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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-06
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030506024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903050602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903050602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-06
- Monat1903-05
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Bezugs «Preis t» der Hauptexpedttton oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteljährlich 8.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» S.7K. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für di« übrigen Länder laut ZettungSpreiMste. Lr-aktion und Expedition: Ivhanntsgaffe 8. Fernsprecher 153 und 222. FUtale*p«d1tto»r« r Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitätSstr.S, L. Lösch«, Katharinenstr. ich «. KöntgSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 84. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Carl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandlg, Lützowstraße 10. Feunsvrecher Amt VI Nr. 4803 Abend-Ausgabe. KiMtr TlWblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiamtes der Htadt Leipzig. Anzeigen «Preis die 6gespaltene PeNtzeüe LS Reklamen unter dem RedaktionSstrtch (4 gespalten) 75 H, vor den Familieanach- richten («gespalten) 50 Dabellarischer und Zifsernsay entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Mvrgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 228. Mittwoch den 6. Mai 1003. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Mai. Derttsch-euglifche Konkurrenz. Einige englische Blätter zeigen sich anläßlich der Reise ihres Königs nach Rom und Paris bemüht, dem König Eduard eine größere Initiative und ein größeres Maß von selbständigem Eingreifen in den Gang der auswärtigen Politik beizumessen, als einem konstitutionellen König von Großbritannien bisher auö- zutiben gestattet war. König Eduard hat sich allerdings, das gestehen ihm die „Hamb. Nachr." mit vollem Rechte zu, seit seiner Thronbesteigung und Genesung viel rühriger gezeigt, als man von ihm, als dem früheren Prinzen von Wales, erwarten durste) aber auch darin muß man dem genannten Blatte bcipflichtcn, daß seine Besuche in Lissabon, Rom und Paris doch nicht aus eigener Eingebung hervorgegangcn sind, sondern daß er mit ihnen nur dem von seinem kaiserlichen Neffen seit einer Reihe von Jahren gegebenen Beispiele folgt. Bon einer Art Wettlauf nach Rom und einer Art von Eifer sucht auf den vorausgegangenen Empfang des englischen Königs in der ewigen Stadt kann schon deshalb bei uns keine Rede sein, weil der Besuch des deutschen Kaisers in Italien einmal nicht der erste ist, und sodann, weil er bereits seit längerer Zeit feststand und vorbereitet war. Die nationale Eifersucht scheint vielmehr auf englischer als auf deutscher Seite am Werke zu sein. So z. B. läßt sich das „Daily Chronicle" vom Sonntag abend uns Berlin folgendes berichten: „Heute morgen war jede Zeitung voll von dem großartigen Empfang, den man dem Kaiser in Rom bereitete. Die ge waltigen Volksmengen in den Straßen, ihr Jubel, Enthusias mus und nicht endenwollender Beifall werden genau beschrieben. Man scheint die ganze italienische Presse geplündert zu haben, um Artikel zum Lobe des Kaisers und Deutschlands zu be schaffen, alles in der Absicht, nachzuweisen, daß die Reise des Königs von England im Vergleich zu der Reise des deutschen Kaisers eine sehr unbedeutende Sache war und daß sich die italienische Nation dieser Tatsache voll bewußt sei." Unparteiische Berichte über die Wärme des beider seitigen Empfanges werden wohl demnächst durch ein gehende Korrespondenzen nach Deutschland wie nach England gelangen und die Frage entscheiden, welches von beiden Ländern in Italien das populärere ist. Tas Eine ist sicher und das erkennen auch die gebildeten Italiener an, daß ohne 1866, während England neutral bei Seite stand, eine Italia unita « libk-ra nicht zu stände gekommen wäre. Taten pflegen sich dem Gedächtnisse der Völker fester einzuprägen, als noch so schön klingende Worte, und deshalb werden wir Deutschen bei den Italienern immer unsren Vettern jenseits des Kanals, trotz ihrer Freundschaftsversicherungen, voranstehen. Der «ationallibcrale Wahlaufruf und die Sozialdemokratie. Es ließ sich voraussehen, daß das sozialdemokratische Zentralorgan, der „Vorwärts", den Wahlaufruf der nationalliberalen Partei mit seinen Schmähungen über- häufen und entstellen würde. Er unterschlägt ein- fach die für die sozialpolitischen Aufgaben wichtigsten Darlegungen des Wahlaufrufs, um dann den Genossen vorzulügen: „Keinerlei Stellungnahme zu den wichtig sten Fragen des Arbeiterschutzesl . . . Und weil die nationalliberalen Vertreter des Kapitalismus nichts für die Arbeiter getan haben und selbst in ihrem Aufruf nicht den Willen bekunden können, etwas zu tun, wird schließ lich der dumm-frech st e Schwindel aufgeboten." Der Lüge und der Beschwindelung der Arbeiter macht sich auch hier wieder der „Vorwärts" schuldig. Die freche Unwahrheit, die nationalliberalen Vertreter hätten für die Arbeiter nichts getan, bedarf keiner Widerlegung mehr; aber im Wahlkampfe wird es denn doch erforder lich sein, an der Hand der zu stände gekommenen Gesetz gebung und eines unwiderleglichen statistischen Materials darzutun, was gerade die nationalliberale Partei auf sozialpolitischem Gebiete im Interesse für die Arbeiter schaft leistete, während die Sozialdemokraten gegen alle sozialpolitischen Gesetze und sogar noch zu Schluß dieser Session und Legislatur gegen die Krankenkassen- novelle stimmten! Der „Vorwärts" lügt, wenn er schreibt, der Aufruf enthalte kein Wort zu den Fragen des Arbeiterschutzes. Ter Aufruf enthält ausdrücklich die Forderung der weiteren Verbesserung und des inneren Ausbaues der sozialpolitischen Gesetzgebung und schließt den der Arbeitcrfürsorge gewidmeten Ab schnitt mit den Worten: „Die Versicherung der Witwen und Waisen und die Fortführung gemeinsamer Einrichtungen zur Pflege des Friedens zwischen Arbeiter und Arbeitgeber sind als Ziel festzuhalten." Diese Stelle unterschlägt der „Vorwärts" völlig. Er beweist durch diese Unterschlagung und die oben ge kennzeichneten Lügen nur von neuem, wie die Sozial demokratie die Scharen der Arbeiter verhetzt und daß sie von einem Frieden -wischen Arbeitgebern und Arbeitern nichts wissen will. England und die Bagdadbahn. In der gestrigen Sitzung des Oberhauses führte in Er- widernng auf eine Anfrage über die Bagdadeisenbahn und die britische Politik am Persischen Golfe Lord Lans- downe ans, es seien keine Verhandlungen mit den Grün dern der Bagdadeisenbahn oocr mit den fremden Regie rungen gepflogen worden. Es hätten jedoch vertrauliche Unterhandlungen zwischen der englischen Negierung und den Vertretern gewisser großer englischer Häuser stattge funden, zur Feststellung, ob die Bedingungen, unter denen das Unternehmen ausgcführt werden könnte, einen Charakter trügen, der es der britischen Negierung ge stattete, ihre Unterstützung anzubieten. „Diese Verhand lungen", fuhr Lord Lansdowne fort, „werden nicht fort gesetzt. Ich bin überzeugt, daß bei den Unterhandlungen bei den Vertretern der englischen Finanz nicht nur das Bestreben obwaltete, sich zu vergewissern, ob sie von der Regierung eine Unterstützung des Projektes erwarten könnten, sondern sich auch Klarheit darüber zu verschaffen, ob sie im Begriff seien, etwas zu tun, was die Interessen Englands schädigen könnte." (Beifall.) Sodann setzte der Minister die für den Ausbau der Bagdadbahn gemachten Vorschläge auseinander und fuhr fort: Die Regierung würde sich eine strenge Kritik zngczogen haben, wenn sic es vollständig abgelehnt hätte, die Vorschläge in Beratung zu ziehen. Unsere Stellung am P e r s i s ch e n G o l f e weicht von der jeder anderen Macht ab. Unsere Politik sollte sich auf den Schutz und die Förderung des englischen Handels in diesen Gewässern richten, es ist aber nicht beabsichtigt worden, daß die Tätigkeit der Regierung sich auf den Aus schluß des berechtigten Handels anderer Mächte richten sollte. Die Regierung würde die Errichtung einer Flotten basis oder eines befestigten Hafens im Persischen Golf für eine sehr ernste Drohung gegen die englischen Interessen halten und würde dem sicherlich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegentreten. (Beifall.) Soweit ich weiß, besteht aber keine derartige Absicht. Die Frage unserer Handelsbeziehungen zu Persien und besonders die Frage des Zolltarifs werden gegenwärtig einer eingehen den Erwägung unterzogen. Der revidierte per sische Zolltarif dient den Interessen des britischen Handels nicht. Ich bin nicht damit zufrieden, daß Groß britannien sich nur mit der Behandlung als eine meistbe günstigte Nation durch Persien begnügen soll. Ueber diese Frage schweben jetzt Verhandlungen. Ich habe alle Hoff nung, daß cs uns gelingen wird, ein Abkommen zu stände zu bringen, durch das wir, anstatt die Tariffestsetzungen zwischen Persien und den anderen Mächten anzunehmen, ohne daß auf die Wirkungen für den englischen Handel Bezug genommen wird, in der Lage sein werden, ein eigenes Abkommen zu besitzen, das uns das Recht geben würde, darauf zu bestehe», daß, wenn Persien jemals an den Tarif rühren will, die englischen Interessen besonders berücksichtigt werden. Wenn jemals eine Eisenbahn in Persien gebaut wird, haben wir das Recht, im südlichen Teile Persiens Eisenbahnen zu bauen. Wenn diese Vereinbarung auch nicht in formeller Weise ausgezeichnet sein mag, können wir doch zufrieden sein, daß sie für Persien bindend ist. — Lord Lansdowne erwähnte sodann, daß 140 Meilen der neuen Telegraphenlinie zwischen Teheran und der indischen Grenze bereits gebaut seien, und fügt mit Bezug auf die in Rußland aufge nommene persische Anleihe hinzu, daß die persische Regierung damals recht wob! gewußt habe, daß die britische Regierung Persien ihren Beistand gewähren wollte; aus besonderen Gründen habe die persische Regierung aber ein Abkommen mit Rußland getroffen. Russisches Nolksschulwese«. Der jämmerliche Zustand der russischen Volksschulen ist in der Presse wiederholt erörtert worden, aber cs werden trotzdem keine energischen Maßregeln ergriffen, und vor allem werden keine neuen Mittel flüssig gemacht, um die Volksbildung zu heben. Wie schlimm es mit dem Schul wesen bestellt ist, hat man u. a. aus einer kürzlich von der Leitung des Odessaer Lehrbezirkes veröffentlichten Kund gebung ersehen. Im Gouvernement Taurien kommt dar nach eine Volksschule auf 615 Bewohner, in Bessarabien eine auf 1361, in Chersson eine auf 1247 und in Iekate- rinoslaw eine auf 1384. Natürlich ist es unter diesen Umständen unmöglich, die Kinder so zu unterrichten, wie es in einem geordneten Staatswesen der Fall sein müßte. Etwa 385 000 Kinder wachsen jährlich ohne jeden Unter richt auf. Die Odessaer Zeitungen haben ausgerechnet, daß nicht weniger als 6424 Volksschulen für den Lehrbezirk notwendig sind. Um diese Anstalten aber ins Leben zu rufen, dazu braucht man gewaltige Summen und einen langen Zeitraum. Soll die allgemeine Schulpflicht in Odessa durchgcführt werden, so wären dazu jährlich fünf Millionen Rubel und an einmaligen Beiträgen zum Bau der Anstaltsgebäude 30 Millionen Rubel erforderlich. Nun beträgt aber das gesamte Budget des Ministeriums der Volksaufklärung nur 30 214 985 Rubel, von denen nur ein geringer Teil auf die Volksschulen entfällt. Der Odessaer Kurator hat für dieses Jahr nur eine Zulage von 66 000 Rubeln für die Volksschulen erhalten. Er wird damit schwerlich viel anfangen können. Für Eisenbahnen, .'.Inlilär unv Flotte hat die Regierung stets Geld, aber nie mals für das Unterrichtswesen. Deutsches Reich. A Berlin, 5. Mai. DerKreis der in Vor bereitung befindlichen gesetzgeberischen Arbeiten des Reiches ist ein großer. Eine der wichtigsten legislatorischen Aktionen bildet die Vor bereitung neuer Handelsverträge, die auf Grund des neuen autonomen Zolltarifs abgeschlossen werden sollen. Daneben gehen die Vorbereitungen für die be kannten Aktionen zur Verstärkung der Wehrfähig keit Deutschlands. Der Entwurf zu einem neuen Mili - tärpensionsgesetz ist schon längere Zeit in Arbeit. Dazu kommen wieder verschiedene sozialpolitische Ent würfe. So soll die Seemannsordnung dem neuen Krankenversicherungsgesetze angepaßt werden. Ferner wird an dem nun schon seil längerer Zeit in Aus sicht stehenden Entwürfe über die kaufmännischen Schiedsgerichte gearbeitet. Bekanntlich ist der Ent wurf schon vor Monaten dem Bundesrate vorgelegt wor den, jedoch haben sich Meinungsverschiedenheiten über seine Grundlagen zwischen den verschiedenen Regierungen gezeigt. Dadurch, daß die letzte Novelle zur Kranken versicherung vom Reichstage angenommen ist, ist die Arbeit an der allgemeinen Revision dieses Ber- sicherungszweiges nicht erledigt, im Gegenteil, sie wird, wie auch noch die neuesten statistischen Erhebungen zeigen, eifrig fortgesetzt. Es ist ferner noch zu erledigen der Rest der Revision des bürgerlichen Rechts. Der Entwurf über den Versicherungsantrag ist ja, wie bekannt, fertiggestellt, jedoch wird es sich noch darum handeln, die Ergebnisse der Kritik in ihm zu berücksichtigen. Der in die Urheberrechtsgesetzgebung gehörende Entwurf über das Urheberrecht«» der Photographie ist schon vor ein paar Jahren im „Reichsanzeiger" ver öffentlicht worden. In Aussicht gestellt sind ferner N o - veilen zum Gesetze über die Staatsangehörig, leit, zum V o g e l s ch u tz g e s e v , zur M a ß - u n d Ge wi ch t s o r d n u n g. Nimmt man noch hinzu, daß auch die Erbauung einer Babu von Dar-es-Salaam nach Mrogoro einer gesetzgeberischen Behandlung wieder unterzogen werden soll, so ist ersichtlich, daß schon jetzt, nachdem der alte Reichstag seine Beratungen kaum geschlossen hat, eine Fülle von Aufgaben sich zeigt, deren Erledigung dem neuen Reichstage Vorbehalten ist. * Berlin, 6. Mai. (Das Gesetz über denVersiche- rungsvertrag.) Der in den nächsten Tagen zur Versendung an die Einzelrcgierungen und an die Jnter- essentenverbände zur Veröffentlichung gelangende Gesetz entwurf über den Versicherungsvertrag umfaßt, wie die „Nat.-Ztg." hört, das ganze Gebiet des pri vaten V e r s i ch e r u n g s r c ch t e s , mit Aus nahme derSeeversicherung. Er bezieht sich na mentlich sowohl auf die Schadensversicherung» als auf die Lebensversicherung, die Unfall versicherung und die andern Arten der Per« Feirrlletsn. vj Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboten. „Armer Junge!" sagte der Baron, der gleichfalls auf- gestanden war. „Da läßt sich schwer raten — und leider noch viel schwerer helfen! Daß das Mädchen dich belogen hat, glaube ich nicht, so gern ich dich trösten möchte. Nein aus der Luft gegriffen kann sie die Geschichte nicht haben — auf keinen Fall! — Etwas Wahres muß daran sein, so gern ich das Gegenteil glauben möchte. Wir müssen also vor allen Dingen uns nach dieser Richtung Gewißheit ver schaffen, und erst, wenn wir die haben, können wir weiter sehen." „Diese Gewißheit aber muß ich heute noch haben, hörst du, heute noch, Franz", sagte Reinhardt tonlos, „und ist es wahr — ist es wahr — dann weiß ich, was ich zu tun habe." „Aber, liebster Junge", tröstete Remmingen, „wirf doch nicht gleich die Flinte ins Korn. Schließlich muß ein Mann sich ins Unabänderliche zu fügen wissen, so schwer es auch sein mag. Ich gebe ja zu, daß der Fall für dich und dein ganzes Seelenleben geradezu furchtbar wäre, ich kann dir all deinen Jammer, deine Verzweiflung voll ständig nachfühlen, aber am Ende hülst doch nur ein energisches Sichaufraffen um jeden Preis. Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Romantik, und ein Künstler, wie du einer bist, schuldet sich und sein großes Können der Allge meinheit und hat kein Recht — an gebrochenem Herzen zu sterben. Ich weiß, was ich sage, klingt roh undchrutal; aber es ist nun einmal die Wahrheit, und die hat immer etwas Brutales an sich, namentlich für Idealisten. Nun aber komm vor allen Dingen einmal mit mir, wir wollen der Wahrheit auf den Grund gehen." Reinhardt ließ sich bereden. Schweigend nahm er seinen Hut, und ohne ein Wort zu sprechen, ging er neben dem Freunde her. Ihm war zu Mute, als sei er gestorben, als sei in ihm alles leer und öde geworden mit einem Schlage. Der Baron hatte vor allem die Absicht, seinen Freund inS Freie zu locken, wo er gezwungen war, sich zu be herrschen, alles daS, was in ihm jetzt tobte, zu unter drücken, bis er ruhiger geworden war. Die bogen über die Hauptstraße nach der Richtung des Römingerschen Hauses ein. Der Baron hoffte, daß ihnen irgend jemand dort in der Nähe begegnen würde, der Auskunft geben konnte. Plötzlich fühlte er Reinhardts Hand auf seinem Arme schnell und krampfhaft zusammenzucken. Er folgte der Richtung seines Blickes, und sah Doktor Ellrich auS einem Blumenladen treten und langsam vor ihnen her gehen. Sie blieben einen Moment stehen, dann schritten sie weiter bis vor das Blumengeschäft, wo Remmingen be kannt war, und hier machten sie wiederum Halt. „Set so freundlich, Reinhardt, und warte hier einen Moment, während ich mir da drinnen ein paar Veilchen oder eine Nelke erstehe. Ich bin im Augenblick zurück. Vielleicht kann ich gleich hier etwas erfahren." Berning nickte mechanisch und der Baron betrat den Laden. Zwei niedliche junge Mädchen begrüßten den guten Be kannten und langjährigen Kunden mit größter Zuvor- kommenheit, und während Fräulein Marie die weiße Nelke im Knopfloch seines Paletots befestigte, fragte er, wie zu fällig: „Ich sah eben Herrn Doktor Ellrich aus Ihrem Ge schäft kommen. Kauft er auch bei Ihnen?" „Gewiß, Herr Baron", erwiderte die Ladnerin lächelnd, „ber Herr Doktor ist jetzt sogar ein sehr guter Kunde ge worden. Sehen Sie dort, das schöne Arrangement aus la Frarwe-Rosen hat er erst heute wieder bestellt." „Saprtsti!" antwortete Remmingen, dem bei diesem Anblick wenig behaglich zu Mute wurde. „Für wen stürzt er sich denn in solche Ausgaben?" „Nun, wenn man verlobt ist, Herr Baron, muß man doch auch galant sein", sagte das junge Mädchen mit einem koketten Augenaufschlag, den Remmingen, wie gewöhnlich, nicht bemerkte. „So — der Herr Doktor ist verlobt? Was ich nicht höre?! Mit wem denn, wenn man fragen darf?" „Fräulein Röminger", berichtete die Verkäuferin, „die älteste von den Töchtern des reichen Tuchhändlers, dem das große Haus hier in der Straße gehört mit den drei Bal- kons! Ja, wenn so Geld zu Gelbe kommt, dann hat's ein Mädchen leicht heutzutage, eine gute Partie zu machen!" Während sie bei dieser traurigen Wahrheit tief und schmerzlich aufseuszte, emvfahl sich Remmingen. Er wußte genug. Draußen schob er den Arm in den seines Freundes und rief eine vorüberfahrende Droschke an. „Nach dem Stadtparke", rief er dem Kntscher zu. Reinhardt sah ihn fragend an und während beide ein stiegen, sagte Franz: „Ich will jetzt vor allen Dingen mit dir ruhig und vernünftig im Wagen sprechen, liebster Freund, das ist jetzt die Haupffache!" „Hast du etwas erfahren?" drängte der Andere. „Ja", die Schwester hat dir leider die Wahrheit gesagt. Ich habe jetzt die bedauerliche Gewißheit." Reinhardt stöhnte schmerzlich auf, wie in körperlichem Schmerz. „Die Verlobung?!" „Stimmt! Und nun bitte ich dich, nimm all' deinen Mut und deine moralische Kraft zusammen und laß uns als zwei ruhige und vernünftige Menschen darüber be raten, was nun geschehen muß, denn in diesem trostlosen Zustande darfst du nicht bleiben, unter gar keiner Be dingung." Reinhardt war nicht fähig zu antworten. Regnungslos saß er in der Wagenecke und blickte vor sich hin mit glanz losen, müden Augen und wehem Herzen. Alle glücklichen Träume, die er seit der Kindheit in der Seele getragen hatte, waren zerflattert wie Nebel vor der schrecklichen Wirklichkeit, die ihn heute angähnte, wie ein bodenloser Abgrund, in dem sein ganzes Glück versunken war — und er mit ihm. Alles war ihm gleichgültig! Er dachte nur an das Eine, das nicht mehr zu ändern war, daß er in dieser Stunde alles verloren hatte, was er Schönes und Großes vom Leben erhofft hatte. Was der Freund an seiner Seite zu ihm sprach, hörte er nicht, nur daß er es gut mit ihm meinte, wußte er. Und so fuhren die Beiden hinaus in den Hellen Früh, lingstag, durch den weiten, sonncnerfülltcn Stadtpark, wo überall, aus allen Zweigen und Sträuchern die grünen Blattspitzen ans Licht drängten, zu fröhlichem Blühen/-wo auf den weiten Rasenflächen die Schneeglöckchen ihre Köpfe erhoben als Vorboten des erwachenden Lenzes. Er sah cs nicht, wollte es nicht sehen. Für ihn gab es keinen Frühling mehr! * * ch Am nächsten Morgen mit dem Orient-Erpreßzuge reisten Reinhardt und Remmingen ab. Der Freund hatte seine ganze Uebcrredungskunst aufgcboten, den jungen Maler dazu §u bewegen, so schnell wie möglich die Stadt auf längere Zeit zn verlassen, die jetzt für ihn ein furcht- barer Aufenthalt sein mußte. Arbeiten konnte er jetzt doch nicht, das war nur zu begreiflich; und so wäre ein Bleiben eigentlich nur eine unablässige Qual gewesen. Genesen mußte er vor allen Dingen erst von dem Schlage, der ihn so grausam getroffen, andere Luft atmen, andere Menschen sehen. Er hatte nicht eher nachgelassen, bis Reinhardt seine Einladung angenommen hatte, mit ihm einige Wochen nach dem Süden zu gehen, woran sich dann -ein längerer Auf enthalt in Berlin anschließcn sollte. Die Welt war ja so groß und so voll von Eindrücken, die unwillkürlich ein tief verwundetes Künstlergemüt wie der mit Interesse am Dasein erfüllen mußten. Der arme Berning mar vollständig gebrochen, und willenlos, wie ein Kind, ließ er seinen Freund mit sich machen, was er wollte. Das Atelier ward vorläufig abgeschloffen, und Rem mingen, der überhaupt so unabhängig war. wie nur mvg- lich, ließ seine Wohnung in der Obhut seines absolut zu verlässigen Dieners zurück. So konnten sie am nächsten Morgen schon reisen, und der Baron atmete hoch und erleichtert auf, als der Zug langsam aus der Halle hinausrollte. Er hatte schon so viele schwere Fälle von unglücklicher Liebe gesehen in seinem Leben, die alle ganz außerordent lich gut geheilt waren, und da er auf diesem Gebiete ein zuverlässiger Diagnostiker war, so wußte er, daß in all diesen Fällen Luftveränderung stets von der aus gezeichnetsten Wirkung gewesen war. Warum sollte dieses an und für sich so harmlose Mittel nicht auch hier seine Wirkung tun? Sie hatten lange noch, bis tief in die Nacht, beisammen gesessen und alle Einzelheiten ganz genau und eingehend besprochen, alles mit der Sonde des logischen Denkens in möglichster Ruhe zergliedert. Daß Ella nicht eine Zeile geschrieben, kein Wort zur Erklärung dieses für Reinhardt so furchtbaren Ereignisses gesunden hatte, war für beide ein unleugbarer Beweis ihres Einverständnisses gewesen. Im Vollgefühl ihrer eigenen persönlichen Freiheit hatten ja beide keine Ahnung davon, unter welchem entsetzlichen Druck das unglückliche Mädchen lebte, wie ihr jede Möglichkeit be nommen war, dem Geliebten irgend eine Nachricht zu kommen zu lassen. „ — Da hatte sich Reinhardts tief beleidigter Stolz trotzig emporgcbäumt, und der Gedanke, so leichten Kaufes aus gegeben zu sein, hatte sogar noch den Schmerz, der sein Innerstes zerwühlte, überwogen. So war cs denn dem Freunde leichter geworden, als er anfänglich glaubte, den Unglücklichen zur sofortigen
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