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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.08.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-17
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190208174
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19020817
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19020817
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-17
- Monat1902-08
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.08.1902
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VezugS-PrelS kn der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.S0, — zweimaliger täglicher Zustellung in» HauSK.KO. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich «, für die übrigen Länder laut ZettungSpreiSlistr. Nr-action u«d (kn>e-ition: JohanniSgaff« 8. Fernsprecher 1KS uud SS». FUinlvVPvdM-«-« r Alfred Hahn, Buchhaudlg , Universttittstr.S, L. Lösche, Katharinenstr. Ich u. KöutgSpl. 7. Haupt-Filiale DresLea: Strehlenerstraße k. Fernsprecher Amt I Nr. 171L. Haupt-Filiale Serlin: Königg rätzrrstraß« 11». Fernsprecher Amt VI Nr. SSS3. MpMer TaArkalt Anzeiger. Imtsökätt -es Kömgkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Ruthes ««- NEzei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen. Preis die 6gespaltene Petitzeile SS H. Ree la men unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiennach» richten («gespalten) KV H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenaunahme LK (excl. Porto). Eptra-Beilagen (gefalzt^ nur mit der Worgeu-AuSaabr, ohne Postbrfördernug 60.—, mit Poftbesördernog utz 70.—. Armahmeschluß fir Aryrigeu: Abeud-Su-gab«: vormittag» 1v Uhr. Morgen-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen find stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh S bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von W. Potg tu Leipzig. Nr. «8. Sonntag den 17. August 1902. 96. Jahrgang. Aus der Woche. Da« Errigniß der Woche ist der Abschluß der ersten Lesung der Zollgesetze in der Reichstags- com Mission. Dieser vereinzelt arbeitende Ausschuß de» im Plenum vertagten Reichsparlamente» gönnt sich nun auch Ruhe, tzuasi rs dsus gssta, sagen die Einen, nach Herstellung «ine» in der Hauptsache tüchtigen Slücke» Arbeit die Andern. Wir möchten un» Denen «»schließen, die die Leistung trotz ihre» groben Mangel» an Einheitlichkeit nicht allzu gering schätzen. Wenn man erwägt, daß ein starker Bruchthril der Minorität lediglich auf Störung auSgegangen ist und die Geschäftsordnung ihr dabei zur Seite stand, so wird mau e» schon al» anerkennenSwerth erachten dürfen, daß da» Werk überhaupt in da» Stadium eine» — frei lich sehr vorläufigen und unverbindlichen — Abschlüsse» ge langt ,st. Uud wa» da» Ergebuiß aulaugt, so ist die Art der Bewältigung de» auf völlig neuer Grundlage aufgebauten Tarif» für die Industrie durchaus nicht zu verachten. Gewiß, man versteht die Gründe für eine hier beliebte Er höhung und dort beschlossene Ermäßigung der Sätze der BundeSrathSvorlage nicht. In einigen Fällen sind aber die Abänderungen doch einleuchtend und mehrfach bat sogar die Regierung in ihnen Verbesserungen erkannt. Um unfehlbar richtig gegen einander abgewogene Zollsätze feststellen zu lasten, müßte man über eine unfehlbare Per sönlichkeit verfügen. In dieser Lage ist da» deutsche Reich nicht, und wenn man dem BundeSratbe die Befugniß ertheilt hätte, einen Tarif zu decretiren, so würden auch bei vielen Positionen nicht ohne Weitere» verständlich sein, warum die» Erzeugniß so und jene» so bedacht oder nicht bedacht worden ist. Au sich wäre ja für eine Arbeit dieser Art die Bewegungsfreiheit, die das absolutistische System gewährt, sehr günstig. Wir leben aber nun einmal nicht im absolutistischen und nicht einmal ia einem constitu- tionellen Einheitsstaate. Die Aufgabe des Knorren, den Knubben hübsch zu vertragen, ist bei un» dadurch erschwert, aber sie muß dennoch gelöst werden. Die Hauptsache ist: eS ist eine Arbeit geleistet, die so nickt bleiben kann und also zu neuer und einheitlicherer Arbeit zwingt, und die allermeisten Sätze des Tarife» sollen, wenn auch von den gesetzgebenden Factoren rito beschlossen, nicht für unabänderlich Kelten; e» sind Waffen zur Erkämpfung möglichst günstiger HandelSvertragSbedingungen, bei deren Festlegung ja die Bundesregierungen deö Existenzminimums absoluten Bestimmungsrechts praktisch nicht entbehren. Der Reichstag ist zwar formell berechtigt, aber thatsächlich nicht im Stande, zwischen der deutschen und den fremden Regierungen vereinbarte Handelsverträge wirksam abzuändern. Er muß sie, wie das preußische Herrenhaus den Etat, im Ganzen aunehmen oder ablehnen. Al» lebeaSaefährlich für die Zollreform brauchen also die Beschlüsse der Tarifcommission, soweit sie ziffcrmäßig von der Regierungsvorlage abweichen, vorerst nicht betrachtet zu werden. Wir halten noch immer an der Hoffnung fest, daß der Streit über das Maß der Mindestsätze für Getreide sich zwar nicht gerade in Wohlgefallen auflösen, aber doch einem ehrlichen Frieden Platz machen Werve. An die Wurzeln der VerständigungSauSfichten aber greift die von der Commission beschlossene Erweiterung der Zahl der Mindestsätze, die Zeichnung einer unteren Linie für Vieh und Flcischzölle. Mit dergestalt gefesselten Händen kann die deutsche Regierung nicht in HaudelSvertragSverhaudlungea eintretcn; nicht mit Rußland und der Schweiz und am allerwenigsten mit Oester reich. Die Erhöhung der beweglichen Sätze des Tarifs kann unseren Unterhändlern überall die Position erleichtern, die Bindung von Vieh und Fleischzöllen bedeutet aber, neben der unangefochtenen für Getreide, eine Abstumpfung der Ver« Handlungswaffe. Die besten Stunden der Tarifcommission vor der Pause sind, wie übrigen» angekündigt war, zu einer Komödie miß braucht worden. DaS Centrum will Ueberschüsse auS den LebenS- mittelzölleu für eine Wittwer,- und Waisraversorgung festlegeu, die Socialdemokraten für andere Zwecke. Das Centrum will dafür angesehen werden, als ob eS Solches ernstlich anstrebe. Ernst ist eS ihm so wenig wie der Social demokratie, welche Erträgnisse auS Zollerhöhungen, die sie mit allen Mitteln zu Hintertreiben sucht, einer Bestimmung zuweist. Schon die zeitlichen Bedenken, die aus der üblen Finanz lage des Reiches und der Einzelstaaten sich ergeben, sind unüberwindlich. Für alle Dauer aber bleibt eS un möglich oder wäre eS ein« lüderliche Wirihschast ohne gleichen, auf überaus schwankende, weil von Wind und Wetter abhängige Einnahmen regelmäßige und wachsende Ver pflichtungen des Reiches festzulegen. Daö Centrum wird sein Schaugerüst wieder abtragen müssen. Wenn ihm dabei die großspurigen Reden, die eS für die Wittwen- und Waisen versorgung in der Commission halten ließ, besonders un bequem werden, so wird eS sich die Schuld selbst zuzuschreiben haben. ES ist wohl der Eifer des Renegaten gewesen, der da» Centrum auf die Wittwen- und Waisenversorgunz ver fallen ließ. Diese von den Nationalliberalen und vou Frei- conservativen längst angeregte Einrichtung würde eine Er gänzung der InvaliditätS- und Altersversorgung darstellen und ist als solche von den Urhebern des Gedankens immer gedacht gewesen. Gegen dieses von Wilhelm I. und BiSmarck geschaffene Hauptstück der deutschen Arbeiter fürsorge hat aber — das Centrum gestimmt, ausge nommen dreizehn Mitglieder. DaS unvergleichliche, in der Weltgeschichte einzig dastehende Werk kam nur zu Stande, weil das Centrum damals noch nicht die ausschlaggebende Partei war. Der mit der Wittwenvcrsicherung gemachte Ver- such, so dazustehen, als ob man an der Arbeitersiu sorge von Anfang mit gearbeitet, ist ein Versuch mit untauglichen Mitteln. Da» Gleiche gilt von den Manövern der Socialdemokratie, die ebenfalls gegen die Invalidenversicherung gestimmt bat, übrigen» dieser Tage in der Commission zugestandenermaßen für die Wittwenversicherung nur eingetrelen ist, un: Ver wirrung zu stiften. Sie rettete damit die ausschlaggebende Partei nicht vor einer Niederlage, die die CentrumSpresse erzürnt und zu der Drohung verlockt hat, man werde die Ab lehnung der Verwendung, mit der das Centrum blenden möchte, an der ganzen Zollreform rächen. Damit bat eS wohl gute Wege. Keine Partei Hal die Verbesserung der Zollpolitik nöthiger als die klerikale, einerseits im Hinblick auf ihre bäuerlichen Wähler, andererseits wegen noch treu gebliebener Anhänger in Zndustriearbeiterkreisen. In einem ConversationSlexikon wird das Wetter leuchten als eine Erscheinung beschrieben, die „man als blitzähnlichen Lichtschimmer oder blitzähnliches Auf leuchten der Walken ohne alles Auftreten von Donner, oft selbst bei ganz heiterem Himmel, meistens am Horizont oder niedrigen Höhen und nur ausnahmsweise in der Nähe des Zenitbs, ebenso meist nur im Dämmerlichte de» Tags oder im Dunkel der Nacht und nur selten am Hellen Tage beobachtet". Eine solche Erscheinung ist dem politischen Deutschland in der verflossenen Woche geworden und erregt eS einigermaßen. Sie bat zur Aufwerfung aller erdenklichen Fragen, sogar zur Erörterung der finanziellen „Bonität" des Hauses Wittelsbach Veranlassung gegeben. Nur einer Frage sind wir nicht begegnet: der nach der Dringlichkeit des von Swinemündc aus ergangenen UrtbeilS und Anerbietens. Letzteres hat zum Glücke ab gelehnt werden können. Das Urtbeil wird die preußische und die Reichspolitik nicht beeinfluffen und nur in Bayern die Regierenden noch längere Zeit an daö Wetterleuchten vom 1V. August erinnern. Das „neue Dogma". * In unserer Abendausgabe vom 8. d. M. berichteten wir nach der Berliner „Bolksztg." über Anregungen der Jesuiten, die körperliche Himmelfahrt der Mutter Christi zu einem Dogma zu machen. Centrumsblättcr behaup teten, angeblich auf Grund von Informationen aus Frei bürg in der Schweiz, wo nach jenem Berichte ein Con- greß zur Vorbereitung auf die Verkündung des Dogmas stattfinden sollte, alle diese Mitteilungen seien lügenhafte. Was auf diese Behauptung zu geben ist, geht aus folgen der MittheUung des gewiß einwandfreien „Osscrvatorc Cattolico" hervor, der unter dem 2.-3. August Folgendes schreibt: „?er ll donenesso Llariano <si Vriburgo." Der CanonicuS vr. Clino Crosta, welcher von dem Bischof von Lausanne und Genf den Auftrag erhalten hat, das italienischen Comike für den Marianischen Congreß in Freiburg i. S. zu constituircn, macht uns folgende Mittheilung: „Der mir von der Präsidentschaft des Centralcomites für die Organisirung des Marianischen Congresses in Freiburg (18. bis 21. August) gewordenen Aufforderung Folge leistend, ersuche ich die verehrlichc Direktion des O. C., davon Kenntmß zu nehmen, daß sich das italienische Comite für besagten Con- greß constituirt hat und aus folgenden Herren besteht: (Es folgen die Namen einer großen Zahl italienischer Prälaten und Theologen, die zum Theil in unmittelbarer Verbindung mit der Curie stehen.) Dieses Comite hat den ausdrücklichen Zweck, Zustimmungs äußerungen zu dem Congreß herbeizuführcn, der bereits mit einem schmeichelhaften päpstlichen Breve beehrt worden ist und, wie zu hoffen ist, eine hervorragende Wichtigkeit haben wird durch die Thatsache, daß sich von da auS specielle Wünsche und ernste, fromme Bitten zu den Füßen des heiligen Varers bewegen werden, um die so heiß ersehnte feierliche dogma tische Proklamation der Wahrheit der kör perlichen Auffahrt der Jungfrau Maria zum Himmel zu erlangen. Ilm die betonten Zustimmungsäußerungen recht schleunig zu erhalten, erlaube ich mir, den hochangesehenen „Osscrvatore Caitolico" dafür zu intcressiren und durch seine Vermittelung die anderen katholischen italienischen Zeitungen, damit in die Öffentlichkeit gebracht wird, „daß die hochwürdigsten Herren Pfarrer Italiens gebeten sind, nachstehende Zustimmungs- formel zu unterschreiben und an meine Adresse gelangen zu lassen: „In meinem Namen und dem der Getreuen, welche ich repräsentier, erkläre ich, von ganzem Herzen den Reso lutionen zuzustimmen, welche auf dem internationalen Mariencongreß zu Freiburg zu Ehren Gottes und der aus- zudehncnden Verehrung der allerheiligstcn Jungfrau Maria gefaßt werden sollen; und ich bete von ganzem Herzen, daß die Wahrheit der körperlichen und gloriosen Himmelfahri unserer Gottesmutter von dem unfehlbaren Vertreter Christi zur feierlichen Erklärung gebracht wird. Gott zum Ruhmo ! Es lebe Maria!" Ich benütze die Gelegenheit, um Diejenigen, welche persön lich an dem internationalen Mariencongreß theilzunchmcn ge denken, in Kenntniß zu setzen, daß ich, sobald ich erst selbst das Nöthige erfahren habe, bekannt machen werde, zu welchen rcdu- eirten Preisen man in Gesellschaft oder für sich allein von Chiasso nach Freiburg während des Congresses reisen kann, und was sonst noch für den Besuch wichtig ist. Vorerst theile ich mir, daß die Theilnchmerkartcn für den Congreß von Monsig nore Gleise r, apostolischem Protonokar und Vorsitzendem des Centralcomites in Freiburg, zu beziehen sind, und daß cs zweierlei Theilnchmerkartcn giebt: die erste Kategorie kostet 10 Francs und giebt das Recht, sämmtlichcn Sitzungen des Congresses bcizuwohnen und später den gedruckten Bericht zu beziehen. Wer auf den gedruckten Bericht verzichtet, zahlt nur 5 Francs. — Was nun den Aufenthalt in Freiburg betrifft, so ist der chrcnwcrthe Python, der an der Spitze des llnrer- richtswescns im Kanton Freiburg steht, damit betraut, für das Unterkommeir der Congreßthcilnehmcr Sorge zu tragen, und cs sind genügend Wohnungen und Verpflegung zur Verfügung gestellt, und zwar in drei Kategorien: zu 10, 7 und 6 Francs für Kost und Logis." In einer Nachschrift giebt Canonicus Crosta (Grave- dona am Comcrsce) noch die Fahrpreiöernräßigungen bei Gesellschaftsreisen auf der Gotthardtbahn kund. Fer ner thcilt der Canonicus mit, daß auf dem Congreß für Reden und die Discussion nur „il nostrc» iäivma", also Italienisch, zugclassen ist. Zugleich wird der Münchener „Aügem. Ztg." ge schrieben: Am 8. December 1004 ist das 50jährige Jubiläum der „Unbefleckten Empfängniß". Zu Ehren der 50jährigen Wiederkehr dieses Dogmas wird in Rom ein Marianischcr Congreß abgehalten werden, urrd dafür ist das „Bouquet" die Promulgirung der „körperlichen Himmelfahrt der Jungfrau Maria", bestimmt. Wer die Jesuttenliteratur verfolgt, hat schon längst diesen Plan kommen sehen: die bstuäes (kevllv koncksv on 1856 par äos körss äo la 6ompagnis cis llssus) organisiren bereits in ihren Nummern vom 20. Mat und 5. Juni den römischen Con- greß von 1004. Auf dem Lyoner Marien-Congreß von 1000 war die Resolution gefaßt worden: „Der Congreß drückt den Wunsch aus, daß, nachdem sich das Menschengeschlecht dem „heiligen Herzen Jesu" geweiht hat, das Weltall sich der Jungfrau als „Königin der Welt" weihe, und daß ein Fest eingesetzt werde, das mit eigenem Rituell jährlich als „Fest der Weltherrschaft Marien's" gefeiert werde. Ferner soll eine Anrufungsformel an Maria als „Königin des Purgawriums" in die Litanei ausgenommen werden. Diese Wünsche werden voraussichtlich bei dem neuen Dogma mit er ledigt werden." So liegen die Dinge; es handelt sich somit um eine Action des romanischen Elementes in der katholischen Kirche; wie das germanische sich im Interesse seines An sehens in den Heimathländern dazu stellen wird, muß ab gewartet werden. Deutsches Reich. Berlin, 16. August. (Die Ausbeutung des Kaisertelegramms durch die klerikale Presse.) Die pessimistische Auffassung der Wirkung des Kaiscrtelegramms an den bayerischen Prinz-Regenten wird durch die Haltung der klerikalen Presse leider ge rechtfertigt. „Die „Köln. Bolksztg." stellt sich an, als ob sie die vorausgesetzte Wirkung der Verschärfung des baye rischen Particularismus auf das Lebhafteste bedaurc. Die Reichsfreudigkett komme durch das Tele gramm zu Schaden, denn nicht nur der weit über das Ziel hinausschießende Particularismus vom Schlage des „Vaterland", sondern das berechtigte bayerische Selbst gefühl werde daran Anstoß nehmen. Unter den Ver tretern „berechtigten bayerischen Selbstgesühlt". versteht natürlich die „Köln. Bolksztg." Las bayerische Centrüm. Unserer Meinung nach mutz man schon ein sehr scharfes Auge besitzen, wenn man seit Jahr und Tag zwischen dem Particularismus des Sigl'schen „Vaterland" uno dem der bayerischen Centrumspartet einen anderen Unter schied wahrnehmen kann, wie een, daß das Saterland" — wenigstens so lange Sigl lebte — seine Angriffe mit Witz vorbrachte, während das bayerische Centrum in Presse und Kammer mit Dreschflegel und Mistgabel gegen die „Sauprcußen" vorgeht. Das officiellc Organ des bayeri schen Ccntrums bemüht sich nicht erst seit dem Kaiser telegramm, die Reichsfreudigkeit zu Schaden zu bringen, und da das norddeutsche Ccntrum, wie die Zollvorlage be weist, Schritt für Schritt vor dem bayerischen Centrum zurückweicht, so trägt es indtrect mit Schuld an dem wüsten particularistischen Treiben der bayerischen Cen- trumsprcsse. Dieses Treiben tritt natürlich gelegentlich des Kaiscrtelegramms besonders hervor. Das officiclle Ccntrumsorgan ist durch das Telegramm in die an genehme Lage versetzt worden, gleichzeitig nach zwei Seiten Schläge auSzutheilcn, nämlich an die Adresse der bayerischen Negierung und an die des Kaisers. DaS Blatt wirst der bayerischen Regierung vor, daß sie das Tele gramm veranlaßt habe; denn nichts Anderes wie diesen Vorwurf kann man aus dem Satze herauslesen: „Die bayerische Rcgierungöpolitik ist so schwach und unselbst ständig, daß schon solche Reizmittel angewendet werden, wie sic das Kaisertelegramm zeigt. Unterstützung von auswärts, von Preußen her, muß ihr -»geführt werden, um sie anzustacheln und ihre Auto rität aufzufrischen." Diese Ausfassung ist natürlich eine vollständige Verkehrung der Thatsachen. Die bayerische Negierung hat, wie wir aus bester Quelle wissen, das Kaiscrtelcgramm nicht erbeten, sondern ist davon ebenso überrascht worden, wie jeder Andere auch. Wenn Je mand das Kaiscrtelcgramm veranlaßt hat, so war es das bayerische Ccntrum durch die Ablehnung der Kunstfordc- rungen. Dem Kaiser gegenüber werden die schärfsten Töne deS PatricularismuS angeschlagen. Im Namen des bayerischen Volkes — wir wissen freilich nicht, welches Recht das CentrumSorgan besitzt, für das ganze bayerische Volk das Wort zu ergreifen — spricht das Centrmnsblatt den Kaiser in directer Rede an: „Majestät, noch ist das Feuilleton. Rechts und links. Novellette von H. A m st e r - Berlin. Nachdruck vertolkv. Frau Lotte Bendemann war grundschlechter Laune. Und daran waren zwei Dinge schuld: einmal die Post, die in diesem weltverlassenen thüringischen Neste nur zwei mal am Tage kam und ihr seit anderthalb Tagen über- Haupt nichts gebracht hatte, und zweitens daö Wetter, daS spottmiserable, nicht zu verscheuchende Rcgenwetter, das nun schon eine Woche lang seine grauen, schweren, nassen Fittiche über Berg und Wald ausgespannt hielt. Bor vierzehn Tagen waren sie nach Blankenburg ge kommen, Frau Lotte und ihre Mutter, zum ersten Male in ihrer halbjährigen Ehe war die junge Frau von ihrem Gatten getrennt, der Mitbesitzer einer Berliner Wetngroß« Handlung mar und zur Zeit eine dringende Geschäftsreise ins Rheinland zu machen hatte. E» war ihr nichts weniger al- recht gewesen, baß ihr, seinem flotten Junggesellenleben noch gar nicht lange ent- wachscncr Willy just an den leichtlebigen Rhein fuhr: aber da eS eine Geschäftsreise war, konnte er sie nicht wohl mit sich nehmen, und der Arzt hatte ihr Überdies, da sie etwas bletchstichttg au-sah, ausdrücklich ÄebirgSluft ver- ordnet. Nun quälten sie täglich mehr ihre eifersüchtigen Gedanken — Simrock's „Warnung vor dem Rheins war ihr aus der Schulzeit noch zu gut im Gedächtniß geblieben — und Herrn Bendemann's mangelhafter Schreibeifer, der sich zumeist in Ansichtspostkarten mit viel Ansicht und wenig Text entlud, war auch nicht dazu angcthan, sie vertrauensvoller zu stimmen. An diesem regengraucn Nachmittag saß Frau Lotte wieder einmal am Fenster und wartete auf den Postboten, indcß ihre Mama im anstoßenden Zimmer ihr Nach mittagsschläfchen hielt. Draußen rieselte der entsetzliche, unerschöpfliche Landregen geräuschlos nieder und spann sich wie ein seiner Schleier vor die Landschaft. Die ganze Natur triefte, wohin man sah; an den Bcrghängen gegen über zogen sich vereinzelte weiße Nebelfetzen hin, uud die hochgeschwollene Schwarza schoß und schäumte in schmutzig gelben Strudel» durch ihr schon zu enges Uferbctt da- hin ... Es war zum Weinen! Frau Lotte hatte eben zum siebenten Male binnen einer halben Stunde ihre Uhr gezogen, als eS klopfte und das Mädchen mit der Post erschien: eS war die Zeitung aus Berlin, eine bunte Karte von Schwester Agathe, die mit ihrem Mann in Heringsdorf war, und ein Brief, der Willy'S Handschrift zeigte. Das Couvert fühlte sich dick und hart an, und als die junge Frau es voll Spannung hastig aufriß, fiel eine Photographie und ein halb be schriebener Briefbogen heraus. Sie überflog die wenigen Zeilen und las: „Liebste MauS, nun ist unsere Trennungsfolter bald überstanden; ich habe nur noch drei Tage zu thuu, rann reise ich über Düsseldorf, wo ich der Ausstellung einen Bc. such abstattc, nach Berlin zurück. Sonnabend Abend gegen neun Uhr bin ich in Lichterfelde und freue mich diebisch darauf, Dich abzuküsscn. Hoffentlich kannst Du dann schon zu Hause sein. Gruß an Mama und viele Grüße und Küsse für Dich selber von Deinem treuen Willy. — I>8. Anbei mein neuestes Conterfci, ausgenommen auf der Burg in Altenahr, wohin ich gestern am Sonntag einen sehr netten Ausflug gemacht habe." — Das Bild, das bcilag, war eine jener billigen „Schnellphotographien", wie sie auf Jahrmärkten „gleich zum Mitnehmer," hergcstellt zu werden pflegen. Frau Lotte besah eS aufmerksam, erst leise lächelnd. Dann schien ihr etwas daran aufzufallen; sie kniff das rechte Auge ein, hielt das Bild dicht vor die Augen, und ihr hübsches Gesicht verfinsterte sich. Sie holte sich auS ihrem Koffer das für Ausflugsorte mitgenommene Opern glas, schraubte eine der großen Linsen heraus und hielt sic als Mikroskop über die Photographie . . . Als die verwittwcte Frau Landgerichtsrath Ziegler, Lottes Mutter, eine halbe Stunde später, noch aus ver schlafenen Aeuglein blinzelnd, inS Zimmer trat, fand sie ihre Tochter in einem Wcinkrampf. Aber was der Grund war, vermochte sie trotz aller Fragen nicht aus ihr heraus zubringen. Zwei Tage später reisten beide Damen nach Berlin zurück. « « „WaS, meine Frau ist nicht wohl?" fragte Herr Willy Bendemann und gab dem ihn an der Hausthür erwar tenden Mädchen seine Handtasche. „Wieso denn? Seit wann denn?" „Gnädige Frau hatte Kopfschmerzen und mußte sich schon vor einer Stunde legen, berichtete das Mädchen, während sie hinter ihm die paar Stufen zu der Parterre- Wohnung hinaufschritt. Vlos Kopfschmerzen? Willy athmete auf, er hatte schon Schlimmeres befürchtet. Aber daß sie sich nicht so viel Zwang anthun wollte, wenigstens sein Kommen ab- zuwartcn . . . das war doch eigentlich auffallend. Im Entröe legte er ab, dann durchschritt er die Dor- derzimmcr, ohne Lotte zu finde». Sie lag bereits zu Bett, und im Schlafzimmer war es dunkel. „Tag, Lotti", sagte er halblaut im Nähertreten. „Schläfst Du schon, MauS?" „Noch nicht, aber ich bin sehr müde", kam es in klagen dem Tone zurück, und habe furchtbare Kopfschmerzen... Entschuldige, daß ich nicht aufbletbcn konnte, bis Du da warst." Er hatte sich nicdergcbeugt, um sie zu küssen; nun meinte er: „Aber daö ist doch selbstverständlich, Kind. Alte Eheleute wie wir machen doch keine Umstände miteinan der. Bleib' nur ruhig und verschlafe deine Kopfschmerzen recht gründlich, damit Du mir morgen frisch bist. Gut' Nacht, Herz." Damit küßte er sie auf die Stirn und verliest geräusch los das Zimmer. Er glaubte natürlich nicht im mindesten an die angeb liche Migräne. Wenn man sechs Monate verheirathct ist uud sich drei Wochen nicht gesehen hat, dann gab eS keine Migräne, wenigstens für seine sonst so verliebte kleine Maus nicht, dafür kannte er sie doch .., Ne, ne, da»
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