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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.01.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030103019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903010301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903010301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-03
- Monat1903-01
- Jahr1903
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Redaktion und Erredition: Johannisgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialerpebitionrn: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr.3, L. Lösche, Kathartnenstr. 14, u. KönigSpk. 7. Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 3.75. Durch die Post bezogen für Deut ch land u. Oesterreich vierteljährlich .sl 4.50, iir die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Haupt-Filiale Dresden: Strehlener Straße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Berlin: Carl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandlg., Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Nr. 4. Morgen-Ausgabe. MpMer TaMatt Anzeiger. Imlsökntt des königlichen Land- «nd des Königliche« Amtsgerichtes Leipzig, des Rates nnd -es Nolizeiamtes der Lindt Leipzig. Anzeigen-Preis die 0gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H vor den Familiennach- richten («gespalten) SO H. Tabellarischer nnd Ziffrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 35 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Änuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgeu-Su-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Tonnabend den 3. Januar 1903. 87. Jahrgang. Entwickelung -er Marine im Jahre 1902. H. Die deutsche Marine hat eine sehr lebhafte Ent wickelung hinter sich. Die Schlagfertigkeit ist wieder er heblich gefördert worden durch die Vermehrung der Offi ziere und Mannschaften, sowie durch Vergrößerung der Zahl der Kriegsschiffe. Zum ersten Mal seit dem Bestehen der Marine konnten in der mobilen Organisation des Friedens, derHerbstübunasflotte, ein Geschwader aus voll wertigen modernen Linienschiffen, sowie eine Torpcdo- Flotille ans neuesten Torpedobooten vereinigt werden. Nach Zahl der Schiffe und Mannschaften war diese Flotte die stärkste und bedeutendste, die Deutschland jemals aufgc- boten hat. Es gehörten ihr bei den Hauptübungcn nicht weniger als 45 Schiffe und Fahrzeuge mit etwa 10 000 Mann Besatzung an. Während der Flottenmanöver, die von Mitte August bis Mitte September dauerten, wurden neben anderen wichtigen Hebungen häufige nächtliche Torpedo-Angriffe, sowie auch Exerzitien in der Funken telegraphie angestellt. Die wichtigsten Hebungen, denen auch der Kaiser beiwohnte, brachten die Schlußmanöver bei Borkum und in der Untcrelbc. Beide Male wurde deutlich erwiesen, daß die Land- und Küstcnvcrtcidigung auch, wenn sie noch so gut geleitet wird, dem tatkräftigen Angriff einer modernen Flotte auf die Dauer nicht Stand zu halten vermag. An den Manövern nahmen auch in der II. Torpedoboots-Flotille die Torpedoboote „8 91" und „8 92" teil, die kurz zuvor aus China heimgekehrt waren und nach kurzer Instandsetzung sofort an den Manövern sich beteiligen konnten. Gleichzeitig mit den Booten war der große Kreuzer „Kaiserin Augusta", nach dem er 0 Jahre lang in Ostafien stationiert gewesen war, zurückgekeihrt nnd stellte am 16. Juni in Kiel außer Dienst. Nach Auslösung der HerVstformatirm hat -i« FLotte einen sehr erheblichen Zuwachs erhalten durch die In dienststellung von drei neuen Linienschiffen des „Wittels- bach"-Typs, der eine Verbesserung der Schlachtschiffe der „Kaiser"-Klassc darstcllt. Es wurden in Dienst gestellt „Wettin" am 1. Oktober in Kiel, „Wittelsbach" am 15. Ok tober in Wilhelmshaven und „Zähringcn" am 25.. Oktober in Kiel. Alle drei halten zunächst Probefahrten ab. Am weitesten vorgeschritten mit den Probefahrten ist „Wittels bach", das bei den ersten Erprobungsfahrtcn in der Nord see geradezu glänzende Ergebnisse erzielte und sich auch bei dem 8 Tage vor Weihnachten erfolgten Aufläufen im Belt, wie alle auf der Wilhelmshavener Werst erbauten Schiffe, vortrefflich bewährte. Außer diesen Linienschiffen wurden im verflossenen Jahre unter Flagge gestellt: Linienschiff „Kaiser Karl der Große" am 4. Februar, Vermessungs schiff „Hyäne" am 1. März, Panzeickreuzcr „Prinz Hein rich" am 11. März, Kanonenboot „Panther" am 15. März, der große Kreuzer,, Freya" am 3. Mai als Artillcrieschul- schtff, der kleine Kreuzer „Ariadne" am 1. Oktober, der kleine Kreuzer „Sperber", sowie eine ganze Anzahl von Torpedobooten, zuletzt die bei Schichau gebaute Serie („8 114). AußcrDienstgestelltwurden im verflossenen Jahre die drei Linienschiffe der „Brandcnburg"-Division „Kurfürst Friedrich Wilhelm" „Brandenburg" und „Weißenburg". Sie sind als die ersten modernen Linien schiffe, die unter der Negierung Kaiser Wilhelms II. ge baut wurden, fast 10 Jahre ununterbrochen im Dienst ge wesen, darunter ein Jahr in den Tropen, nnd haben sich als sehr gut erwiesen. Jetzt sollen sie aus der Werft zu Wilhelmshaven einem umfassenden Umbau unterzogen werden. Ferner traten außer Dienst das Linienschiff „Sachsen" am 3. Februar, der Fischcreikrcuzer „Bremse" am 29. August, der kleine Kreuzer „Schwalbe", sowie die aus China hcimgekchrtcn Torpedoboote „8 91" und „8 92". Den Stapel verließen im Jahre 1902 der kleine Kreuzer „Fraucnlcb" (6) auf der Wescrwcrft in Bremen; der kleine Kreuzer „Arkona" ebendort; der große Lkrcuzcr „Friedrich Carl" auf der Werft von Blohm L Vos; in Hamburg, der kleine Kreuzer „Undine" (I) auf der Werft der Howaldtwcrke in Kiel, die damit in die Ncihe der Kriegsschiffe bauenden Werke eintrat, endlich als letztes am 10. Dezember das Linienschiff „Braunschweig", das die Germaniawerft in Kiel erbaut hat. Auf den Werften wird nach wie vor flott gearbeitet. Die neuen, auf Stapel liegenden Linienschiffe der „I"-Klafse werden die erste Di vision bilden, die ausschließlich auf Privatwcrftcn erbaut ist. Beteiligt sind die Germaniawcrft in Kiel, die Vulkan- Werst zu Bredow bei Stettin, die Schichau-Wcrft in Danzig. Ins Ausland sind abgcgangen die Kreuzer „Thetis", „Gazelle", und „Panther", der zuvor zwei Monate lang vor der Düsseldorfer Ausstellung gelegen hatte. Die beiden letzteren wurden gemeinschaftlich mit den Kreuzern „Vi- ncta" und „Falke" im Dezember zur ostamerikanischen Krcuzcrdivifion vereinigt. Zwei der im Dienst befindlichen Kriegsschiffe haben andere Namen bekommen. Tas Tor- pcdo-Tivisionsbvot „D 2" wurde nach der Rückkehr dcS Prinzen Heinrich von der Nmerikafahrt in „Alice Noosc- ULlt" uylgistaust. während daö ehemalige Panzerschiff „Friedrich Carl", auf dem die Kurse für die FunköntelS- graphie abgehaltcn werden, den Namen „Neptun" erhielt. Leider ist die Marine auch nicht von Verlusten verschont geblieben. Am Morgen des Johannistages sank in der Untcrelbc, vom englischen Dampfer „Firsby" überrannt, das Torpedoboot „8 42", dessen tapferer Kommandant Rosenstock von Nhöneck den Tod in den Wellen fand. Deutsches Reich. Berlin, 2. Januar. (Ein gewerkschaftliches Urteil über Tarifstreit und Obstruktio n.) Sehr bemerkenswert ist das Urteil, das im Organ des Buchdruckerverbandes über den Tarifstreit und die Obstruktion gefüllt wird; denn es offenbart von neuem die zwischen der Sozialdemokratie nnd den Gewerkschaften obwaltenden Gegensätze. Das Buchdruckerorgan tadelt zunächst, daß zu den ver schiedenen Positionen des Tarifs die sozialdemokratischen Abgeordneten immer nur vom reinen Konsumcnte n- Standpunkt auS Stellung nehmen. Dies sei in sofern überraschend, als nicht nur landwirtschaft liche, sondern auch industrielle Zölle iu Betracht kommen; hier könnten die Arbeiter sich unmöglich mit dem be quemen Protest des geschädigten Konsumenten begnügen, den sie der Landwirtschaft gegenüber solange ungestraft äußern dürften, bis auch den ländlichen Arbeitern durch Verleihung des Koalitionsrcchtes die Möglichkeit gegeben würde, ihre Meinung als Produzenten laut werden zu lassen. Zur Begründung dieser Auffassung (die unzwei deutig das Interesse auch der landwirtschaftlichen Arbeiter an Schutzzöllen zugcsteht) wird wörtlich auSgeführt: „Bet den Jndustriezöllen kommen für uns vor allen Produ- zentcnintercssen in Frage, die Interessen derjenigen Ge- wcrbszweige, mit deren Prosperieren das Geschick der in ihnen beschäftigten Lohnarbeiter auf absehbare Zeit un zertrennbar verbunden ist. Ob sich die Arbeiter nach reif lichen Erwägungen . . . für Erhöhung, Beibehaltung, Einschränkung oder unvermittelte Beseitigung der ein schlägigen Jndustriezölle erklären würden, kann hier nicht erörtert werden, wie alber immer ihre Entscheidung sein möge, sie darf nicht von allgemeinen Kvnsumenteninter- essen einer alles umfassenden Volkspartei suggeriert sein." — Daö ist eine herbe Kritik des sozialdemokratischen Verhaltens, die noch verschäft wird durch den nur zu be rechtigten Hinweis, daß die beiden schntzzöllncriscben Mit glieder der sozialdemokratischen Fraktion, die „Genossen" Calwer und S ch i pp c l, i m R e i ch s ta g e n i ch t c i n einziges Mal zu Wort kamen, sondern bloß in wissenschaftlichen Neunen ihren Standpunkt vertraten. Den Gegensatz der Gewerkschaften zur sozialdemokratischen Partei veranschaulicht ferner die Verurteilung der Obstrukti o n. „Sie ist und bleibt", heißt cs in dieser Beziehung, „eine r ü cks ch ritt li ch, undemokrati sch c Fo r m d e r V e rt c i d i g u n g der Minder heit, c i n z w e i s ch n c i d i g c s Schwert, dessen Be nutzung für alle diejenigen äußerst bedenklich ist, die nicht den Umsturz, sondert; die Reform anstreben . . . Die brutale Wucht der Tatsachen hat es den Gewerkschaftlern cingcprägt, daß nicht die Intensität der Obstruktionsbe- geisteruug, sondern die tatsächlichen Machtverhältnifse im Kampfe ansschlagebcnd sind, wüchrend die politischen Par teien, die in erster Linie agitatorisch und erst in zweiter Linie reformatorisch tätig sind, einer derart nüchternen Auffassung naturgemäß ferner stehen müssen." — Es ist begreiflich, wenn das Buchdruckerorgan nach solcher Kritik des parlamentarischen Verhaltens der Sozialdemokratie abermals „eine selbständige parlamenta rische Aktion der Gewerk vereine" als ein Mittel, „unsere politischen Verhältnisse zu sanieren", vor schlügt. Gerade hierin tritt der ger»erHchaitt.ichL Gegensatz, zur Sozialdemokratie am deutlichsten zu Tage. * Berlin, 2. Januar. Die Per lebe rger Rede des Präsidenten v. Kroecher, die erst jetzt im Wortlaut bekannt wird, verdient eine ausführliche Wieder gabe. Der Herr Abgeordnete sagte u. a.: „Ich muß nüm- lich bekennen, daß ich die Hauptverantwortung trage für das Kompromiß. Da halte ich cs in diesem Augenblicke für eine Pflicht und Ehre, mich zu stellen nnd zu sagen: Auf meinen breiten Buckel kommt das meiste der Geschichte! Dienstag kam die Kommission zu sammen. Da las ich abends in der „Freisinnigen Zeitung": Das Kompromiß ist fertig! Aber wie lag die Sache in Wirklichkeit? Um 12 oder 1 Uhr nachts treffe ich unsere beiden Herren von der Verständignngskommission, Graf Limbnrg und Herrn v. Normann, beide mit roten Köpfen. Sie sagten: Es ist nichts zu machen; wir haben den Herren den Bettel vor die Füße geworfen. So stand cs, als die „Freisinnige Zeitung" diese Nachricht brachte! Herr von Normann erklärte: Die Nationalliberalen wollen auch nicht einen roten Pfennig draufgeben und die Regierung will keine Bindung der Vichzölle, das Zentrum aber wolle nur mittun, wenn sie alle Zusammengehen. Da hatte ich am nächsten Mittwoch früh eine Konferenz mit den maß gebenden Persönlichkeiten der Verbün deten Regierungen ; d. h. die Herren von -er Ne gierung hatten mich rufen lassen. Da sagte mir die maß gebendste Persönlichkeit der Regierung: Was soll nun werden? Diese Nacht sind Graf Ltmburg- Stirum und Herr v. Normann mit roten Köpfen fort gegangen. Unter welchen Bedingungen könnten Sie nach geben? Wir könnten der Obstruktion nicht Herr werden, wenn sich nicht eine geschlossene Mehrheit findet. Mit der konservativen Fraktion wollen wir's doch gern machen; es wäre uns furchtbar unangenehm ohne sie; das Zentrum nnd die Nationalliberalen wollen bloß mitgehen, wenn die Konservativen es tun. Bitte, tun Sie, was Tie kön nen. — Nach Rücksprache mit Herrn v. Normann sagte ich dann zu diesem Herrn: Ich kann bloß sagen, daß wir nur dann bis zu einem gewissen Punkte nachgeben können, wenn wir nns überzeugen, daß für unsere Wähler wirk lich nicht mehr zu erlangen war. Das tat der betreffende Herr natürlich auch mit den treuesten Augen. Was wir denn nun erlangten, ist auch nicht schlechter, sondern sogar besser als das, was wir bisher haben. In dem Gespräche mit der maßgebenden Persönlichkeit Habs ich mich über zeugt, daß der Bundesrat dem Tarif, wenn er gefallen wäre, keine Träne nachgeweint hätte, kein halbes Taschen tuch. Man Hütte einfach mit den alten Handelsverträgen weiter gcwnrstelt. (Zuruf: Aber wie lange?) Bis zum ncncn Reichstag! Den Hütte sich die Regierung angesehen und ihre Handelsverträge nach -er Mehrheit des neuen Reichstags eingerichtet. Wollen Sie nun, Herr vr. Hahn, oder irgend einer von den Herren, hier behaupten, der neue Reichstag wäre agrarischer gewesen, wenn die Ob struktion gesiegt hätte? Ich glaube, es kann nicht der mindeste Zweifel darüber bestehen, daß die Sozialdemo kratie nach einem Siege der Obstruktion im Reichstage viel mehr Chancen bei den Wahlen gehabt hätte, als in dein Falle, daß sie bei der Obstruktion geschlagen wurde. Es wären also mehr antiagrarische Elemente in den Reichstag gekommen. Die Folge würde dann sein: Die Handelsverträge würden weniger agrarisch sein. Nun wird ja von Herrn v. Wangenhetm immer wieder gesagt: Die Industrie kann mit den jetzigen Zöllen nicht bestehen, sic müßte in ihrem eigenen Interesse auf neue Verträge dringen. Das läßt sich aber nicht beweisen. Ich glaube aber das Gegenteil beweisen zu können. UebrigenS, glauben Sie, daß unS der Tarif gefällt? Durchaus nicht!! Aber hier handelt eS sich darum: Sollen die Sozialdemo, traten Oberwasser kriegen oder nicht? Wäre eS ge schehen, so würde, nicht gleich, aber vielleicht in zwanzig Jahren, kein Deutsches Reich, kein Königreich Preußen, keine landwirtschaftliche Bevölkerung mehr bestehen, und -harn' braucht«, wivaüevStugs kein«» Zolltarif m?hr. Der Tarif würde mir aber ganz gut gefallen, wenn wir noch einen leitenden Kanzler wie BiSmarck hätten. Der hätte damit sehr gut Handelsverträge zu stände gebracht. Der würde den Tarif nehmen und sagen: Ja, seht mal, liebe Brüder vom Auslände, das sind hier die Min-estzvlle, aber Ihr könnt Euch ja denken, daß wir darauf nicht herunter gehen. Und dann würde er sich vielleicht von den Höchstzöllcn haben etwas abhandeln lassen. Von unserer Negierung aber glaube ich, daß sie sofort auf die Mindest zölle hcruntcrgehen wird! Das ist ja überhaupt daS Un glück heutzutage! Herr Gott, was hatten wir früher, noch vor zehn Jahren, kür eine Stellung, und was treten sie unS jetzt alle ans die Füße, und wir denken immer, durch Höflichkeit und Liebenswürdigkeit die Herren gut zu machen. Zum Beispiel die Herren in Amerika haben gar keinen Sinn dafür. Wir bezahlen so viel Geld für Militär und haben so schöne Kürassierstiefeln. Warum treten wir nicht mal auf? Wir Haven 1200 Millionen mehr Einfuhr als Ausfuhr, wir sind also der beste Käufer der Welt. Zum Donnerwetter auch, mit einem solchen Käufer werden die Herren doch ganz gern verhandeln! Wir brauchen bloß ein bißchen mehr Schneidigkeit!" (Lebhafter Beifall.) * Berlin, 1. Januar. Neber die jugendlichen Fabrikarbeiter und die Fabrikarbeiterinnen ent hält daS letzte VierteljabrSheft zur Statistik de» Deutschen Reichs Mitteilungen, denen zu entnehmen ist, daß im Jahre 1901 die Zabl der jugendlichen Arbeiter nicht uner heblich gestiegen ist, während die der jugendlichen Feuilleton. Die Heiraten Verstorbener. Ethnographische Skizze von Alexander Bauer. Nachdruck verboten Unsere Uebcrschrift gibt ein Rätsel auf — so scheint es, und doch ist eS nicht der Fall. Die Heiraten Ver storbener sind eine Tatsache, eine buchstäbliche Wahrheit. 'Natürlich würden wir bei uns vergeblich nach ihnen suchen. Unsere Vorstellungen vom Jenseits sind höherer Art, die irdische Ehe hat nichts mit ihnen zu tun, so schwer sich auch mancher Mensch von der Idee eines fortdauernden innigen Verhältnisses zu all seinen Lieben, die er hier be sessen, zu denken vermag. „Nnd jene himmlischen Gestalten, Sie fragen nicht nach Mann und Weib, Nnd keine Kleider, keine Falten, Umgeben den verklärten Leib." Sehen wir uns aber die Vorstellungen der Naturvölker oder der noch auf tieferen Kulturstufen stehenden "Nationen vom Jenseits an, so finden mir eine rein sinnlichckörper- liche Fortsetzung dcS irdischen Daseins als Vorstellung des Lebens nach dem Tode. Tic Indianer gehen ein in ihre glücklichen Jagdgründe, in welchen sie natürlich ihrer Hunde, Pferde und Waffen bedürfen und auch ihrer Frauen, um tie -ort zu bedienen. Manche Naturvölker glauben, in Tieren sortzuleben oder sich in neugeborenen Kindern wieder zn verkörpern. Die meisten aber nehmen ein Fortlebcn in glücklicheren Verhältnissen an, als sie solche auf der Erde gefunden. Nichts ist nun natürlicher, als daß Völker, welche im Jenseits nur eine angenehmere Fortsetzung ihrer diesseitigen Existenz erblicken, auch dafür besorgt sind, ihren Verstorbenen im Totenreiche Zustände zu schaffen, wie sie dies znr Führung eines regelrechten und glücklichen Lebens für notwendig erachten. Ein Mann aber muß doch eine Frau haben, die für ihn kocht un sorgt — wenn er aber nun auf Erden al» Kind gestorben tft, woher soll er sie nehmen? Die Ehen werben Loch hier geschlossen. Folglich bleibt nichts weiter übrig, als ihn nach seinem Tode noch, wenn das richtige Alter kommt und sich eine passende Partie findet, ein Gesponst zu er kiesen. Diesen Gebrauch finden wir tatsächlich bei den Chinesen und Tataren. Die Chinesen vermählen die Geister aller jnng gestorbenen männlichen Kinder mit den Geislern weiblicher Kinder, die im gleichen Alter aus dem Leben geschieden sind. Kätscher berichtet darüber etwa folgendes: Stirbt z. B. ein zwölfjähriger Knabe, so trachten seine Eltern etwa 0 Jahre nach seinem Tode, ihn mit einem gleichaltrigen Mädchen zu verehelichen. Sie wenden sich an einen Heiratsvermittler, der ihnen sein Verzeichnis toter Jungfrauen vorletzt. Ist eine geeignete erwählt, so lassen die vorsichtigen Eltern von Astrologen erst den Geistern der Abgeschiedenen das Horoskop stellen. Erachtet dieser die Wahl für günstig, so beraumt man auf eine so- genannte Glücksnacht die Hochzeit an. Vom Bräntiggm wirb ein papierenes Konterfei gefertigt, mit Hochzeits kleidern angetan und auf einen Stuhl gesetzt. Darauf senden sie eine Sänfte aus mit Papier überzogener Palm rinde zu den Eltern der toten Braut, die nun ihrerseits die Ahnentafel der letzteren (in welcher nach chinesischem Glauben eine der drei Seelen des Menschen wohnen bleibt) nebst einem Papierkonterfct des Mädchens in die Sänfte legen. In regelrechtem HochzeitSzug, mit Musik voran, tzeht eS nach der Wohnung djkS Bräutigams, wo die Papierbrant auf einem Sessel neben den ihres Zu künftigen gesetzt wird, während man ihre Ahnentafel auf dem Ahncnaltar ihrer Schwiegereltern unterbringt. Nun setzt man dem „jungen Paare" Speisen nnd Getränke vor, ein halbes Dutzend Priester fordern es ans, den Ehebund cinzugehen, und mit der Verbrennung der Neuvermählten, sowie einer großen Anzahl papierener Goldstücke, Diener, Mägde, Sänften, Kleider usw. ist die Cercmonie beendigt. Stirbt einem bereits Verlobten seine Braut, so ver mählt er sich trotzdem mit ihr unter einer großen Anzahl seltsamer Ceremonien, die damit endigen, daß schließlich eine Tafel zu ihrem Gedächtnis bei seinen Ahnentafeln aufgestellt wirb. Ganz ähnliche Gebräuche herrschen bei den Tataren. Gesetzt, ein Vater hat einen unverheiratet gestorbenen Sohn, ein anderer eine ebensolche Tochter, so vereinbaren beide Väter, ihre Kinder zu verheiraten. Auch hier ver treten Bilder derToten ihreStelle, nur wird — vermutlich um den Akt völlig rechtsgültig zu gestalten —der Ehekoutrakt schriftlich aufgesetzt. Die Hochzeit wird mit großem Pomp gefeiert, nur verschüttet man von den aufgetragenen Speisen an verschiedenen Stellen etwas, üm den Braut leuten auch etwas vom Hochzeitsmahl zukommcn zu lassen. Das Interessanteste aber ist, daß eine derartige Verbindung zwischen den Eltern und Verwandten der beiden Verstorbenen die gleichen verwandtschaftlichen Be ziehungen znr Folge hat, als wenn sie sich in Wirklichkeit geheiratet hätten. Doch das sind Chinesen und Tartarcn — was werden unsere Leser aber sagen, wenn sie hören, daß cs auch eine christliche Sekte gibt, welche die Möglichkeit gewährt, sich für das Jenseits zu verheiraten? Und zwar handelt es sich in diesem Falle nicht ;nn halbctvtlisierte Menschen, sondern nm die Angehörigen einer auf hoher Kulturstufe stehenden Sekte — nämlich um die Mormonen, die Heiligen vom jüngsten Tage. Auch bei ihnen bildet die Elie eine der wichtigsten Lebens- und Himmelsfragen. Die Dcrmählungs- oder, wie eS bei ihnen heißt, Ver- sicgelungs-Cercmonic, unterscheidet sich aber von der bet uns üblichen wesentlich dadurch, daß eine Mormonin ihrem Manne auf zweierlei Weise angetraut werden kann: nämlich für „Zeit und Ewigkeit" oder „nur für Zett", das heißt mrr für das irdische Leben. Ist sie ihrem Manne nur für Zeit angetrant, so wird dieser, falls er nicht mehrere Weiber hat, im Himmel ohne die geliebte Gefährtin leben müssen, und sie wird sich in derselben üblen Lage befinden, denn im Jenseits kann dem Verlust nicht abgeholfen werden, da „die im Himmel Wohnenden weder freien, noch sich freien lassen". Was bleibt also übrig, als schon auf Erden dem Mangel abzuhelken? Und so kann sich in der Tat eine Mormonin, die ihrem Gatten nur auf Zeit angetraut ist, noch einem Gatten für die Ewigkeit antrauen lassen. Aber nicht nur einem lebenden, sondern sogar einem bereits verstorbenen; in letzterem Falle kann diesem, wie Robert v. Schlagtntweit in seinem Werke über die Mormonen mitteilt, ein auf Erden wandelnder Mann als Stellvertreter substituiert werden. Solche Ehen, deren Vorhandensein die Mormonen nicht gern zugestcyen, ivcrben meist in aller Stille ge schlossen, da die irdischen Ehemänner der nach Männern für das Jenseits dürstenden Franc» vielfach nicht mit der Doppclheirat einverstanden sind. Die bilden auch eine Ausnahme und finden nur mit Genehmigung des Propheten statt, der „bei ihrer Schließung große Vorsicht gebraucht und sich durch Eidschwüre und Androhung snrchtbarer Strafen der Verschwiegenheit aller Be teiligten versichert". Es ist selbstverständlich, daß sich die mormonischen Damen, welche das Bedürfnis nach einem Gatten für die Ewigkeit empfinden, möglichst einen an gesehenen und bedeutenden Mann heraussuchen, der ihnen für eine Zeitehe vielleicht nicht so leicht erreichbar ist. „So ließen sich mehrere Frauen, die ihre Männer durch den Tod verloren, wie Jemina Angell und Fran Hampton, dem Mormonenpräsidenten Brigham ?)oung für die Ewigkeit antrauen, um mit ihm dereinst die Herr lichkeiten seines himmlischen TbroncS zu teilen; in gleicher Weise verfuhren und verfahren auch heute noch eine Anzahl frommer alter Witwen." In der Regel be kam der Prophet die ihm so Angcsiegelten nach der Trauungsceremonie nie wieder zu Gesicht, und eine alte Person, die ihn einst um seine Vermittelung in irgend einer Angelegenheit anging, soll auf das Höchste entrüstet gewesen sein, daß er sie gar nicht al» eine seiner Frauen anerkannte. Man sieht, vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt, und was man bei Chinesen und Tartarcn noch entschuldigt, ist man geneigt, bei einem Kulturvolle ganz anders zu beurteilen. Ob der Gebrauch auch jetzt — Lchlagintweits und Buschs bezügliche Mitteilungen sind 22 resp. 30 Jahre alt — in Ausübung ist, steht dahin; ist cs jedoch der Fall, so sollte man wenigstens darauf halten, daß nicht ein berühmter Mann im Himmel zu viele Frauen angetraut erhält, sonst wirb ihm am Ende das Paradies verleidet. Doch das ist nur ein Scherz; im Grunde ist die Sache bitterernst und ein grober Unfug, der allem wahren Christentum Hohn spricht.
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