum Nachtheil der gesellschaftlichen Entwickelung ließen sich Trägheit und Armuth besser als heute ertragen und zwar nicht nur aus Gunst des milden Klimas und der einfachen Bedürfnisse, sondern wegen der eingerissencn Unsitte, von Staatswegen Brod zu vertheilen und die gährendcn Clemente des Faulenzerthums in guter Stim mung zu erhalten. Hierin lag ein gar frühes Zuge- ständniß des unheilbaren Bruches zwischen Pauperis mus und luxuriösem Reichthum — die einzige Lösung dieser Frage, die Einführung und Sitte regelmäßiger Arbeitsthätigkeit ist keine altrömische Erfindung, sondern eine Errungenschaft der modernen Zeit. In ihr gilt beim Aermsten das Princip, nicht nur um zu leben selbst essen, sondern sich auch die Nahrung selbst verdie nen zu müssen. Der römische Plebejer ließ sich im Noth fall auf allgemeine Unkosten füttern. Die Folgen zeig ten sich mannichfach, nicht nur im Gang der Geschichte, auch im bürgerlichen Leben: Wir klagen heute über Brigantcnwesen, über Unsicherheit auf den Wegen und Stadtsttaßrn Italiens, über organisirte Bettelei, die wir dem Einfluß des Mönchwesens zuschrciben. Diese Uebel liegen tiefer, sie sind traditionell und herrschten während der ganzen Kaiserzeit, während des gesammten Mittelalters. Mancherlei sehr wichtige sociale Verhältnisse deS römischen Alterthums sind nicht in Kürze klar zu machen, so z. B. die Sclavereigcsetze, die ehelichen und Familien- rrchte, die Verfassungszustände, die Verhältnisse zwischen Ritter- und Bürgerstand, zwischen Militär und Civil. Einiges nur will ich noch zu erwähnen versuchen. Na türlich gab cs noch keine Zeitungen, aber doch bcrcit- eine Art Ersatz für die Staatszeitungrn der neuen
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