Delete Search...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.02.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-02-23
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070223011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907022301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907022301
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-02
- Tag1907-02-23
- Monat1907-02
- Jahr1907
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Bezuns-PreiS für Leipzig »uv -«orte: I» der tzaupt- Erveditioa oder der», L«»gab«ftellea ad- aeholt »oaalltch: Autgab« (1 «al täglich) 70 Pf.. Ausgabe ö i2 »al täglich) 80 Psi. bei Zustellung in» Hau« Ausgab« 80 Pf., Ausgabe 8 1 Mark. Durch unsere au«, wärtigen Ausgabestellen und durch di« Post bezogen (1 mal 1äglich)inuerhalb Deutschland« nionatlich 1 Mark ausschl. Bestellgebühren, für Oeflerrrich-Ungarn d L 45 d vierteljährlich^ die übrigen Länder laut Aeitungsvrei-liste. Diese Nummer lostet aus Ä 4V alle» Bahuhäfen und bei III den Zeitung«-BerkSnferu AeSattton und t-xpepttto«: Johannisgasfe 8. Telephon Nr. 1ÜS^ Nr. 2L^ Nr. I17L. Berliner ckedatttonS-Borea«: Berlin XV. 7, Prinz Louis Ferdtnaud- Straße I. Telephon I, Nr. V275. Morgen Ausgabe S MpMerTüNckM Handelszeitnng. Amtsblatt -es Rates und -es Nolizeiamtes -er LLa-t Leipzig. Anreiaen-VreiS Für da« iLrichetneu au benimmtea Lagen ii. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Festerteilte Aufträge können nicht zurück- gezogen wrrbeu. Luzeigen-Annahmr: AugustuSplatz 8. bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncrn- Erveditionrn d«S In- und Au-lande.'. die Sgespattene PetUzeile iür Geschäfts inserat« ans Leipzig und Umgebung 8S Ps„ Familien-, Wohnung«- «. Stellea-Anzeigen, sowie Lu- und Berkäufe 20 Pf„ finaaziellr Anzeigen 30 Pf„ für Inserate von au«wärt» 30 Pf. Reklamen 75 Pf, avSwürt» l Mark. Berlage- gebühr 4 Mark p. Tausend ezkl. Postgebühr. GeschästSanzeigen an beoorzugier Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarii. Für Jnierate vom Ausland« besonderer Tarif. Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker,Herzgl.Bayr.Hofbuchbaudlg. Lützowstratze 10 (Tel. Vl, 46 03. Filial-^rvedttionrDreSdcn.Marienirr?-> Nr. 5L Sonnabend 23. Februar 1907. M. Jahrgang. oar WiSNgrle vom läge. * Der OberlandeSgerichtürat Roer en, Oberlandes- gerichtSrat beim Oberlande-gericht in Köln hat seinen Ab- ichiev ans dem Staatsdienst erbeten. (S. DtschS. R.) * Zehn Ueberlebende des Dampfers „Berlin* worden im Laufe des gestrigen Tages noch gerettet. (S. d. bes. Art. und Letzte Dep.) * Im preußischen Landtag kam gestern die Inter pellation über daS Unglück auf der Grube Reden nicht über die einleitende Rede de- Interpellanten hinaus. Die Beratung wird heute fortgesetzt. (S. DtschS. R.) * Der Evangelische Oberkirchenrat hat wegen der Proleste im Fall Cäsar eine Ansprache an die Geist lichen und Gemeinden gerichtet. (S. DtschS. R.) * Die japanische Regierung hat amtlich dem ameri kanischen verbot der Kuli-Einfuhr zugestimmt. (S. d. bes. Art.) * Auf dem Haager Kongreß soll eine dreißigtägige Zwischenzeit zwischen Kriegserklärung und Beginn der Feindseligkeiten beantragt werden. (S. Ausl.) * Der Angeklagte imHertzensteinprozeß hat gestanden, daß er vom Verband russischer Leute gedungen »ar. (S. AuSl.) * Ein polnisch-sozialistischer Parteitag wurde zum 20. März nach Zabrze eirtberufen. Me lltlS «e«r ?r8ri<Ir«tr«. Nach de« Grafe« Ballestrettr der Graf zu Stol berg-Wernigerode. Die höchste Bolkswürde, da« Prä sidium de« Reichstag-, scheint unter dem demokratischsten aller Wahlsysteme eia gräfliche- Reservat geworden zu sein. Nach dem schlesischen Zentrum-feudalen der feudale Konser vative au- Schlesien. Damit wäre« aber auch die Be rührungspunkte aufgezählt. Nein, doch nicht. Balle st rem hatte und nützte die Berechtigung zum Tragen einer Majors- rrmform. Und Stolberg ist Generalmajor L la suits der Armee. Die Welt wird also Wohl auch fürderhin da konstitutionell wenig erfreuliche Schauspiel erleben, daß Parlament-Präsidenten in Uniform zu Hofe gehen. Aber nun gibt es wirklich keine Vergleichsmomente mehr. Die beiden Männer sind kontrastierende Naturen. Ballestrem, der Zentrumsgraf, zeigte in seinem Wesen ein ähnliches Konglomerat der verschiedensten Elemente wie die Partei, au« der er hervorgegaugen ist. Und dabei war er in so hohem Maße Herr dieser seltsamen Mischung, daß man manchmal Gelegenheit hatte, in ihm den Ver- waudlungSküastler zu bestaunen. Ein Vorgang aus den letzten Kolonialdebatten de« verflossenen Reichstag- mag das zeigen. Ledebour, der Spezialaawalt alle» nichtdeutschen Wesen- und ehemals wegen seiner Polensreuodschast Leve- bourSki genannt, hatte wieder einmal di« edel» Kaffer« ge rühmt und die deutschen Beamten beschimpft, und der präsi dierende Graf Ballestrem hatte wohl ein wenig genickt, denn rS war um die Zeit seines nachmittäglichen Schlummer stündchen-. Mit der guten Witterung de- alten Parlamen tariers für Uogebübrlichkeiten hatte der Präsident aber sofort die Situation ersaßt und den Redner unter brochen, indem er mit wahrhaft rührendem GesichtS- -zzSdruck und im mildesten Ton fragte, was Herr Ledebour gesagt habe. Es sei schlecht zu verstehen gewesen. Ledebour geht auf den Leim und wiederholt die Beleidigung und wird nun von dem eisig kalt gewordenen, hock auf gerichteten Ballestrem mit schneidender Stimme zur Ord nung gerufen. DaS war der echte Ballestrem. Dieser Graf zeigte bei allem StandeSgesühl einen sehr feinen Instinkt für die demokratilchen Notwendigkeiten in den Präsidial- geschäste». Er besaß ferner alle die Qualitäten d«S In tellekt- und de- Temperament-, die den großen Präsidenten machen. Er war schlagfertig wie kein anderer im ganzen Hause und imstande, mit einem treffenden Wort zwei Todfeinde zum Lache» zu bringen und damit da» Hau» vor einer endlosen Reih« von persönlichen Bemerkungen zu be wahren. Eia Mitglied der Rechten hatte der äußersten Linken vorgeworsen, sie sei mit irgend etwa- hausieren gegangen, darob Entrüstung bei den Angegriffenen und Beschwerde beim Präsidenten. Der machte den in all seiner Uasachlich- keit doch brillanten Witz, Grund zur Beschwerde liege nicht vor, den« LaSker habe einmal die Hausierer die Edelsten der Nation genannt. Natürlich laute» Halloh aus allen Seiten, und di« Sache war erledigt. Also der Manu konnte Präsident sein. Er konnte freilich auch in Demut „ersterbe»*. Indessen da» mochte noch hiugeheo. Wenn nur nicht sein Gehör gewesen wäre! Da» machte ihm zuzeiten sehr zu schaffen. Besonders einmal in der allerletzte» Zeit, al» Roer«« Deruburg einen Börsenjobber üaunte, versagte e« gänzlich, wahrend e» manchmal wieder recht gut war- Auch früher war eS ihm schon passiert, daß er einem bayerischen Zentrum«- mann eine Kritik kaiserlicher Meinungsäußerungen hatte durchgehe« laste», wahrend er sie einem sozialdemokratische« I Redner verwehrte. Und e« muß auch daran erinnert werde«, s daß er e» war, der den unhaltbaren Grundsatz aufgestellt hat, nur im „Reichsanzeiger* veröffentlichte kaiserliche Kund gebungen dürften im Parlament glossiert werden, worauf der „Reichsauzeiger* einen Beweis schöner Entsagung lieferte und von inoffiziellen Reden, Briefen und Telegrammen des Kaisers keine Notiz mehr nahm. Ja, Graf Ballestrem ver diente den Titel Exzellenz — wie auch den eines Geheimen Kämmerers S. H. deS Papstes. Udo Graf zu Stolberg-Wernigerode, bald siebeu- undsechzigjährig, wegen seine» Eintreten« für den Antrag Kanitz z. D. gestellter Oberpräsiden», Fideikommißherr aus Kreypelbof in Schlesien, Dr. jur. und Generalmajor L la siüts d. A., bisher erster Vizepräsident und nunmehr Nach folger BallestremS, ist ein anderer Mann. Schon äußerlich der Gegensatz seine« Vorgängers. Ein fast überlebensgroßer, hagerer Herr mit langem grauen Bollbart, gewohnt, mit einem Seidenmützchen die Blöße de« Hauptes zu bedecken, und nicht immer darauf bedach», es rechtzeitig vor dem Betreten deS Sitzungssaales abzunchmen, von starkem Knochenbau und langen Gliedmaßen, deren Bewegungen sich ruckweise vollziehen. Ein Mann, unheilbar mit deutscher Biederkeit behaftet. Sein größter Vorzug, der ihm überall Sympathien sichert, aber auch wahrscheinlich die Ursache mancher schier unvermeidlich:» Schwierigkeiten. Um nur eine hervorzuheben. Der Graf ist ein Feind der Sozialdemo kratie, was ihm auch als Präsidenten nicht gewehrt werden kann. Aber eS fällt ihm sichtlich sauer, auch nur so zu tun, als umfasse er alle Fraktionen deS Hauses mit gleicher Liebe. Jedenfalls ist er bisher stets den Sozialdemokraten mit einer gewissen Schärfe bei seiner GeschäckSführung entgegenzetreten. Und seine Hand greift schon nack dem Glockenstiel, wenn ein Genosse sich zum Reden erhebt. Auch an GeschäftSgewandtbeit dürfte er dem ZenirumSpräsideuien nachstehen. Und überdies scheint seiner Konstitution anbaliendeS Eitzen nicht zuträglich. Scho« »ach der ersten halben Stunde beginnt der Graf mit einer systematischen Gliedermafsage, indem er mit der Handkante rythmrsch Schenkel und Arme beklopft, eine Uebung, we ins besondere bei langweilgen Syuugen immer gebührende hei ei, Aufmerksamkeit findet. Aber rühmend se» e» bezeugt: der Graf pflegt laut und deutlich zu sprechen. Und die guten Nerven des geruhigen Gewissen- und Temperament» scheint er auch zu haben. Wenn also nicht gar zu verzwickte Sltuationen kommen, wird eS schon gehen. Der Geh. Regierungsrat und frühere Professor der Staatswisseuschafte« an der Charlottenburger Technischen Hochschule Dr. phil. Hermann Paasche ist vom zweiten zum ersten Vizepräsidenten aufgerückt. Schon seine berufliche Laufbahn charakterisiert den beweglichen Geist diese- jetzt sechSundsünszigjährigeu Mannes. Von Hause aus Landwirt, studierte er Land- und Volkswirtschaft, um über landwirt schaftliche Professuren an einer Hochichule und drei Universi täten al- StaatSwisseu'chastler in Charlotieuburg zu landen. Sein Gedächtnis ist fabelhaft, seine Redefertigkeit unüber trefflich. Spricht stet- frei und immer fließend und deutlich. Von seiner Virtuosität im Reden kmsiert die Anekdote, er sei einmal infolge einer Wette mit versiegelter Redeordre auf die Tribüne des Parlament- geschickt worden, wo er erst nach einem viertelstündigen Sprach zum Postetal da- Kuvert aufmachen durfte, um innerbalb einer Minute den Uebergang zum Wetttbema von de» Heidschnucken zu suchen und zu finden. Möglich, daß da- Geschichtchen erfunden ist. Aber dann ist eS jedenfalls famo« erfunden. Und auch hier wieder die alte Erfahrung, daß gerade die schönsten Gaben der Götter die gefährlichsten Schlingen werden können. Wem sich gar zu leicht die Gedanken zu Worten formen, der muß stet- auf der Hut sein, nicht mehr zu offenbaren al- gewollt. Der körperlich und geistig bebende Mann, dessen gesundheit licher Zustand sich übrigen- erheblich gebessert zu haben scheint, dürfte mit Hilfe seiner Gewandtheit und nickt zum wenigsten seine» Fleißes die Bedeutung der Vizepräsident schaft unter der herrschende» Konstellation erheblich steigern. Vielleicht auch blüht ihm doch noch eine« Tage» ein Reichs amt, wen» nur dafür gesorgt würde, daß da» Gerede davon aujhört . . . Bon Herrn Johanne» Kaempf, dem zweiten Vize präsidenten, ist vorläufig nicht viel zu sagen. Es ist zu ver muten, daß die Freisinnige Volkspartei ihn heran-gestellt hat, weil Reinhart Schmidt, der repräseutable Elberfelder Fabrikant, nicht wiedergrwählt ist. Doch wird man von einem Stadtältestrn und Präsidenten der Aeltrsten der Berliner Kaufmannschaft genügend Sicherheit im Auftreten erwarteu dürfe«, um an ein normale- Funktionier« der PräsidiaNritung unter ihm zu glauben. Jedenfalls ist eS sehr erfreulich, daß in ihm ein Mana au- der deutschen Kaufmannschaft mit zu de« Repräsentant«« de« deutsche« Reichstage» gehört. UMlilrailirae kimvsmkiMgrrchmelre». Nach langen Beratungen haben die Salon« im Washing toner Kongreß endlich ei» neue- Einwanderungsgesetz be- schlossen, da», um die» vorweg zu bemerken, »war eine be deutende Verschärfung der Einwanderung bezweckt und ent- hält, aber keiue-wegS da» Einwanderungsproblem salbst end gültig löst. Seit über Ist Jahren steht die Frage der Einwanderung fremder Elemente in dem Vordergründe de- politischen und wirtschaftlichen Interesse» und bildet einen der Haupfftreit- punkt« »wischen Arbeitnehmern einerseits und Arbeitgeber» andererseits. Man hat sich in Amerika daran gewöhnt, die in die Union einwandernden Elemente in erwünschte und unerwünschte zu teilen. Zu den erwünschten Elementen rechnete und rechnet man auch heute noch die Personen ger manischer Abkunft, denen in erster Linie der hohe kulturelle Aufschwung der Union zu verdanken ist. Bis vor kurzem war nun die germanische Einwanderung die dominierende. Von 182L Millionen Personen, die in den Jahren 1821 bis 1898 in die Vereinigten Staaten einwanderten, waren 5,1 Millionen Deutsche, 3 850 000 aus Irland, 3125000 aus England und Schottland, etwa 1 Million aus dem Britischen Nordamerika, 1250000 aus Schweden und Norwegen, 900000 aus Italien, 310 000 aus China usw. Germanen, einschließlich der Briten und Nordländer, waren also etwa 10 Millionen; Germanen, Iren und Romanen stellten die überwiegende Mehrheit dar. Wären statt ihrer 15—16 Mil lionen Slawen eingewandert, die durch die natürliche Ver mehrung auf 30 Millionen angewachsen wären, so würden >ie Vereinigten Staaten heute wohl schwerlich so einig nach außen hin dastehen, wie das tatsächlich der Fall ist. Nun nimmt aber seit einigen Jahren nicht nur die Ein wanderung an sich trotz der schärfsten Maßregeln ständig zu, sondern es macht sich auch ein bedenkliches Anschwellen der slawischen Elemente bemerkbar. Waren noch im Jahre 1901/02 648 748 Personen in die nordamerikanische Union eingewandert, so handelt eS sich gegenwärtig um die Unter bringung von mehr als 1 Million Menschen, da allein die überseeische Einwanderung mehr als 1 Million Personen beträgt. Von diesen aber sind die stammverwandten Briten, Deutschen und Nordländer, die früher gegen 60 Proz. aller Zuwanderer stellten, heute nur mit 25 Prozent beteiligt, während der Anteil Oesterreich-Ungarns von 10,4 auf 21,8, Italiens von 10,4 auf 24,4 und der Rußlands von 8L auf 16,6 Prozent der gesamten Einwanderung stieg. Diese kul turell tiefstehenden Massen bilden eine große Sorge für die Regierung, da sie sich dem amerikanischen Volkskörper kaum «infügen werden. Auf der anderen Seite war und ist die Arbeiterschaft besorgt, und wie e» scheint, nicht mit Unrecht, daß ihre Mitglieder durch die niedere Lebenshaltung, an die jene Einwanderer gewöhnt sind, in ihrem Erwerbsleben geschädigt werden. Gewiß, man darf nicht vergessen, daß durch diese billigen Arbeitskräfte gewaltige Arbeiten ein facher und rein physischer Art geleistet, und weite Gebiete der Kultur erschlossen worden sind, aber doch nicht in dem Maße, wie man hätte erwarten dürfen: denn die Erfahrung lehrt, daß di« meisten dieser unerwünschten europäischen Ar beiter sich in den Industriestädten de» Ostens niederlassen, dort durch billigere Arbeitslöhne den gelernten Arbeitern un bequem und schädlich werden oder auch das gewaltige Heer des großstädtischen Proletariats vermehren. Dabei liegen, wie man weiß, ungeheure Gebiete der Union noch brach da und harren der Bestellung, die im großen ober nur durch eine gewaltig« Pionierarbeit erzielt werden kann. Hätte die amerikanische Regierung es beizeiten verstanden, eine ver nünftige und zielbewußte Siedelungspolitik zu treiben, so wäre es ihr möglich gewesen, den Strom der Einwanderung in jene jungfräulichen Gegenden zu leiten. Sie hätte es dann nicht nötig gehabt, immer von neuem gegen die Invasion der Europäer, wie auch der Asiaten, solche gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, die das Problem doch nicht end gültig lösen werden. Diese Maßnahmen haben ja nicht ein mal das Anschwellen des Einwanderungsstromes verhindert. Schon 1882 wurde die chinesische Einwanderung verboten, wenn auch dieses Gesetz 1904 auf Chinas Betreiben gemildert worden ist. Selbst die Erhöhung der Kopfsteuer von 5 Dol lars auf 500 Dollars hat die bezopften Söhne des Reiches der Mitte nicht dem Lande des Dollars fernhalten können. Gegen die europäische Einwanderung wurde 1885 ein Ein wanderungsverbot erlassen und 1891, 1893 und 1903 die Ein- Wanderungsgesetze weiter verschärft, so daß jetzt ausgeschlossen sind: Idioten, Irrsinnige, Epileptiker, mittellose Personen, gewerbsmäßige Bettler, Frauenhändler und daneben selbst verständlich Kontraktarbeiter und Leute, deren Ueberfahrt von anderer Seite bezahlt ist. Da die Bestimmung gegen letztere aber nicht Platz greift, wenn bereits in den Ver einigten Staaten lebende Personen ihre Verwandten und „Freunde" nachkommen lassen, klagt man drüben über die Unwirksamkeit der Gesetze und sann auf neue Erschwerungen und gab außerdem den zur Sondierung der Neuankömm linge bestimmten Beamten die strikte Weisung, äußerst streng vorzugehen. Aber auch das „zog" noch nicht. Man hat nun an verschiedene andere Maßnahmen, wie Erhöhung der Kopfsteuer, an die Forderung eines bestimmten Barver- mögens, an den Nachweis einer bestimmten Bildung gedacht und ist schließlich zu dem Resultat gekommen, den bereits bestehenden Bestimmungen des EinwanderungSgesetzes neue hinzuzufügen. Das neue, bereits angenommene Gesetz näm- lich setzt eine Kopfsteuer von 4 Dollar» fest für olle Ein wanderer, mit Ausnahme solcher, die au» Kanada, Neufund land, Kuba und Mexiko kommen, es sagt aber nichts über Einwanderer, die inPuertorico, Hawaii, Guam und den Phi- lippinen landen. Weiterhin sind neue Bestimmungen über den den Passagieren auf den AuStvandererschissen zu ge währenden Luftraum getroffen worden, und zwar werden für jede Person auf allen Schiffen, die Einwanderer nach den Vereinigten Staaten bringen, 18 Raumfuß mehr für da» Hauptdeck und da» erste Zwischendeck und 20 Raumfuh mehr für da» zweite Zwischendeck verlangt. DaS Gesetz ent hält ferner einen Zusatz, wonach der Präsident die Zulassung von Staatsangehörigen eine» Lande» zu dem kontinentalen Gebiet der Vereinigten Staaten verweigern kann, wenn die Pässe der betreffenden Einwanderer für «in andere» Land der Vereinigten Staaten, oder für die insularen Besitzungen der letzteren oder für da» Panamakanalgebiet lauten, sofern er überzeugt ist, daß die Pässe in einer Weise benutzt wer den, die die Interessen der amerikanischen Arbeiter schädigt. Durch diesen Zusatz, mit dem sich der japanische Botschafter bi» zum Abschluß eine» neuen Vertrage» zwischen den Ver einigten Staaten und Japan einverstanden erklärt hat, soll der japanisch« Zwischenwll erledigt werden. — Inzwischen ist die formelle Zustimmung Japan» nach Washington ge meldet. ver Untergang Ser Dampfer; „Serlin". Wie wir bereits in einem Teil unserer gestrigen Abend- ausgabe mitteilten, sitzt das Hinterteil de» Dampfers „Berlin" noch immer auf dem Wellenbrecher fest. Unaus- sörlich wirst oas empörte Meer Leichen an» Land, viele sind durch die Gewalt der Wellen völlig verstümmelt. Der unglückliche Kapitän Precious ist ertrunken. Fünfzehn Ueberlebende, die sich noch auf dem bedrohten Wrack befinden, haben eine traurige Botschaft auf ein Stück Holz geschrieben, das ans Land g-fchwsmmt worden ist. Tie Unglücklichen teilten mit, sie seien im Rauchsalon auf dem Hinterteile versammelt und befänden sich noch imm r über Wasser. Sie erkennen aber die große Gefahr ihrer Lage und erwarten den Tod. Di« Botschaft, di« in englischer Sprache geschrieben ist, schließt mit der Versicherung, daß sie dem Tode mit Mut und Ruhe entgegensehen. Die Schuld an der furchtbaren Katastrophe wird, wie wir bereits mitteilten, dem mit der Einführung in den Haien betrauten Lotsen-Steuermann zugeschrieben, der den Dampfer, entgegen dem Brauche, auf der mit Sandbänken versehenen Seeseite in den Hafen gesteuert haben soll. Diese Meldung ist jedoch nur mit der größt«» Vorsicht aufzunehmen, do ein einzelner Mensch unter den gegebenen Umständen wohl kaum eine derartige Katastrophe verursachen konnte. Es ist vielmehr überaus wahrscheinlich, daß die „Berlin", nachdem die Schiffsmannschaft die Gewalt über da» Ruder verloren hatte, von der Macht des Orkan» und der Wellen gegen jene klippenftarrende Seeseite de» Hafen» getrieben wurde und dann zerschellte. Dem entspricht auch folgende telegraphische Nachricht des Hirsch-Bureau» au» Hoek van Holland: Man findet nur eine einzige Erklärung für die Ursache der Katastrophe, nämlich daß die Kette, die den Stsuerapparat auf der Kommandobrücke mit dem Ruder ver- bindet, in dem entscheidenden Augenblicke brach. Somit wurde das Schiff hilflos und die Wellen trieben e» sofort gegen die Mole, wo es zerschellte. Eine Untersuchung de» Wracks dürste die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Theorie ergeben. Bisher können auch Augenzeugen, die ans dom Dampfer „Amsterdam" ans HoÄ van Holland in Har- wich eingetroffen sind, zur Aufklärung der Katastrophe des Dampfer- „Berlin" nicht viel beitragen, da sie sich erst vor gestern abend 11 Uhr eingeschifft haben, al» die . Berlin" al» zertrümmertes und versunkene» Wrack in der Dunkelheit lag und ihr Heck noch sichtbar war. Ein Mitglied der Mannschaft deS Dampfers „Clacto n" ans Hoek, der in der Nähe der „Berlin" halt machte und vergebliche Rettungsversuche unternahm, entwirft über diese folgende dramatische Schilde- rung: Wir folgten der „Berlin" in einer Entfernung von ungefähr 1?/, Stunden und kamen gegen 6 Uhr 30 Minuten an der Mündung der Maaß an. Da sahen wir die „Berlin" bereits am Kopfe der Nordmole liegen. Kapitän Dale scherte sofort ab und als wir einen Bogen machten, nm dem Geschick der „Berlin" zu entgehen, fuhren wir beinahe selbst fest. Nachdem wir gewendet hatten, machte sich der Kapitän sofort ans Werk und bemühte sich dem gestrandeten Dampfer Hilfe zu leisten. Die Wogen aus der tobenden See gingen 30 bis 40 Fuß hoch, da furchtbarer Nordweststuvm nach der Küste zu wehte. Wir steuerten sofort hart au die JelSblöcke, mußten aber wieder zurückgehen, da wir nichts unternehmen konnten. Dann versuchten wir, «in Rettungsboot auszu sehen, doch erwies sich dies bei dem Toben der Wellen als unmöglich. Wieder und wieder hielten wir darauf zu und blieben mehrere Stunden. Wir verließen die „Berlin" nicht bis zuletzt, als wir kein Anzeichen mehr wahrnehmen konnten, daß sich noch irgend jemand an Bord befind«. Zuerst hatten wir die Schiffbrüchigen in Gruppen an Bord gesehen, teils auf dem Deck, teils im Rauchsalon auf dem Vorderdeck. Wir steuerten dicht heran, um so die Rettung »u versuchen und sie riefen uns »u. Denn anscheinend herrschte kein« Panik. Vielmehr bewahrten die Passagiere, soweit es sich sehen ließ, vollkommene Ordnung. Alle waren mit Nettungsgürtcln versehen und hatten sich auf der Leeseite des Schiffes zu- sammengebrängt, um Zuflucht zu finden vor den ge- waltigen Sturzseen, die das Schiss überspülten und über das Deck, die Schornsteine und die Masten hingingeu. Wir kamen bis auf 100 bis 200 Aard» nahe und warfen alle unser« Nettungsgürtel an Stricken au», doch erreichten sie die „Berlin" nicht. Als da» Schiff auSeinanderbrach, wurden Passagiere und Mannschaften fortgespült und er- tranken vor unseren Augen. Wir hörten ihre Hilferufe, konnten aber nichts zur Rettung tun. Gestern abend sollen noch mehrere Lebende an Bord gewesen sein. Wir aber sahen, als wir auf der Rückfahrt nach Harwich die Unglücks stätte passierten, nur noch daS Heck de» Schiffes aus dem Wasser Hervorrogen. Niemand war an Bord zu schen. Das Vorderteil versank zuerst. Dabei ertranken ganze Gruppen von Mensche«. Wir fuhren weiter, al» nur noch das Leck übrig war. Die Rettungsboote waren zu dieser Zeit so nahe als möglich herangcfahren und versuchten, die im Wasser um» Leben ringenden Menschen zu retten. Kapitän Dale tat all-S, was er nur konnte, um Hilf« zu bringen. Wir büßten beinah: selbst daS Leben «in, da sich die Wellen fortwähre.rd mit schrecklicher Gewalt über uns ergossen. Wir konnten natür lich einzelne Personen an Bord der „Berlin" nicht unter scheiden, da alle auf einem Haufen znsammenstanden. aber di« Rufe kamen deutlich zu un» herüber über die sturMepeitsckten Wogen. Ein anderer von der Mannschaft des „Clacton" er zählt: Al» wir gestern abend weafuhren, sollen noch zehn Personen im Rauchsalon der „Berlin" gewesen sei«. Diese sind inzwischen gerettet wvrden. Ueber das hierzu ausaeführte Rettungsmanöver berichtet vorläufig ein Telegramm vom Schau- Platz der Katastrophe: Am Nachmittag ist e» dem Schleppdampfer „H e l l e v o e t S l u i»" mit einer JolLc im Schlepptau gelungen, die Boje zu erreichen und von dort mittels Stricken eine Verbindung mit dem Wrack der „Bedfin" zu gewinnen. Bis setzt rettete man, sowert es sich I vom Strand beobachten läßt, 8 Personen. Es wird versucht. I die Schiffbrüchigen au» der Jolle in ein Rettungsboot zu I bringen. Die Rettungsarbeiten sind augenblicklich »in volle«
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview
First Page
Back 10 Pages
Previous Page