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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-17
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980917024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898091702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898091702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-17
- Monat1898-09
- Jahr1898
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Bezugspreis dl der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins hau- 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche ttreuzbandjendung tu- Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabr erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentag- um b Uhr. Nedaction und Erpedilion: IohanneSgaff« 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Filialen: Dtto Klemm'- Sortim. (Alfred Hahn). UniversitätSstraße 3 (Paulinuut), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, part. und König-Platz 7. Abend-Ansgabe. ripMer IMblalt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Nolizei-Änttes der Ltadt Leipzig. 473. Sonnabend den 17. September 1898. Anzelgen'PretS die 6 gespaltene Petltzeile 20 Pfg. -ieclamen unter demRedaction-ftrich (4«o- spaltrn) 50^, vor den Familteunachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernfatz nach höherem Tarif. Extra-veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung ^ii 60.—, mit Postbrsörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Au-gabe: Lormiti-zS 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: Nachmittag» 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» au die Erpeditts» zu richten. Druck und Verlag vou L. Volz in Leipzig 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. September. Durch die Blätter geht eine, auch von den klerikalen Blättern übernommene Notiz, wonach der BundeSrath zu dem sogenannten Jrsniteugesetz eine andere Haltung als bisher einnehmen soll. Angeblich soll es sich um die in dem Gesetze enthaltene AuSweisungSbefugniß handeln, und es wird hinzugefügt, daß, wenn früher oder später ein Bundcöraths- beschluß zu Stande komme, demzufolge sich die Jesuiten deutscher Nationalität äo furo wieder im deutschen Reichs gebiet würden aufhalten dürfen, damit noch in keiner Weise der Frage präjudicirt werde, ob sie auch das Recht der Nieder lassung erhalten; dieses zu gewähren oder zu versagen sei Sache der Landesgesetzgebung. In dieser Ausführung ist Richtiges mit Falschem gemischt. Eine AuSweisungSbefugniß gegenüber den Jesuiten deutscher Nationalität kannte das Gesetz vom 4. Juli 1872 nicht. Der tz 2 des Gesetzes bestimmt nur Folgendes: „Die Angehörigen der Gesellschaft Jesu oder der ihr verwandten Orden oder ordensähnlichen Congregationen können, wenn sie Ausländer sind, aus dem Bundesgebiet auSgewiesen werden; wenn sie Inländer sind, kann ihnen der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden." Jesuiten deutscher Nationalität gegen über steht den Behörden demnach nur die Jnternirungs- befugniß zu. Zur praktischen Anwendung ist diese Be stimmung bekanntlich schon seit Jahren nicht mehr gekommen. Richtig ist, daß durch die Aufhebung des tz 2 des Jesuiten- gesetzeS das Niederlassungsverbot nicht alterirt würde. Das ist aber zunächst nicht deshalb der Fall, weil die Gewährung des Rechtes der Niederlassung von der Landesgesetzgebnng abhängt, sondern weil der das Nieder lassungsverbot aussprechende tz 1 deS Gesetzes mit Geltung für das ganze Reichsgebiet bestehen bleiben würde. Der Paragraph sagt mit Bestimmtheit: „Die Errichtung von Niederlassungen (des Ordens der Gesellschaft Jesu rc.) ist untersagt." Das Fortbestehen dieser Bestimmung schließt jeden Versuch, irgend eine Landesgesetzgebung zu Gunsten der Jesuiten in Bewegung zu setzen, aus, und man wird nicht bestreiten können, daß ihr Vorhandensein eine bessere Garantie gegen die Wiederzulassung des Jesuiten ordens ist, als der Umstand, daß die Niederlassungsfrage in den meisten Bundesstaaten auch noch von der LandeSgesetz- gebung abhängt. Eine Verdunkelung dieser Sachlage ist nach keiner Seite hin von Vortheil. Wir unterschätzen ja den Werth deS zweiten Riegels, der durch die Particulargesetzgcbung der Thätigkeit der Jesuiten als Orden in Deutschland vor geschoben ist, keineswegs, aber die Verhältnisse liegen doch nicht überall so wie in Preußen, wo die Gesetze von 1875, 1880 und 1887 die Dinge derart geregelt haben, daß der Jesuitenorden auch dann gesetzlich verboten bleibt, wenn das Reichsgesetz vom 4. Juli 1872 aufgehoben wird. In Württemberg, in Sachsen liegt die Sache ebenso; in Bayern und in Baden aber würde in diesem Falle nur mehr die behördliche Genehmigung und in anderen Bundesstaaten lediglich die Vereinsgesetzgebung in Betracht kommen. Die hohen Aletschpreise behaupten sich, und es ist nicht zu verkennen, daß sie einen großen Theil der Verbraucher masse an dem Verbleiben bei der gewohnten Ernährungs weise hindern. In Berlin, Karlsruhe, Nürnberg und anderen Städten ist ein beträchtlicher Rückgang deS Fleischconsums festgestellt; so wurden in Berlin vom 1. August 1897 bis zum 31. Juli 1898 32 900 Thiere weniger geschlachtet, als im voranSgegangenen Jahre,und in dem verbältnißmäßig kleinen Karlsruhe beträgt der Rückgang 2000Stnck. Wievorher dieNürn- berger, haben sich vorgestern die Berliner und die Kieler Stadt vertretungen mit der Fleischtheuerung beschäftigt, die Berliner, was anzuerkennen ist, in sachlicher, die Kieler m agitatorischer Weise. In der freisinnigen und socialdemokratischen Presse ist die politische Ausbeutung des erschwerten Fleischgenusses schon lange an der Tagesordnung, und selbst der Wahlaufruf der freisinnigen Volkspartei läßt sich den Gegenstand nicht entgehen. Die aufreizenden Uebcrtreibungen der Freisinnigen würden sich vermuthlich in jedem Falle eingestellt haben, aber es ist nicht zu verkennen, daß die Methode der Presse deS Bundes der Landwirtbe ihm das Handwerk erleichtert hat. In der „Deutschen Tageszeitung" war täglich zu lesen: Vieh sei in Ueberfluß vorhanden und billig, aber die Händler, die „Juden", sperrten eS ein, hinderten den Auftrieb auf die Märkte. Selbstverständlich fehlte auch niemals die Ver sicherung, daß das inländische Vieh den Bedarf voll ständig decke, die Grenzsperre also ohne Einfluß auf den Preis wäre, wenn nicht die „Fleichwucherer" künstlich die Preise steigerten. Diese bornirte Ableugnung sonnenklarer Thatsachen wirkte natürlich herausfordernd und verschaffte dem Freisinn das Ohr von Leuten, die weit entfernt von anti agrarischer Voreingenommenheit sind. Wie wir vorgestern mitgetheilt, hält cS nun auch die Leitung deS Bundes der Landwirthe nicht mehr für möglich, auf dem bisherigen System offenkundiger Unwahrheiten zu verharren. Eins ihrer Organe erklärte ziemlich unverblümt, die Erzählungen von unverkauftem, zurückgehaltenem Vieh beruhten auf Schwindel, und gesteht: „Die Viehpreise sieben hoch, sehr hoch." Durch die bewußte Irreführung des Publikums, die sie nicht mehr aufrecht erhalten kann, hat sich aber die agrarische Führung in eine unvortheilhafte Stellung gebracht. Nachdem sie den Einfluß der Grenzsperre auf die Preise wider besseres Wissen in Abrede gestellt, er weitert sich der Kreis, der ihr nach dem bekannten Sprich wort auch nicht mehr glaubt, was sie über die Verseuchung der Nachbarländer vorbringt. Glücklicher Weise ist man in dieser Beziehung nicht auf die Hahn und Genossen angewiesen. Die auswärtige Verseuchung und ihre verheerenden Folgen sür den heimischen Viehbestand sind gut beglaubigte Thatsachen, deren Folgen für die deutschen Verbraucher nicht im Entferntesten so ernst sind wie für die deutschen Viehhalter. Im Uebrigen ist die Grenzsperre nicht die einzige Ursache der Theuerung; zu ihr tritt der Futterreichthum des Jahres, der dem Land- wirth die Erhaltung eines stärkeren ViehstandcS lohnend er scheinen läßt. Man kann ibn nicht zum Verkauf zwingen, und ebensowenig scheint die Forderung nach Beseitigung der Sperre, d. h. nach Schaffung eines Zustandes, der ruinös für die heimische Viehzucht wäre, erfüllbar. Wir haben eS mit einer Conjunctvr zu thun, die ertragen werden muß und die wenigstens im Westen und Süden Deutschlands die Er innerung an den ungeheuren Fall der Vieh- nnd Fleisch preise, der dort vor einigen Jahren infolge einer Fatter- noth eintrat, wachrufen sollte. Es kam damals im Elsaß vor, daß ein Stück Vieh nicht mehr als 20 brachte. Glücklicherweise trifft die Fleischtheuerung mit einer günstigen allgemeinen wirtschaftlichen Lage, namentlich mit guten Löhnen zusammen, so daß sie weniger drückt, als eS unter anderen Umständen der Fall wäre. Beklagenswert bleiben die übermäßigen Preise dennoch — beiläufig bemerkt, auch für die überwiegende Mehrzahl der Fleischer — und es sollten Mittel gesucht werden, dem Uebelstauve nach Möglichkeit zu begegnen, ohne durch Seucheneinschleppung das Volksvermögcn zu ge fährden. Man hat bereits vorgeschlagen, ausländisches Vieh in besonders construirten Eisenbahn- und Straßenwagen in die einzelnen Schlachthäuser einführen zu lassen und für un verzügliches Schlachten Sorge zu tragen u. dergl. m. Die Regierungen haben gegründeten Anlaß, solche Vorschläge genau und ohne Rücksicht auf die Gunst oder Ungunst der Herren v. Wangenheim und Hahn zu prüfen. Dem anarchistischen „Socialist" und dem anarchistischen „Armen Konrad" ist die Ermordung der Kaiserin Elisabeth ein Anlaß gewesen, mit verteilten Rollen zu arbeiten. Darin freilich stimmen beide Blätter überein, daß sie den Verbrecher Luccheni als geistig gesund und als Anarchisten an erkennen. Auch darin sind beide Blätter einig, daß sie die von uns wiederholt skizzirte anarchistische Taktik der Propaganda durch die That einfach ignoriren. Aber in der Erklärung deS Verbrechens, in dessen Entschuldigung sie wiederum harmoniren, Weichen sie wesentlich von einander ab. Der „Arme Konrad" macht ausschließlich die Gesell schaft für daS Verbrechen verantwortlich. Er schreibt: „Werden Menschen, wie Luccheni, als Bestien geboren? Davon kann keine Rede sein, man braucht nur daS hübsche, in telligente Gesichts!) des Attentäters auf dem Bilde zu sehen, um zu errathen, daß eS ein zu weicher, sagen wir ruhig: zu zartfühlender Charakter ist, den wieder einmal die Verzweiflung zum Mord her vorragender Repräsentanten des gegenwärtigen Systems trieb. Man wirft diesem jungen Menschen Rohheit, CyniSmus vor. Was ist eS, daS auS seinen Aeußerungen spricht? Roh, erschreckend roh klingen sie — aber sie sind zu stark, zu gekünstelt — sie können nicht aus dem Innern kommen (!).. Luccheni handelte an der Gesellschaft so, wie sie ibn zu handeln gelehrt hatte. (!) Roh, lieblos riß sie ihm das Herz aus der Brust; roh, lieblos erstach er eine ihm fremde Fran, die er vielleicht geachtet hätte, wenn er sie gekannt hätte." — Bon dieser frevelhaften, unverkennbare Sym pathie für den Verbrecher athmenden Erklärung unterscheidet sich der „Socialist" einigermaßen vortheilhaft. Ihm „widerstrebt" eS, „bei dieser Gelegenheit daS hergebrachte Lied über die entsetzlichen, unwürdigen, verrohenden Zustände, unter denen die Armen, vor Allem auch in Italien, auf wachsen, anzustimmen". „Es ließe sich viel darüber sagen", so schreibt er, „und eS wäre auch gewiß Alles richtig, aber eS würde sich doch nur wie eine Ausrede anhören." Deshalb erklärt der „Socialist", „daß die Anarchisten, uns Anarchisten ein gut Theil Schuld mit trifft und daß wir sie vor aller Welt auf unS zu nehmen und zu tragen haben". — Wer hiernach etwa eine Verwerfung der Propaganda durch die That erwartet, wird vom „Socialist" sehr enttäuscht. Mit keinem Worte geht er auf diese fluch würdige Lehre ein, nur allgemeine Phrasen über daS Miß verstehen der anarchistischen Lehre, über die Rohheit, die an der „kraftvollen That" sich ein Beispiel nimmt, bringt er vor und begnügt sich sonst damit, Aeußerungen der fran zösischen Genossin Severine wiederzugeben. Auch Genossin Severine bekämpft mit keiner Silbe die Taktik der Propaganda durch die That, auch sie räumt nur ein, daß die aufreizende anarchistische Agitation von den „Ungeduldigen", „Hitzigen", von den „Hysterikern deS Elends, diesen Nervösen unter den Freiheitskämpfern", mißverstanden werde: „Alsdann begehen sie irgend eine That der Thorheit. Wir, die Erzieher und Führer der Menge, tragen alle Verantwortung — sie aber alle Nachsicht und alles Erbarmen!"— Damit trifft dann der „Socialist" mit dem „Armen Konrad" wieder zusammen. Letzterer nämlich schreibt: „Alles ver stehen heißt Alles verzeihen. DaS Opfer Elisabeth schmerzt un», — daS Opfer Luccheni auch; — beide waren un schuldig." — Alle Nachsicht also und alle- Erbarmen ver langt der „Socialist" für den Genfer Mordgesellen, für unschuldig erklärt ihn der „Arme Konrad". Haben beite Blätter somit von einer directen Verherrlichung deS Ver brechen- Abstand genommen, so haben beide doch auf das Deutlichste zu erkennen gegeben, sowohl positiv, wie negativ, in welchem Grade Staat und Moral durch den angeblich harmlosen deutschen Anarchismus bedroht werden. Zur Charakterisirnng der Art, wie die Schweiz ihren internationalen Verpflichtungen nachkommt, drucke» die „Hamb. Nachr." den Erlaß wieder ab, den Fürst BiSmarck am 5. Juni 1889 in der Wohlgemuth-Affaire an den deutschen Gesandten in Bern richtete. Derselbe lautete: „Wir haben seit Jahren darunter zu leiden, daß Anarchisten und Verschwörer von der Schweiz auS ihre Unternehmungen gegen den inneren Frieden des deutschen Reichs ungehindert in» Werk setzen dursten. Die Centralleitong der deutschen Social demokratie hat ihren Sitz in der Schweiz, hält dort ihre Congresje zur Berathung und Vorbereitung ihrer Angriffe gegen uns, ent sendet von dort ihre Agenten und verbreitet von dort aus die dort gedruckten Brandschriften zur Entzündung des Classrnhasses und zur Vorbereitung des Aufruhrs in Deutschland. Die schwersten anarchistischen Verbrecher, wie ReinSdorf, Neve und andere, haben ihre politische Ausbildung in der Schweiz erhalten und kommen zur Verübung ihrer Mordthaten unmittelbar au» der Schweiz nach Deutschland. Diesem Treiben gegenüber haben die deutschen Negierungen bisher, in Anerkennung der eidgenössischen Verhältnisse, sich principieller Beschwerden enthalten und sich aus die Beobachtung der gegen sie gerichteten Unternehmungen beschränkt. Sie nahmen an, daß e» den deutschen Sicherheit-ocganen, wie in anderen Ländern, so auch in der Schweiz nicht verwehrt sei, zur Ab- wehr verbrecherischer Unternehmungen an Ort und Stelle Er- kundigungen rinznzirhen und dabei, wenn nicht auf die Unter- stützung, doch sicher auf Duldung und guten Willen der Be hörden teS befreundeten Nachbarstaates rechnen zu dürfen. Diese Annahme hat sich neuerlich als irrthümlich erwiesen. Schweizer Cantonalbeamte, wie der Polizeihauptmann Fischer in Zürich, haben öffentlich die deutschfeindliche revolutiouaire Partei gegen uns unterstützt. In dem Falle Wohl- gemuth ist es dahin gekommen,daß der deutscheBeamte- noch bevor er Informationen einziehen konnte, ver haftet und nach zehntägiger verbrechermäßiger Be handlung aus der Schweiz auSgewiesen worden ist. Dieses Verhalten der Schweizer Behörden steht in Wider spruch mit demjenigen, welche- unausgesetzt seitens der kaiserlichen Regierung gegen die Eidgenossenschaft geübt worden ist. ES zeigt, daß die Schweizer Regierung mindestens gleichgiltig gegen die Gefahren und Schäden ist, mit welchen be- freundete und ihre Rratralttät schützende Mächte durch die von der Schweiz au» und unter Connivroz von Fenilletsn. Henny Hurrah! 15s Roman von Ernst Clausen. . Nachdruck verboten. „Trüxen, hör doch endlich auf mit Deinen Redensarten! Wrcviel hast Da nun eigentlich?" versuchte der Graf wieder, ihn abzulenken. „Also, da ist die Pension! Das sind wohl circa dreitausend Mark! Und was hast Du außerdem noch aus dem Vermögen?" „Biel ist's nicht! Wenn ich daraus noch fünfzehnhundert Mark Zinsen habe, so ist's gut gerechnet." „Na, dabei braucht man doch nicht zu verhungern." — „So, das sagst Du so hin! — Als Junggesellen nicht, aber mit einer Frau und drei Kindern! Was wird denn, wenn die Jungen heranwachsen? Kann ich sie studiren oder wieder Soldat werden lassen, damit sie weiter Hungerpfoten saugen? Proletarier können sie werden, weiter nichts! Und was wird aus mir? Gotts Donnerwetter! Ich bin doch noch kein Murmel greis, der die Hände in den Schooß legen will! Ist es denn nicht ein Wahnsinn, daß, je älter man als Soldat wird, je un sicherer die Zukunft aussieht? Ist das recht und billig? Hat das ein anderer Mensch zu gewärtigen? Das ist doch die verkehrte Welt! In jedem anderen Berufe wird die Stellung sicherer, je länger man arbeitet, aber uns Soldaten grebt man den Fußtritt!" „Ist schon wahr!" meinte Uexhus mit dem Kopfe nickend — „aber das wissen wir Alle, wenn wir eintreten, oder wenigstens unsere Bäter wissen es; aber diese werden durch die billige Cadettenhauserziehung verführt. Müssen denn die Bengel durch aus studiren oder Soldat werden? Da giebt es doch noch andere Berufe!" „Und wenn ich vorher ans der Welt gehe", schrie Trüxen — „man muß ja crepiren, es ist ja gar nicht anders möglich!" „Na, vorläufig siehst Du nicht so aus, Trüxen! Tausende von Familien existiren, deren Fortkommen und Wohlergehen auf der Arbeit des Baters basirt. Halte den Kopf hoch, schließe mit der Thatsache ab und versuche, irgend eine Stellung zu be kommen." „Ja, ja, das wird das Beste sein", fiel hier der Oberst Tressing ein. „Und dann schließlich, wer weiß, Henny ist ja nun frei, sie wird Euch schon mit durchhelfen! Kinder hat sie ja nicht!" „Aha, jetzt geht das los!" dachte Uexhus. „Der Mr. Brown ist todt und die ganze Familie hat nun Jemanden, der für sie sorgt; man bettelt sich wieder eine Generakion weiter." Er be hielt aber diesen Gedanken wohlweislich für sich, zumal der alte Tressing ihm einen recht gebrochenen und müden Eindruck machte, wie er dort, den greisen Kopf tief gesenkt, ganz zu sammengesunken im Lehnstuhl kauerte. Das war Elend! Kein Hungerelend, aber doch Elend! Trüxen lehnte am Fenster und starrte finster vor sich hin. Was hatte er in den letzten Jahren nicht Alles gethan, um seine Stellung zu sichern. Der Gedanke, daß es ihm einmal so er gehen könnte, wie es nun Thatsache geworden war, hatte sich erst ganz allmählich bei ihm entwickelt. Er hatte ja so sorglos als Junggeselle leben können; er brauchte nicht wie so viele Andere nach einer guten Partie zu suchen, aber als die Kinder ankamen und es ihm klar wurde, daß seine Einnahmen nicht die Ausgaben decken konnten, hatte er sich ganz folgerichtig klar gemacht, daß die einzig« Rettung in einer guten Carriöre liegen konnte. — Er war ein eifriger guter Compagniechef gewesen. In dem Ge danken, alle Hebel anspannen zu müssen, um sich auf seinem Posten als Major zu halten, hatte er gesellschaftlich viele Opfer gebracht, sich gut beritten gemacht und seinen Diener in eine an ständige Livrße gesteckt. Ganz abgesehen von allem Anderen, ent sprach dies auch seiner Neigung; er hielt es sogar für Pflicht, die Kameradschaft auch im geselligen Verkehr zu pflegen. Aber mit den wachsenden Ausgaben stieg auch die Befürchtung, ob er wirk lich glatt weiter avancirm würde, und das hatte ihm di« frühere Sorglosigkeit und Ruhe geraubt, das fast eingebildete Selbst vertrauen, das der Soldat so durchaus nöthig hat. — Die erste Bataillonsvorstellung war nicht glänzend abge laufen und bei der zweiten im letzten Frühling hatte er das Pech gehabt, nicht die Aufgabe so aufzufaffen, wie die Vorgesetzten es gewünscht hatten. — Ja, so war es gekommen, ein Compagnie chef hatte ihn auch im Stich gelassen, er war zu anständig ge wesen, um diesem ganz unfähigen Untergebenen schon vorher den Hals zu brechen. Der arme Teufel hatte auch nichts! Alles, wa» Trüxen vorher geleistet hatte, war ja nun null und nichtig! Man sah ja doch nur die letzte Qualifikation an. — UexhuS war ins Nebenzimmer zu den Damen gegangen. Sie trugen Alle Trauerkleider um Henny's Mann und machten keinen heiteren Eindruck. — Lott« war noch zu jung, um etwas Anderes zu empfinden als den Druck der allgemeinen Niedergeschlagen heit. " - - , Frau von Tressing hate den feinen, nun auch grauen Kopf in die Hand gestützt und dachte, was wohl ihr Vater gesagt haben würde, wenn er dies Elend in der Welt und dasjenige seiner Tochter und Enkel hätte mit ansehen müssen. Luise, Trüxcn's Frau, schien von Allen die Ruhigste zu sein. Sie beschäftigte sich damit, den Tisch zu decken und das Kaffeegeschirr aufzu bauen. „Wie ist Ernst jetzt?" fragte sie, still einige Thränen trock nend, die ihr langsam über die blassen Wangen rollten. „Er muß sich austoben, laß ihn nur!" meinte der Graf. „Suche vor allen Dingen zu verhindern, daß er die Energie ver liert, und rede ihm zu, daß er sofort alle Schritte thut, um irgend eine Stellung zu finden. Das wird ihm am besten darüber hin weghelfen." — »Ja, ja! Ich hoffe, er wird es thun. Zum Verzweifeln ist es doch nicht. Ich dachte schon, wir nehmen vielleicht Pensionaire, Schüler! Es ist doch immer etwas dabei übrig." Uexhus gab ihr die Hand. „Das ist vernünftig gesprochen, Luise." — Einerlei, dachte er dabei, in diesen Frauen steckt doch etwas; sobald sie vor Pflichten gestellt werden, versagen sie nie. Sie haben viel weniger Angst vor den Einschränkungen an sich, als davor, daß damit sich ihre äußere Lebenslage ändern und sie aus den Kreisen, in denen sie bis jetzt gelebt haben, herausgedrückt werden könnten. — Er, Uexhus, war zu lange Junggeselle gewesen, um nicht genug Egoist zu sein, innerlich trotz aller Theilnahme für den vor liegenden Fall eine Art von Befriedigung in Bezug auf seine Zukunft zu fühlen. — Er dachte auch an Dora König und war dem Schicksal dankbar, das es so gefügt hatte, daß sie nun Beide frei waren. — Für die meisten Manschen ist eben das Schicksal, wie sie es nennen, unter Umständen sehr gut zu gebrauchen, und ihr Egois mus legt sich gemächlich schlafen hinter der Wand, welche manch mal dies Schicksal errichtet. „Habt Ihr Nachrichten von Henny?" fragte er seine Cousine. „Ja, gestern! Sie hofft in einigen Wochen hier sein zu können." Der alten Dam« strenges Gesicht hatte sich bei diesen Worten aufgeklärt. „Ach wirklich! Schon so bald?" warf Luise «in, den Kopf erhebend, und Lotte sagte: „Ich freue mich riesig darauf!" Es war, als ob der Name Henny überall freudigere Gesichter hervorzauberte. — Nebenan hörte man wieder Trüxen raison- niren. — . „Gemeinheit! Die Fetzen vom Leibe reißen — und dafür Opfer gebracht — schwarzen Kittel anziehen" — und dazwischen tönte des Obersten tiefe, etwas heisere Stimm«, und draußen auf dem Corridor hockten die beiden Jungens zwischen Eis- und Wäscheschrank und spielten mit des Vaters Schärpe, die dieser heute nach einem Gang zum Obersten in die Ecke geworfen hatte. Und die alte Dora, welche eine solche Familientragödie nun schon zum zweiten Mal erlebte, das erste Mal war es bei einem Hauptmann gewesen, gab d«m Jüngsten die Flasche und machte dabei ihre stillen Betrachtungen darüber, daß «S nichts sei mit's Militair. Als Luise mit Lotte hinausgegangen war, um nach den Kin dern zu sehen, sagte Uexhus, an den dünnen Haaren seines Schnurrbartes ziehend: „Ihr kennt doch Seefrieds, Cousine; der Commerzienrath steckt ja in allerhand Unternehmungen. Sollte man durch seine Vermittelung nicht eine Stellung für Trüxen finden?" Frau von Tressing sah ihn mit den ruhigen, klaren Augen ernst an. Sie überlegte «ine Weile und erwiderte dann, den Trauring am Finger hin- und herschiebend: „Ich habe auch schon daran gedacht, aber es wäre mir lieber, wenn dessen Vermittelung zunächst nicht gesucht würde. — Dir ist vielleicht nicht unbekannt geblieben, daß der junge Seefried sich augenfällig für Lotte zu interessiren scheint, und da denke ich — nun — ich braucht wohl nicht deutlicher zu werden — es ist besser, wir warten damit. Allerdings verbietet uns ja die Trauer um unseren verstorbenen Schwiegersohn für diesen Win ter jede Art Geselligkeit." — Ja, Uexhus verstand sie. — Diese Frau flößte ihm starkes Unbehagen ein. Sie war ein« von den Naturen, welch« durch das Leben hart werden, die alle Dinge in der Welt nur noch mit nüchternem, klar abwägendrm Verstände beurtheilen können. Also nun war Seefried junior aufs Korn genommen worden! Was wohl Lotte selbst dazu sagen würde? Sie hatte sich ganz andrrs entwickelt, als Uexhus je für möglich gehalten hätte. Sie wider sprach der Mutter nie, ab«r sie that nicht immer, was diese sagt«, sondern ging still ihren eigenen Weg, und er hatte von ihr in letzter Zeit oft Ansichten gehört, welch« ihn durch ihre Selbst ständigkeit in Erstaunen setzten. Wer konnte aber wissen, wie dies Elend im Trüxen'schen Hause auf sie wirken würde! — Er sah seine Cousine wieder an. Sie zählte an den Fingern und den Kopf erhebend, sagte sie: „Das Trauerhalbjahr dauert genau bis zum fünften Januar des nächsten Jahres!" Der lange Graf konnte riy Lächeln nicht unterdrücken. Er
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